Holländisch Segeln - Eine Klassenfahrt

 

Scheint es nicht ein Wahnsinn zu sein mit einer 10. Klasse zum Segeln nach Holland zu fahren? Nun, das kommt heraus, wenn man demokratisch über das Ziel der nächsten Klassenfahrt abstimmen lässt – der Lehrer kann dabei nur den Kürzeren ziehen!

 

Bei Holland denken viele an: Saufen, Kiffen, Coffee-Shops, Puffs, Abtreibungen, Sterbehilfe und ungehemmtes Jugendleben. Die Sterbehilfe haben wir knapp umgangen und die Puffs haben wir nicht gefunden. Alles andere war wohl irgendwie dabei. So genau weiß das keiner mehr. Es ist ja auch schon so lange her! Und erst jetzt wage ich mich wieder daran zurück zu erinnern.

 

Ich glaube, es ging Sonntagabend um 23 Uhr los. Ungewöhnlich für eine Klassenfahrt, aber bei 628 km Fahrtstrecke verständlich. Gerade mit aufgehender Sonne kamen wir an, vielleicht sind wir sogar durch Amsterdam gefahren, aber es hat wohl niemand so richtig gemerkt, denn nach einer wilden Nacht im Bus, muss jeder schon ziemlich fertig gewesen sein. Man war ja viel beschäftigt: mit Musikhören (ja, auch wir hatten schon MP3-Player, auf die ca. zehn Lieder draufpassten); quatschen; lästern; andere Mitschüler anmalen, wenn sie eingeschlafen waren („Wer abkackt wird angemalt!“) und nach drei bis vier Bier in der Nacht muss man sich auch erstmal erholen. Schließlich konnte man damals schon mit sechzehn Alkohol trinken.

Daher kamen wir schon ziemlich zerstört in Hoorn an, wo unser Skipper Henk und sein Maat Lenno mit dem Einmaster „Daedalus“ warteten. Nachdem wir an Bord gegangen und die Kajütenbelegungsfrage geklärt hatten (in unserer Drei-Mann-Kajüte kam das Wasser durch den Fußboden), trieb uns Lenno auch schon wie die Galeerensklaven auf unsere Posten.

 Taue binden und Segel einholen!

Aus irgendeinem Grund hatte er mir auch gleich am ersten Tag für einige Zeit das Steuer anvertraut und möglicherweise war das der Grundstein für den späteren Segelschein. Vielleicht war der Grund auch einfach, dass er ein Auge auf meine Mitschülerin Juliane geworfen hatte und sich so ungestört an sie heranmachen konnte - oder sah er mich als Konkurrenten und wollte mich nur beschäftigen?

Die Kombüsenfrage gestaltete sich allerdings etwas heikler als gedacht. Wir waren in Kochgruppen eingeteilt und eigentlich sollte es am ersten Tag Spaghetti geben. Die erst Gruppe hatte auch schon angefangen, musste allerdings wegen des Seegangs innehalten und nach vier Stunden Wartezeit zeigten sich die Spaghetti äußerst ungenießbar! Also den Eierweizenteigbrei ins Hafenbecken geworfen und noch mal neu mit den Nudeln der anderen Gruppe von vorn angefangen. Irgendwo dort haben wir dann auch erstmal Rast gemacht und die erschöpfenden Anstrengungen des Tages in Bowling und Billard ausklingen lassen.

 Über Bord gefegt, bei Steillage

Schon die nächste Station führte uns raus aus dem Ijselmeer, durch die Waddensee zur westfriesischen Insel Texel. Die Bratkartoffeln der zweiten Kochgruppe reichten natürlich lange nicht aus und so musste mit eigener Schokolade der Resthunger gestillt werden. Hier hörte ich das erste Mal von „Vla“, einer Art Trinkpudding, dass v. a. die Mädels nur noch in sich hineinkippten. Es wurde im Laufe der Reise zu ihrem Bierersatz. Man braucht auch etwas, woran man sich festhalten kann, wenn es an Deck schüttet und die Gischt einen völlig durchnässt. Unsere Zwei-Stunden-Schichten reichten irgendwann auch nicht mehr aus, um uns unter Deck trocken zu legen. Wer Glück hatte erwischte eine Phase mit Sonne, in der man die Kleidung etwas entfeuchten konnte.

Unser Quotenrusse dagegen musste sich natürlich auch profilieren und zeigen wie hartgesotten er war und nervte alle damit, wann er denn endlich ins Wasser springen dürfe. Als auch die Lehrer genug hatten, ließen sie ihn in Gottes Namen an der Schleuse mal kurz abtauchen.

Dann kam auch noch der mitfahrende Betreuer mit der Info, dass auf der Rückfahrt Amsterdam leider ausfallen muss! Stattdessen sollten wir in so eine beknackte Disco gehen. Mit der Zeit setzten sich einige von uns ab und wir ertränkten unseren Kummer in vier Bier. Wie wir so im Park saßen, kam eine Polizeistreife vorbei und wen kontrollieren sie natürlich? Den einzigen, der keine Drogen dabei hatte: Mich! Alles was sie fanden waren allerdings ein paar mit krebserregendem Acrylamid angereicherte Chips und ein Taschenmesser (um den Präkrebs rauszuschneiden).

Doch auch unserem Skipper erging es nicht besser. Wie wir am nächsten Morgen hörten, war er mit seinem Fahrrad auf dem Weg zurück zum Schiff besoffen ins Hafenbecken gefahren.

 

Die Fahrt zur nächsten Frieseninsel Vlieland wurde von fünf Bier und Sekt begleitet. Die Steigerung hatte ihren Grund im Geburtstag von Katrina am nächsten Tag, die eine ordentliche Orgie feiern wollte und wir schon mal dafür trainierten. Wohl deshalb blieb der Reis der dritten Kochgruppe eher zu zwei Dritteln übrig.

 Vlieland – tanzt das Brot

Durch die ganze Sauferei muss man schließlich auch mal aufs Klo und wenn Mädels mit dabei sind, kann man ja nicht einfach über die Reling pinkeln. Weil aber die Herrentoiletten besetzt waren, nahm ich halt schnell den Ausweg und ging aufs Damenklo. Leider wurde dabei auch schon die Tür aufgestoßen und Jennifer sah mich so genüsslich vor der Schüssel stehen, was sogleich eine lauthalse Debatte über die Manieren beim Pinkeln losbrach. Selbst unsere Lehrerin Frau Hartfigg stieg mit ein, musste aber einsehen, dass die Jungs zusammenstanden und sich überhaupt nicht von dem weibischen Gezeter beeindrucken ließen. Was sollten sie auch machen? Wenn sie mich über die Planke laufen lassen wollten, würde es schon an der Planke mangeln! Und wie Kielholen funktionierte wussten sie zum Glück nicht.

Nichtsdestotrotz wurde weiter gefeiert und zwar so stark, dass Frau Hartfigg schon Trinkverbote aussprechen musste. Das russische Kartenspiel „Turak“ auf Ex zu spielen ist aber auch teuflisch! Nur der Quotenrussen bekam natürlich kein Trinkverbot, obwohl oder weil er immer wenn er anderen etwas ausschenkte, sich selbst heimlich nachschenkte, bis er schließlich in der Versammlungskajüte einschlief und nicht mehr wachzukriegen war. Durch rätselhafte Umstände wachte er allerdings am nächsten Morgen trotz seines kräftigen Körpers in der eigenen Koje auf. Das muss der Klabautermann gewesen sein!

 Volle Fahrt voraus, die Segel gehisst und zum Einlaufen in den Hafen bereit

Aber die Woche war ja schon fast rum und weiter ging die wilde Fahrt. Zurück in Medemblik musste Katrinas Geburtstag natürlich weiter gefeiert werden. Dazu führte der Weg über den nächsten Getränkehandel und dort gingen uns fast die Augen über! Das Angebot an Alkohol war wahrlich beachtlich und in diesem schieren Überangebot griffen Steven und Tom sich ein Sixpack aus der Masse, köpften es sorgsam und leerten es schleunigst bis Steven auf das Etikett schaute und sich bereits lallend wunderte: „Was … - hick! - bedeutet eigentlich ‚alcoholvrij‘?“

Der Quotenrusse arbeitete wenigstens noch für sein Bier: für drei Dosen sprang er ins Hafenbecken, um ein Tau fest zu machen. Die Belohnung erwartend öffnete er den vollgestopften Kühlschrank und man sah zwischen ihm und der Tür nur so einen gleißenden Schimmer, der von den blanken Bierbüchsen wiedergespiegelt wurde. Doch auch er sollte bald schon wieder zugesoffen in den Seilen hängen, wie auch Tom, der von irgendwoher doch noch echtes Bier abgreifen konnte. Wie interessant es doch sein kann betrunkene Jugendliche zu beobachten, wenn sie glauben, man sei selbst auch schon ordentlich angeheitert! Woran sich nämlich am nächsten Morgen niemand von den Übriggebliebenen mehr erinnern konnte, war eine Begebenheit an Deck, bei der in finsterer Nacht zwei der Trunkenbolde ihre Zigaretten rauchten und die Kippenreste in die dafür vorgesehene Kolaflasche aschten. Der Flascheninhalt hatte durch die Rauch- und Aschereste mittlerweile die Originalfarbe von Kola angenommen. Am liebsten hätte ich ja einen Füllstandsanzeiger aufgemalt oder die Flasche einfach in den Kühlschrank zu den anderen gestellt. Die beiden Jungraucher spuckten währenddessen wie üblich den Zigarettenrotz über Bord. Wenn dann der in den Wind gespuckte, zähflüssige Schleim von einer Böe erfasst wird, kann es schon mal passieren, dass der unbedarfte Zuschauer dieses Schauspiels solch geballte Ekelhaftigkeit ins Gesicht gepresst kriegt, wie es ebenso mir passierte. ‚Vom Winde verweht‘ hätte mir in diesem Moment besser gefallen! Aber so wurde aus „Wer abkackt wird angemalt“ das später berühmt gewordene „Wer abmalt wird angekackt!“.

Während der Party und danach

Nachdem ich mich wieder gereinigt hatte, mich über den Fisch nicht weiter wunderte, der munter im Klo schwamm und fast alles an Bord schlief, machten Janine und ich nach einer kurzen Pause schließlich noch Frühstück, bevor zwei Stunden später die ersten Alkoholabstinenzler eintrafen.

Man möchte zwar nicht prahlen, aber auch die Mittagsmahlzeit unserer Kochgruppe konnte sich trotz des allgemeinen Katers sehen lassen und bekam auch allerseits Belobigung: Kartoffelbrei mit Wurstsalat. Das Wichtigste aber war: es gab genug für alle!

Und das brauchten wir auch. Ich hatte mich kurz zuvor etwas hingelegt, um von der durchwachten Nacht auszuruhen, als ich auch schon von Schreien aus dem sanften Schlummer gerissen wurde: da war der Skipper Henk doch fast über einen Anlegesteg mitsamt Leuten drauf gebrettert und wir infolgedessen nah am Kentern vorbei geschrammt! Was hatte der Typ eigentlich gekifft? Solches Zeug müsste doch selbst in Holland verboten werden! Stattdessen kamen in Hoorn Henks Frau und Sohn mit an Bord, wohl in todesmutiger Absicht per Anhalter in den Wochenendeinkauf schippernd.

 

Schließlich war der Törn auch schon vorbei. Heutige Zeitungsfritzen würden von einem „Horror-Trip“ sprechen. Aber was will man auch erwarten, wenn man mit einer 10. Klasse in Holland segeln geht? Genau, und deshalb kam Lenno auch „spontan“ mit uns mit nach Jena, da er ohnehin die Woche später Urlaub hatte und sich wohl eher Hoffnungen auf Juliane machte, als unsere tolle Klassengemeinschaft noch länger zu genießen.

Lenno und Henk bestaunen Frau Hartfiggs Altar

 

PS:

Man wundert sich, dass unserer Lehrerin Hartfigg hieß? Nun ja, die Schreibweise ist etwas abgewandelt, doch der feldwebelartige Name passte zu ihr. Aber nicht, dass jemand auf falsche Gedanken dabei kommt: Im Niederländischen heißt fikken soviel wie brennen oder in Flammen stehen ;)

Immer noch besser als die verpeilte Chemielehrerin im darauffolgenden Jahr, die mit der Buttersäure in der zitternden Hand fragte: „Hat jemand mein Reagenzglas gesehen?“ Das war Frau Fücking, oder wie wir sie später liebevoll genannt hätten: Miss Fucking Chemistry.