Eine mitteleuropäischen Siedlung, wie sie Jahrhunderte lang in dieser Art bestanden mochte

 

Durch die Fenster des Bienenwagens konnte man die offen stehende Tür sehen. Die alte Dame schloss gerade ihr Tagwerk ab und als sie ausgestiegen war, kam noch ein kleiner Lichtstrahl durch die Tür und der Blumengarten war erkennbar. Ginge man nun durch das idyllisch gewachsene Heckentor, dem nur noch die Rosenüberspannung fehlte, offenbarte sich einem ein wie wild gewachsener Garten aus weiter Wiese, durchsetzt mit Blumenfeldern und ab und an mal einem Obstbaum darauf. Nur dieses Stücken Land konnte einem diesen Blick bieten, denn um diesen Friedgarten erstreckten sich schon bewaldete Höhenzüge. Das alte Bauernhause freilich stand noch ganztägig im Sonnenschein, wie der Rest der Stallungen auch, die sich mit dem Rücken auch schon an den Felsen schmiegten und am Hang dahinter noch einmal ein Stück Kräutergarten verdeckten. An der Fachwerkhäuserwand rang sich Wein am Spalier empor. Wie die Obstbäume schon fast alle Früchte abgeworfen hatten glitzerten hier noch die matten Trauben im letzten Nachmittagslicht.

Gleich in der Nähe, am Waldesrand auf der Lichtung sah man noch einzelne Häuser, wie sie beinahe ein ganzes Dorf bildeten, doch zu verstreut waren, um eine eigene Kirche zu besitzen, so dass der Pfarrer im Sommer sogar auf der üppigen Wiese predigte. Im Winter fand man sich dann entweder bei einem Nachbarn zusammen um der Andacht zu lauschen oder ging ein Stück in die kleine Stadt, jenseits des Waldes.

Ein Jäger war unter den Menschen hier und auch ein Tischler, ein Tuchmacher, sogar ein Schmied, gleichzeitig für Wergzeuge, Hufeisen, Fässer und ein wenig Schmuck zuständig. Alles andere hat jeder selbst gemacht.

Ein Stückchen weiter die alte Straße an der gleichen Wiese gelegen fand sich der Fluss, einmündend in einen kleinen See mit einem Steg der ein Stückchen durch das Schilf und die Rohrkolben ins Wasser ragte. Das Boot musste wohl irgendwo anders am Ufer liegen, wo es eben gerade das letzte Mal benutzt worden war. Noch eine Weile weiter ging die Wiese wieder in Wald über und blieb eine ganze Weile in diesem Zustand. Obwohl Wald bei den Leuten in dieser Gegend immer etwas Düsteres hatte, war dieses Gebiet durch die Eichen doch sehr licht, so dass nachts der Mond oft bis zum Boden durch zu sehen war.

Am scheinbaren Ende des Waldes musste man noch einmal eine Anhöhe hinauf, wonach sich ein Blick über die im Kessel liegende Stadt ergab, eingeschlossen wieder von sanft ansteigenden Bergen, die wiederum bis hinauf zur erhöht liegenden Burg mit Bäumen überzogen waren.

Allein aus altem Kopfsteinpflaster bestand die Hauptstraße, schon eingedellt von den vielen Wagenladungen und das Wasser sammelte sich bei Regen in den Fuhrrillen. Kein Haus war wirklich verputzt, abgesehen von Fachwerken, und die Baugröße überstieg keine drei Treppenhöhen. Nur der Kirchturm kletterte über die Schindeldächer, kaum höher als die Bäume der Hinterhöfe. Dafür klang die Glocke durch das Tal bis tief in den Wald und selbst verstreut liegende Hütten und Höfe vernahmen den hellen Ton mittags und zur Feierabendzeit. Drei kleinere Gasthäuser versorgten nach getaner Arbeit die Händler, Bauern, Handwerker, den Pfarrer, den Barbier, den Arzt und den Apotheker, die drei Lehrersleute, manchen Vagabund und Reisenden mit Bier und kleinen Happen. Was tagsüber der Markt und die Gassengespräche vor allem der Frauen waren, das übernahmen sie des Abends, allerdings auch nur bis zehne, wegen der Sperrstunde, selten bis elf Uhr. Denn der Tag begann schon früh mit dem ersten Sonnenstrahle und die Stadtwache war streng. Doch manchmal konnte auch sie der angeregten Unterhaltung und der spannenden Kartenrunden oder den fremden Geschichten nicht widerstehen.

Die alte Dame setzte den Tee an, die Blumen mussten zwar noch gegossen werden, aber solange die Sonne noch schien, konnte sie sich ihrer Pracht endlich einmal ausgiebig erfreuen. Die Enkel waren beim Feste auf der alten Burg, wo in diesen Tagen oft gefeiert wurde, jetzt, wo es auf den Winter zuging und die Arbeit wieder weniger wurde. Wie man das Jahr im Frühjahr begrüßte so verabschiedete man es jetzt. Vielleicht würde einer der drei Enkelsöhne ja endlich eine junge Frau mit nach Hause bringen, dass der Garten unter ihrer Obhut weiter gedeihen würde. Ihre Schwiegertochter war leider schon letztes Jahr gestorben. Der Arzt wusste auch nicht, was sie gehabt hatte. Gleich würden ja auch der Mann und der Sohn vom Felde kommen, da musste das Abendessen hergerichtet werden. Doch sie hatte noch ein wenig Zeit. Zu gern erzählten sich beide noch mit dem Müller am Fluss, sahen gern einfach mal dem Wasserrad beim Drehen zu und erfuhren immer wieder recht interessante Neuigkeiten. Außerdem war heute Heu zu machen, da mussten sie besonders vorsichtig fahren, dass der Karren keinen Achsbruch auf den wurzeligen Wegen erlitt.

Die beiden hatten tatsächlich etwas erfahren. Die Landsknechte, die nun als eine Einheit Soldaten vor ein paar Tagen hier vorbei gekommen waren, sind schon wieder aus der Stadt abgezogen. Vielleicht bahnte sich nach langer Zeit erneut ein Krieg an, aber bestimmt weit weg von diesem versteckten Flecken, wie immer. Sie sahen auch nicht sehr einheimisch aus. Wüste Gesellen mussten es gewesen sein. Laute Orgien hatten sie gefeiert im Wirtshaus zum Bären. Selbst die Stadtwachen konnte sie nicht bändigen. Aber man erfuhr immer derart schier unglaubliche Geschichten von ihnen. So wie von den Türken, die wohl bei der letzten Schlacht von ihnen geschlagen wurden, auf ihren Teppichen mehrmals am Tag auf die Knie fielen und beteten und ein starkes, braunes Gemisch aus Bohnen und heißem Wasser tranken. Vielleicht, oder sehr wahrscheinlich hatten die Landsknechte sie auch gar nicht geschlagen, eher noch nicht einmal gesehen. Sie gaben immer gerne an, dabei waren viele auch noch nicht lang dabei und manche hatten nie die Waffe benutzt. Ein anderes Mal hatten sie im Rausch erzählt wie ein reicher Edelmann gleich zwanzig schöne Frauen in seinem Haus, ach was, Palaste besaß oder wie riesige Städte unter der Last von Gold und Verzierung fast zusammenbrachen; aus Ländern wo der Wein nicht am Hause, sondern wie Getreide hierzulande auf Feldern angebaut wird, wo ganze Familien ständig umher reisen, in Gegenden die keinen Baum und kein Gras ernähren können. Andere sind auch zur See gefahren und hatten noch unglaublichere Geschichten erzählt, die man sich gleich gar nicht vorstellen konnte und selten glaubte. Da hatte doch einer glatt behauptet, dass es Völker gibt, die mitten in den Wäldern auf den höchsten Bäumen ihre Häuser gebaut hätten oder mit Blättern behangen durch die Gegend laufen und aus Schilfrohren heraus Pfeile verschossen, die mit vergifteten Enden versehen waren. Wieder andere jagten mit krummen Ästen springende Ratten über die Wiesen. Lange Zeit zweifelten die Leute auch Legenden über ganz und gar schwarze Menschen an, deren Hand-, Fußflächen, Zähne und Augen allein hell waren, wie bei uns, bis dann doch mal einer als Gefangener oder Geschenk an den Herzog durch die Stadt gebracht wurde. Wie ein Tier hatten sie ihn in einen Käfig gesperrt, dabei sah er auch nicht anders aus als die Menschen hier. Die Nase war ein wenig breiter und die Haare kurz und trotzdem gekräuselt.

Aber derlei war dieses Mal nicht von den Soldaten zu erfahren. Sie sollten wohl nur verlegt werden, zur Grenze, nicht weit des großen Flusses, hinter dem Wald. Die Männer erzählten es beim Abendbrot und danach, als sie zusammen saßen und sich über den Tag austauschten, Geschichten erzählten, manchmal ein Nachbar mit Frau oder Besuch vorbei kam und dann hörte man auch mal Musik erklingen. Denn dann wurde die Laute ausgepackt, mancher konnte auch die Fidel spielen, andere sangen fröhlich die allseits bekannten Lieder. Manchmal saß auch ein fahrender Händler dazwischen, der im Hause übernachtete, denn die Gasthäuser waren teuer und nicht jeder hatte die Mittel dazu. Da kamen freundliche Bauern genau richtig. Diese wiederum bekamen dafür die eine oder andere Nützlichkeit günstiger und natürlich Informationen, aus der Umgebung und der Stadt, auch von weiter her, je nach dem, woher der Händler kam und was er dabei hatte. Außerdem mahnte der Pfarrer ja immer wieder zur Hilfe derer, die Hilfe benötigen. Die Alten stritten zwar hin und wieder über die schlimme Entwicklung, die alles einmal nehmen würde. Seit die Soldaten mit Büchsen durchs Land jagten, hatten sie wieder Gesprächsstoff und warnten vor haarigen Zeiten. Aber das taten sie schon seit jeher, wie bereits ihre Väter und Großväter. Manches Mal behielten sie sogar Recht, aber wer gab denn etwas darauf, wo sie so oft über das wetterten, was sie doch eigentlich am Vortag noch mochten und darauf gedrängt hatten.

Obwohl die drei Burschen heute noch nach Hause kämen? Wohl nicht. Man konnte sie auch verstehen, unter ihres gleichen war es doch weit lustiger. Aber morgen früh mussten sie auf dem Felde sein, das restliche Heu sollte vor dem nächsten Regen noch in die Scheune, sonst verschimmelte es und die Tiere hätten den Winter über nichts zu fressen. Doch das wussten sie ja selbst. Sie würden schon da sein.