Outlaw im Outback I – Eine Oasenstadt (Dubai)

Flucht – das Einzige, was mich jetzt noch retten kann. Fliehen muss ich vor meinen Professoren, vor der Pflicht und vor dem Unglück.

Doch jede Flucht will auch geplant sein. Daher habe ich mich schon vor Monaten im November nach einem geeigneten Transportmittel umgesehen und ausgespäht, wo es günstige Fluchtwagen und Unterschlüpfe gibt. Mehrere Stützpunkte und unterschiedliche Aufenthaltszeiträume werden meine Verfolgung erschweren. Zwar ist eine Flucht auf sich allein gestellt immer auch sicherer und unabhängiger, aber ebenso einsamer und mehrere Augen und Ohren sind wachsamer. Vielleicht werde ich mich daher mit anderen Gleichgesinnten unterwegs zusammen tun. Nur muss ich aufpassen, dass sie mich nicht verraten können oder ihrerseits ausnutzen und vielleicht sogar betrügen. Aber das ist nun einmal das Risiko – im Untergrund.

Dubai auf der Welt
Dubai auf der Welt

Wahnsinnig, wahnsinniger, am wahnsinnigsten - Großstadtdschungel Dubai:

Zuerst geht es in die Wüste. Dort werde ich aufgrund meines dunkelhaarigen Äußeren nicht zu sehr auffallen und glaube im weichen Sand schnell meine Spuren verwischen können. Auf dem Weg dorthin liegen diverse Geldhäuser, wo ich mir unter Vortäuschung meiner eigenen Identität etwas Wegwährung mitnehme.

 

Gerade aus der prächtigen Flughafenhalle Dubais ausgestiegen, belagern mich schon Dutzende von Fahrern. Zuerst halte ich mein Flucht schon für gescheitert, doch dann erkenne ich meine Gelegenheit: im Feilschen. Man will mir für 140 Dirham eine Taxifahrt ins nahegelegene Schardscha anbieten (zur Sicherheit hatte ich natürlich nicht im weltbekannten Zentrum Dubais meine geheime Untergrundunterkunft gebucht, sondern wie sich zu meiner Überraschung herausstellte, sogar in einem ganz anderen Emirat mit der gleichnamigen Hauptstadt Schardscha). Ohne Ahnung vom tatsächlichen Wert der Fahrt schaue ich mich bei den Fahrern um und als man mir für 120 Dirham die Dienstleistung schmackhaft machen will, lüge ich kackdreist zu meinem potentiellen Chauffeur:

„Dein Kollege hat mir die Fahrt aber für 110 angeboten“, worauf er antwortet: „Okay, okay. Sagen wir 100.“ Und wir sind im Geschäft. Zwar weiß ich noch immer nicht ob das ein guter Preis ist, aber diese Nacht ist auch nicht mehr die Jüngste.

Ein Europäer als Araber                                                         Dubai am Abend                                                                                                                             Ein Souk / Suq

Als ich so durch die Stadt schlendere, scheine ich tatsächlich kaum aufzufallen: Helle Klamotten, ein teures Smartphone, dunkle Haare und dunkle Augen, Bart. All das ist hier nichts Außergewöhnliches, sogar die Tatsache außer seiner Heimatsprache nur Englisch aber kein Arabisch zu sprechen scheint eher normal als ungewöhnlich zu sein. Nur mein kleiner Rucksack und natürlich die hin und wieder gezückte Kamera verrät mich als Tourist. Doch dank eines ziemlich aufdringlichen Stoffhändlers in einem der traditionellen Souk-Märkte habe ich nun auch einen Ghutra bzw. eine Kufiya (Turbane oder Kopftücher) in meinem Besitz und werde praktisch unsichtbar in einer mir völlig fremden Kultur.

Allerdings ist die Stadt selbst nur noch ansatzweise traditionell orientalisch. Die vielen Inder, Iraner, Pakistanis, Bangladescher und Ägypter lassen zwar noch einiges von Exotik spüren, aber ihre Auffassung ist wohl doch meist westlich geprägt, sonst wären sie nicht hier. Ich aber bin auf dem Weg nach Osten, wo ich irgendwann zwangsläufig wieder auf den Westen stoßen werde, falls ich nicht doch über den Rand der Welt stolpere – beim Teutates! Beim Anblick einer Horde unspezifizierter Ostasiaten, die sich hier als ziemlich rotzfrech an der Kasse erweisen und einfach mal die Leute zur Seite drängeln, um eher dran zu kommen, zweifle ich aber, ob ich nicht doch eher Richtung Südosten abbiegen sollte.

 

Fühle mich schon wie einer der Einheimischen, als ich heute das zweite Mal in den gleichen Bus einsteige – ganz so, als ob ich wie sie auf Arbeit gehe. Ich versuche mich wie einer von ihnen zu verhalten und falle auch wirklich wenig auf. Es liegt wohl daran, dass jeder nur auf sein Smartphone starrt. Doch auch abseits der modernen Welt findet sich ab und an noch ein Relikt aus Beduinenzeit. So finden sich in der neu errichteten "Altstadt" Gassen aus Lehmhäusern mit hohen Windfängen, die als natürliche Klimaanlage fungierten; oder Leute, die ihren Einkauf vom Auto aufs Kamel umladen; mitten in dem Verkehrswust verteilte ein älterer Einheimischer Datteln zum Kosten. Und wenn man darauf achtet, sieht man ein paar wenige Einheimischen auch alle noch mit Bettlaken umhüllt durch die Stadt schlendern.

Neu und Alt                                                                                                           Eine Moschee                                                                                                     Leben und Tod

Outback, das ist auch die Wüste und die wollte ich heute finden. Doch vor lauter Großstadtdschungel war sie nicht mehr da. Stattdessen erstreckt sich bis in den Dünendunst hinein eine Ansammlung von Glasfassaden. Nicht einmal die schemenhaften Gebäude am Horizont, die kaum noch zu erahnen waren, gehörten schon zur nächsten Stadt, sondern sind immer noch Dubai. Entweder ist Dubai derart groß, oder die Luft aber derart dreckig. Bei all den postmodernen Gebäuden entlang der Uferpromenade dieses Architektur- und Geldmeeres ist den Visionären mit dem Burj Khalifa und der umgebenden Brandung ein echter Wirbelstrom der Sinne gelungen. Es muss Wahnsinn gewesen sein diese Ideen mitten in der ehemaligen Wüste umzusetzen und erscheint mir wie eine Sinnestäuschung, was dort wie aus "Tausend und einer Nacht" aufwartet. Selbst die Einkaufsmeile ist eher ein Erlebnispark mit Kino, Eissporthalle, Fresstempeln aller Geschmäcker, einem Unterwasserzoo, Wasserfall und eigenem Flugsimulator (z.B. die Dubai Mall). Die Außenanlage schließlich lässt vermuten an genau dieser Stelle sei Atlantis wieder auferstanden, so kunstvoll zieht sich das Erleben durch die Straßen und so stark wird der Wunsch, einfach in dieses erfrischend aussehende Becken klarsten Wassers zu springen. Ein Wort noch zur mehrdeutigen Vollendung dieser Beschreibung: Fantastisch!

Großstadtschach - Das Türmchenspiel                        +                     Orientalisches Ressortgefühl in der Großstadt                    +                    "Alte" Stadtmauer

                                                                                                                         = Der Anschein von Tradition

Auch wenn manch einer meint, heute würde der Stilmix zur Mode und verschandelte die ursprüngliche Kunst: in einigen hundert Jahren ist auch das hier Geschichte und nur weil zur Zeit der Renaissance schlechtere Bauwerkzeuge vorhanden waren, ist diese Kreation aus Tradition und Moderne kein Affront, sondern für viele Einheimische die Vollendung und für manche sogar die Erfüllung eines Traums.

 

Bis jetzt habe ich Glück und konnte immer entkommen, wenn mich die Pflicht fast eingeholt hatte. Falls ich auf meine E-Mails im hotelinternen W-LAN zugreifen wollte, kam ich nicht rein und jetzt wählte ich mit dem falschen Bus dennoch zufällig die richtige Verbindung für meinen geplanten Trip und entkomme so geschickt weiteren Gedanken an die Arbeit, weil ich während der Busfahrt nichts zu tun gehabt hätte. Stück für Stück vergrößert sich also mein Vorsprung. Aber ich muss vorsichtig sein! Denn überall kann der Feind lauern, aus jeder Ecke hervorspringen und auch wenn ich ihn nicht sehe, bin ich sicher, dass er irgendwo hockt und wartet. Es liegt nur an mir ihn zu besiegen und das Verlangen nach Pflichterfüllung zu unterdrücken.

Größer, Höher, Weiter                                                     Burj Khalifa - Höchstes Haus der derzeitigen Welt                                         Einkaufszentruminnenleben

Noch atlantishafter wird es schließlich im Palmenviertel Jumeirah. Mit der Fähre komme ich am günstigsten hin und erlebe gleichzeitig noch die Skyline dieser orientalischen Metropole vom Meer aus. Doch überwältigend ist erst der Jachthafen, die Marina. Denn hier glaubt man sich durch die Vermischung altanmutender Architektur mit den bekannten neuen Glasfassaden in einer futuristischen Fantasiewelt der Architekten des letzten Jahrhunderts à la Lomonossow-Universitätshauptgebäude und Empire-State-Building, mit den künstlich verwinkelten Buchten und Gebäuden.

In diesem Viertel gehe ich meist gegen den Besucherstrom und speise in einem ansonsten leeren Restaurant, so dass ich Acht geben muss nicht zu sehr dadurch aufzufallen. Daher führt mich mein Weg kreuz und quer über die Brücken der Marina bis hin zum Dubai Lake, der wiederum ein Stück verlorener Stadt auferstehen lässt. Um nicht weiter auf mich aufmerksam zu machen nehme ich die Metro zurück. Denn darin jemanden zu finden oder zu verfolgen ist nahezu unmöglich, da sie schon ab der ersten Station in Richtung Dubai Zentrum proppenvoll ist.

Glas-Wasser-Spiegelungen                                                                                                                                                                                                          Zukunftsaussicht

Beim Auschecken funktioniert die Kreditkarte nicht. Man ist mir anscheinend auf die Schliche gekommen! Wo ist das nächste Taxi? Vielleicht kann ich sie im Stau abschütteln… doch es bringt nichts… natürlich! Sie wussten, dass ich zum Flughafen will. Denn die ewige Verzögerung am Check-in-Schalter kann nur damit zusammenhängen. Etliche Male wurde ich von einem Schalter zum nächsten geschickt. Danach musste der Zuständige erst drei andere Mitarbeiter um Hilfe mit einem einfachen zwei-Linien-Kombinationsflug bitten. Aber jetzt nichts überbewerten! Vielleicht war der Angestellte auch neu – und die anderen Unfähigen?

 

Egal, ich hau ab aus dieser auf Sand gebauten Metropole der Extreme! Es Zeit für ein Ablenkungsmanöver. Ich werde in Sydney zwischenlanden und dort in der Stadt verschwinden, bevor es weiter nach Neuseeland geht – ans Ende der Welt also…

 

In der Zwischenzeit noch ein paar Eindrücke aus Dubai:

Kabeldiskussion, Umladen vom Stadt-SUV aufs Wüstenschiff, "Warten auf Godot" in Arabien
Kabeldiskussion, Umladen vom Stadt-SUV aufs Wüstenschiff, "Warten auf Godot" in Arabien