Revelação em Convento da Arrábida – Offenbarung im Arrábida-Kloster

 

Don Alvarés ritt gerade zurück auf die Herdade „Agolada“ seiner Schwiegereltern und das Mondlicht allein leitete die Schritte seines Pferdes in vertrauten Gefilden. Da kam ihm schon der Criado Sanchez entgegen. Vielmehr verwirrt sah er aus, wohl des unbeleuchteten Fußmarsches wegen, der ihn hier in die Montados trieb. So stieg Don Alvarés vom Ross herab, band es noch an der nächstgelegenen Sobreiro an und rief zu der dunklen Gestalt hinüber:

 „Óla Sanchez. Was treibt dich  allein und nachts und hier draußen? Sonst würdest du die Herdade doch nicht unbeschützt und im Dunkeln verlassen?“

 Der breitschultrige Sanchez, immer bewaffnet, mit Bart und Munitionsgürtel stets gefährlich anzusehen, erschrak geradezu und schien gleichzeitig erleichtert als er diesen Reiter wahrnahm.

 „Señor Alvarés“, stieß er hervor, „Ihr seid … Ihr müsst … ach, was kommt Ihr erst jetzt … und doch ist es gut, sonst … ich könnte doch nicht … aber wenigstens weiß niemand davon …“

 „Oha Sanchez. Ich ahne Böses, aber hoffe noch Besseres. Sage mir nur geschwind, ob das Geheimnis noch gewahrt ist.“

 „Señor, ich verriet nichts. Nur, es ist so: die anderen Criados sind weg. Einige wurden mitgenommen. Ich weiß nicht, was sie wissen.“

 „Schon gut“, wehrte sein Herr ab, „Komm mit zur Agolada und wir werden sehen, was sie wussten.“

 Um einiges entfernt brannten die Lichter der Agolada und offenbarte Gestalten auf und ab gehen. Noch immer durchsuchten oder bewachten die Gringos das Anwesen. „Lass uns auf unauffällige Weise hinein gelangen“, schlug Don Alvarés vor und sein Knecht wusste sofort, worauf er anspielte.

 Sanchez ging voran, trotz der immer noch beträchtlichen Verwirrung über das gesamte Geschehen, denn natürlich wusste er von den Feindschaften seines Herren. Nur welche Ausmaße diese vermeintliche Handelskonkurrenz tatsächlich annahm, konnte er nicht ahnen. Denn Señor Alvarés war viel gereist und hatte sich ein kleines Imperium aufgebaut, was auch immer Neid hervorbringt.

 Durch den Brunnenschacht stiegen sie ein. Ein Wartungstunnel lag immer oberhalb des Wasserspiegels und so konnten sie ins Innere der Herdade vordringen. Glücklicherweise gab es eingelassene, eiserne Haken an den Wänden. Zwar waren sie in unregelmäßigen Abständen verteilt, aber ein geübter und kräftiger Kletterer wie Sanchez es war, konnte sich rasch die Wand empor wuchten. Don Alvarés dagegen war kein Mensch, der mit den Naturgewalten umging und seinen Leib besonders gut zähmen konnte, kannte sich allerdings geschickt und elegant in der Diplomatie und Überraschungskunst aus und deshalb ergab sich ein imposantes Bild, als er im Wasserkübel stehend, eine Hand gelassen am Seil und den Arm auf das abgewinkelte Knie auf dem Rand des Eimers, die andere Hand in die Seite gestützt von Sanchez hoch gehievt wurde, im Zentrum seines eigenen Besitzes und doch im Kreise seiner Feinde. Die Worte „Obrigado Amigos, für den wachsamen Schutz über mein Eigentum, aber jetzt könnt ihr wieder gehen“, hätte er kaum noch sagen brauchen, denn der Anschlag des Flaschenzugs ließ die Belagerer zeitgleich herumfahren und dieser seltsamen Situation gewahr werden.

 

Als der Kapitän von Don Alvarés im Hafen ankam war es bereits dunkel geworden. Sie waren noch planmäßig angekommen, allein das schien schon erstaunlich, wo sie doch Monate auf See zugebracht hatten. Doch den Schiffschef trieb die Zeit voran. Er hatte Nachrichten für seinen Auftraggeber, der ihn damals losgeschickt hatte, um einem Gerücht nachzugehen. Und es musste schnell geschehen, s war der ganzen Besatzung befohlen worden, bevor sich dieses Gerücht weiter herum sprach. Tatsächlich hatte Don Alvarés aber sehr geschickt gehandelt, denn seine Tarnung als reisender Kolonialwarenlieferant erlaubte es ihm allen Quellen der Gerüchte nachzugehen, ohne großes Aufsehen zu erregen. Selbst die berüchtigten Piraten der karibischen Inseln mussten ihn ziehen lassen, nachdem sie zwar reichlich getrockneten Tabak, Schmuck, Kaffee und Kakao, ja sogar einige Schatullen mit Gold vorgefunden hatten. Aber den wahren Reichtum konnten sie nicht entdecken. Es waren nämlich nur ein paar Dokumente, deren Sprache sie wahrscheinlich nicht einmal verstanden hätten. Selbst auf dem Schiff wussten nur wenige von den Zielen der Expedition, nicht einmal die obersten Offiziere, und die meisten glaubten sogar, es sollte Gold gefunden werden. Denn für den Kapitän gab die Mannschaft im Falle einer Entführung nicht viel Lösegeld, selbst wenn er das Geheimnis kannte. Aber für die Offiziere war der Schiffschef verantwortlich und er hätte sie für sein Wissen auslösen müssen. Die wenigen Eingeweihten jedoch wussten, was von ihrem Schweigen abhing. So auch der zweite Maat João.

 Die Gassen Lissabons waren erfüllt gewesen vom Fado. Überall quoll er hervor und wo die eine Stimme verebbte, flutete von irgendwoher die nächste Melodie heran. Oft glaubte Don Alvarés João zu hören, der seinem Gefühlsleben Ausdruck verlieh, indem er seine Stimme im Lebensgefühl tränkte, solange bis es für ihn wieder auf Reisen ging und er dem Elend entfliehen konnte, in welchem sich seine Familie weiter befinden würde. Natürlich wusste er, dass sein Leben zwar schwer, aber auch nicht so kompliziert war wie das seines Kapitäns. Wenn João starb, würde das kaum jemand bemerken außer den Kameraden an Bord und freilich seiner noch schlimmer hungernden Familie. Doch wenn der Kapitän im Auftrag des Königs durch die Hand eines Rivalen getötet würde, dann stürzten ganze Adelsklans ins Verderben und das Schicksal des Landes selbst war gefährdet. Er hatte daher mehr Verantwortung für das Leben seines Kapitäns als für sich selbst, wenn er seine Familie beschützen wollte.

 João hatte nie viele Möglichkeiten gehabt. Wie die meisten seiner Landsleute, die nicht für die Großbauern arbeiteten, verdingten sich seine Eltern mit allem, was sich fand. Neben dem kleinen Handelsgeschäft, wo sie das Gemüse der Bauern weiterverkauften, arbeitete der Vater im Hafen bei den Laderampen und die Mutter nebenbei als Magd für mittelreiche Bürger. João selbst hatte darin keine Perspektive für sich sehen können, daher heuerte er schließlich an und verließ die Hoffnungslosigkeit, jedoch immer mit der Aussicht auf eine Rückkehr als besserer Mensch – was damals für ihn noch bedeutete wohlhabend zu sein. Natürlich wusste er schon das als einfacher Matrose niemals werden zu können. Aber zum einen arbeitete er pflichtbewusst an Bord und erwirkte sich so rasch Vergünstigungen und schließlich sogar die Beförderung zum Maat. Zum anderen aber liebte er es am Horizont neue Welten auftauchen zu sehen, so wie die gesamte Zeit auf der „Ninha“, wie Don Alvarés sein Schiff genannt hatte, in Anspielung auf Kolumbus‘ einzige, zurückgekehrte Karavelle. „Ninha“ bedeutete zwar im Portugiesischen „Nest“ statt im spanischen Ursprung „Kleines Mädchen“, aber auf diese Weise drückte Don Alvarés seine Zwischenstellung als portugiesischer Spanier aus, wenngleich so manch ein heimattreuer Portugiese und auch Spanier den Namen aufgrund der Verballhornung als Angriff auf seine Heimat wertete. Für João waren auf diesem Schiff aber alle dem gleichen Schicksal ausgesetzt und er fühlte sich gleichwertig und wichtig. Zudem hätte der Name des Schiffs nicht treffender gewählt sein können, denn für João war es tatsächlich das eigentliche Zuhause und die Stimmung sich nicht ganz ernst zu nehmen, schlug sich auch auf die Mannschaft aus. Der felsenfeste Zusammenhalt und gesellige Abende machten das immer wieder deutlich. Dabei lernte er auch mit seiner neuen Befehlsgewalt umzugehen und seine Matrosen zu schätzen, statt zu quälen, wie es auf anderen Galeeren der Fall war. Viele Seeleute wussten das auch, denn sie hatten sich stets auf verschiedenen Schiffen beworben, bis sie hier her gekommen waren und jedes Mal wieder mit João mitfahren wollten. Und Don Alvarés wusste um das Glück seines Maats und nahm ihn immer wieder mit, obgleich er wusste, dass sein treuer Diener eines Tages trotz aller gemeinsamen Abenteuer bei seiner Familie an Land bleiben würde.

 In diesen traurig gestimmten Gesang des Maats João im Wissen um sein irgendwandiges Ende an Bord brach der Ruf eines Boten nach ihm, mit dringenden Nachrichten seines Kapitäns.

 

Die Banditen auf den Mauern konnten durch Sanchez und Don Alvarés noch verwirrt werden und nach ihrem Anführer fragen. Dieser jedoch erkannte die Lage nach ein paar Momenten, wusste aber auch, dass er die beiden nicht so einfach erledigen lassen konnte. Denn zumindest einer von ihnen hatte, wofür sie hergekommen waren. Und dieser eine würde den anderen nicht so einfach seinem Schicksal überlassen, sei es aus Listigkeit und Macht oder Verzweiflung und Kraft. Also musste er beiden Geleit gewähren. Zudem war er ihnen dummerweise schon zu nahe gekommen, denn sie hatten sich zum Warten auf den Bandenchef, nach dem man mit dem Namen Morinho geschickt hatte, direkt neben dem Hauptportal positioniert, wo er dann auch stolz wie er nun mal war wie der Herr des Hauses herausstolziert war, nachdem man ihn gerufen hatte und nun im wahrsten Sinn den beiden zum Greifen nah gegenüber stand.

 Bei Portwein sprachen sie über die Angelegenheit wie Sanchez es von Don Alvarés seit jeher kannte, wenn er über Geschäfte verhandelte. So begann er diplomatisch:

 „Nun, Señor, Ihr wisst anscheinend genau über meine Angelegenheiten Bescheid und womit ich im Hafen von Lisboa vor fast zwei Tagen zurückgekehrt bin. Ich nehme an ihr wollt etwas von dem, was ich in der neuen Welt fand.“

 „Nicht etwas“, fing Morinho noch großspurig an, „Wir wollen alles!“

 „Wenn ihr so genau wisst, worum es sich handelt, dann wisst ihr doch bestimmt auch, dass mir bei weitem nicht alles gehört und ich euch nur geben kann, was ich auch mitzubringen im Stande war…“

 „Was könnte euch an den Sklaven eurer eigenen Plantagen wohl nicht gehören?“, fragte der Spitzbube mit scheinbar hinterlistigem Grinsen. Doch es war genau das, was Don Alvarés hören wollte und es freute ihn innerlich diese niedrige Forderung zu hören. Denn nur um ein paar Sklaven sollte es gehen? Doch musste er das Theater noch etwas glaubwürdiger verkaufen und sichergehen. Daher gab er sich empört:

 „Wie? Ihr könnt mir doch nicht meine gesamte Arbeiterschaft abluchsen! Das wäre mein Ruin!“

 „Ganz genau, das wäre es. Aber nicht nur das. Oder was glaubst du, warum sich mein Herr mit dir Made sonst befassen würde? Die Sklaven sind nur mein Anteil. Dom Fernando will aber dein ganzes Schiff mitsamt Ladung, Besatzung und allem, was ihr mitgebracht habt. Und du darfst dich auf dieser Herdade nie wieder blicken lassen. Sie soll fortan Fidalgo Rodrigo gehören, dem du schon viel zu lange den Schneid abkaufst! Dass du Doña Amália andernfalls nicht wieder sehen wirst, kannst du dir ja bestimmt denken.“

 Damit hatte Don Alvarés zwar nicht gerechnet, aber sein Plan konnte trotzdem weiter bestehen. Und er wusste nun immerhin, wer sein Widersacher war: Der Bischof Bispo Dom Fernando. Ein rassistischer Kirchenmafioso, der die Spanier hasste und gegen Halbportugiesen wie Don Alvarés alles unternahm, was er nur konnte. Noch war er nicht stark genug gewesen um sich mit diesem spanischen Portugiesen anzulegen, aber anscheinend glaubte er, dass es nun soweit sein müsse. Wahrscheinlich hatte er eine neue Bekanntschaft in den Kardinalskreisen gemacht, von denen sich auch so einige gegen den König zu stellen wagten.

 Niedergeschlagen spielte er den Unschlüssigen:

 „So lasst mir doch wenigstens ein paar Stunden allein mit meinem treuen Sanchez. Wir wollen alles vorbereiten, denn des Nachts können wir doch nichts ausrichten. Sagt Bispo Dom Fernando, dass wir uns am Abend des nächsten Tages im alten Kloster Convento in der Arrabida treffen. Er wird es ja kennen. Unten in der Bucht soll dann die Ninha vor Anker liegen.“

 

Sanchez‘ sozialer Hintergrund war ähnlich ärmlich wie der von João, aber erfreulicher. Er machte sich nichts aus seiner Herkunft, wusste aber wohl um sie. Doch sein strenger Glaube verzieh so manche Ungerechtigkeit, der er sich im Hause Alvarés jedoch praktisch nicht gegenüber sah. Vielleicht nahm Sanchez auch deswegen die Verhältnisse als gottgegeben hin. Außerdem war er Herr über alle Angelegenheiten, welche die Herdade betrafen, wenn sein Señor nicht auf der Agolada weilte, und das kam sehr häufig vor. Denn Don Alvarés hatte ein große Gut und großen Einfluss! Um beides zu behalten musste er sich um vieles kümmern und verbrachte oft nur die Festtage zu Hause. Mit schwerer körperlicher Arbeit schuf sich sein Diener Sanchez währenddessen einen mächtigen Leib, der seinem Herrn oft bei Angelegenheiten mit seinen Geschäftspartnern auf physische Weise nützte. Aber außer zwei Malen, in denen das tatsächlich passierte, war der Don einfach nicht in Sanchez‘ Nähe. Denn nur selten empfing Don Alvarés Gäste bei sich und noch seltener wurden sie ausfällig. Nur zu Zeiten des guten Vinho Verde kam es zu stärkeren Meinungsverschiedenheiten und bei einem dieser Zufälle musste Sanchez seinen eigenen Herrn davon abhalten sich auf seinen Gast zu stürzen. Im Grunde war Sanchez ein herzensguter Kerl, der mit seiner ganzen Kraft nicht so recht wusste umzugehen und eine Vorliebe für alles Gerät hatte, dass laute Geräusche von sich gab. Denn nur das hatte schließlich auch eine hörbare Wirkung, wie seine beiden Langpistolen. Aber sein Frau Maria verzieh es ihm meistens. Immerhin bekam sie durch seine Art auch keine Schläge wie von manch anderen Männern. Sanchez hätte auch nie mit auf See gewollt, so sehr er sich dafür eignen würde. Viel zu sehr würde er die Montados und die Macchien vermissen und sich grämen seiner Señora Amália nicht im Haushalt mit den schweren Gerätschaften helfen zu können. Doch auch er war ein Vertrauter seines Herrn in dessen Angelegenheiten, im Gegensatz zu Señora Amália, die besser nichts von allem wusste, aber klug wie sie war, so einiges ahnte.

 Nach dem nächtlichen Zusammentreffen bei den Sobreiro-Plantagen hatte er neuen Mut geschöpft. So kräftig er auch war und so gerne er sich für seine Señora eingesetzt hätte und natürlich für Maria und die beiden Pedros und alle anderen, hatte er doch einsehen müssen, dass er sich besser davon stahl, solange man ihn nicht als Gefahr erkannte und gleich meuchelte. So konnte er seinem Herrn wenigstens noch bei der Befreiung zur Seite stehen, dachte er wenigstens. Denn Señor Alvarés wusste, dass es mit einer legendären Stürmung des gegnerischen Lagers dieses Mal nicht funktionieren würde. Das hatte er damals bei seinem arglistigen Gutsnachbarn Fidalgo Rodrigo geschafft, als dieser seine Rinderherde mit den schönsten Cachena-Stieren geraubt hatte. Dieser Gegner hier würde aber wesentlich umsichtiger sein – und um ein Vielfaches mächtiger. Wie um alles in der Welt war er hinter das Geheimnis gekommen? Oder war er das gar nicht? In Don Alvarés Gedanken begann sich eine Idee breit zu machen. Wenn die Piraten darauf hereingefallen waren, warum dann nicht auch dieser Dieb? Auf diese Weise konnte er seine Familie und die Angestellten auslösen ohne etwas zu verlieren oder sich als skrupelloser Machtmensch zu veräußern, der seine Geschäfte und das Wohl des Landes über die Familie stellte. Also musste Sanchez die durchaus wertvollen Besitzurkunden seines Herrn über die vor einiger Zeit neu erworbenen Übersee-Plantagen zusammen suchen, um sie dem scheinbar nichtsahnenden Feind als goldträchtiges Bergland anzubieten. Dem guten Diener tat das freilich leid, schon weil er noch die Szenen vor Augen hatte, die sich abgespielt hatten als sein Herr um manche dieser Ländereien wild gefeilscht und mit Worten gerungen hatte. Doch diese Sache hier musste um einiges größer sein, und obwohl er ungefähr wusste, worum es ging, war es zu groß für seine Vorstellungskraft, noch dazu, da er die internen Verhältnisse zu dieser Angelegenheit nicht im mindesten kannte.

 

Der Übergabeort war eine längst verlassene Klosterburg, an den Hang hoch über der Küste geheftet mit einem grandiosen Ausblick auf die See. Don Alvarés hatte diesen Ort immer am meisten gemocht, denn hier konnte er hinaus blicken und hatte gleichzeitig die Berge um sich herum im Rücken. Doch nun war es ein gespannter Augenblick, der ihn veranlasste hierher zurückzukehren. Während er so durch die Gasse zwischen den verschiedenen, weißen Häuschen es Convento alleine lief, ging er noch einmal den Plan durch.

 „Ah, der große Don Alvarés!“, erscholl ihm eine Stimme am Ende der Gasse entgegen, „Dass Ihr mir ein wenig von Eurer kostbaren Entdeckerzeit schenkt, sollte mich schon glücklich stimmen. Wenn Ihr jetzt noch habt, was ich will, bin ich bestimmt so entzückt, Euer Weib und die ganze Dienerschaft in Freiheit zu entlassen.“

 „Dom Fernando…“, stieß Don Alvarés halb hervor, wurde aber unterbrochen.

 „A-a-ah“, hob der Bischof oberlehrerhaft den Zeigefinger.

 „…Bispo Dom Fernando“, korrigierte Don Alvarés widerwillig, „Wollt Ihr wirklich für ein paar Ländereien auf immer im Lande geächtet sein? Selbst mit all dem Gold der Sierras könntet Ihr Euch aus diesem Schicksal nicht heraus kaufen.“

 „Oh, Gold vermag so einiges zu erkaufen, und manchmal sogar das Schicksal. Aber was ihr aus der Neuen Welt mitbrachtet ist noch viel wertvoller als das Gold, stimmt das nicht?“ Der Bischof war also doch hinter das Geheimnis gekommen. Ob er nun Spitzel entsandt oder seine Criados gefoltert hatte war erst einmal gleich und der Gedanke daran durfte Don Alvarés‘ Urteilsvermögen jetzt nicht trüben. Deshalb antwortete er:

 „Ich weiß nicht wie Euer Glaube diesen Verrat an unserer ehrbaren Familie rechtfertigen könnte, ganz zu schweigen vom Verrat am König. Ihr müsst wahrhaft mächtig geworden sein oder dumm, wenn Ihr glaubt die Kardinalität auf Eurer Seite zu wissen oder einen Krieg mit Spanien zu riskieren. Sei es nun wegen den Kolonien oder einem Königsputsch. Aber zweifellos wisst ihr natürlich, welche Folgen euer Diebstahl des Documentos für die beiden Völker haben wird. Und wo wollt ihr dann leben, wenn euch kein portugiesisch oder spanisch sprechendes Land mehr aufnehmen will? Lasst also ab von Eurem Vorhaben den Freundschaftsvertrag an Euch reißen zu wollen.“

 „Wovon redet Ihr?“, spottete der Bischof, „Verrat; Krieg mit Spanien; Freundschaftsvertrag? Ich will Euren Posten und Euren Einfluss am Hof und dafür brauche ich Euer Schiff und sämtliche Besitztümer Eures Namens, was ihr mir gnädigerweise hiermit aushändigen werdet…“, er hielt inne. Offensichtlich hatten seine Spitzel oder die Criados ihm etwas falsch wieder gegeben. „Wartet! Freundschaftsvertrag sagt Ihr? So, so. Wenn … dann … nein. Aber wenigstens… Na zumindest könnte ich den König damit erpressen. Schaden wird es schon nicht.“ Der Bischof sprach laut mit sich selbst und Don Alvarés schaute zweifelnd in die Gesichter der Begleiter des Bischofs, von denen nur die wenigsten sich gegenseitig komisch anschauten und sich über das Benehmen ihres Herrn wunderten.

 „Wenn ich sogar meine Unterschrift in dieses Papier eintrage, bin ich sogleich Mitglied dieser Runde und sichere mir die Grundrechte an diesem Vertrag“, murmelte er noch immer laut vor sich her, „Wo ist also das Dokument?“

 Don Alvarés seufzte und musste es nicht einmal spielen, war es doch der Einfältigkeit des Bischofs geschuldet, bevor er antwortete:

 „Ich habe es hier im Kloster versteckt, bevor ich gestern nach Hause ritt.“

 „Genauer, bitte“, mahnte der Dom Fernando eindringlicher. Nach einem kurzen Zögern bekam er Antwort:

 „Es ist im Campanário, am Glockenklöppel festgebunden.“

 Plötzlich ertönte ein immenser Krach, Pistolenschüsse knallten scheinbar aus allen Richtungen und aus dem Gebüsch stürmte Sanchez hervor. Er hatte das Gespräch mit angehört und offensichtlich die Nerven verloren. Denn Don Alvarés hatte ihn zwar in seine Pläne eingeweiht, aber die Details verschwiegen und von einem Freundschaftsvertrag wusste Sanchez ganz einfach nichts. Nun hören zu müssen, dass dieses schwer erkämpfte Stück Geschichte, von dem er als Exilspanier selbst betroffen war, von einem scheinheiligen Pfaffen entweiht werden solle, konnte er nicht zulassen und eine Gefahr für seinen Señor sah er natürlich auch darin.

 „Niemals werde ich euch an dieses Documento gelangen lassen, no. Das werdet ihr schon sehen!“ und rannte mit diesen Worten auf den Glockenturm, um das Papier zu beschützen und jeden, der sich ihm näherte, durch den engen Eingang wieder hinaus zu befördern. Zugegebenermaßen war sein affektiver Plan nicht schlecht. Nur vergaß er die Geiseln in des Bischofs Gewahrsam. Dom Fernando fragte Don Alvarés also etwas genervt:

 „Wollt Ihr ihn zurückpfeifen oder müssen wir ihm die Angelegenheit erklären?“

 „Ich fürchte, das müsst ihr ihm schon selbst sagen. Von mir lässt er sich bestimmt nicht beruhigen“, schnaufte Don Alvarés.

 „So wird es also zu einer wahren Revelação de Planos kommen!“, warnte der unheilige Kirchenmann.

 „Der Campanário scheint mir der geeignetste Ort dafür zu sein. Lassen wir Gott über unser aller Schicksal entscheiden“, bekam voriger zu hören, während Don Alvarés natürlich wusste, dass Sanchez nur seine Fürsorge gezeigt hatte und beim Namen seiner verehrten Señora sofort einlenken würde.

 Im Kirchturm sollte also die Machtprobe der beiden Ideologien zwischen Spanien in Form von Sanchez und Portugal in Form von Dom Fernando ihre Offenbarung finden. Der Kirchturm war ein längst verfallener Ort, nicht mehr als eine Ruine, die mit Mühe die Glocke noch halten konnte. Nur fast bis zum Glockenfenster wuchs ein mächtiger Kaktus empor. Irgendjemand hatte ihn aus der Neuen Welt mitgebracht und den Mönchen geschenkt, seitdem wucherte er und ließ die Klostermauern eher mexikanisch anmuten.

 Wie Don Alvarés vorausahnt hatte, fand der Bischof über die Drohung Señora Amália und den anderen Geiseln zu Leibe zu rücken rasch Zugang zur Glocke. Dom Fernando ließ sich nicht lange bitten und entriss beinahe dem kupfernen Klangungetüm das wertvolle Stück Papier um darauf zu unterzeichnen, wo noch ein Platz frei war und praktischer Weise auch „Kirchenvertreter“ dazu stand. Ungeduldig zückte er die Feder und unterschrieb noch auf dem Glockenkupfer. Sanchez indes konnte diesen Anblick nicht länger ertragen und schleuderte seine beiden Bewacher fort, so dass sie gegen die Glocke taumelten, während er rief:

 „Zu Ehren dieser feierlichen Stunden sollen nun wenigstens auch die Glocken läuten“, und auf die Treppenstufen des Turms sprang. Die Glocke dagegen schwang durch die entgegen geschleuderten Wachen stark aus. Dabei riss es das Gebälk aus den Angeln und der gesamte Turm stürzte in der oberen Hälfe ein, so dass er die Männer des Bischofs begrub, die ihm auf den Turm gefolgt waren. Sanchez stand an der Abrisskante auf den Stufen und beobachtete das Schauspiel. Den Bischof riss es mit der Glocke aus dem Fenster und er … stürzte natürlich in den Kaktus.

 Dieses Geräuschspektakel veranlasste die heranziehende Ninha aus der nahen Bucht Setúbals mit dem Abfeuern von Warnschüssen auf sich aufmerksam zu machen. Die verbliebenen Mannen des Bischofs flohen darauf von dannen und nur der Bischof musste hängend auf seine Errettung durch den Henker warten, wegen seines Hochverrats. Der größte Teil des Kaktus würde wohl entfernt werden müssen, um ihn da heraus zu holen. Da er jedoch so großmütig im Namen der Kirche auf die Ansprüche verzichtet hatte, würde man diesen klerischen Companiero bald frei und der Obhut der Kircheninquisition überlassen.

 Sanchez hatte sich inzwischen wieder beruhigt und war die verbliebene Treppe hinab gestiegen, um nach seinem Señor zu sehen und seine Verwirrung über die Vorgänge aufzuklären. Und Don Alvarés erklärte:

 „Wir brauchten noch jemanden, der im Namen der Kirche alle Rechte auf Entschädigungen des Klerus verzichtete und daher richtete ich extra dafür einen zusätzlichen Passus ein, als ich gestern das Documento hier versteckte. Und da das bis heute niemand zu unterzeichnen gedachte, wohlwissend, dass ihm die Exkommunikation bevorstünde, kam mir die Idee, einen gierigen, schmierigen, widerlichen Kirchenknilch mit dieser für die Geschichte Portugals durchaus ehrenwerten Aufgabe zu betrauen.“

 „Und ich dachte, das mit dem Freundschaftsvertrag sei ein Trick gewesen!“ Sanchez war ein wenig enttäuscht.

 Nun kam auch die Schiffsbesatzung der Ninha herangestürmt um ihrem vermeintlich immer noch in Gefahr schwebenden Kapitän zu Hilfe zu eilen. Allen voran natürlich der Maat João.

 „No, no“, beeilte sich dieser zu sagen, „es war ein freundschaftliches Abkommen, das die Demarkationslinie zwischen portugiesischen und spanischen Besitzverhältnissen der Neuen Welt neu regeln sollte und…“

 „João!“, griff Don Alvarés in die schullehrerhaften Bemühungen seines Maats ein.

 „Bitte verzeiht“, entschuldigte sich dieser sogleich.

 „Versteh bitte Sanchez, dass ich dir in allem vertraue, was unsere Herdade und die Familie anbelangt. Jedoch bei Staatsgeschäften ist es besser nicht zu vielen Menschen davon zu erzählen. Zumal der Handel noch nicht offiziell ist und du könntest für deine Mitwisserschaft nur noch weitere Probleme bekommen.“

 Sanchez verstand nicht und wie auch, wenn er die Umstände seines Herrn nicht kannte. Aber er vergaß diese verdrießlichen Gedanken schnell wieder, als die Schiffsmannschaft mit den Gefangenen hinter dem weit vorausgeeilten João eintraf und er neben Señora Amália seine Maria erkannte.

 

Was die Demarkationslinie zwischen den Kolonien Spaniens und Portugals betrifft, so wurde sie tatsächlich getroffen und besteht heute noch hörbar als Sprachunterschied der Länder Lateinamerikas. Die Feindschaft zwischen den Mutterländern hat sich inzwischen zu einer Nachbarschaftshassliebe abgeschwächt und beschäftigt so vor allem die vielen einfachen Gemüter des Volkes. Auf der Herdade de Agolada verbringen nun Kinder aus allen Gegenden der Erde ihre Ferien und manchmal trifft man auch ein paar Studenten dort an, die ihre Messungen an Korkeichen (auch „Sombreiro“ genannt) und anderem mediterranen Gewächsen dieser Region veranstalten, nur ein wenig staunend über die alten Mobilarien und sich fragend, was die Vergangenheit wohl über diesen Gutshof so alles erzählen könnte.

 

Convento da Arrábida (heute ohne Glockenturm)