Recherche-Reise im Bodensee-Allgäu –

Eine Suche nach literarischer Kreativität in der Realität

 

Wenn alles stimmen soll, was man sich so ausdenkt und als Schreiberling zu Papier bringt (egal ob als Schriftsteller, Journalist oder Wissenschaftler), sollte man die Örtlichkeiten kennen, von denen man berichtet. Daher ist eine Recherche-Reise nötig. So folgt:

 

Vierländerregion Bodensee und Allgäu
Vierländerregion Bodensee und Allgäu

1. Tag: Ralfs Frage

Die Reise beginnt mit einer Zwischenstation beim altbekannten Gefährten mancher Abenteuer in München: Ralf. Dieser will vom Autoren endlich auch mal wissen:

„Worum geht es eigentlich in deinem Roman?“

Tja, in einem Satz kurz zusammengefasst? Dann wäre es: Es geht um eine neue Gesellschaftsordnung in einer postapokalyptischen Welt. Nun könnte man fragen: gibt es das nicht schon reichlich? Doch er fragte nichts weiter. Vielleicht war meine Antwort zu allgemein. Aber wenn man es nicht in einem Satz zusammenfassen kann, hat man es selbst nicht verstanden, heißt es beim wissenschaftlichen Schreiben immer. Ja, es geht nicht nur um eine utopische Beschreibung einer besseren Welt, sondern vielmehr ist es eine Ideensammlung vieler freier Ansätze, von der sozialen Gerechtigkeit bis über nachhaltige Ressourcenwirtschaft, Umweltschutz, Vereinfachungen des Lebens („Life Hacks“) und Toleranz allen Menschen gegenüber; nicht zuletzt soll auch noch jeder Mensch persönliches Glück finden, sich selbst verwirklichen können und keine Not mehr leiden: also wie man ein Paradies auf Erden erschaffen könnte. Aber auch die Weiterentwicklung der Menschheit soll thematisiert werden; also nicht bloß der technische Fortschritt, welcher ohnehin eher zur Vereinsamung und Orientierungslosigkeit des Einzelnen führt, sondern vielmehr die gesellschaftliche Entwicklung zu einem neuen Bewusstsein des gemeinsamen Lebens für und von anderen Menschen.

Reicht das erstmal? Nein? Na gut, dann hier noch ein Teaser:

Ein intergeschlechtlicher Jugendlicher lebt elternlos zunächst bei einer punkähnlichen Jungen Gemeinde, um durch mysteriöse Umstände in einer Psychiatrie zu verschellen. Dabei hat er doch bloß auf der Basis der Tagebuch-Geschichte seines Urahns ein ziemlich erfolgreiches Buch veröffentlicht. Ob der Verlag eine Intrige gegen ihn gesponnen hat? Jedenfalls erwacht er in einem Labor, um bald darauf festzustellen, dass er sich in einem unterirdischen Bunker befindet und anscheinend der letzte Mensch auf der Erde ist. Und was man eben so als letzter Mensch macht: Er sucht andere Menschen und versucht die Erde wieder lebenswert zu machen. Bei dieser Gelegenheit kann man auch gleich alles versuchen und die gesamte Welt verbessern – wie so viele andere zuvor es versuchten. Ob das gelingt, wird sich zeigen.

 

II. Tag: Exit Game mal anders: „Entrance Room“

Die Suche der Ferienwohnung kommt uns vor wie ein Exit-Spiel bzw. Escape-Room nur umgedreht, also eher ein Geocache oder die neue Variante: Entrance Room

Außerhalb von Scheidegg gelegen befindet sich die Ferienwohnungsanlage mit verschiedenen Häusern, wovon das richtige Gebäude zu wählen ist und davon wiederum der richtige Eingang. Denn nur ein Eingang ist für alle offen, aber einmal gefunden, gelangt man aus allen von innen wieder hinaus. Anweisungen erfolgen über die online-Buchung. Nun stehen wir zwischen den zahllosen Gängen auch irgendwann vor unserer Ferienwohnungsnummer, haben aber keinen Schlüssel. In einem Mikro-Safe neben der Tür muss die richtige Zahlenkombination eingegeben werden, welche uns zuvor wohl einmal über einen geheimen Kanal mitgeteilt worden war, sich aber auch zwischendurch wieder verändert hatte und dann … fällt tatsächlich der Schlüssel heraus. Dieser soll jedoch nur einmal verwendet wenden und erst drinnen finden wir den richtigen Schlüssel. Das W-LAN-Passwort wurde ähnlich versteckt, denn drinnen steht es nirgends notiert und dort gibt es weder Netz noch Internetempfang, so dass wir notgedrungen ein offenes W-LAN verwenden müssen, um weitere Anweisungen empfangen zu können. Der Parkplatz zur Ferienwohnung soll schließlich direkt vor dem Gebäude zu finden sein, wozu aber keine der oft kaum noch erkennbaren Nummern passt. Innen an der Tür finden wir dann noch einen Gebäudeplan, worauf der Parkplatz auf der anderen Gebäudeseite eingetragen ist, jedoch sehr eng bemessen ist und zudem bereits halb vom Nachbarn verstellt wird. Sämtliche Fahrstühle sind auch noch außer Betrieb, so dass eine nächste Rätselaufgabe darin besteht die Einkäufe bei der Affenhitze von dort in die Wohnung zu bugsieren, ohne große Verluste durch einsetzende akute Kernschmelzen zu verursachen. Zu guter Letzt klopft es Sturm nach dem Kraftakt beim Einschlafen bzw. verzweifelten Duschversuch an der Tür, weil die Nachbarn vom Gastgeber gebeten wurden nachzusehen, ob wir das Entrance-Game erfolgreich gelöst haben (weil wir wohl die vorgesehene Lösungszeit überschritten), während draußen gerade ein Gewitter losbricht und fast die auf den Balkon verbannte Alexa überflutet.

 

Aussicht von der Unterkunft
Aussicht von der Unterkunft

Aber der Blick vom Bett über die Voralpen auf die dahinter liegenden, eigentlichen Alpengipfel ist so einige Mühen wert. Immerhin können wir laut Hausordnung heute auch wieder den Müll rausbringen, denn gestern, am Sonntag, durfte die „Wertstoffinsel“ wegen Lärmbelastung wohl nicht benutzt werden. Und die nehmen das hier sehr ernst, denn sogar der Müll wird videoüberwacht!

 

Dritter Tag: Ein Überblick

Ganz entscheidend für die Recherche einer Landschaft ist der Überblick: Daher finde ich nicht nur Karten der Region spannend, um Entfernungen und mögliche Wege zu den Detailzielen abzuschätzen, sondern auch hohe, exponierte Geländepunkte, um die Gegend von oben zu sehen und allein dadurch interessante Orte zu entdecken. Aus diesem Grund suche ich stets nach begehbaren Bergen und Türmen mit möglichst großem Rundumblick. Wenn dann noch ein Turm auf einem Berg steht – hui, da hüpft das Entdeckerherz. Es ist die altmodische Art der Fernerkundung.

 

Scheidegger Skywalk
Scheidegger Skywalk

Wir hatten kurzfristig aufgrund meines Arbeitswechsels nicht viele Möglichkeiten noch eine adäquate Unterkunft zu finden. Hier allerdings trieft die Spießigkeit förmlich aus allen Löchern und wenn da umso mehr der erste Eindruck zählt, hab‘ ich es hier sowieso ziemlich verbockt:

 

Typisch Allgäu (bei Lindenberg)
Typisch Allgäu (bei Lindenberg)

... Im Supermarkt halte ich die fremden Waren der vorherigen Kundin für unsere und muss mich mit einem raschen Spruch aus der Affäre ziehen – dabei fällt mein nicht-ortsansässiger Akzent auf; am Pool gehe ich in der Hoffnung auf eine unentdeckte Passage durch die Frauendusche, weil ich den Männereingang nicht finde und werde prompt auch durch ein lautes Quieken einer erschrockenen Alten Schacht… ähm „Dame“ zurückgedrängt); am Eintritt zum Skywalk nehme ich versehentlich den Geldschein zum Bezahlen wieder auf, weil ich es für mein Wechselgeld halte; und insgesamt sind wir mit Kind generell ziemlich laut und erledigen hier dadurch die das letzte Bisschen Totenstille des Ü-80-CSU-Vereins. Ich brauche wirklich dringend Urlaub!

 

Tag vier: Zwischen Bergen und Wasser: Bregenz

Der Verkehr in Österreich ist brutal: Drängler auf kurvenreichen Strecken, Geschwindigkeitsbegrenzungen sind eher Empfehlungen, aber ähneln meist mehr Mindestgeschwindigkeiten und es gilt die inoffizielle Regel: Österreicher haben immer Vorfahrt! Auf einer engen Allee, nicht mehr als eine holprige Nebenstraße auf der sich kaum zwei Autos begegnen können, geschweige denn ein LKW überholt werden könnte wird munter drauf los gerast als gäb’s kein Morgen. Wenn wir nicht bei jedem größeren Kleinbus, der uns entgegen kommt, bremsen würden, gäb’s für uns übermorgen auch kein gestern mehr. Das Schild „mindestens 2 m Abstand von Fahrradfahrern halten“ an dieser Straße verspottet unser Erlebnis und ist wahrscheinlich eher vom LKW gefallen, als dessen Fahrer versucht haben muss panisch irgendwie doch noch ohne Unfall auszuweichen.

 

Seebühne Bregenz
Seebühne Bregenz

Bregenz selbst bietet keine großartige Kulisse, weder für Touristen, noch zur Recherche. Das heißt nicht, dass es nicht auch interessante Gebäude zu entdecken gibt: z. B. die Cuba-Zigarren-Kneipe, in der wir mangels essbarer Alternativen zu recht normalen Preisen in der Inflation Mittagessen. Es ist auch schwierig in einer Raucherkneipe, die auf Cocktails und abendlichen Alkoholkonsum ausgelegt ist, zu speisen. Aber im Außenbereich lässt es sich aushalten. Die Seebühne und Promenade machen dagegen schon etwas her und bieten natürlich die ultimative Kulisse, weswegen die Reichen und manchmal-auch-Schönen sich hier natürlich alljährlich gerne blicken lassen.

Die Hitze macht uns zu schaffen, so dass wir den Plan zur Rheinmündung zu laufen schnell verwerfen. Stattdessen spazieren wir etwas die Bregenzer Ach entlang, einem weiteren, großen Zufluss des Bodensee nur etwa 3 km östlich des Rheins. Hier ist das weitgehend natürliche (oder renaturierte) Flussbett mit den groben Kieseln und kleinen Felsen eines typischen Alpenflusses erkennbar. Kleine Stillwasserbereiche und sogar rückfließende Seitenarme lassen den Naturbeobachter staunen.

 

Ostende des Bodensees, Trinkwasserqualität?
Ostende des Bodensees, Trinkwasserqualität?

Durch die weite Ebene des Alpenrheintals um Bregenz entstand viel fruchtbares Schwemmland und dadurch nutzbare Ackerfläche. Entsprechend viele Siedlungen bildeten sich in dieser Ebene und entsprechend viele Häuser und Gewerbegebiete stehen heute dort. (Das ist wichtig zu wissen für den Roman! Denn es soll in einer Gegend spielen, die auch immer wieder von Menschen bewohnbar sein soll.) Die Bregenzer Ach als Fluss mit seiner erhaltenen Aue und den bewaldeten Ufergebieten bieten dadurch eine der wenigen Rückzugsorte für die Natur und für ruhesuchende Menschen. Gleichwohl zwingt uns die Hitze zur baldigen Umkehr, zumal wir als einzige Fußgänger zwischen den Radfahrernassen ziemlich bedrängt werden.

Zwar fahren wir anschließend über die neue Rheinbrücke bei Fußach und knapp an der Schweiz vorbei wieder mitten durch das breite Tal zurück. Doch aufgrund der extrem engen und dazu viel befahrenen Allee der vermutlich berüchtigten Zellgasse und anschließenden Senderstraße zwischen Lustenau und Lauterach, auf welcher sich durch die Bäume links und rechts kaum zwei Autos begegnen können (wie eingangs beschrieben), werden wir von Lieferwägen alle paar Sekunden ausgebremst und beinahe von der Straße vor einen Alleebaum abgedrängt.

 

Bregenzer Ach, Felder im Rheintal
Bregenzer Ach, Felder im Rheintal

Recherche zu betreiben bedeutet eben nicht immer genau zu wissen wo es hingeht. So halten wir die Bregenzer-Ach-Mündung zunächst für den Rhein und können vor Baustellen kaum einen Weg zur berühmten Seebühne ausmachen. Die Verkehrsverhältnisse halten uns auch von so mancher Pause ab und die Ruhe und Idylle der Satellitenbilder (von Google-Maps) halten nicht, was sie versprechen, denn sie sehen in der Realität auch nicht mehr so ruhig und abgelegen aus. In Wirklichkeit ist das Rheintal ziemlich verbaut und würde bei einem längeren Regen ziemlich überspült, allein in der Hoffnung, dass die Brücken ihre Straßen halten.

Wenn man plant geht auch irgendetwas schief. Plant man aber nicht, funktioniert gar nichts. Besser also, man hat mehrere Ausweichpläne und fixiert sich nicht zu sehr auf einen einzigen Termin. Denn das ist das Leben: es ist kein Plan, zumindest nicht für den einzelnen Menschen, sonst wäre es langweilig.

 

Ein quintärer Tag: Naturerlebnisse

Nach den Strapazen des Vortags wollen wir ein etwas ruhigeres Naturerlebnis mit einer regionalen Recherche verbinden. So stelle ich mir einen Ferientag zwischen der Arbeit vor: erst ein Naturschauspiel mit etwas wissenschaftlichem Hintergrundwissen zu ihrer Entstehung und anschließend Entspannung am Waldsee.

Als Hintergrundkulisse bilden die Scheidegger Wasserfälle ein wahres Naturerlebnis. Hier lassen sich einige, schöne Szenen schreiben: über ein romantisches Stelldichein, oder ein Räuberlager. Vielleicht verirren sich hier auch ein paar Wanderer her und bleiben, weil es so abgelegen ist oder ein junger Naturforscher fragt sich wohl, wie der Wasserfall entstanden sein mag und beginnt hier einen neuen Wissenschaftszweig.

 

Scheidegger Wasserfälle
Scheidegger Wasserfälle
Ein Scheidegger Wasserfall, Waldmoorsee
Ein Scheidegger Wasserfall, Waldmoorsee

Dass der See durch die Lage im Moor braunes Wasser hat, ist zwar zunächst ungewöhnlich, aber wenn man weiß, dass das Wasser nur geringfügig sauer ist und (dadurch) keine Algen aufweist, ist das Baden darin schon eher eine Kur für den Körper. So zumindest wird es in der Kneipp-Umgebung erklärt. Wenn eine Kneipenkur auch für mancheinen angenehmer wäre. Zu empfehlen ist der See aber auch, weil er offenbar trotz Unterhaltung durch die Stadt keinen Eintritt kostet. Obwohl: wenn ich den See jetzt zu sehr lobe, finden sich dort zu zukünftig zu viele Leute ein. Also: So toll war er dann auch wieder nicht!

 

Abend über den Allgäuer Alpen
Abend über den Allgäuer Alpen

Dann ein paar zuhause unbekannte Waren im Laden einkaufen und am Abend eine Gewitterstimmung mit frischem Regen zur Abkühlung runden den Tag perfekt ab. Ein Glas Wein, Bier oder Schnaps (gerne auch ohne Alkohol) zum Schreiben und Reflektieren der Eindrücke, zum freien Assoziieren und für die Vorstellung von Erlebnissen, wie sie sein könnten sind für das Schreiben eine wahre Wohltat.

 

Allgäu bei Scheidegg
Allgäu bei Scheidegg

Sexmal tagen wir schon: La dolce Vita

Der gleiche Geruch wie früher in den Ferien bei den Westverwandten kommt hier auf. Es ist der Geruch nach alten Leuten mit ihren eigenen Parfüms und typischen Deodorants, das ruhige Leben auf dem Land bzw. in einem Wochenendgebiet. Eine Prise Grillenzirpen, was man nur hört, weil alles sonst so ruhig ist, gepaart mit der abgestrahlten Wärme der Gehwege und Kieselbetonplatten, welche in Ost und West gleichermaßen als Fertigbauweise verlegt wurden, zusammen mit den ebenso gleich vorkommenden orange-braun gestreiften Markisen runden das Stilgefühl der 70er Jahre ab. Dazu gesellt sich die konservative Spießigkeit der Erwartungen anderer gegenüber, gemischt mit der interessierten Redseligkeit bis hin zur an Schamlosigkeit grenzender Neugier in Zeiten des Datenschutzes, die in der gleichgültigen Welt der modernen Demokratie in den Städten fast schon aufdringlich wirkt. Der fehlende Druck der Arbeit oder von Terminen rundet den Geschmack vergangener Tage ab und lässt ein Urlaubsgefühl aufkommen.

Ein weiterer Urlaubs- und Feriengeschmack geben mir die Sommerfrüchte zurück: Melonen, Erdbeeren, Kirschen, Aprikosen, Pfirsiche, Pflaumen, Brombeeren, Johannisbeeren, Stachelbeeren. In Cafés sind es die herzhaften Speisen der Alm wie Kässpätzle oder Bergpfannen, inklusive der Getränke wie Almdudler und Radler oder Russ‘n, aber auch die süßen Dinge wie Walnusseisbecher, Eiskaffee oder natürlich zu kälteren Jahreszeiten der Grog oder Jagertee.

 

Allgäu(landschafts)architektur
Allgäu(landschafts)architektur

Wenn dann noch schöne Landschaften hinzukommen, also ein Ausblick über Berge, Seen, quirlige Flüsse, Wiesen, Wälder oder von Hecken unterteilte Getreidefelder, dann fühlt es sich wirklich an wie Urlaub – auch das kann Inhalt einer Recherche sein!

Denn man kann überall schreiben und sollte es auch, wenn man gerade in Stimmung dazu ist und gute Einfälle oder Tagträume hat. Der Urlaub eignet sich dafür besonders gut, durch die neuen, nichtalltäglichen Eindrücke. Es ist eine Art „Retreat“, also ein Rückzug aus dem Alltag. Verschiedene Stimmungen, Wetterlagen, Nachrichten, Gespräche und Gelegenheiten sind außerdem umso besser für neue Einfälle, die sonst noch nicht vorkämen. Ein Regenguss unter dem geschützten Vordach einer Hütte oder ein herüberziehendes Gewitter reinigen dann nicht nur den Geist, sondern auch die Luft und dadurch die Atemwege.

Ein kleiner Dämpfer ist dann eher der Konflikt mehrere Freizeitnutzer, wenn Kurpark ein Parcour verwendet wird – nämlich für Downhill und Muckizüchter.

 

Sieben muss man die Tage: Im Bodensee (Lindau)

Zwar gehört Lindau nicht zum Einzugsgebiet der geplanten Romanhandlung, aber es schadet auch nicht zu wissen, was in den angrenzenden Gebieten so vor sich geht und ob die Bedingungen vielleicht sogar noch besser geeignet sind. Daher fuhren wir an den vielleicht mediterransten Ort Deutschlands, auf einer Insel im Bodensee gelegen: Lindau. Der Sackbahnhof endet tatsächlich auch auf der Insel und weil er anscheinend so schön ist, haben die Stadtväter gleich zwei Entspannungsholzbänke daneben gestellt, natürlich mit Blick auf das schwäbische Meer.

Sowohl die Innenstadt mit ihren historischen Fassaden und Gaststätten als auch die Promenade am Kai um die Insel lohnen den Besuch dieser Ortschaft. Zwar ziehen die Preise gerade nach der Corona-Pandemie, der Inflation durch die Ukraine-Krise und der Touristenstandort in dieser ohnehin reichen Stadt gerade im Gaststättengewerbe mit seinem Fachkräftemangel ziemlich an. Doch beim Italiener am Hafen finden wir noch eine durchaus schmackhafte Nahrungsalternative, noch dazu mit einer ausgesprochenen Frohnatur von einem Kellner und Beispiel italienischer Unterhaltungskunst, welcher halb singend, halb pfeifend mit seinen Kollegen durch die Tischreihen juchtelt und die Gäste bespaßt.

Lindau

Natürlich gehört am Bodensee das Baden zum Pflichtprogramm. Doch einen geeigneten Strand zu finden ist in Lindau gar nicht so einfach, daher eignet sich die Familienstrandbad-Terme in Lindau umso mehr.

 

Achtsamer Tag: Helms Starzlach-Klamm

Wegbarkeit ist ein wichtiger Faktor für einen Roman mit vielen Interaktionen zwischen den handelnden Personen und überhaupt der Suche nach einem geeigneten Lebensstandort. Aber auch die Arbeiten früherer Tage im Gebirge und hügeligen Land lässt sich besser verstehen, wenn man das Relief kennt und weiß, wo Wege entlang führen können. Eine Klamm ist in schluchtenreichen Gegenden das beste Beispiel, wo Wasser hinabstürzt und diese Kraft genutzt werden kann, um beispielsweise eingeschlagenes Holz durch die natürliche Fallkraft vom Berg hinab zu transportieren. Heute wird es dagegen eher für sportliche Aktivitäten genutzt wie „Canyoning“, also „Schluchten“ (als substantiviertes Verb).

Heute geht es auch gerade um eine Alpenerfahrung, nämlich das Fortbewegen in beengten Tälern und mit viel Gepäck auf dem Rücken. Gerade mit kleinem Kind in der Kraxe auf dem Rücken ist das noch einmal ein Härtegrad höher. Zumindest verspricht die beschattete Klamm und das frische Spritzwasser sowie die Fallwinde über dem kalten Wassersturz etwas Abkühlung in dieser Affenhitze zu gewähren.

Region Oberstdorf, Canyoning-Wasserdepot, Sonnenreflexion in der Klamm
Region Oberstdorf, Canyoning-Wasserdepot, Sonnenreflexion in der Klamm
Starzlach Klamm, Wurzelwerk, Treppenweg aus der oder in die Klamm
Starzlach Klamm, Wurzelwerk, Treppenweg aus der oder in die Klamm

Mit Versorgungsmöglichkeiten ist das Ende der Klamm zum Glück reichlich gesegnet, so dass man sich hier auf ein deftiges Gericht oder ein belohnendes Eis freuen kann – könnte. Denn die Region Oberstorf ist gerade verseucht: Bereits auf drei Hütten sollen Noro-Virus-Fälle aufgetreten sein und Gäste mussten mit dem Hubschrauber abtransportiert werden. Unsere Proviantwahl beschränkt sich daher leider nur auf ein abgepacktes Eis bzw. ein verschlossenes Getränk. Bedenklich finde ich allerdings die Aussage eines „Experten“, dass es ihn lediglich verwundere solche Ereignisse bereits zu Saisonanfang auftreten zu sehen, da es sonst erst zu Saisonende üblich sei. Warum sind solche lebensgefährlichen Krankheitsausbrüche überhaupt „üblich“?? Und wieso wird nichts dagegen unternommen, wenn es schon bekannt ist?

 

Blick in den südlichsten Zipfel Deutschlands (Sonthofen nach Oberstdorf)
Blick in den südlichsten Zipfel Deutschlands (Sonthofen nach Oberstdorf)

Was nehme ich aus dem heutigen Tage mit:

Die Recherchearbeit ist nicht immer erfolgreich, so dass auch manche Wege nicht weiter führen und Zwischenziele aufgegeben werden müssen. Recherche ist eben ein Teil der Wissenschaft und die führt nicht immer erfolgreich zum Ziel.

 

Neun zig mal Tage: Das Beste vom Besten

Am Schluss machen wir alles noch mal, was uns am besten gefallen hat:

- Mit der Kraxe einen Wasserfall erkunden.

- Zum Waldsee abtauchen und ein entspanntes Eis essen.

- Den Urlaub … ähm, die „Recherchereise“ reflektieren.

 

Hasenreuter Wasserfall
Hasenreuter Wasserfall

 

Zehen-Tag: Laufend im Quelltuff

… bis uns auffällt: das ist ja noch gar nicht das Ende! Einen - einen Tag ha’m wir noch:

Für etwas naturkundliche Bildung ist noch Platz, gerade was die geologische Entstehungsgeschichte der Region betrifft: es fehlt nämlich noch das Quelltuffgebiet in Lingenau (Österreich). Dabei handelt es sich um kalkhaltiges Grundwasser, das beim Austritt aus dem Fels an die Oberfläche Kalk ausfällt. Dadurch entstehen bizarre Kalktuff-Formationen, die Blätter und Tiere zu frischen Fossilien einfangen. Einen kurzen Rundweg lang kann man sich dieses Naturschauspiel anschauen, dann ist es auch schon vorbei.

 

Quelltuff und Lingenau

Da der Tag aber noch lange nicht ausgenutzt wurde, will ich noch einen wichtigen Pfad beschreiten, der eine Hauptverkehrsader in meinem unveröffentlichten Hauptwerk darstellen soll: dieser Pfad führt durch ein Nebental des Rheins an seiner Mündung nach Bregenz und lässt an dessen höchstem Punkt gerade etwas Platz für einen besonderen Blick über den Bodensee.

 

Szenischer Blick aus dem Roman (Beim Gasthaus), Ostende des Bodensees mit Lindau und der Bregenzer Seebühne, Rheinmündung im Bodensee
Szenischer Blick aus dem Roman (Beim Gasthaus), Ostende des Bodensees mit Lindau und der Bregenzer Seebühne, Rheinmündung im Bodensee

Schließlich gelangen wir auf der gleichen Straße nur unwesentlich weiter an den vielleicht wichtigsten Punkt dieser Romanreiserecherche: dem Ort, an dem die neue Regierung ihren Hauptsitz einrichten wird und eine perfekte Gesellschaftsordnung aufbauen wird – soweit man solch eine perfekte Gesellschaft überhaupt errichten kann. Es ist die Landesbibliothek von Vorarlberg. Ideal gelegen mit Blick über das Rheintal, zum Bodensee und bis in die Schweiz, beherbergt sie das Wissen ihrer Zeit und Platz für ein Parlament. Und tatsächlich: direkt vor Ort ergeben sich mir die anstehenden Regierungsverhandlungen richtig plastisch in der Vorstellung – noch imposanter, als ich es mir über Google Maps verbildlichen konnte.

 

Vorarlberger Landesbibliothek
Vorarlberger Landesbibliothek

Über ein weiteres Mal in Lindau soll unsere Abfahrt anschließend zurück zur Unterkunft führen. Wenigstens einmal will ich den Bodenseefisch probieren und hatte dort in einem schwäbischen Gasthaus von einer interessanten Fischplatte gelesen. Allerdings wie es bei den zweiten Malen häufig so ist, wenn das erste Mal überraschend angenehm verlief, läuft es nun ganz und gar nicht mehr rund. Nun sind nämlich alle Parkplätze voll, die letzte, auffindbare Parkmöglichkeit bietet lediglich 90 Minuten Zeit, so dass es reichlich eng wird durch die Inselstadt zu hetzen, Essen zu bestellen, dieses in sich hinein zu schlingen und wieder zu verschwinden. Abgesehen davon entpuppen sich die Preise in besagtem Wirtshaus als exorbitant teuer – wenn man die Ferienzeit, exklusive Lage in Lindau und den Touristenlokalisation einmal außen vor lässt. Wieder einmal erkenne ich: man sollte den Fisch essen, wenn er auf den Teller springt, statt ihn einzufrieren und für bessere Zeiten aufzuheben, während er schon fault (oder so ähnlich).

 

Elfer-Tagung: Karnevalartige Straßenverhältnisse bei der Abreise

Wie so oft schaffen wir es auch an diesem Tage wieder nur auf die Minute genau den Ort des Geschehens zu verlassen, wie es die abgemachte Regelung vorsieht und hechten gerade noch ins Auto, um eine Strafgebühr zu vermeiden. Voll gestopft bis oben hin ist das gar nicht mehr so einfach seine verschränkten Glieder wieder so zu richten, dass sie die stundenlange Fahrt einigermaßen schmerzfrei überstehen. Unsere gesichtsfaschingsartig verzerrten Fratzen durch die nervenaufreibende Fahrt müssen zum Glück nur die entgegenkommenden Fahrer und Beifahrer ertragen.

Generell gestaltet sich Fahrt wie auch die allgemeine Recherche allerdings dadurch lächerlich schwierig, weil der Verkehr extrem anstrengend geworden ist. Es wird alles immer voller, selbst auf dem Land in Österreich, wo man auf vollen Straßen fährt und zusätzlich bedrängt wird. Es wird - wie in Sachsen - immer schwerer die Geschwindigkeitsbegrenzungen einzuhalten, weil ständig von hinten gedrängelt wird, als stünden die Straßenschilder nur für Mindestgeschwindigkeiten. Allerdings will ich im Urlaub oder wenn ich etwas suche nicht durch die Gegend hetzen, sondern muss auch den Verkehr beobachten und schauen wohin ich muss. Das alles muss in Sekundenbruchteilen passieren und ich muss außerdem in Gefahrensituationen, wie plötzlichen Fußgängern auf der Straße, trotzdem noch bereit sein zu reagieren. Wenn man also nicht wie ein zu Fasnacht verkleideter Frankenstein enden will und es für immer fast Nacht werden soll, helfen auf öffentlichen Straßen zukünftig wohl nur noch selbstfahrende Autos – ausnahmslos für alle, auch für Radfahrer – denn selbst selbstfahrende autonome Autos kämen mit den katastrophal fahrenden Zweirädern nicht mehr zurecht! „Verantwortungsfasten“ ist hier das Stichwort, also Kompetenz an die Technik abgeben. Erst dann ginge es auf den Straßen wieder vernünftig zu. Alle anderen können ihre ausbaufähigen Fahrkünste auf extra (Renn-)strecken oder (Rad)wege feiern. Klar, das wäre ein massiver Aufwand, aber anders geht es nicht.

 

 

Das Dutzend Tage voll: Zum Schluss noch einmal Steffen

Die Recherche bezieht sich nicht nur auf die Örtlichkeiten, sondern auch auf Menschen. Je unterschiedlicher sie sind, umso spannender wird eine Geschichte. Zwischen unseren Freunden Ralf und Steffen findet man solche Unterschiede und entsprechend verschiedene Ansichten und Weltbilder. Das Schöne daran ist, dass man auch persönlich Vorteil daraus ziehen kann, indem sich das Beste von beiden Ansichten für das eigene Weltbild herauspicken lässt. Diese Erfahrungen lassen sich auch wunderbar auf die Romanfiguren übertragen und mit anderen Erlebnissen kombinieren, so dass es einen reichen Fundus und Material für Geschichten und Ausgänge ergibt.

Wenn man dann noch die geliebte Musik in diese Stimmung einbindet und Erinnerungen an die frohen Kinderferientage zurückkommen, bin ich dem glückseligen Nirwana so nah wie nie zuvor. So sollen die Leser dann mitgerissen werden, in eine fantastische wie auch möglichst realistische Welt.