Auf der Grünen Insel zwischen den Resten von Kultur

Nach Ibiza folgt nun Irland. Um die alphabetische und geographische Reihenfolge fortzusetzen müsste die nächste Reise also nach Island führen. Bei den damaligen Aktienkursen durch den Börsencrash dürfte ein solcher Trip entsprechend günstig ausfallen. Obwohl Irland entgegen der ökonomisch zu erwartenden Preisverfälle eher finanzielle Blütezeiten erahnen ließ als eine Konjunkturflaute. Wahrscheinlich lag das aber auch an Touristen wie uns, die glaubten in wirtschaftlichen Notzeiten billig durchs Land reisen zu können.

 

Irland in einer Woche
Irland in einer Woche

 

Die üblichen zwei Stunden Karenzzeit vor dem Flug konnten wir auf wenige Minuten streichen. Ralf hatte wohl (wieder mal) den ganzen Bahnverkehr lahm gelegt. Statt pünktlich wie geplant kurz nach sieben, kam er etwa viertel neun (= viertel nach acht) am Bahnhof an. Nun, „kurz nach“ ist eben relativ. Er begründete seine unverzeihliche Verspätung ganz lapidar mit „Erst hatte die Bahn einen Stellwerkfehler und als es endlich weiter gehen sollte, kam noch ein Motorschaden dazu. Ach und ganz nebenbei hatte ich eine sehr nette Unterhaltung mit einer Mitreisenden.“ Ja, das wird’s gewesen sein! Diese „Mitreis(s)ende“ war wohl die Zugführerin. Dass ihm so was überhaupt noch jemand abnimmt wundert mich immer wieder. Es fehlte noch Felix, der dritte Reiseteilnehmer. Ich hatte ihn noch nie gesehen und er mich auch nicht, aber nach Ralfs Meinung würde ich ihn schon erkennen – woran oder warum auch immer. Nach mehreren Handygesprächen fanden wir ihn schließlich. Ansonsten verlief alles glatt: Gepäck abgeben, Körperkontrolle, Warten, Flug und schon ist man da. Halt… natürlich nicht wenn man eine analoge Kamera oder einen Teddybär dabei hat. Dann gilt man als terroverdächtig – zumindest Ralf. Gut, da hätte der Passkontrolleur auch gleich drauf kommen können, bei Ralfs blondem und glattrasierten Babyface. Angeblich war dann sein Fotoapparat der Auslöser. Und gerade diesen betätigte man wohl um zu sehen, ob darin nicht eine Bombe versteckt sei – nach dem Motto: „Mit einem Klick ist alles weg.“ Und weil Ralf jetzt dem Sicherheitspersonal ohnehin schon aufgefallen war und man sich dort dachte „Wer noch eine analoge Spiegelreflex hat, dessen Rucksack müsse man noch mal extra lang und ausgiebig kontrollieren,“ durfte er sein Handgepäck auch noch auspacken. Ein kleines Mädchen mit Teddybär wurde übrigens auch auf Sprengstoff und Drogen untersucht. Die Knopfaugen des Bären waren auch schon leicht verdreht. Also ein paar Gramm „Stoff“ hätte man in ihm wohl schon gefunden. Und heutzutage wird ja auch alles geraucht was brennt. Soviel zum entspannten Teil der Reise. Die nächste Woche würde ziemlich stressig werden. Wo wir Ibiza noch im vorigen Jahr in einer ganzen Woche durchkämmt hatten, stand nun eine 120 mal größere Insel auf dem Programm – in der gleichen Zeit! Damals sind wir zwar größtenteils gelaufen und mit dem Fahrrad gefahren, aber da waren wir eben auch noch jünger.

Aer Lingus
Aer Lingus

Im Grunde sind wir nur nach Irland gefahren, weil wir Dublin sehen wollten. Steffen hatte dort sein sechswöchiges Praktikum abzuarbeiten und wir wollten ihn besuchen. Nicht etwa um ihm zu helfen – nein, im Gegenteil: er sollte uns die Stadt zeigen. So bekamen wir dann am gleichen Abend der Ankunft auch sein Sammelsurium an Stadtkarten vorgelegt und eilig alles Sehenswerte erklärt, bevor er uns bereits wieder im Gehen begriffen die allseits beliebte Antwort gab: „Ihr werdet das schon finden.“ Aber nicht mit uns! Was scherte es uns denn, dass er morgen arbeiten musste? Dann machten wir die Tour eben gleich jetzt, nachts halb eins. Dublin bei Nacht – wollten wir schon immer mal sehen. Und wie man Steffen kennt, war er natürlich gleich mit Begeisterung dabei. Weil unser Hotel aber ziemlich abseits der Innenstadt lag musste eben für heute die Vorstadt herhalten. Erste Annährungsversuche an die „außerkontinentale“ Straßenwelt konnten immerhin nicht schaden, zumal Felix die nächste Woche selbst im bis dahin ungewohnten Linksverkehr fahren wollte – und das in Regionen Irlands, die noch kein Ire je zu sehen bekommen hatte, wie es mancher Orts schien.

Bis heute wissen wir übrigens nicht genau, was „Ramps“ bedeuten sollte, das an jeder Straßenecke zu finden war. Heute beschleicht mich allerdings der leise Verdacht, dass es für die Abkürzung „Rampage“ (Amoklauf) stand. Das würde endlich auch die Fahrweise der Iren zum größten Teil erklären. Denn wie uns schien, fuhren sie mit der gleichen Geschwindigkeit über die Autobahn, mit der sie eine nahezu einspurige, kurvenreiche, unübersichtliche Landstraße lang bretterten, bei der die Bezeichnung „Straße“ noch ein Kompliment für selbige darstellt. Glück für Felix konnte man es dabei nur nennen, dass wir hauptsächlich wenig befahrene Seitensträßchen entlang zuckelten.

Zweisprachiges Schild (Gälisch-Englisch)
Zweisprachiges Schild (Gälisch-Englisch)

Fast jedes Straßenschild war außerdem zweisprachig gestaltet: Englisch und Gälisch. Aussprechen konnten wir letzteres auch nach mehrmaligen Versuchen nicht, hielten uns daher eher an die uns bekannte Fremdsprache. Irgendwann gegen halb zwei kamen wir dann aus dem gut situierten Viertel in jene Regionen, in die man um diese Zeit nun gerade nicht will – und eigentlich auch zu keiner sonstigen Tageszeit. Die Fenster waren hier vergittert, Wäsche hing beinahe in Fetzen die Balkone herunter, der Putz ebenso. Ralf machte das freilich wenig aus. Wahrscheinlich kamen bei ihm stuttgärtliche Heimatgefühle auf. Aber er und wir zwei anderen hatten vor den Katholiken nichts zu befürchten. Nur der Protestant unter uns zitterte schon beträchtlich und so kehrten wir um – im Gegensatz zu Ralfs Vorstellung der Konfrontation mit einer fremden Kultur und draufgängerisch einfach mittendurch zu stolzieren.

 

Die Stadt des schwarzen Teiches: Dublin (Montag)

Glockenturm des Trinity College
Foto: Ralf

Die O’Connell-Street sollte unser Anfang sein, zusammen mit der Millenium-Spitze, einer 120 Meter in den Himmel ragenden, sich verjüngenden Metallsäule, die aussieht wie der wichtigste Blitzableiter der Stadt. Während wir also das Frühstück suchten, liefen wir so an der einen oder anderen Sehenswürdigkeit vorbei, wobei selbst das Laufen schon schwer fiel, zumindest das Überqueren einer Straße. Da wir nämlich immer erst brav nach links schauten (wie wir es als Kinder mal gelernt hatten), allerdings entgegen dieser guten Kinderstube schon den ersten Schritt auf die Fahrbahn taten (wie wir es später durch Hektik und Stress gelernt hatten), hörten wir anfangs des Öfteren quietschende Reifen, Hupen und sahen uns verstörten Blicke ausgesetzt. Nicht selten entkamen wir nur knapp einer näheren Berührung. Selbst auf den großen Straßenkreuzungen steht schon „Look right“ auf den Asphalt geschrieben. Erst dachten wir, dass es für die Iren genauso schwierig ist nach rechts zu schauen. Aber wahrscheinlich ist das für die vielen Betrunkenen gedacht, die aus den Pubs kommen und nicht mehr wissen, wo die Straße anfängt. Nach so einem Guinness wüsste ich auch nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Auch wenn die Meinung der gesamten Bierindustrie, eines Taxifahrer und anderer, werbender Marktmächte des Kommerzes dafür sprachen, haben wir uns darauf geeinigt, dass dieses Bier einfach nicht schmeckt.

Trinity-College-Bibliothek
Foto: Trinity College Library

Aber weiter zum Rest von Dublin: Nach zwei Parks, in denen wir erst einmal merkten, wie weit schon die Natur gegenüber der in Deutschland gedieh, kam das Trinity College an die Reihe, die Elite-Uni Irlands, die sich möglicherweise auch nur durch Eintrittsgelder trägt. Zwar interessierten uns die Hörsäle nicht wirklich, doch wurde in der Uni-Bibliothek (die für sich allein schon spektakulär antik wirkt), die älteste Harfe und das „Book of Kells“ gezeigt. Von letzterem sah man jedoch eher Fragmente und vergrößerte Auszüge hinter Glas. Den Iren war damals weniger die Heilige Schrift bedeutend als die reichhaltigen Verzierungen der Bibelabschrift. Immer wieder trifft man auf solche Kreuzungen aus keltischer Mehrgötterei und Christentum. Eindeutig kann man dabei aber wohl nicht mehr feststellen, wer welche Symbole zuerst verwandt oder eingeschleppt hat. Viele Zeichen des Christentums entstammen ja ursprünglich (oft leicht verändert) der germanischen und keltischen Mythologie. Leider herrschte in der gesamten Bibliothek Photographie-Verbot, so dass ich hier nur eine von einer Postkarte abgelichtete Aufnahme zeigen kann. Um den kleinen Historientrip noch abzurunden, ging es auch gleich weiter mit St. Patrick, der beeindruckenden, gotischen Kathedrale in Dublin. Doch selbst die war innen mit einem Souvenirladen „verschönert“ und kostete freilich Eintritt. Obwohl es das Geld wirklich wert war. Denn offensichtlicher wird Irlands Geschichte, Konflikte, Religion und sogar Denkweise kaum an einem einzigen Ort gezeigt. Die Kirche hatte fast auch mehr etwas von einem Museum als von einem Gotteshaus. Gedenktafeln und Statuen erinnern an die bedeutendsten Personen, von denen wir in den seltensten Fällen schon mal etwas gehört hatten; Flaggen bilden aus Grafschaften und Bistümer ein einheitliches Land, um dessen Zusammenhalt noch heute gekämpft wird; und selbst die zweisprachigen Schilder deuten auf eine noch lange nicht bewältige Vergangenheit und einen andauernden kulturellen Konflikt zwischen Tradition und Moderne – wie schon der Souvenirladen in Irlands wohl bedeutendster Kirche.

St. Patrick's Cathedral

Natürlich wird schon des Tourismus und der Wirtschaft wegen wieder auf „alt“ gemacht, was sich nicht allein bei den käuflich zu erwerbenden Reiseandenken offenbart, sondern auch an Baustilen, die teils die gotische und romanische Bauweise nachahmen und für (uns) Laien kaum von alten Gebäuden zu unterscheiden waren. Letztlich hat sogar der Patriotismus in diesem Land zwei Gesichter: die eine irische Hälfte, vor allem durch die in alle Welt gewanderten Auswanderer, die nun vermehrt wieder zurückkommen und zum anderen die alte, keltisch-gälische Hälfte, die im ganzen Land noch mehr als bloße Spuren bereithält. Denn neben Englisch ist immer noch Irisch (= Irisches Gälisch) offizielle Amtssprache, auch wenn wir kaum etwas vom Gälischen zu hören bekamen. Soviel zur älteren Geschichte. Denn ins Schloss kamen wir wegen Erneuerungsarbeiten nicht rein, die anderen Kirchen waren einfach zu reichhaltig gesät und für Museen war ohnehin keine Zeit eingeplant. Vielleicht hätte man auch ganz Dublin als ein einziges (Kunst)-Museum zählen lassen können, denn neben ziemlich alten Bauten waren auch sehr „moderne“ Gebäude mitten ins historische Stadtbild geklatscht. Schlimmer als auf dem Jenenser Marktplatz sah es manchmal aus. Später merkten wir, dass dieser kulturellen Erneuerungsmission bereits ganz Irland verfallen war, zumindest in den größeren Städten.

Wundersame Architektur in Dublin
Wundersame Architektur

Doch eine Sache durfte uns einfach nicht entgehen: Das Guinness-Store-House! Jene Brauerei, die seit 1756 das gesamte Image des Bieres auf der Welt vergift… vergrößert. Dass hier ein saftiger Eintrittspreis beigemischt war, dürfte klar sein, auch wenn (oder besser: trotzdem) ein Pint (ca. 1/2 Liter) des dunklen Malzbieres inbegriffen war.Ein richtig irischer Pub durfte natürlich nicht fehlen. In der Nacht sah die Stadt um einiges besser aus als am Tag, wie ich fand. Nicht nur, dass man die verkorkste Architektur nicht so stark mitbekam, sondern vor allem wegen der reichhaltigen Beleuchtung und Belebung im Zentrum. Viele Geschäfte hatten bis abends um zehn noch auf und der Betrieb auf der Straße glich denen am Tag. Als ob die ganze Stadt niemals zur Ruhe kommt. Den typischen Pub haben wir zwar nicht gefunden, eher eine Art überbesetztes Abendlokal, mit überproportionalen Preisen. Aber wir sagten uns: einmal können wir uns das mal leisten. Wir ahnten ja nicht, dass uns die Preise bis in den entlegensten Winkel Irlands folgen sollten. Und zugegeben, die nette Dame vor dem Etablissement hatte uns so nett angeworben, dass wir nicht mehr ausschlagen konnten. Auch wenn es eine Weile dauerte, bevor ein Platz frei geworden war. Mit Guinness konnte man uns ja schon nichts mehr vormachen, weshalb ich zum Vergleich noch Irlands zweitbestes Bier bestellte: Kilkenny. Zur Auswertung sei gesagt, dass ihm lediglich die bittere Note und die schwarze Farbe fehlte, ansonsten war es ganz das alt bekannte Guinness. Ach ja, und ausgefallene Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gibt’s dort auch. Unter anderem sind uns lebende Schilder (Leute, die damit beschäftigt sind ein Werbeschild zu halten und ab und zu mal zu schwenken) und lebende Ampeln aufgefallen. Bei letzterem sollte man allerdings dazusagen: es kommt vor, dass an einer Baustelle, wo Einer arbeitet, Zwei daneben stehen, um den Verkehr zu regeln.

 

Dublin nach Cork: Auf der Suche nach verlorenen Landen (Dienstag)

Felix wollte fahren. Das hatte er sich so vorgenommen und wir anderen waren darüber auch ganz froh. Denn es zeigte sich doch, dass es nicht so leicht zu bewältigen war sich den ganzen Tag im ungewohnten Linksverkehr zurecht zu finden; wenn man ständig überlegen muss, ob man nun links oder rechts am Kreisverkehr vorbei oder in die Straße einbiegen soll, wer eigentlich Vorfahrt hat und nicht zu letzt auch der Linksdrall in Richtung Straßengraben keine zu unterschätzende Bewährungsprobe darstellt. Aber Felix hat es geschafft ohne Unfälle und Kratzer über die ganze Insel zu fahren und dafür sei ihm an dieser Stelle herzlich gedankt.

Blick auf Dublin

Die Navigation oblag abwechselnd Ralf und mir. Entgegen der anfänglichen Unbekümmertheit mit Navigationsgerät eindeutig am Ziel landen zu können, stellte sich schnell heraus, dass das Gerät lediglich die Karte für Dublin und Nordirland kannte. Also war gutes, altes Karten- und Schilderlesen angesagt. Schnell merkten wir auch, dass beides nicht besonders zuverlässig funktionierte, was allein schon dadurch erklärbar wird, dass Ortschaften, die auf der Karte verzeichnet sind, manchmal gar kein Ortsschild haben und die einzelnen, verstreuten Höfe scheinbar willkürlich mal ein Dorf darstellten. Bevor man sich’s versah, war man schon längst die falsche Straße abgefahren. Erst wenn die Straße so eng wurde, dass gerade mal ein Auto darauf fahren konnte, die Fahrbahnmarkierungen verschwunden waren und die Asphaltierung es ihr gleichtat, konnte man davon ausgehen nicht mehr auf einer wichtigen Hauptverkehrsstraße zu sein. So fuhren wir erstmal gemütlich mit unserem Ford Focus, alias „Neill O’Brien“ (als Anspielung auf typisch irische Namen), durch Dublin im Stoßverkehr, bevor es Richtung Cork weiter über eine beschauliche Küstenstraße ging. Eine Besonderheit gab es auf größeren, nationalen Wegen dann aber doch, die durchaus nicht schlecht gedacht ist: Denn oft gab es einen Seitenstreifen, auf den die langsameren Gefährte ausweichen konnten, damit die schnelleren eine Möglichkeit zum Überholen hatten. Flüssigeren und sicheren Verkehrsfluss garantiert diese Methode bestimmt, auch wenn es grundsätzlich erst einmal auf den Vordermann ankommt, sich als langsamer anzuerkennen.

Viel Zeit für Zwischenstopps gab es für uns an diesem Tag allerdings nicht, so dass sich die Städte Wicklow, Arklow, Wexford, Waterford und Youghal lediglich mit unserer bloßen Anwesenheit geehrt fühlen durften. Wohingegen wir einem besonderen Ort namens „Glendalough“ besondere Aufmerksamkeit zu schenken beabsichtigten – sobald wir ihn gefunden hätten! Denn zu spät stellten wir fest, dass aus unsere Anfahrtrichtung nirgends ein Schild dorthin zu finden war. Nach der Karte hätten wir schon zigmal daran vorbei gefahren sein müssen. Darum gibt’s an dieser Stelle auch kein Bild von diesem mysteriösen Ort. Wir hätten ihn selbst gerne gesehen. Erst als wir die Suche wegen des dringlichen Zeitplanes aufgegeben hatten, entdeckten wir die ersten Schilder zu diesen sehr schön versteckten, mit Rundtürmen verzierten, in einem Waldstück gelegenen Keltenfriedhof, den wir nun jedoch nur noch mit ignorierender Missachtung strafen konnten. Denn um 17.30 würde die Jameson-Whisky-Brennerei ihre letzte Führung in Midleton (kurz vor Cork) angeboten haben, was wir auf keinen Fall verpassen wollten, schon wegen der anschließenden Verkostung. Da es danach schon ziemlich spät war, rechneten wir nicht mehr damit, noch ein Bed’n’Breakfast zu ergattern und die Travelodge-Hotel-Kettenfiliale von Cork fanden wir nicht, weshalb wir es südlich von Cork in Douglas probierten und tatsächlich noch Einlass fanden. Das Zimmer sah auch sofort typisch britisch aus, mit einem Runderker, ziemlich aufwendig gemusterten, mächtigen Bettdecken, alten Möbeln und einem, mit absolut ebenem Rasen bedeckten Garten als Ausblick. Um wenigstens aber noch zu einem Nachtmahl zu kommen, fuhren wir dann doch nach Cork hinein und liefen schätzungsweise eine Stunde im andauernden Landregen auf der Suche nach einem halbwegs bezahlbaren Restaurant umher. Am Ende landeten wir in einer Pizzeria, wo die günstigste der belegten Backteigware an 13 Euro heranreichte. Aber gut, wir waren im ja Urlaub.

 

Cork-Limerick: Hoch hinaus und weit, weit weg (Mittwoch)

Cobh

Mit einem ganz normalen, irisch-britischem Frühstück begann dieser Tag – und damit hätte er auch schon wieder zu Ende können. Denn so stopfend, wie die Ham’n’Eggs mit Speckstreifen, gebratenen Würstchen, einer Art Bulette, Cornflakes und Toast waren, hätten wir nichts mehr an dem Tag gebraucht – nicht zu vergessen der Earl Grey mit Milch. Aber Ralf würde dieses reichhaltige Fastenbrechen (= Breakfast) dringend brauchen, wenn er mit dem extra von Dublin hergefahrenen Steffen Irlands höchsten Berg, den Carrantuohill, bestieg. Doch zuerst stand noch Cobh auf dem Plan, ein kleines Küstchenstädtchen, direkt bei Cork, das am Hang gelegen, durch die kunterbunten Farbanstriche der Häuser, kleinen, versteckten Treppchen und Gässchen und mit den Palmen auf der Promenade äußerst mediterran anmutete. Die Kirche hatte wegen des Gottesdienstes leider geschlossen, aber durch die Straßen dieses Fischerortes zu laufen konnte auch sehr andächtig passieren. Auf der Suche nach guten Fotomotiven verflüchtigte sich die Zeit an uns vorbei, so dass wir uns stark beeilen mussten, um Steffen nicht allzu lange im vereinbarten Killarney am Bahnhof warten zu lassen.

Ring of Kerry - Küste
Ring of Kerry - Küste

Für Auf- und Abstieg hatten die beiden Bergsteiger gerade einmal sechs Stunden eingeplant und auch wenn der Berg nicht besonders hoch hinauf ragte (etwa 900 Meter), zog es sich doch ganz schön hin. Bis Ralf und Steffen wieder unten eintreffen würden, hatten Felix und ich uns vorgenommen den „Ring of Kerry“ in Angriff zu nehmen. Angeblich sollte es eines der schönsten Landschaftsgebiete Irlands sein, immer entlang der Küste. Solang wir diese fahren konnten sah es auch gar nicht so schlecht aus. Mal kamen wir an brandende Ufer, mal über eher kahle, Gras bewachsene Hügel mit sichtlichen Spuren von Schafhaltung oder auch durch die typischen Kreuzungen von Dörfern mit Kleinstädten, durch die eine mit einer fassadenreichen Häuserwand bebaute Hauptstraße verlief. Allerdings entschieden wir uns aufgrund der knapper werdenden Zeit diesen Anblick und damit den äußeren Ring of Kerry zu verlassen und geradewegs durch das Landesinnere zurück zufahren. Noch einmal kurz den Wind der Atlantikküste eingefangen trug uns Neill O’Brien in weit kargere Regionen. Ganz zum Gegensatz der lebendigen Küste schlug hier langsam alles in wüstes Ödland um. Mit den Straßen wurde auch die Gegend immer unbehaglicher, einer Mondlandschaft nicht unähnlich. Wenig Bäume, Moor und beinahe alpine Passstraßen verstärkten den Eindruck lebloser Einöde umso mehr. Trotz allem traf man auch hier ab und zu auf einzelne Häuser und ein paar Kühe. Nach „Kerry Gold“ sah es dafür weniger aus. Immerhin ging es durch diese innerirische Wüste weit flotter als wir gedacht hatten, so dass wir uns kurzerhand entschlossen noch einen Umweg zu einem der größeren Seen zu fahren, was uns jedoch einen verärgerten Ralf einbrachte, da Steffen noch am selben Abend dringend seinen Zug zurück erwischen musste und auf eine Mitfahrgelegenheit aus dieser Pampa angewiesen war.

Fotos (v.l.): Ralf, Steffen

Anekdotischer Einschub:Nebenbei musste Ralf auf seiner Schaf-Jagd-Renn-Strecke noch sprichwörtlich kalte Füße bekommen haben (genauere Details dazu will ich nicht vorenthalten, sie sollen gleich folgen). Durch den vom Fluss überfluteten Weg und nun mehr Moor als Ausweichmöglichkeit ist ihm wohl das Wasser in die Schuhe geschwappt und seine Stimmung zum Schluss entsprechend antiproportional zum Wasserstand seiner Schuhe gesunken. Nach dem wir Steffen doch noch rechtzeitig am Bahnhof abgeliefert und schon ein ganz schönes Stück in Richtung Limerick zurückgelegt hatten, mussten wir Ralf mit einem deftigen Abendbrot aufmuntern, wobei er uns mit steigenden Fettwerten auch mehr von der Bergbesteigung erzählte. So kam heraus, dass er (wie man ihn schon kennt) schon zuvor nicht der Versuchung widerstehen konnte in den Genuss einer Schafjagd zu kommen, während die Bergsteigergruppe den Rest des Weges ganz schön hetzen mussten, um es in der verabredeten Zeit zurück zu schaffen. Aber da sage noch mal jemand „die dummen Schafe“: fangen ließen sie sich jedenfalls nicht. Glücklicherweise kann man sich bei Bedarf Steffens Video zu dieser Aktion als Beweis ansehen. Etwas verwunderlich erschien mir allerdings die Bedienung des Lokals. Denn offensichtlich hielt sie es nicht für nötig unser Trinkgeld anzunehmen. Selbst nach wiederholter Aufforderung entgegnete sie mir es nicht zu wollen. Ich habe nur zwei Erklärungsansätze dafür: Entweder hat sie unser umwerfendes Charisma über alle Maßen verzückt oder Ralfs Geschichte über die Schafjagd verschreckt.

Bis Limerick kamen wir dann aber doch nicht mehr ganz. Irgendwo davor durfte uns ein zweites B’n’B die Ehre erweisen. Und wieder hatten wir Glück. Nicht nur, dass wir schon wieder spät abends hereinschneiten, sondern auch, weil die Eigentümerin gerade aus der Stadt zurückkam, als wir schon wieder gehen wollten. Sie erzählte uns auch, dass gerade einen Tag zuvor schon zwei junge Frauen aus Deutschland übernachtet hatten. Wir waren also nicht die einzigen Verrückten zu dieser Jahreszeit. Wobei wir aber nicht noch einmal das Wagnis eines British Breakfast eingehen wollten und gleich abends noch zur Wirtin sagten, dass wir das Frühstück „continental“ bevorzugen würden. Noch so eine Kalorienbombe konnte einfach nicht gesund sein.

 

Limerick: Cavan, Regen, Moor und Klosterruinen (Gründonnerstag)

Foto: Ralf
Foto: Ralf

Während uns die Tage zuvor allenfalls behäbig anhaltender Landregen mit einigen Unterbrechungen begleitet hatte, wechselte das Wetter nun in Dauerüberschwemmung – was uns freilich nicht davon abhielt den halben Tag draußen herumzulaufen und Limerick zu bestaunen. Neben dem größten Fluss Irlands, dem Shannon-River, und dem ziemlich modern verschandelten Schloss, das wir wegen unnötiger Geldausgabe nicht betraten, gab es auch hier versteckte Höhepunkte zu entdecken. Denn außer einem sehr keltisch anmutenden Friedhof mit endlich einmal ordentlichen Keltenkreuzen und mittelalterlichem Viertel mussten wir auch unser geparktes Auto wieder finden. Nach einiger Suche und einer willkommenen Marienkirche als Regenunterstand gelang es uns auch Neill O’Brien aus seinem Versteck zu locken.

Weit war unser Weg heute noch. Bis tief in den Norden wollten wir uns durchschlagen, nach Ulster, das zu größtenteils dem Land Nordirland entspricht. Der geplante Abstecher zu den Cliffs of Moher, die schon für Taxifahrer, Werbekampagnen, Reiseführer und letztlich auch für mich untrennbar mit einer Irlandtour verbunden waren, fiel aus. Und als ob das nicht genug gewesen wäre, verwandelte sich die Landschaft langsam in eine baumkarge, Torf gestochene Moorwüste. Riesige, schwarze Felder zeigten ihr wahres Gesicht, dessen Endprodukt im Kamin landete und das man schon seit langem riechen konnte. Eben weil nichts Erwähnenswertes auf der Strecke lag, kamen wir zu schnell voran und hatten sogar noch Zeit übrig. Kurz vor Athlone entschieden wir uns daher einen kleinen Umweg einzulegen. Dieses Mal mussten wir auch keinen Mitreisenden abholen oder zu einem Zug bringen, niemand musste Schafe jagen und weil einspurige Landstraßen soviel Spaß bereiten, ließen wir uns einfach mal darauf treiben.

Erst kurze Zeit waren wir so gefahren, als ein wenig Aufhellung unsere Augen beinahe blendete – nicht nur weil das Regenwetter langsam seine Wolken zerteilte, sondern auch kulturell: Seit einer Ewigkeit stand da mitten auf dem Feld mal wieder eine Ruine. Na ja, wenigstens etwas. Als wir dann näher kamen, entpuppte sich dieses von Menschen aufgetürmte Steinhügelchen gerade mal als Vorhut einer noch viel größeren Ansammlung alter Steine. Und ohne es zu wissen, hatten wir „Clonmacnoise“ wieder entdeckt, eine der ältesten Klosteranlagen der Insel. Es dauerte auch nicht lange bis uns klar wurde, dass wir doch nicht die ersten Wiederentdecker genannt werden konnten. Denn kurz vor dem Eingang stand schon die Kassiererin, mitten in der Pampa, im verlorenen Nirgendwo. Aber dafür war der Rasen gepflegt und sie hatten sogar extra eines der wenigen Hochkreuze (ein besonders hohes und wichtiges Keltenkreuz) abgebaut, restauriert und danach wieder mit dem Hubschrauber eingeflogen. Im Prinzip bestand die ganze Anlage auch aus nichts weiter als einem großen, alten Friedhof, zwei Wachtürmen (Round Towers) und kleinen Kapellenruinen. Doch mit dem Aufklaren des Himmels und diesem unverhofften Fund hellte auch unsere Stimmung wieder ein bisschen auf, besonders meine. Das war der fast perfekte Ort, den ich in Irland suchte. Die Wegstrecke bis zur Nordirischen Grenze erwies sich zwar als noch mal genauso weit wie bis Clonmacnoise, verging doch aber relativ schneller. Eigentlich hätten wir noch weiter fahren können, hatten aber nur wenige Pfund als Zahlungsmittel dabei. Die würden wahrscheinlich noch im britischen Teil der Insel gebraucht und daher ging es bei Cavan ein paar Kilometer vor der Grenze zum nächsten B’n’B. Heute waren wir ausnahmsweise ein wenig früher dran, so dass wir uns Zeit lassen konnten mit der Suche nach dem Abendessen. Ein Chinese sollte es heute sein und angeregt von der üppigen Mahlzeit und der Tatsache das eine halbe Ewigkeit niemand zum Kassieren kam, entbrannte eine hitzige Debatte über allgemeine Auffassungen zwischen uns. Schon zuvor hatte es immer mal ironische Diskussionen gegeben und jetzt sollte sich zeigen, wer den Gegenüber am meisten entflammen konnte. Aber wie das so ist: im schönsten Moment kam die Kellnerin und über die Erörterung der Höhe des Trinkgeldes und dem freundlichen Plausch mit ihr vergaßen wir den eigentlichen Sinn unserer Debatte. Endgültig abgekühlt wurde sie durch das Frieden schließende Softeis, das wir völlig überrascht in der irischen Provinz nicht erwartet hätten.

Die Wegstrecke bis zur Nordirischen Grenze erwies sich zwar als noch mal genauso weit wie bis Clonmacnoise, verging doch aber relativ schneller. Eigentlich hätten wir noch weiter fahren können, hatten aber nur wenige Pfund als Zahlungsmittel dabei. Die würden wahrscheinlich noch im britischen Teil der Insel gebraucht und daher ging es bei Cavan ein paar Kilometer vor der Grenze zum nächsten B’n’B. Heute waren wir ausnahmsweise ein wenig früher dran, so dass wir uns Zeit lassen konnten mit der Suche nach dem Abendessen. Ein Chinese sollte es heute sein und angeregt von der üppigen Mahlzeit und der Tatsache das eine halbe Ewigkeit niemand zum Kassieren kam, entbrannte eine hitzige Debatte über allgemeine Auffassungen zwischen uns. Schon zuvor hatte es immer mal ironische Diskussionen gegeben und jetzt sollte sich zeigen, wer den Gegenüber am meisten entflammen konnte. Aber wie das so ist: im schönsten Moment kam die Kellnerin und über die Erörterung der Höhe des Trinkgeldes und dem freundlichen Plausch mit ihr vergaßen wir den eigentlichen Sinn unserer Debatte. Endgültig abgekühlt wurde sie durch das Frieden schließende Softeis, das wir völlig überrascht in der irischen Provinz nicht erwartet hätten.

Cavan: Antrim (Nordirland) und die Vielfalt Nordirlands (Karfreitag)

Foto: Ralf
Foto: Ralf

Selbst wenn mich einer fragt warum: wir nahmen wieder mal das British Breakfast. Und wir waren wieder mal gestopft bis oben hin. So ging es los, ins Vereinigte Königreich Großbritanniens. Man brauchte gar kein Schild am Übergang von Irland nach Nordirland. Gleich hinter der Grenze schien die Gegend freundlicher, bewaldeter und vor allem hügeliger. Das wohl Ermüdendste in Irland war die flache Landschaft gewesen. Weil wir den Tag auch gleich kulturell beginnen wollten, wählten wir ein Schloss bei Enniskillen aus: Castle Coole. Viel war so früh am Morgen zwar noch nicht los, aber der Earl und sein Butler spielten schon mal eine Partie Golf. So sah es wenigstens aus, als wir uns auf der langen Parkstraße vom Parkplatz zum Parkschloss anpirschten. Unter Nichtbeachtung der einfachen Situation eines Karfreitags mussten wir schnell erkennen, dass alles geschlossen war, also keine Führung anstand. Da hatte man schon mal ein halbwegs vernünftiges Schloss, will sagen keine verfallen Ruine vor sich und dann feiern die Ostern! Eine Wanderung durch den Schlosspark war es trotzdem alle mal wert. Und Ralf konnte eine weitere Narbe vorweisen, als er über den Stacheldraht kletterte um dieses Bild(*) auf Film zu bannen.

Foto: Ralf
Foto: Ralf

Die nächste Station bedarf noch einmal einiger Einführung. Ich darf vorstellen: Derry, Londonderry. Zumindest laut Engländern, die die Stadt einst einnahmen und wahrscheinlich gar nicht mitbekommen haben, dass es schon eine Stadt gab. Da haben sie sich schnell noch ihre Hauptstadt als Zeichen ihrer Vereinnahmung vorne drangehangen und schon war es amtlich. So sieht es auch bis heute aus. Nach Belfast dürfte diese Stadt die konfliktträchtigste Nordirlands sein. Der innere Stadtring ist umgeben von einer meterdicken Mauer, die britische Protestanten von irischen Katholiken trenn(t)en. Verständlich wird nun auch, warum sich Steffen vor einigen Tagen wieder abgesetzt hatte. Zu allem Überfluss verläuft die Grenze zum Rest Irlands auch noch genau hinter der Stadt, so dass die katholischen Belagerer immer genügend Nachschub und Unterstützung gewahr sein können. Der Einfall der Briten beschränkte sich auch nicht allein auf das Land, sondern genauso auf die dort gewesenen Wälder. Daher sieht man heute kaum noch eine größere Gruppierung von Bäumen. Was die Wikinger stehen gelassen hatten, holzten die Briten ab, wenn auch für den gleichen Zweck: Schiffbau. Tja, wie es aussieht ging Englands Vormachtstellung auf See und Eroberungen der letzten Jahrhunderte auf Irlands Konto, zumindest zum logistischen Teil.

Da wird der Patriotismus, der hier schon zum Nationalismus ausuferte, langsam verständlicher. Irland hat sich tief im Herzen noch immer nicht ganz damit abgefunden, den Norden endgültig abzutreten. Ich persönlich kann es gut verstehen, schon von der Natur her ist es hier reizvoller. So hängen auch demonstrativ die grün-weiß-orangenen Flaggen an vielen Häusern in der Umgebung. In der Londonderry selbst erkennt man auf den ersten Blick keine Anzeichen für derlei Konflikt: Es schien eine friedliche Lokalmetropole mit vollständig erhaltenem, historischem Kern zu sein. Bald beginnt man sich dann aber zu wundern, über die vielen Farbflecken an Türen, Häusern und auf den Straßen innerhalb des alten, ummauerten, innern Rings. Hebt man dann einmal den Blick, sieht man durch Fetzen von Luftballons an den Bäumen die Arbeiterviertel auf der anderen Seite am Hang liegen: Reihen teils heruntergekommener Häuser die wie die Sesshaftwerdung einer dauerhaften Belagerung aussehen und in sauber angeordneten Angriffslinien hinter einander liegen. Das waren nur die auffälligsten Anzeichen, die wir in den wenigen Stunden dort zu Gesicht bekamen. Der freundliche Frühlingstag täuschte wohl doch über einiges hinweg, was hier manchen tags und vor allem nachts sonst so los war.

Foto: Ralf
Foto: Ralf

Felix und ich hatten jedenfalls einiges Glück schnell noch in die St. Columbs Cathedrale schauen zu können, da kurz nach uns für Reinigungsarbeiten abgesperrt wurde. Man kann sagen, dass es sich tatsächlich gelohnt hat. Denn eine der wenigen Holzdeckenkirchen Irlands machte uns ihre Aufwartung. Innen war sie mit Feldsteinen gebaut und sah aus wie eine der vielen Feldmauern, die als Abgrenzung zum Nachbarn und Einzäunung der Schäfchen dienten – vielleicht ein ganz guter Vergleich für eine Kirche. Erwähnenswert ist außerdem die Guild Hall: früher Gericht und Pranger, heute Rathaus der Stadt. Passenderweise liegt es außerhalb der Stadtmauern und archaische Kanonen richten ihre Mündung darauf.

Langsam konnte man die freie Welt des Ozeans erkennen. Die Küste entlang näherten wir uns endlich dem Höhepunkt unserer Reise, dem Giant’s Causeway. Doch unverhofft warf sich auf dem Weg dorthin eine Schlossruine an der Küste in unseren sensationslüsternen Blick, die nun wirklich Anspruch auf das Irlandbild erheben konnte, dass ich schon die ganze Zeit gesucht hatte. Von Steilklippen umgeben fanden wir die schlössernen Überreste selbst auf einer solchen, direkt auf dem Hang, den saftig grüne Wiese zierten. Eine Brücke führte hinüber zu den modernden Mauern und unter dem Felsen brandete das Meer an das stete Land. Gut, vielleicht mutete es letztlich auch ein bisschen zu schottisch an. Trotzdem mussten wir weiter. Der Tag hatte zwar schon viel geboten, aber noch mehr stand an. Das wichtigste Reiseziel wartete wenige Kilometer weiter und lag noch unsichtbar unterhalb der Klippen. Angeblich soll der Riese Finn McCool Sehnsucht nach seiner Geliebten verspürt haben, die auf der schottischen Insel Staffa lebte und darauf hin baute er aus sechseckigen Basaltsäulen eine Brücke zu ihr. Muss Liebe schön sein! Die Säulen sind hier wie dort übrig geblieben und der Name leitet sich dementsprechend ab: ...

Giant’s Causeway

Fotos (r.m., u.m): Ralf

Nun, ob die Legende oder geologische Theorien über Vulkangestein der Wahrheit entspricht mindert nicht die heutige Überwucherung einer neuen Plage: Touristen. Um ein ordentliches, naturnahes Bild der Basaltsäulen zu bekommen müsste wohl wieder ein Vulkan ausbrechen oder ein Riese anrücken. Und wo Touristen sind, ist die Vermarktung nicht weit. So gibt es zwar keine Eintrittsgebühr, aber kostenpflichtige Buslinien und saftige Parkmöglichkeiten, was uns dazu zwang, Neill O’Brien noch entfernter als alle seiner Artverwandten abzustellen. Doch was soll ich groß mit Worten beschreiben, was es dort zu sehen gab? Daher folgen ein paar bildliche Eindrücke…

Foto: Ralf
Foto: Ralf

Ständig jagte jetzt ein Motiv das nächste und immer wieder mussten wir anhalten, weil wir uns die Landschaft nicht entgehen lassen konnten. An einigen Stellen konnte man sogar bis Schottland sehen, zum „Mull of Kintyre“.Ein wenig wollten wir den schönen Tag noch ausnutzen, einer der wenigen, an denen man mal die Sonne sah. Also ging es ab des Weges, fast schon Off-Road zu einer abgelegenen Schaffarm (was dieses Mal nichts mit Ralfs Vorliebe für Schafe zu tun hat, sondern außer Schafen gibt’s einfach nicht so viel in Irland), wo in Ralf und mir wieder mal der Erkundungstrieb durchkam und beinahe wären wir die restlichen Kilometer bis zur Küste vorgelaufen, nur um zu sehen, was da wohl sein mag. Vermutlich war es auch nur Wasser, aber man kann ja nie wissen. Gut, dass wir es jedenfalls nicht gemacht haben. Später auf der Karte stellte sich heraus, dass noch ein ganzes Stückchen vor uns gelegen hatte. Felix hätte uns gefressen oder wäre einfach weiter gefahren. Damit hatte er schon öfter gedroht, konnte er ja auch. Das Auto war schließlich allein auf ihn versichert und nur er durfte fahren.

Foto: Ralf
Foto: Ralf

So schön es auch war, langsam sollten wir uns doch eine Übernachtungsmöglichkeit suchen. Bis zur Grenze würden wir nicht mehr kommen, dass war klar. Dann viel uns ein, dass das Navi ja die Nordirland-Karte kannte. Daher nichts wie im B’n’B-Führer nachgeblättert und eine Adresse in Antrim, der nächst größeren Stadt und unserem Tagesziel herausgesucht. Gemütlich lehnten wir uns zurück und genossen erstmal die Fahrt – tja, bis wir in Antrim waren! Da ging das Theater nämlich los. Zwar hatte das Gerät die Adresse gefunden, aber sozusagen auf der Hauptstraße, an der nirgends ein Haus lag, gab es an „Sie haben ihr Ziel erreicht.“ Da ist man schon mal am Ziel und sieht es dann nicht. Es war zwar Nacht, aber dass wir so blind geworden sind, mochten wir einfach nicht glauben. Nach einigen, erfolglosen Touren durch das Wohngebiet wollten wir raus aus dieser Stadt, die nichts zu bieten hat. Doch wie immer braucht der Mensch ein wenig Glück und daher stand auf unserem Weg ein kleines Schild mit den lang gesuchten Buchstaben „B’n’B“. Und wie schon so oft kam kurz nach uns die Gastgeberin nach Hause, um uns aufzuschließen. Anscheinend sind die in dem Land nachts ständig unterwegs. In der Hoffnung noch etwas Essbares aufzutreiben suchten wir danach das Zentrum ab. Die letzten Vorräte waren zum Mittag aufgebraucht, nur Wasser war noch reichlich da, wie immer. Aber da geh ich kein Risiko mehr ein, nicht wenn Ralf mitfährt. Lieber schütt ich es am Ende weg (ist ein Insider aus Ibiza). Eigentlich hätte am letzten richtigen Abend ein richtig uriger Pub hergemusst. Doch wenn wir mal einen fanden, dann sahen die Gestalten darin selten Vertrauen erweckend aus und die „Public Houses“ hatten stets einen entscheidenden Nachteil: es gab kein Essen. Eine Filiale der „Fish’n’ships Company“ lockte allerdings vielversprechend und außerdem war es billig. Ein typisch kulinarisch-britischen Abend eben.

 

Antrim – Dublin, Auf der Suche nach den Maulwurfshügeln (Ostersamstag)

 

Zwar wollten wir zeitig los, aber dachten wir doch nicht, dass es für manchen so früh war. Denn als es zum Bezahlen der Übernachtung ging, schleppte sich träge und erst nach mehrmaligem Klingeln der Hausherr zur Tür, völlig neben der Spur und erzählte uns von den Strapazen der letzten Nacht. Er musste wohl erst vor ein paar Stunden nach Hause gekommen sein. Bevor er begriffen hatte, wer wir waren, verging jedenfalls erst ein Moment und wir mussten ihm das Geld förmlich aufdrängen, um endlich weiter zu können.

Foto: Ralf
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Ursprünglich wollten wir nicht nach Belfast, aus Gründen der wenigen, verbleibenden Zeit und wegen der üblichen Unsicherheit von Krisengebieten, noch dazu, weil sich wenige Wochen zuvor wieder Zwischenfälle ereignet hatten. Schließlich sind wir aber mitten durchgefahren, unbeschadet und eher darauf bedacht die richtige Abzweigung Richtung Newcastle zu finden. Wo wir schon mal in der Gegend waren, drängte sich ein Abstecher nach Downpatrick förmlich auf. Denn die Grabstätte des Höchstheiligen Sankt Patrick, sozusagen Begründer der irischen-katholischen Kirche konnte man nicht einfach vorbei streichen lassen. Zumal das Innere des gleichnamigen Kirchengebäudes eher abgeteilte Sitzbunker beherbergte, als ob sich einzelne Gruppen, z.B. Familien voneinander abgrenzen oder verbarrikadieren wollten. Nach einem weiteren Versuch wenigstens ein vernünftiges Schloss an einem ausschweifenden See und auf wahrhaft herrschaftlichem Gebiet anzuschauen, das jedoch eher einem einzelnen Turm auf kahler Wiese an einem Tümpel glich, durfte sich endlich Newcastle unserer Anwesenheit erfreuen. Weniger die Stadt als das sie umgebende Land interessierte uns allerdings. Ganz in der Nähe sollte nämlich ein sehr reizvolles Waldgebiet liegen, mit kleinen Brücken über romantisch dahinplätschernde Bäche – der perfekte Einklang zwischen Natur und menschgemachter Beweglichkeit durch urtümlichste Natur. Anscheinend muss es tatsächlich ähnlich dieser Beschreibung ausgesehen haben, denn kurz nach dem Hinweisschild wurde wieder eine Besichtigungspauschale verlangte und unser Entdeckungserlebnis endete abrupt in einem U-Turn.

Foto: Ralf
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Zurück in Good Old Éire wollten wir dagegen eines auf keinen Fall verpassen – und selbst Geld hätten wir dafür bezahlt: Newgrange. Ein Hügelgrab und bisher älteste bekannte, astronomische „Forschungsstätte“ der Menschheit. Marktwirtschaftlich hätte man garantiert seine helle Freude, denn es ist wirklich alles vermarktet und ausgeschlachtet. Als erstes liegt der Parkplatz gute zwei Kilometer von diesem Gras bewachsenen, überdimensionalen Maulwurfshügel weg (wie jemand so treffend beim Anblick der grünen Erhöhungen von sich gab), dann führt ein eingezäunter Weg geradewegs in ein hypermodernes Tourismuszentrum, das - wie so ziemlich das meiste in Irland - architektonisch überhaupt nicht in die Landschaft passt, das man aber auch erst gegen eine entsprechende Gebühr besichtigen kann. Von dort aus hätten wir die Möglichkeit gehabt Eintrittskarten zu kaufen, worin eine Führung allerdings noch nicht inbegriffen gewesen wäre und Aufpreis gekostet hätte. Falls man das dann gekauft haben sollte, führte ein Shuttle-Bus als einzige (!) Möglichkeit und teurer als Ticket und Führung zusammen das arme Konsumopfer mit der Ticketerweiterung auch noch zum nächsten, begehbaren Maulwurfshügel ("Knowth") und damit zur eigentlich interessanten, archäologischen Begutachtungsstätte. Aber um überhaupt bezahlen zu können, musst man wenigstens bis 15:30 da sein, sonst startet der Abzockwahnsinn erst am nächsten Tag erneut von vorn. Nun, was soll ich sagen, spätestens am Eingang des Touristenzentrums war für uns Schluss mit lustig und wir fuhren ein paar Kilometer weiter, zum letzten und einzig kostenfreien Maulwurfshügel ("Dowth"), dessen Ausschilderung aber bei weitem nicht so weit ins Land hinein ragte und frei geschnitten war wie die anderen beiden. Außerdem blieb hier der Einlass dem Ökotouristen („Öko“ kommt hier von „ökonomisch reisend“) verwehrt. Die ganze Austüftelung der Preisstafette resultierte wohl aus der Doktorarbeit eines BWL-Studenten. Aber obwohl die Iren nahe an der Perfektion zur absoluten Ausbeutung arbeiten, sind für einen findigen, deutschen Ökonomen bestimmt auch noch Reserven drin. Nicht umsonst kamen wir um einige Eintrittsgelder lässig herum.

 

Foto: Ralf
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Um den Tag aber nicht mit einem recht unbefriedigenden Ereignis enden zu lassen und weil er noch mit genügend Zeit aufwarten konnte, entschlossen wir uns noch ein paar Kilometer ins Landesinnere zu absolvieren, nach Trim. Wenigstens dort, so hofften wir, würde ein halbwegs vernünftiges Schloss zu finden sein. Und ich möchte behaupten, dass dem auch so war, wenngleich sich die Freude der anderen nicht in übermäßigen Gefühlsausbrüchen äußerte. Felix war ohnehin schon langsam müde vom Fahren geworden, immerhin hatte er Neill O’Brien über 1800 Kilometer durch das Land gelenkt. Und ein wenig überwog auch die bange Frage nach der nächsten Schlafgelegenheit. Denn dafür war nichts geplant und nachdem wir den Ford Fokus wieder abgegeben hatten wurde es schlagartig schwierig vom Flughafen, der etwas außerhalb lag, nach Dublin rein zu kommen. Die erste Idee das Hotel am Flughafen zu nutzen wäre zu kostspielig geworden und wie letztes Mal nach Ibiza am Flughafen zu übernachten hatte ich auch keine Lust. Also erinnerten wir uns bei einem Krisen-McDonalds-Dinner der Möglichkeit des Travelodge, in dem wir die ersten zwei Nächte in Dublin verbracht hatten. Zuerst brachte ein Telefonat die ernüchternde Antwort von 98 Euro pro Zimmer. Zusammen mit der Taxifahrt wäre es beinahe an die Preise des Flughafenhotels herangekommen. Doch einen Versuch gab es noch: Über das Internet ein Zimmer buchen. So hatte es Felix vor der Reise gemacht und jeder von uns war mit 10 Euro pro Nacht dabei gewesen. Also an den nächsten Internetterminal vom Flughafen und unter Zeitdruck das Hotel gesucht. Dabei erwachte Fortuna erneut und gewährte uns einen weiteren Glücksfall. Denn selbst mit der Taxifahrt belief sich der Betrag auf weniger als für ein normales B’n’B der letzten Tage.

Vor dem Flug noch mal die Lage checken, Taschenmesser alle aus dem Handgepäck, die Bomben explosionssicher verstaut und gefährliche Flüssigkeiten behände ausgetrunken – so konnte es durch die Passkontrolle gehen. Tja, aber dass es dieses Mal Ralf sein würde, der sein Taschenmesser vergaß umzupacken grenzte schon an Ironie des Schicksals, nach der Terroristenkontrolle die er auf dem Hinflug durchmachen musste. Um also nicht weiter aufzufallen, fand sein Messer ein jähes Ende im nächsten Mülleimer. Am Schrecklichsten ist es, wenn alles nach Plan verläuft. Dann hat man nichts Spannendes zu erzählen und insofern ärgere ich mich nicht darüber, dass auch mal nicht alles geklappt hat.

Wo wohl die nächste Reise hinführt? Lassen wir uns überraschen…