Hin und wieder zurück – Die Geschichte eines Hobb…ysoldaten (W9 / GWDL)!

 


Teil 2: Die Gefreitenzeit...

Teil 1: Die Grundausbildung

I.                  Musterung

II.                Der 1. Tag

III.              Die Grundausbildung…

Anhang

 

 

Teil 2: Die Gefreitenzeit

 

IV.              Die Gefreitenzeit

-          SGA

o   Wieder ein erster Tag…

o   Arschkalter Januar

o   „Wachablösung!“

-          Delitzsch – oder wie ich lerne Schrotthaufen zu fahren

o   „Aller guten ersten Tage sind drei“

o   Die Kraftfahrausbildung

o   Alltägliches Fahrerleben

o   Zu den Prüfungen

-          März allerlei

o   Waffen-TMP

-          Highway to Hell… und nach Ingolstadt

o   Der letzte Erste Tag

o   Aller Anfang ist schwer

o   Der ist doch krank!

o   Jetzt geht’s erst richtig los

o   …Entspannungsmomente

o   Party-(K)Nights

o   Kommen wir zum Ende!

o   Juni – Warten auf Juli.

Anhang:

-          Die Stationen im Überblick

-          Im Falle des V-Falles

-          Musik, bitte!

 


Die Gefreitenzeit ließ nicht lange auf sich warten und deshalb ging es noch am selben Tag weiter, nun mit dem nächsten Kapitel. Doch das war auch nicht viel besser - zumindest nicht in der 5. Kompanie.

   Als Keschkes erfahren hatte, wohin einige von uns sollten, meinte er still grinsend: „So so, Winter, in die 5. wollen sie also. Na ja, vom Regen in die Traufe.“ Da dachten wir noch, er wollte uns Angst einjagen! Doch die gefürchtete SGA sollten auch wir noch kennen lernen...

 

Die SGA

Wieder ein erster Tag...

Die vorerst letzte Tortur vor Weihnachten lag darin, die ganzen Klamotten vom Appellplatz wieder in die Stuben zu verfrachten – obwohl es für uns nicht einmal weit gewesen war, so hatten wir nicht einmal 50 Meter zu laufen. Andere mussten 500 Kilometer in eine andere Kaserne zurücklegen, zwar nicht zu Fuß, aber immerhin.

   Das erste Zusammentreffen mit dem neuen Kompaniefeldwebel empfand ich eigentlich als ganz annehmbar, nur Turn hatte so seine Zweifel, was dessen Person anging. Er sollte Recht behalten. Aber dazu mehr zu späteren Zeiten.

   Schnell noch die Betten bezogen und die Sachen im Spind verstaut und es konnte zum wohlverdienten Weihnachtsurlaub gehen, mit dieser Einstellung gingen wir an den Stubenbelegungsplan heran. Doch verdammt: Wieder ’ne Achterstube! Und Dabiosch ist auch wieder mit dabei, na das wird lustig... Welche Stube? 27? Das ist doch im Erdgeschoss, oder? Nein, nicht auch das noch! Was, und auch noch zur Straße raus? Wie viel Pech kann man eigentlich haben? Na egal, immerhin waren wir jetzt Gefreite, das entschuldigte so fast alles. Solange man noch nicht wusste, was ein Gefreiter in der 5. zu machen hatte, waren wir guter Dinge.

   So traten wir ein, in die gute Stube und ... was war das? Nein, keine Blumen oder Begrüßungsgeschenke. Am Tisch saß jemand, den ich im ersten Augenblick mit einem Vorgesetzten verwechselt hätte. Bestimmt eine Minute standen wir da und musterten dieses seltsame Gestalt, nicht wissend, ob er uns gleich zusammenscheißen oder in der neuen Kompanie begrüßen wollte. Schon wollte ich eine Meldung machen, als ich zwecks Anrede doch einmal auf die Schulterklappen blicken musste und erkannte: Nicht mal Gefreiter war er, nein, es war ein Fernmelder! Funker Breuher nämlich. ‚Wie kommt ein Funker hierher?’ fragte ich mich noch und wollte eine antwortfordernde Aussage schon an ihn richten, als er sprach: „Ja, hallo, ich bin Breuher. Einer eurer neuen Stubenkameraden... hehe... wer ist Stubenältester?“

Breuhers Trabi
Breuhers Trabi

   Nach dem ersten Schock merkten wir, dass er viel angespannter gewesen war als wir selbst. Wie ein großes Tier, das vor dir viel mehr Angst hat als du vor ihm. Während der Stubenaufbereitung erzählte er uns also seine Geschichte – und er sprach pausenlos! „Äh, ja...“ so war sein Anfang, sein Intermezzo und der Schluss. Dazwischen lagen weitgehend uninteressante Berichte, die uninteressant rübergebracht waren, aber vom Sprecher selbst als unterhaltsam empfunden wurden. Einigen ging er schnell auf die Nerven. Aber eigentlich konnte man es mit ihm ganz gut aushalten. Vor allem seine Karre fanden wir kultig. Vorweg: er kam aus Bautzen, also hinterstes Sachsen, weit jenseits von Dresden und wer da keinen Trabi fährt ist wahrscheinlich ein ‚Zugroaster’. Aber wer zieht schon in diese Gegend? Jedenfalls hatte sein Gefährt noch ein wenig optisch aufgemotzt, so dass er sich durchaus auch auf Trabitreffs sehen lassen konnte. Auch wenn der Spruch auf der Heckscheibe nicht ganz zu seinem Fahrer passte, fand ich „Autos aus Pappe brauchen Fahrer aus Stahl“ schon irgendwie stylisch.

Breuhers Trabispruch
Breuhers Trabispruch

   Was uns allerdings wirklich stank war, dass wir als einzige Stube der Kompanie keinen Fernsehanschluss hatten! Jetzt hätten wir endlich mal die Zeit zum gemütlichen Glotzen gehabt und dann gibt es keine Anschlussdose. Pech muss der Mensch haben. Aber Turn war das nur Recht, so konnte er wenigstens früh ins Bett, weil die anderen alle in jenen Stuben mit Fernseher oder im Kraftraum weilten. Ja ja, auch wir besaßen zwei Irre, die das fast schon professionell betrieben. Bei uns hatten sich zwei gefunden: Dabiosch und Mitgebauer! Was die sich da alles zusammenmixten, war schon nicht mehr feierlich. Mitgebauer nannten wir deshalb später nur noch „Eiweiß“. Er sagte selber mal, wie scheiße sein Zeug eigentlich schmeckt. Aber was macht man nicht alles um Frauen abzuschleppen!

 

Arschkalter Januar

Unser Urlaub, oder besser: „Zwangsurlaub“ zog sich bis zum Achten. Das hieß, nur noch zwei Wochen insgesamt übrig. Aber das fiel uns sowieso erst kurz vor der Ausscheidung auf, insofern machten wir uns also wenig Gedanken darüber. Wir dachten nämlich, es sei Kompanieurlaub, der nicht von unserem üblichen Erholungsurlaub abgezogen werden würde. Wie man sich doch irren kann!

   Zum ersten Antreten in der neuen Einheit schlug uns schon der Name unseres Zugführers entgegen: OLt Freidel. Die ersten Wochen gab er sich noch streng und diszipliniert, aber es waren auch schon erste Anzeichen seiner subtilen Blödelei zu erkennen. Na ja, was will man von einem 26-jährigen Olt auch erwarten, der kaum noch Chancen zum Aufstieg sieht, die Bundeswehr mit einem Karnevalsverein vergleicht und sowieso nur noch ein paar Jahre abzusitzen hat?

   Neben ein, zwei Stuffzen (Därbsch und Krahdsch), die man im Grunde keiner richtigen Einheit zuordnen konnte und einem Oberfeldwebel Paul gab es nur noch die HG’s! (und zwei bald ausscheidende OGs). Allesamt Hauptschule mit entsprechenden Interessen. Reidel, Fleischklopper und Ronneborger. Der einzige von den dreien, der den LKW-Führerschein bestanden hatte war Reidel. Aber der war nie da, weil er immer wieder neue Entschuldigungen fand, sich krankschreiben zu lassen. Nicht, dass man mich falsch verstehe: Ich unterstelle ihm nicht den Willen, sich zu drücken. Aber als 27-jähriger HG und als Vater einer sechsjährigen Tochter hatte er andere Sorgen als sich geistig und körperlich um das Wohl der Kompanie zu sorgen.

   Fleischklopper war der Motor des Zuges. Als Zimmermann fand er sich genau am rechten Fleck wieder in der „PiMasch II“, unserem neuen Zug. Entsprechend viel Einfluss genoss er auch, was Entscheidungen dienstlicher Art anging. Der 19-jährige Fleischberg ... äh Fleischklopper wollte angeblich auch mal einen ’67 Mustang Shelby GT 350 besessen haben, hatte ihn aber wieder verkaufen müssen, weil er mit 320 Sachen durch eine Baustelle gerast war und deswegen seinen Führerschein verloren hatte.

   Der Dritte im Bund der HG’s war Ronneborger. Liegt das Nest nicht gleich hinter Gera? Aber er wusste nichts davon. Sein Alter war nicht genau bekannt. Die Schätzungen schwankten zwischen 18 und 22 Jahren. War aber auch egal, ihm zumindest. Er hatte ohnehin genug damit zu tun sich die neuesten Handys zu beschaffen, weil die angeblich wichtige, neue Funktionen hatten, die man unbedingt braucht. Im Nebenhobby beschäftigter er sich damit seine drei Autos finanzieren. Eines davon musste er seiner Ex bezahlen, keine Ahnung warum. Wahrscheinlich wusste er das selber nicht mal.

   So, genug gelästert, auch wenn’s die Wahrheit ist. Aber auch mit ihnen konnte man sich noch arrangieren. Die richtigen Idioten kamen erst noch drei Monate später.

 

Soviel zu PiMasch II. Das Erste, was man uns klar machte, hieß „Lehrübung Hamburg“ und wir wussten jetzt schon, dass uns das ganz und gar nicht gefallen würde. Vor allem das hämische Grinsen auf den Gesichtern der HG’s und des OLt ließ uns die wildesten Gedankenbilder malen. Doch all das spottete der Wirklichkeit! Denn wir dachten lange Zeit, es wäre eine Art Biwak über ein oder zwei Wochen. Wie hätten wir uns gefreut, wäre es nur das gewesen.

 

Doch zunächst hieß es erstmal: SGA (Spezialgrundausbildung)! Typische Pioniergeräte wollten von uns bedient werden und das mussten wir lernen. Denn immerhin hieß es nicht umsonst „Pioniermaschinenzug“ (PiMasch II). Das war fast gleich zusetzen mit dem Beruf des Straßenbauers, nur dass wir auch noch den restlichen Mist mitmachten wie Waldarbeiter, Sprengmeister, Zimmermann und ganz nebenbei auch Soldat spielen.

   So wurde uns bald schon der wichtigste Arbeitsplatz gezeigt: „die Halle“. Sie bestand aus Wellblech, gespickt mit reichlich Löchern. Man muss sich diese Halle als das genaue Gegenstück einer Thermoskanne vorstellen: Im Winter ist es drin noch kälter, als draußen, weil die Kälte tagsüber nicht raus kann oder was weiß ich. Und im Sommer heizt sich die Luft so richtig schön auf. Aber das wäre ja kein Problem gewesen, hätten wir nicht jede freie Minute in diesem Bau abhängen müssen. Selbst den letzten Zugabend „feierten“ wir dort.

   Der gesamten Januar wurde hier verbracht und wenn es kein Dienstverstoß gewesen wäre, die Soldaten in der Halle übernachten zu lassen, hätten wir sogar darin geschlafen um auch noch die zweihundert Meter bis dorthin einzusparen. Im Moment ging es leider meist nur um das Lernen, so dass man sich kaum warm arbeiten konnte. Das kam erst später, im Sommer.

   So zitterten wir uns durch die Ausbildung, waren froh, wenn wir was machen konnten und die Mittagspause nahe war. Man mag es kaum glauben, aber auch durch bloßes Zittern wird man hungrig. So lernten wir mit der Flex (Winkelschleifer) sachgemäß umzugehen, die Vermessungstechnik brachte uns der OLt persönlich bei (der hatte immerhin Bautechnik studiert, zusammen in Erfurt mit seinen Volleyballchicks), Fleischklopper erklärte uns den Umgang mit dem Holzbearbeitungssatz, der Tischkreissäge und der Kettensäge und diverse andere ausbildende Kräfte vermittelten uns Fachwissen über verschiedene Arten von Bohrhammern (z.B. der Cobra), dem 5kVA (dem benzinbetriebenen Universalmotor), teilweise der 500-kG- Ramme und anderen Gerätschaften. Nur schweißen durften wir nicht. Dazu brauchten wir den Kameraden Stuffz Fux. Die Schlosserin Stuffz Fromholtz (ja, genau die vom Schießen!) und der Baggerfahrer Stuffz (Wieauchimmer) waren auch mit von der Partie. Reidel war übrigens Dachdecker und Breuher Elektriker. Wir hatten also alles zusammen, um eine ganze Stadt zu bauen. Es sollte am Ende allerdings nur eine Brücke werden.

   Von Tag zu Tag wurde es kälter. Wie froh waren wir da über den (im Vergleich zur AGA) frühen Dienstschluss um halb fünf. Meist begaben Turn und ich uns direkt zum Küchengebäude, um das - für uns - Heilige Abendmahl zu empfangen. Zwei Treppen höher ging es dann erstmal zu Kamerad Weigel ins Freizeitbüro. Das muss man sich mal vorstellen: der war Chef von dem Teil und hatte selten was anderes zu tun, als die Geräte zu verwalten, mal was auszugeben und den Rest des Tages vor der Mattscheibe zu sitzen oder sonst was zu machen, was er wollte. Und weil diese Arbeit so anstrengend war, hatte er einen Vorgesetzten, der ihn bewachte (ein baldigst ausscheidender OG), mit dem er sich jeden zweiten Tag abwechselte und erst um elf Uhr - Mittags - anzutanzen brauchte (allerdings dann auch bis sieben abends bleiben musste). Außerdem hatten sie freitags frei, immer. Was für ein Leben! Aber Weigel ließ uns immer wieder wissen, dass es oft gar nicht so genial war, wie es sich auf den ersten Blick anhörte. Warum weiß ich zwar nicht mehr, aber er wird schon Recht behalten haben. Immerhin musste er ja wenigstens mit dem Neid der anderen leben.

   Nach den „Simpsons“ gingen wir dann jedenfalls meistens gleich rüber in unsere Stube, da die Freizeit in diesem Büro nur bis sieben Uhr abends währte, ließen den Tag ruhig ausklingen mit einer warmen Dusche, ein bisschen Gequatsche und natürlich den Radiosongs dieser bewegenden Zeit, besonders dem Radiosender „MDR Jump FM“ (siehe Liste im Anhang), den Mitgebauer immer extra voreingestellt hatte. Mitgezählt hatte dieser MDR-Ableger jeden Tag wohl knapp 50 Lieder zum Abspielen parat gehabt, allerdings ab dem nächsten Morgen wieder die gleichen, nicht dass man noch einen Herzinfarkt vor lauter Abwechslung erlitt. Das wäre für die Jump-Leute fatal, dann könnte man ja kein Radio mehr hören, vor allem nicht diesen wichtigen Sender...

   ... vor dem wir nicht einmal auf dem Minenfeld Ruhe hatten. Hier bekamen wir gezeigt, wie man mit einem total verbogenen, teils verrosteten Eisenstab im 2cm-Abstand nach etwaigen Minen sucht. Nur leider war der Boden noch so stark gefroren, dass man diesen Stab mit einem Stein als Hammer in die Erde würgen musste, um danach festzustellen, dass die Mine sich genauso angefühlt hatte, wie ein Stein oder ein Stück gefrorene Erde drum herum. So kam es auch, dass wir für eine hundert Meter Strecke zwei Stunden braucht, nur um eine sichere Rinne von etwa 30 Zentimetern abzustecken. Deshalb wurde uns auch gesagt, wer in einem solchen Abstand in ein Minenfeld geraten und verwundet worden ist, solle einfach ignorieren und schreien gelassen werden, denn er stürbe schon von selbst!

   Eine weitere tückische Fortbewegungszwangseinschränkung zeigte uns der S-Draht auf. Hierbei handelt es ich nicht um gewöhnlichen Stacheldraht, sondern um ein Höllenwerkzeug mit gekonnt gebogenen, S-förmigen Widerhaken, die sich in allem verhaken, was nicht gleichsam Stahl, glatt und linear gebaut ist. Das heißt, Kleidung reißt auf, Haut fetzt ab, Muskeln zerspringen, Knochen splittern... wenn man es mal ausprobieren wollte.

 

S-Draht: 

                ________                    ________                   ________                    ________

  ____ _____\___/_______________\___/_______      ____\___/____    _ _______\___/__

  /___\__                      __/___\__                      __/___\__                     __/___\__  

 

Daraus sollten wir jetzt diverse Drahthindernisse bauen, wie z.B. den „Spanischen Reiter, wozu wir extra drahtverstärkte Sicherheitshandschuhe gestellt bekamen, die allerdings nicht verhinderten, dass wir dennoch eine Menge Laufmaschen in der Felduniform davontrugen. Wenn du einmal in so einen Reiter oder die noch krasseren Gebilde gefallen warst, hattest du keine Möglichkeit, von allein wieder herauszukommen. Dieser vermaledeite Draht haftete dann wie Kleber an dir. Aber es hat schon Spaß gemacht, diese Teile zu bauen, denn hier gab man uns erste kreative Arbeit nach dem befehlsorientierten Ton der Grundausbildung.

 

„Wachablösung!“

Ja, nun konnten wir zeigen, was wir nicht gelernt hatten. Natürlich ausgerechnet der Oberfeld Oertel ist bei uns OvWa, eine Kampfsau sondergleichen, der am liebsten der Wehrmacht mal gezeigt hätte, wo’s langgeht und dem der Vietnamkrieg zu sehr einem Liebesfilm glich. Das konnte nur passen. Den Wachbefehl hatten wir - ganz klar - nicht auswendig gelernt, die Vorgesetzten kannten wir nicht mal vom Sehen her, geschweige denn ihre Namen (außer dem Oertel) und überhaupt: wir hatten so gut wir keinen Plan von der Sache.

   Also erstmal alles abgelegt, was wir mitgenommen haben mussten: Helm, Schlafsack, Rucksack, Waschbeutel, Barett und Koppel. Denn eigentlich durfte man sich vom Wachlokal, außer zur Streife, dem Torposten und zum Essen nicht wegbewegen. So durfte auch nicht schnell mal was nachgeholt werden, falls etwas vergessen wurde.

   Laut Vorschrift sollten wir die „Militärischen Bereiche gegen unberechtigten Zutritt schützen, Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten gegen die Bundeswehr und verbündetet Streitkräfte verhindern und vor Spionage, Sabotage, Zersetzung und Terrorismus schützen“. Diesen Spruch sollten wir dann dem Wachvorgesetzten unaufgefordert aufsagen. Wenn wir das jedes Mal gemacht hätten als wir ihn sahen, hätte er uns schön angeschnauzt. Man muss nämlich wissen, wann der Vorgesetzte etwas hören will! Ja, am besten ihm jeden Wunsch von den Augen ablesen, aber meistens reichte es schon, wenn er ein paar Sekunden vor einem stehend jemanden anstarrte, bis derjenige begriff, was er zu tun hatte.

   Die meiste Zeit vertrieben wir uns in dem verrauchten Aufenthaltsraum, warteten auf eine Übung oder dass mal ein Vorgesetzter Kaffee gekocht haben wollte und saßen vor dem Fernseher. Die Abwechslung kam dann alle paar Stunden in Form eines Torpostens. Dazu kriegte der Arme dann 8 Schuss und durfte die Autos raus und rein lassen.

   Ein paar Privilegien gab es natürlich auch. So hatte wir beim Essen dann das Recht uns gleich am vorderen Ende der Schlange anzustellen und konnten die Vorgesetzten unserer Einheit, welche gerade nicht Wache hatten, mal zusammenscheißen, von wegen Kleiderordnung – was allerdings keiner machte, da der Wachdienst nach spätestens 24 Stunden auch wieder vorbei war. Was uns dagegen von jedem länger gedienten Kameraden gesagt wurde: „Als Wache stehst du mit einem Bein im Knast! Deswegen im Zweifelsfall immer daneben schießen, ne!“ Toll.

   Natürlich gibt es auch ein paar kuriose Geschichten um den Wachdienst. So soll in Delitzsch ein GWDL sein G3 an einen Baum gelehnt und sich daneben schlafen gelegt haben. Das Gewehr ist freilich umgestürzt und hat ihn das Gehirn raus geblasen. Oder der Wachsoldat, der sich am Grenzzaun einen hat blasen lassen. Der wurde zwar auch erwischt, aber sein Vorgesetzter dürfte recht dumm aus der Wäsche geschaut haben. Was uns mehr Sorgen machte war indes die Mär von dem Gefreiten, der sich auf einen Baum flüchten musste, als er auf Streife von einem Wildschwein überrascht worden war oder der Wachsoldat, der seinen Vorgesetzten erschoss, weil der partout nicht von dem Baum herunterkommen wollte, auf dem er sich versteckt hatte. Natürlich hatte ihn der Gefreite deutlich darauf hingewiesen, hinab zusteigen, aber der andere musste sich ja unbedingt hartnäckig stellen und da der arme Teufel nicht erkannt wurde, wurde er eben erschossen.

   Was davon wahr ist und was nicht, wollen wir mal dem Verstand überlassen zu interpretieren, aber die Streife, die auch wir zu laufen hatten, kostete nicht weniger Nerven. So ging es für mich und Turn, die wir zur Streife eingeteilt wurden auf einer Route los, die niemand anderes als Kamerad Meihn ausgesucht hatte. Entsprechend bescheiden waren unsere Vorstellungen von einer ruhigen Streife. Ausgerüstet mit DF (Doppelfernrohr), Funkgerät, Taschenlampe und G3 traten wir in die Kälte einer Januarnacht um über unsere schlafenden Kameraden zu wachen. Die Route war vorgegeben und an bestimmten Punkten sollten wir uns immer mal über Funk melden, was sich bald als unmöglich erwies, da das Funkgerät keine hundert Meter weit zu reichen schien. Wie wir danach erfuhren, hatten die Vorgesetzten damit bereits gerechnet. Gründlich, wie wir ausgebildet worden waren, liefen wir natürlich auch in Schützenreihe, von Schatten zu Schatten und gaben keinen Mucks von uns. Die Kälte kroch schon durch die ersten Lagen unsere Uniform. ‚Verdammt, zwei Stunden hier draußen rum kriechen für nischt und wieder nischt.’ Diese Gedanken wurden vom Geiste der vorigen Wachsoldaten von mir aufgegriffen und werden sicherlich auch noch von vielen nachfolgenden gedacht werden.

   Irgendwann in der „Agnesruh“ dann stutzten wir. War nicht was gewesen? Ruhe. ... Da! Schon wieder... Dann lief ein Hase vor uns weg und ein Schwarm Wildgänse stob davon. Adrenalin bahnte sich seinen Weg durch meinen unterkühlten Körper. Das dieses Zeug aber auch immer zu spät ausgeschüttet wird!

   Hier war auch ein Funksprechgerät permanent angebracht. Wenigstens wollten wir noch mal Meldung machen, viel Zeit hatten wir auch nicht mehr, die Route abzulaufen. Also schnell weiter. Kaum waren wir an der Tankstelle vorbei hören wir hinter uns eine Art Knall. Wir natürlich erstmal rum, schnell eine Deckung gesucht, Gewehr griffbereit und durchgeladen – und das war dann auch alles! Nach ein paar Minuten absoluter Stille machte Turn endlich Meldung. Die Antwort hörte ich bis zu mir: Lautes Lachen! Danach sprach er noch ein paar Worte und steckte das Gerät wieder weg. Ich erfuhr von ihm, dass es ein „Zischen“ gewesen war. Ein Druckluftbehälter entleerte alle halbe Stunde ein wenig seiner hohen Last. Das musst du erstmal wissen! Auf so etwas wird ein einfacher Soldat normalerweise ja auch nicht hingewiesen.

   Kaum hatten wir uns von diesem Schreck erholt, mussten wir uns wirklich sputen, die zwei Stunden nicht allzu arg zu überschreiten, also schnell noch... Wo ging das jetzt lang? Ah, die HiBa. Also wir an der Hindernisbahn vorbei geschlichen. Die Kälte war nun an unseren Körpern angelangt. So dunkel, wie das hier war, konnte der Vordermann mit der Taschenlampe im Falle eines unvermuteten Angriffs nicht mal zur Waffe greifen. Aber nach Wildschweinen stand diese Nacht wohl nicht der Mond, so bleiben wir verschont, falls wir nicht in die Wurfgruben am Ende der Bahn fielen oder uns sonst wie was brachen. Endlich angekommen hörten wir schon von draußen die Vorgesetzten feixen. War das Funkgerät noch an? Immerhin hatten wir uns unterwegs unerlaubt unterhalten. Nein, es war natürlich wegen der Durchsagen, in denen wir immer wieder aufs Neue eine Gefahr für das alltägliche Kasernenleben gefunden haben wollten. Na wenigstens nahmen wir unsere Mission noch ernst...

 

Diese Woche schoben wir gleich noch mal Wache, fast die gleiche Mannschaft kam erneut zusammen, bevor (für mich) erst mal Ruhe einkehrte. Dieses Mal wurde auf Grund der Kälte die Standzeit vor dem Tor auf eine Stunde reduziert. Das hieß allerdings auch: wir mussten öfter ran. Die beste Zeit dafür ist noch der Morgen gewesen, wenn man was zu tun hatte und die ganzen Ankömmlinge rein lassen musste. Die Zeit in der Mitte des Tages verging immer langsamer bis sie am Nachmittag beinahe gänzlich zum Erliegen kam. Im Wachhäuschen vor dem schlimmsten Wind geschützt standen wir unsere Stunde ab und zählten nur noch die Minuten runter.

   Die Streife sollte ich wieder mit Turn laufen und wieder hatte Meihn uns den Weg ausgesucht. Wir wussten jetzt schon, wo das wieder enden würde. So ging es am äußersten Zaun lang, soweit in den Wald rein, dass wir schon dachten aus dem Kasernengelände geraten zu sein. Hier entdeckte Turn auch seinen Bunker, in den er noch vor Dienstaustritt mal einsteigen wollte. Das Schloss würde er schon knacken.

   Dieses Mal ließen wir es ruhiger angehen, sahen die Sache gelassener, das heißt liefen nicht mehr stur in Schützenreihe, quatschten ein wenig und machten hie und da mal eine Pause. Auch das zischende Geräusch der Tankstelle ließ uns nur einmal kurz zucken und herumfahren. Dafür wurden wir umso länger im T-Bereich aufgehalten. Irgendwas ist da zwischen die Autos gelaufen. Plötzlich liefen wieder die Schreckensszenarien vor meinem Auge ab, in denen feindliche Saboteure aus dem kapitalistischen Ausland zu Infiltrationsversuchen ansetzten..., nein halt, das wäre ein paar Jahre früher gewesen – aber so was in der Art jedenfalls. Trotz dem wir jeden LKW und jeden Panzer absuchten, konnte keiner von uns etwas finden und so ließen wir es unter „Nichts gewesen, nichts gesehen, nichts passiert und nichts geschehen“ bewenden. Das größte Problem am Ende war, von der Krankenstation aus wieder zum Wachlokal zu gelangen, da dieser Weg komplett überfroren war. Und jetzt lauf mal mit deinem geladenen G3 brav unterm Arm über rutschiges Pflaster! Da kann man nicht mal das Gleichgewicht ordentlich halten, ohne aus Versehen einen Schuss abzugeben. Unterkühlt, müde und genervt gaben wir unsere Utensilien schließlich ab, immer in der dunklen Ungewissheit verweilend, ob wir sie denn je noch einmal in Empfang nehmen müssten.

   Ausgerechnet an unserem Wachtag stattete uns der Brigade-General der Pioniere einen Besuch ab, zum Glück stand jedoch Meihn gerade seinen Tor(posten)mann und schlug uns aus dem gröbsten Schlamassel raus. (Was für ein Glück, dass der nicht ausgestiegen ist sonst hätte sich Meihn noch dazu hinreißen lassen ihn mit „Guten Morgen, Herr Major. Heute in Gold?“ zu begrüßen.)

   Die letzte Schicht fiel dann an mich noch ab. Gemeinerweise ist das die, in welcher man die Kameraden müde, aber erleichtert aus dem Wachlokal spazieren sieht, man selbst jedoch noch eine halbe Stunde stehen und warten muss, bis die neue Truppe vergattert worden ist. Die Nachbereitung fällt dabei entsprechend kurz aus. Aber egal, es war das letzte Mal!

   Das letzte, was ich noch vor dem LKW-Lehrgang in der 5. lernte war die Benutzung einer Feldlafette mit dem MG. Turn musste da bleiben, Schießen gehen und auf Biwak Sprengen lernen, weil er den Führerschein erst im Dezember gemacht hatte und somit noch nicht in der Statistik der tauglichen Fahrer der Kompanie aufgetaucht war. Dafür kam OG Ingo Möhring mit, der fast ebenso wenig Fahrpraxis hatte, wie Turn. Dann ging es für mich also endlich erstmal auf Fahrschule nach Delitzsch, als einer der letzten der Kompanie. Und was da abging, will ich natürlich niemandem vorenthalten.

 

Delitzsch – oder wie ich lerne Schrotthaufen zu fahren

„Aller guten ersten Tage sind drei“

Uns wurde zwar gesagt, wir müssten nur das Nötigste an Kleidung  mitnehmen, aber das Nötigste entspricht beim Bund allem. Und plötzlich ohne Ausgehuniform oder Barett dazustehen wollte natürlich niemand riskieren, weder OG Möhring noch ich. Also startete wieder mal die Packerei. Als Möhring spitz kriegte, dass ich mit dem Auto fahren wollte, kam er noch angewinselt. Da wir ja beide nach Delitzsch müssten, wäre es doch sinnvoll, wenn wir uns die Fahrt und freilich auch die Kosten teilen würden, meinte er. An sich fand ich das eine vernünftige Idee. Ein bisschen Gesellschaft konnte nicht schaden, zu zweit ist man weniger aufgeregt und außerdem wollte ich während des Fahrens nur ungern gleichzeitig Karten lesen. Mit diesem Hintergedanken zusagend, fragte er mich auch gleich, ob ich ein Navigationsgerät hätte, sonst würde er von sich eines mitbringen. ‚Hm, worauf will der hinaus? Hat nicht jeder gut vorbereitete Autofahrer einen Straßenatlas dabei?’, dachte ich und meinte gespannt: „Wozu gibt es Landkarten?“ „Ach ja, sorry, hab ich gar nicht dran gedacht“, war seine abwiegelnde Antwort.

   Der Schnee lag immer noch fast kniehoch bis zur Mitte des Unterschenkels und wir nun in unserer Ausgehuniform mit halbhohen Schuhen dadurch. Hätte man für diese Art der Soldatenkleidung nicht auch Stiefel einplanen können? Wäre auf jeden Fall praktischer gewesen, aber das erinnerte wohl zu sehr an die schlimmste Zeit deutscher Armeen. Also parkte ich mittels Sondererlaubnis direkt vor der Kompanie, um das Matschgelatsche so weit wie möglich einzudämmen.

   Vom OLt war mir noch angeraten worden, den Lehrgang möglichst zu bestehen, denn die 5. brauchte unbedingt Fahrer und so viele, wie es bis jetzt schon versaut hatten, da würde es bei einem Strafwochenende für mich nicht bleiben, meinte er. ‚Dann hätte er mir den Schein eben gleich ausstellen müssen’, dachte ich mir und: ‚Bloß nicht unter Druck setzten lassen’. Verladen, abgemeldet, losgefahren. Delitzsch, wir kamen!

 

Zum Verständnis muss ich allerdings dazu sagen:

Wer was auf sich hielt, machte Fahrschule in Leipzig, wie Breuher und staubte am besten gleich noch den BCE-Führerschein ab. Nur die Trottel fahren für einen lumpigen BC in das hinterste Wäldlernest Delitzsch und schlägt sich mit Möhring und Konsorten rum.

 

Weit weg lag es allerdings nicht und deshalb waren wir nach etwa einer Stunde auch schon da. Unterwegs fragten wir uns gegenseitig ein wenig aus und ich hatte das Gefühl, dass die Zeit in Delitzsch durchaus angenehm werden könnte. Möhring war immerhin Abiturient und ich erwartete daher ein wenig Unterhaltung von Niveau, wie etwa mit Kamerad Turn, wenn man abends noch über Gott und die Welt philosophierte und den Geist aus der Kasernenwelt befreien konnte. An Intelligenz sollte es diesem Exemplar hier auch nicht mangeln – nur wie er sie einsetzte bewegte in mir bald eine bis dahin unbekannte Form von Abneigung. Denn er schien seine Klugheit zu missbrauchen, was mir aber nicht zuletzt so vorkommen mochte, weil ich mit solchen Leuten generell nicht gut umgehen kann.

   Hier oben (Delitzsch liegt etwa achtzig Kilometer nördlich von Gera, aber einige Meter tiefer) war der Schnee in Regen übergegangen, was nicht unbedingt erfreulicher war. Möhring hatte vom „Wohnen 2000“ gehört und erzählt, was sonst nur Offizieren vorbehalten war: es beinhaltete Zwei-Bett-Stuben und größere Spinde, ein Bad mit Dusche allein für zwei Stuben und noch ein paar Schränke mehr. Für Bundeswehralltag also eine noble Luxussuite! Immerhin war die ganze Fahrschule ja auch in einer Unteroffiziersschule einquartiert. Dementsprechende Vorfreude trieb uns voran und ließ das graue Wetter bis auf weiteres vergessen. Hier konnte man sogar mit dem Auto auf den Kasernenparkplatz fahren! In Gera war das aufgrund des abnormen Platzmangels nur den Unteroffizieren aufwärts gestattet. Was uns wohl noch alles erwartete? Man durfte gespannt sein.

   Nachdem wir die zivilen Wachposten (noch ein Unterschied zu Gera) gefragt hatten, wo dieses Anmeldungsbüro sei und nach ein wenig Suche mit gleichzeitigem Kennenlernen der Kaserne parkten wir vor einem uns äußerst bekannt vorkommenden Gebäude. Es erinnerte erstaunlich an einen Wohnblock oder ein Schulungsgebäude aus DDR-Zeiten. Man hätte sich ein wenig wie ein NVA-Soldat fühlen können.

   Wir ließen die Sachen erstmal im Auto und schauten uns nach wer weiß was um. Hier schien man alles ein wenig lockerer zu nehmen, mit Ausnahme der Stuffze, die ständig in Grüppchen, geführt von einem Offizier an uns vorbei hirschten. Der Tag, an dem wir ankamen, war gleichzeitig der Prüfungstag für unsere Vorgänger. So traf man auch den einen oder anderen aus Gera wieder und fühlte sich mit einem Male nicht mehr ganz so fremd.

Wohnen 2000
Wohnen 2000 (1)

   Der uns einweisende Feldwebel war kaum älter als wir selbst und auch nicht sonderlich barscher, so dass gleich eine heimliche Atmosphäre entstand. Schnell noch unsere Daten übermittelt und schon starteten wir mit den beiden anderen Stubenkameraden die vierwöchige „Urlaubsunterkunft“. Doch, doch: wirklich erstaunlich. Möhring hatte vollkommen Recht behalten. Wir waren im Wohnen 2000 untergebracht! Zusätzlich gab es noch für jeden (!) einen Sessel, einen Tisch und zusätzliche Schränke im Flur. Der Boden war mit reinigungsfreundlichen Platten belegt, was uns, wie auch den Putzfrauen, die jeden Tag um zehn Uhr die Stuben putzten, sehr gelegen kam. Das muss man sich mal vorstellen: Putzfrauen für Gefreite! Wir mussten im Militärhimmel sein.

   Den restlichen Tag hatten wir frei bekommen, damit man sich einzuleben konnte. So schauten wir uns gleich mal auf dem Gelände um, zumindest auf dem Papier. Denn ein Plan der Kaserne lag mit in der Stube. Als erstes trieb es uns zum Freizeitbüro, aber da gerade Essenszeit anstand (1600) suchten wir doch lieber das Küchengebäude auf. Zusammen mit den beiden Panzergefreiten machten wir uns auf den Weg. Den ersten Offizier, der uns über den Weg lief grüßten selbst die Panzer noch freundlich, aber bald sagte man uns, dass dies hier nicht nötig sei und so kam es, dass zum Schluss selbst ein altgedienter Major nicht mal mehr angeschaut wurde. Nun ja, OLt Freidel hatte mich gewarnt, ich solle die Gepflogenheiten der Heimateinheit nicht verlernen und er hatte Recht: auf Lehrgang war das alles ein wenig anders.

Wohnen 2000
Wohnen 2000 (2)

   Das Küchengebäude erinnerte mich ein wenig an eine der vielen Autogaststättenmonopole, im Gegensatz zum stumpfen Speisesaal von Gera. Das hiesige Essen ließ sich ebenfalls nicht vergleichen mit dem „Fraß“ Thüringer Kasernen. Ich hatte mich zwar nicht darüber beklagen können, aber wenn man hier die ständige Wahl zwischen vier Gerichten (zum Mittag), einem stets reichlichen Obstangebot und genügend, originalen Säften statt diesem Chemiezeug dargeboten bekommt, dann gewöhnt man sich recht schnell an das Bessere. Ich begann mich sogar schon auf die Essenszeiten zu freuen! Nicht nur, weil die Mahlzeiten so üppig daherkamen und ich ab und zu sah auch mal Kamerad Dabiosch sah, sondern weil man auch alle möglichen Arten von Soldaten traf. Von ABC-Abwehr bis Heeresflieger, von Luftwaffe bis Marine war alles vertreten – ein bunter Litzenfasching und manchmal auch Gesichtsfasching, wie Dabiosch so gerne sagte.

 

Die Stubennachbarn schienen auf den ersten Blick ganz in Ordnung: auch alles nur Gefreite, die einen soweit verstanden, wenn es um die dienstlichen Belange ging. Aber freilich hat man nicht immer vom Dienst zu reden und will das auch gar nicht, wenn man sich in der Freizeit immer zwangsläufig gegenüber steht und so begann ich mit Möhring über die Welt zu philosophieren, wobei ich erstaunt war, was er alles an Wissen angehäuft hatte. Zu Anfang machte es noch Spaß mit ihm verschiedene Meinungen zu diskutieren. Doch bald machte sich das Gefühl in mir breit, dass er andere nicht so freiwillig akzeptierte, woraus sich ein erfolgsgekröntes Gespräch hätte entwickeln können. Also beließen wir es vorläufig und für immer bei Nichtigkeiten, z.B. unserer größten Sorge: wann endlich die Simpsons laufen und wie wir sie diesmal sehen würden: in Farbe, ohne Ton oder überhaupt nicht. Möhrings Laptop hatte gewisse eigene Vorstellungen von einem entspannenden Fernsehabend, so dass man nie wissen konnte, was einen heute erwartete. Doch er hatte in weiser Voraussicht vorgesorgt: Filme. Theoretisch hätten wir uns wohl jeden Abend einen reinziehen können, hätte es nicht ein so ausgiebiges Abendprogramm, welches immer einmal was Neues vorsah.

   Die Tage vergingen auf diese Weise ziemlich schnell und auf jeden Fall rasanter als in Gera. Vielleicht lag das daran, dass wir mehr Abwechslung hatten und die Tage nicht ständig gleich aufgebaut waren: wir mussten lernen und uns auf die Endprüfung vorbereiten, konnten auch mal zum privaten Einkaufen die Kaserne verlassen und durch die Gegend fahren oder im kaserneneigene Fitnessstudio trainieren. Es sind eben die Freizeitmöglichkeiten, die das Leben und auch den Dienst versüßen.

 

Die Kraftfahrausbildung…

…verlief ziemlich trocken, zumindest das meiste, was man lernte und sich „Theorie“ nannte. Denn das hatten alle hier schon mindestens einmal in ihrer zivilen Fahrschule durchgekaut, mit Ausnahme weniger Neuerungen, die nun mal immer hinzukommen. Für manche lag es schon länger zurück, für andere muss es wie gestern gewesen sein, dass sie es gehört hatten. So langweilten wir uns teilweise durch die Morgenstunden, wenn wir nicht zuerst mit dem praktischen Teil dran waren, der wesentlich mehr Spaß verhieß.

   Die ersten Tage und Wochen waren wir richtig froh darüber, dass die Halle mit den Mercedes Benz 10-17 oder Magirus-Deutz beheizt waren, auch wenn es eine Weile dauerte, bis sie sich warm gelaufen hatte. Diejenigen, die den Benz erwischten, hatten gewisse Vorteile, was das Fahren anbetraf, aber das nur so am Rande (hehehe…).

   Bevor es allerdings an das wirkliche Fahren ging, wurden Formalitäten geklärt: Wer mit wem fährt, welcher LKW genommen wird, wie ein Fahrtenbuch und Fahrtenscheiben ausgefüllt werden, welches Zubehör zum 10-17 gehört und so weiter. Ich kam mir nebenbei gesagt etwas fehl am Platze vor, da ich als einer der wenigen hier nicht länger diente und somit mein Bestehen von nicht allzu großer Bedeutung schien – jedoch sollten sich meine Befürchtungen als nichtig erklären.

   Am Anfang der praktischen Stunden standen immer erst die Technikerklärungen des Oberfeld. Wenn er es alles zeigte, wo sich was befand und wie es funktionierte, schien das alles recht einleuchtend und man konnte es sogar nachvollziehen. Doch wehe er fragte beim nächsten Mal genauer nach, dann kam das große Stocken. Die Technikprüfung, das machte sich schon in mir breit, würde das Schlimmste werden. Ein Ingenieur würde ich nach dem Bund schon mal nicht werden.

   Wie erleichtert empfand ich es dagegen sachte mit den 5 Tonnen unterm Hintern durch die Gegend zu gleiten. Ein wenig anders ist es schon als mit dem PKW, trotz Servolenkung. Die erste Zeit stellt man sich auch noch ziemlich blöd an was das Beschleunigen, Schalten, Bremsen, vor allem aber das Lenken angeht. Da muss man ja beinahe die Straßenkante mitreißen, damit man ordentlich um die Kurve kommt – und dann immer schön an der Außenlinie fahren, einen Fixpunkt im Fahrerhaus suchen und immer dort behalten, wenn eine Kurve kommt, in sie reinfahren, dann am Scheitelpunkt erst einlenken und so weiter. Außerdem gibt es ja noch die Geschwindigkeitsbegrenzungen für LKW über 3,5 Tonnen auf den Landstraßen: 60 km/h! Da kannst du schon mal einschlafen. Aber dennoch: es hatte seine lustigen Seiten mit dem einen Oberfeld als Lehrer, dem anderen Oberfeld als „Mitschüler“ da drin zu hocken... besonders, wenn man nicht zu fahren hatte, also in der Mitte wie auf dem Präsentierteller saß. Dann konnte man ein wenig dösen, die Landschaft bestaunen oder einfach nur entspannen.

   Man glaubt es kaum, aber auch wenn die zivile Fahrschule bereits ein wenig zurücklag, fühlte man sich doch wieder wie ein Anfänge und machte mitunter sogar die gleichen dussligen Fehler.

 

In der Theorie gab es natürlich solche und solche Lehrer. Manchen konnte man stundenlang zuhören und für sich auch etwas mitnehmen, bei anderen fiel der Kopf schon auf die Bank, wenn sie nur reinkamen. Auf der letzten macht sich das gut.

   Auch unterschied die Art der Lehre unseren Aufmerksamkeitsgrad, oder zumindest meinen. Die allgemeinen Verkehrsregeln kannte man ja schon, da wartete ich immer noch gespannt auf was Neues. Die Militärischen Vorschriften interessierten da eigentlich überhaupt nicht. Wenn Technik anstand begrub ich meinen Verstand gleich unter der Müdigkeit. Das war mit Abstand das Schlimmste. Manches verstand man nach der dritten Wiederholung ja gerade noch so, aber den Rest, was Zweikreis-Bremssystem, Kühlwasserbetrieb, Servolenkungsantrieb, detaillierte Motorfunktion, Kupplungsmechanismus und die ganzen Filterreinigungen anging, konnte ich bestenfalls auswendig lernen. Nicht, dass es mich nicht interessiert hätte, aber den ganzen Kram ohne jegliche Erfahrung in vier Wochen zu verstehen war doch ein bisschen happig. Die Dinge wie Radwechseln, Fehlersuche am LKW oder Sicherheitsherstellung im Falle eines Unfalls konnte ich mir wenigstens noch bildlich vorstellen. Was war ich zu diesem Zeitpunkt nun froh, nicht auch noch die Anhängertechnik mitzulernen.

 

Alltägliches Fahrerleben

Da die meisten hier einen Beruf gelernt hatten, hielt man es für selbstverständlich, ein Gebiet für sich reserviert zu haben oder wenigstens mit anderen darüber zu fachsimpeln. Nun, als es für mich an der Reihe war, zu sagen, was mein Fach war, verwies ich mit der Annahme nicht weiter gefragt zu werden auf „Abitur“. Leider stocherten die meisten weiter. So gab ich eine der vielen vagen Zukunftsvision an, die mir so vorschwebten: Medizinstudium. Mein mitlernender Oberfeld meinte zuerst: „Du bist wohl Arzt?“ „Sorry, muss Sie enttäuschen, soweit bin ich noch nicht.“ Dann war ich eben der zukünftige Höhlenforscher, weil man gleich vom ärgsten ausging: Gynäkologe. Spätestens bei „Doc“ als Kürzel meiner Person blieb es dann aber. Am Ende artete es zwar in „Doccie“ (oder Doggy) aus, aber da nahmen wir sowieso alles nur noch scherzhaft. Allerdings sollte später Möhring statt meiner der Arzt werden, wie ich neulich vernahm.

 

Unsere Stube hatte sich vorgenommen, in den vier Wochen hier wenigstens eines zu erreichen: Muskelaufbau. Wenn man schon die Prüfung versaute, sollte man doch bitte noch was anderes mitnehmen. Außerdem war das Freizeitbüro schon wieder geschlossen. Also zogen wir es durch, fast jeden zweiten Tag ins kaserneninterne Fitnessstudio zu schreiten. Viel brachte es zwar nicht, aber in vier Wochen kann man leider keine Wunder erwarten. Denn nach der Fahrschule verschwand das Phänomen „Muskeltraining“ sehr schnell wieder und außer einem kleinen, guten Vorsatz blieb nichts davon übrig. Nur die Technik, die brannte sich mir ein. Ich hatte anscheinend soviel falsch gemacht, dass sich ein paar beherzte und erfahrene Kraftraumgänger (man sah es ihnen ganz einfach an) durchrangen ihre Erfahrung ein wenig weiterzugeben – vermutlich, weil sie das Leid nicht länger ertragen konnten.

   Die Kaserne in Delitzsch hatte für mich dagegen immer einen besonderen Reiz: Das flache, weite Land, einen Hauch Norden und die teilweise unrenovierten DDR-Gebäude gaben dem Ganzen die nötige Nostalgie. Die typisch weit auseinander stehenden Kiefern auf sandigem Boden fehlten zwar, doch wenn man über den Wald schaute, fiel einem das gar nicht weiter auf. Zudem hätte man glauben können, dahinter läge wirklich die Ostsee.

   Die Heimfahrten (obwohl es nur vier waren) blieben mir als Highlight der Woche im Gedächtnis, nicht nur, weil es nach Hause ging. Man erlebte auch so ein paar Sachen, angefangen damit, dass ich mich jedes Mal woanders verfuhr. Das weitreichenste Erlebnis dieser Art war unangefochten die Verwechslung der A14 mit der A9. An sich müsste man es bereits nach einigen Kilometern bemerken, wenn man falsch fuhr. Doch muss ich so in Gedanken und die Gegend da oben so egal gewesen sein, dass mich die völlig fremden Orte auf den Ausfahrtsschildern nicht weiter verwunderten. Nur das Wetter wurde immer undurchsichtiger. Schnee und Eis bildeten schon Schichten auf meiner Windschutzscheibe. Im Radio berichtete man über eine Schneefront, die von Sachsen gen Osten zog. Die musste aber schnell vorankommen, waren so meine Gedanken zu den Meldungen. Schon musste ich am nächsten Parkplatz anhalten, die Eiskruste von den Scheibenwischern kratzen. Was für ein Wetter! ... Diesen Parkplatz kannte ich noch gar nicht, war ich denn hier wirklich richtig? Jetzt schaute ich erstmal auf die Karte. Irgend so ein Nest war mir von einem Ausfahrtsschild noch im Kopf und das suchte ich nun auf der Karte. Nichts. Als ob es gar nicht existierte. Das konnte doch nicht sein! Also ins Inhaltsverzeichnis geschaut. Ja, da war es, kurz vor Dresden! Scheiße, so weit gefahren und nicht mal bemerkt! Aber nächste Abfahrt auf die A4 rüber konnte nicht weit sein. Gerade hatte ich noch den Tonträger auf dem Parkplatz gewechselt um das nicht während der Fahrt im Schneetreiben machen zu müssen, als die Scheibe nach drei Minuten schon wieder komplett zugefroren war. Also wieder raus und das Eis abkratzen, scheiße, war das ein Wetter! Von vorn, von hinten, von allen Seiten kam der Schnee schon beinahe gegossen. Bald wusste man nicht mehr, ob man noch neben dem Gefährt stand oder schon nach Sibirien abgedriftet war und kaum hatte ich die Tür gefunden und saß ich wieder drin, war die Scheibe schon wieder zu! Zwar fuhr ich nun in Richtung Heimat und dem Unwetter davon, doch sah ich bald ein, dass meine arme Seele bereits mitten drin steckte und so kam es mir vor als fuhr ich dem Schnee hinterher, bis ich irgendwann allein auf der linken Spur mein Dasein fristete und diese von einer geschlossenen Schneedecke kaum noch zu unterscheiden war. Nun, an einem gewissen Punkt schlägt Sauersein dann auch mal in Einsicht um und ich reihte mich bitter in die Schlange der 110-Fahrer ein. Noch knapp zwei Stunden sollte es dauern, bis ich endlich zu Hause ankam – die längste Heimfahrt von Delitzsch überhaupt.

   Zurück nach Delitzsch kämpfte ich mich förmlich durch den Schnee. Die Kaserne lag unter einer dichten Schicht des weißen Pulver. Doch wieder fühlte ich mich in einer unheimlichen Weise zuhause.

 

Zwei längere Fahrten waren in den Fahrstunden mit eingeplant, mal abgesehen von den Nachtfahrten. Die erste verschlug uns in der Kolonne nach Gera. Tja ja, die haben vielleicht Augen gemacht, als ich abends auf einmal an ihrem Tisch im Mannheim saß und mein Schnitzel futterte! Zuerst dachten die HGs noch, ich wäre (wie sie selbst) vorzeitig wieder nach Hause geschickt worden, weil ich es versaut hätte. Diese Schadenfreude konnte ich dann in ihren Augen doch nicht erkennen. Eher taten sie so, als würden sie erschrocken darüber sein, mich so schnell wieder ertragen zu müssen.

   Das nächste Mal Nachtfahrt führte mich wiederum in bekannte Gefilde: denn die Kaserne von Bad Frankenhausen stand an. Von Delitzsch aus musste man dazu den Kyffhäuser überqueren und die Strecke dahin führt über ein kleines Nest – nicht weiter interessant, nur das ich zufällig genau am Haus meiner Großeltern vorbei fuhr. Der Oberfeld meinte zwar, wir sollten bei ihnen einen Besuch abstatten, aber da wir in der Kolonne unterwegs waren, hielt ich das weniger für eine gute Idee. Er hätte es mit Sicherheit gemacht, er rannte ja auch im tiefsten Winter mit kurzärmliger Feldbluse herum. Aber ich fand, dass man die eigene Familie ja nicht auch noch mit ins Militär hineinziehen müsse.

   Die berühmten Serpentinen des Kyffhäusergebirges schließlich inspirierten meinen „Mitschüler“ Oberfeld Nr. 2 dazu von seinen eigenen Motorraderfahrungen zu plaudern. Noch ging es los damit, dass ja bald wieder das Wetter für „uns Freaks“ ausgebrochen wäre. Doch langsam (ebenso schnell, wie der 10-17 den Berg hinauf kroch) arteten seine Berichte in blanken Wahnsinn aus. Zwar weiß ich nun nicht, was davon wahr oder was gelogen war. Doch stockte mir sprichwörtlich der Atem, als er davon sprach, wie er mit 320 Sachen über die Landstraße preschte. „Klar“, meinte er lässig, „wenn mich da was erwischt, bin ich die längste Zeit Moped gefahren. Aber der Spaß ist es wert.“ Nun ja, was ein echter Jäger ist, der zagt nicht vor dem Zeitlosen. Glücklicherweise schafft es der 10-17 gerademal auf satte 92 Sachen in der Stunde. Man, war ich froh, keinen AY-Schein für die „Hercules“ zu machen! Doch diese langen Fahrtentage haben in mir das Gefühl der Straße aufleben lassen. Die Kraftfahrer aus Passion werden wissen, was ich meine.

 

Leipzig galt als Hauptprüfungsort, Delitzsch weniger. Durch seinen Wust an Einbahnstraßen hätte es sich wohl auch wenig dazu geeignet. Wenn du im Zentrum am Markt angekommen warst, konntest du nicht mehr raus, weil dich nur noch Einbahnstraßen umgaben. Dadurch sollten wir auch eher in Leipzig LKW fahren üben. An einem Tag, als wir in Leipzig unterwegs waren, passierte es doch, dass der Fahrlehrer fast panisch (und das musste bei seinem gelassenen Gemüt schon was heißen!) aus dem Fenster in den Rückspiegel starrte und meinte: „Halt mal schnelle an und wenn’s vor der roten Ampel da is. Ich sehe dahinten einen blauen Fetzen am Heck, nicht, dass wir noch einen überfahren haben!“, stieg aus und kam erleichtert schlendernd zurück: „Doc, du hast nicht zufällig vergessen den Staukasten mit den Blaumännern abzuschließen, oder?“ Verdammt! Er hatte Recht. Ich erinnerte mich just wieder daran, kein Schloss gefunden zu haben und hatte gehofft, dass es so schon halten würde. Nun, sein saures Gesicht wandelte sich ziemlich schnell und bald hatte er eine neue Geschichte zu erzählen.

 

Zu den Prüfungen

Ich weiß nicht mehr, wie sehr ich das Abi gefürchtet hatte, aber diese Prüfungen waren mir jetzt schon ein Graus. Der OLt rechnete mit meinem LKW-Schein, ich durfte ihn nicht enttäuschen! Abgesehen davon musste ich die 5. aus Gera verteidigen, die in Delitzsch für ihre Durchfallquote schon berüchtigt am Schwarzen Brett hing und außerdem war ich doch nur deswegen überhaupt zur Bundeswehr gegangen statt mir im Zivi die Eier zu schaukeln... Es half nichts, je öfter ich mir diese Argumente vorhielt, umso nervöser wurde ich nur. ‚Am besten gar nicht dran denken.’

   Jeden Freitag gab es Tests, die wir für unseren eigenen Lernerfolg ausfüllten. Irgendwie hätte ich so regelmäßig nicht bestanden! Das weckte in mir dann schon ein wenig das Gefühl von Hilflosigkeit, mehr noch Verzweiflung. Aber: „Erst wenn ein Pionier aufgibt, ist der Krieg verloren.“ Und während meine Stubenkameraden in der Disko verweilten bis sie früh wieder zum Antreten mussten, schlug ich mich mit Prüfungsfragen rum. Derart viel habe ich glaube ich noch nie gelernt, so ausdauernd kannte ich mich gar nicht.

 

Die gefürchtetsten Tage kamen also am Ende. Glücklich wer am ersten der beiden Tage drankam und alles bestand. Denn den zweiten Tag noch abzuwarten, während alle anderen schon ihren Schein sicher haben, ist die härteste Prüfung. Drei davon waren nach der erfolgreichen Theoretischen noch durch zu stehen: die Einweisertätigkeit, die Technikprüfung und die Fahrt. Ersteres war mein Favorit, das habe ich sogar gern gemacht. Die Fahrt sollte zwar ein gefürchtetes Hindernis sein, doch auch das überstand ich gut. Das dümmste war wirklich die Technik. Nun gab es auch noch zwei grundverschiedene Prüfer, so in der Art „Guter Bulle, Böser Bulle“. Vorab: Ich bin beim ersten Mal nicht durchgekommen und rate, wen ich erwischte...

   Jemand aus der Nachbargruppe teilte mein Schicksal und so mussten wir uns abends abermals hinsetzen und die Technik pauken, während die meisten anderen bereits in Heimfahrtträumen schwelgten. Also gut, dann halt noch mal. (An dieser Stelle Dank an den Kameraden, der sich mir noch zur Verfügung gestellt hat als unterdessen schon gefeiert wurde, der Name ist mir leider entfallen.)

   Der nächste Tag brachte die Entscheidung. Der Prüfer war derselbe wie gestern. ‚Verdammt! Verflucht sei der Segen der Heiligen Scheiße’ schoss es mir durch den Schädel. Er erinnerte sich an mich. „Na, fangen wir doch mal mit einem Scheinwerferlampenwechsel an.“ Seine Stimme gefiel mir nicht, sie klang so großkotzig. Ich fühlte, dass mein Fahrlehrer, der Oberfeld, dem Herrn Oberarsch gesagte hatte, dass ich das noch relativ gut könne. Doch wenn der neben mir stand, ging gar nichts mehr. Erstmal musste ich Ruhe bewahren. Das Handbuch durfte man benutzen und das tat ich auch. Trotzdem war ich noch sichtlich so unsicher, als ob ich es zum ersten Mal machte. Irgendwann hatte ich es dann sogar hingekriegt, während mein Oberfeld versuchte, den Prüfer von mir ein wenig abzulenken und in ein Gespräch zu verwickeln – gewiefter alter Fuchs! Die Zweifel waren dem Schriftführer jedoch ins Gesicht geschrieben. 

   „Als nächstes die Kühlungsfunktion bitte erklären.“ Nun, das Thema hatten wir gestern schon dran gehabt. Aber ich wusste heute genauso wenig. Ich fing also an, was mir aus dem  Lehrbuch einfiel und was er mir gestern nach dem Reinfall noch erklärt hatte. Es schien ihm nicht genug zu sein. Plötzlich packte mich aber die blanke Wut: Konnte es denn sein, dass die anderen - obwohl nicht gelernt - eher bestanden als ich, dass Regelschüler einen LKW-Führerschein bekamen, ein Abiturient dagegen technisch unbegabt war, dass die 5. wirklich nur Nieten hervorbringt und letztlich, dass ich es trotz lernen nicht schaffte, Möhring und Konsorten zu übertreffen? Ich redete mich über die Kühlung in einen solchen Rederausch (jetzt fielen mir auch wieder ein paar Dinge ein), dass ich hätte sagen können, was ich wollte, der Prüfer stand nur noch daneben und wusste nicht weiter. Nach einer Weile gab er mir zu verstehen, dass es gut sei und fragte noch etwas über die Kabinenabsenkung. Die Theorie dazu genügte ihm jedoch und ich war erlöst. „Ja ja, meine Schüler haben immer noch etwas in der Hinterhand“, meinte der Oberfeld grinsend zum Prüfer, der stumm den Schein ausfüllte. Als Herr Oberarsch die Halle verlassen hatte, sagte er mir: „Da haben Sie sich aber durchgemogelt! Na egal, bestanden ist bestanden.“ Ich wusste, ihm kam es darauf an, wie man mit dem Ding fährt, nicht wie man die Klapperkiste zum Fliegen bringt.

 

Die Nacht verging feuchtfröhlich. Nicht wegen der Partys! Noch immer lag eine Schneeschicht in der Kaserne, so auch auf den Fensterbrettern. Nach ein paar Bier (und wahrscheinlich wieder Disko) waren meine Mitbewohner so zu und des Rausches unterwürfig, dass sie der schiere Übermut der Kinder überkam und sie diesen Schnee zu Bällen formten, mit Gummibärchen spickten, die überall herumlagen und den Korridor entlang dem schlafenden Pionier ins Bett warfen. Ich wusste, sie standen unter Alkoholeinfluss, doch Mitleid konnte ich dennoch nicht für ihre Seelen empfinden, wenngleich ich wusste, dass dies das einzige Gefühl sein konnte, dass ihnen zustand. In dem Moment allerdings kam es bei mir nur zu Hass. Hatte ich ihnen nicht einen Fahrer gespielt, als sie immer mal wieder Bier kaufen wollten? Hatte ich nicht Möhring mitten in der Nacht vom Bahnhof geholt, die Bettklamotten noch drunter, weil kein Bus mehr fuhr? Hatte ich nicht jeden Scheiß mitgemacht, ihre nächtlichen Tanzaktionen mal ausgenommen und ihre Kapriolen ertragen? So wurde es einem gedankt.

   Am nächsten Morgen erfuhr ich dann, dass Möhring die Prüfung nicht geschafft hatte. Heimliche Schadenfreude konnte ich gerade noch so verstecken, wenn ich es andersherum auch ungerecht fand, als ich den Grund erfuhr: Der Prüfer soll gesagt haben, Möhring hätte zwar keine verkehrsrechtlichen Fehler gemacht, führe dafür aber zu unsicher. ??? Nun, der Prüfer hat die Gewalt und in der Bundeswehr wird der Fahrlehrer als Oberfeldwebel gegen einen Prüfer als Hauptmann, Major, Oberstleutnant oder gar Oberst kaum etwas sagen. So blieb Möhring also noch zwei Wochen länger. Mir war es ganz recht. Nicht nur, dass dies eine unpersönliche Rache für ihn darstellte. So hatte ich auch zwei Wochen Ruhe vor ihm, bevor ich mich in Gera wieder mit ihm rumschlagen musste. Er übrigens ärgerte sich auch nicht gerade darüber, so waren ihm zwei weitere Wochen Luxus à la Delitzsch vergönnt. Seinen Liebling, Oberfeldwebel Oertel, hatte ich immerhin schon wieder am Hals, dessen Typ einen absolut gehorsamen Staatsdienern am besten beschrieben wird.

   Noch ein paar Stunden auf die Aushändigung des Bundeswehrführerscheins mussten wir warten, bevor es endlich raus ging – zur Heimatkaserne. Die Sachen waren bei allen bereits gepackt, Stubenabnahme bei mir kein großes Problem, da Möhring noch weiter machte. Selbst am letzten Tag schafften wir es nach dem Essen nicht mehr, in das Freizeitbüro einzudringen. So kam es, dass wir es niemals betraten. Ein letztes Mal würde ich das Gefühl auf der A9 haben, was mein Mitschüler Oberfeld so treffend beschrieb: „Wie tief man sich doch immer vorkommt, Freitagmittag, wenn es mit dem eigenen Auto nach hause geht. Du denkst, dein Arsch kehrt die Straße.“

 

Nach dem Abschiedsfoto schleppte ich wieder mal die zentnerschweren Taschen und den Seesack runter zum Auto, dieses Mal jedoch mit einem erleichterten Hecheln unterwegs. Möhring hatte noch gemeint, man könne an diesem Tag auch eigenmächtig Heimaturlaub nehmen und erst morgen wieder antreten. Ich entschied mich dagegen, auch weil ich mich im Grunde verdammt auf Gera freute. Warum? Kann ich nicht sagen. Den nächsten Monat genoss ich einfach nur, auch wenn das wohlige Gefühl nach ein paar Tagen wieder nach ließ als der Alltag einkehrte.

   In Gera dann noch schnell den OLt gesucht und sich bei ihm angemeldet, sagte er auch schon: „Ah, auch wieder da. Schön, dass Sie sich den Tag nicht eigennützig frei genommen haben. Das rechne ich Ihnen an. Aber sagen Sie erstmal: bestanden?“

   Etwas stolz meinte ich: „Würde ich es mich sonst wagen, Ihnen unter die Augen zu treten?“

Aber er verstand es als richtige Antwort auf seine Frage.

 

März allerlei

Gleich am nächsten Tag sollte ich eigentlich in die MAN 5-, 7-, 10-, 15-Tonner, den Wolf und den Unimog eingewiesen werden, was ich auch einen Tag lang mitgemacht habe. Aber irgendwie hatte der OLt wohl nicht so früh mit mir gerechnet, also nicht damit, dass ich bestehen würde und so hatte er mich auch nicht dafür vorgesehen. Durch das ganze Chaos vor der „Übung Hamburg“ allerdings wusste mich keiner so recht einzuordnen und so bestritt ich den ersten Tag mit den anderen LKW-Leuten. Immerhin lernte ich so noch, Schneeketten bei einem LKW aufzuziehen, was besonders wichtig werden kann, wenn man mal im Winter stecken bleiben sollte und noch dazu alleine ist!

   Das Glücksgefühl darüber bestanden zu haben und wieder „zu Hause“ zu sein hielt noch an, doch an die Geraer Küche musste ich mich erst wieder gewöhnen. Dafür wurde ich in Delitzsch einfach zu sehr verwöhnt. Genauso wie mit den Zusatzdiensten. Denn nun stand auch wieder GvD auf dem Plan. Den ersten verschlief ich glatt mal. Denn der UvD war so nett gewesen und hatte mich in meinem eigenen Bett schlafen lassen, anstelle des versifften Teils in der UvD-Stube. Da musste ich mir was anhören am nächsten Tag – allerdings von den Kameraden und nicht vom Vorgesetzten. Aber immerhin wusste er während des gemeinsamen Dienstes interessante Geschichten vom Kosovo zu berichten. Ein wenig wunderte es mich, warum er trotz der Gefahr damals hinunter gegangen war. Jeden, den ich danach gefragt hatte und der auch in Afghanistan stationierte war, konnte mir keine genaue Antwort darauf geben. Klar, viele haben es aus Geldgründen gemacht. Denn 92 Euro extra am Tag sind ja auch nicht zu verdenken.

   Im Gegensatz zum ersten Mal GvD in der 5. hatte ich allerdings heute meinen Spruch geübt. Denn ich wollte kein zweites Mal riskieren, von einem OvWa vor den Rekruten rundgemacht zu werden, weil ich den Spruch halb abgelesen hatte. Ansonsten läuft so was entspannt ab. Nachts hast du eine Menge Zeit das Nachtsendeprogramm zu studieren, denn Fernseher ist mit drin, im Übernachtungsangebot. Und da laufen nicht nur Dokus! Die Wachrundgänge im Januar damals hatten mich fasziniert, da gerade Neuschnee fiel, über die schlafende Pionierkaserne. Vielleicht war es das gewesen, was ich in Delitzsch vermisste und weswegen ich dieses seltsame Glück empfand wieder hier zu sein. Die Nächte gingen eigentlich viel zu schnell vorbei. Am Tag herrscht immer Hektik, erst nach 1630 wird es ruhiger. In der Dunkelheit schafft man dann einiges mehr, wenngleich man mit der Müdigkeit kämpfen muss, die zwischen zwei und vier besonders stark einsetzt. Aber dafür gibt es ja die Rundgänge. ‚Lieber einmal zu viel gelaufen als eingeschlafen.’

   Die unwirklichsten Dinge fallen einem in dieser Zeit ein, halb schlafend, halb wachend. Immer wieder dachte ich beispielsweise an den ersten GvD noch in der 7., als ich zusammen mit einem Rekruten aus dem 2. Zug den Ersatz der eigentlich Diensthabenden schob und der mir die ulkigsten Dinger erzählt hat, vor allem von Oberfeld Scheibe. Wegen ihm hatte er noch in den letzten Wochen den KdV-Antrag gestellt, weil er es offensichtlich nicht länger ausgehalten hatte, obgleich er auch wusste, dass KdV-Anträgler besonders gepeinigt wurden.

 

Waffen-TMP

TMP – „Technik- und Material-Prüfung“. Für Waffen. Das stand die nächste Woche auf dem Programm, während die anderen der Kompanie auf vollen Touren für die Lehrübung schufteten. Womit ich nicht sagen will, dass unsere Arbeit ein Zuckerschlecken war, oh nein. Aber es war etwas anderes, mit vielen Möglichkeiten etwas abzustauben. Unter anderem hätten wir ein ganzes MG mitgehen lassen können, als in der Mittagspause keiner zur Aufsicht eingeteilt war. Man hätte es nur zerlegt im Spind aufbewahren müssen oder noch vor Ende der Pause in einer Tasche hinaustragen und dort irgendwo verstecken – das hätte an der Wache garantiert niemand gemerkt! Aber was soll ich schon mit einem MG aus Weltkriegszeiten zu Hause? Meine Feinde niedermähen? Dafür sind mir die Kugeln dann doch zu teuer.

   Die TMP-Mannschaft bestand aus einem Hauptmann, einem Oberstabsfeldwebel, einem 20-jährigen Feldwebel und einem Gefreiten – soweit das Team der Auswärtigen. Nun zu den Gastgebern. Die standen mit drei Gefreiten diesem Führungspersonal ziemlich armselig gegenüber, gaben sich aber keinesfalls geschlagen (außer was Meihn anbetrifft, da dieser schon bald wieder wichtigere, Top-Secret-Aufträge vom OLt bekam).

   Den ersten Tag dieser wichtigen Woche verbrachten wir mit Warten. Bestimmt vier Stunden überließen uns die Auswärtigen dieser Position, was keinesfalls schlecht gewesen wäre, wenn wir nicht ständig Gefahr gelaufen wären einzuschlafen. Vor einem Hauptmann mit versammelter Mannschaft kommt das nicht so gut…

   Mit dem Anrücken der Herrschaften stellte sich der erste Schockzustand ein: das waren ja Bayern! Allesamt. Gut, der Gefreite ließ sich kaum blicken, war auch etwas komisch, hatte wohl nicht recht Lust mit den Leutchen hier durch die Weltgeschichte zu gondeln und Waffen zu kontrollieren, aber das konnte dem seltsamen restlichen Trio nichts an seiner Komik nehmen. Der zweite Schock folgte bald, als die Kontrolleure nach kurzer Sichtung der Lage beteuerten, fast alle Waffen von uns gereinigt lassen zu sehen – das komplette Arsenal der Kompanie und wenn es nach ihnen ginge auch gleich des gesamten Bataillons. Was jedoch durch das Wissen gelindert wurde diese „Menschen“ lediglich eine Woche auf dem Hals zu haben. Mehr Zeit war ihnen bei uns nämlich nicht bemessen.

   Also schleppten wir Kisten. Die einen, aus der Waffenkammer (im 2. Stock) in den Waffeninspektionskontrollraum (hoch, in den 4. Stock), die anderen wieder runter. Etwa 150 G3, G36 und MG. Jede dritte verlangte, gereinigt zu werden! Dazu mussten wir erst einmal lernen, mit diesem Spielzeuggewehr namens G36 umzugehen, weil wir nur das gute alte G3 aus den 50ern gewohnt waren. Der Oberstabsfeldwebel leitete uns dazu an, der Feldwebel hörte genau zu und lernte, der Gefreite… war nie da und der Hauptmann – tja, was machte der eigentlich? Im Grunde saß er ständig vor seinem Laptop und hörte Musik, wenn er uns (als Abiturienten) nicht irgendwelche Rechenaufgaben stellte.

   Von hier oben hatte man allerdings einen wunderherrlichen Ausblick auf das Gelöbnis der Nachfolgegeneration – auf diese armen Schweine, die AGA im Winter machen durften. Ach ja, das erinnerte doch wieder an unser Gelöbnis. Mein Gott, ist das lange her! Was in der Zwischenzeit alles passierte…

   Am meisten schwitzten wir jedoch noch beim Herabschaffen der Waffengestelle. Die Dinger waren verdammt schwer und mussten über die Treppe bzw. die Tür gezirkelt werden, ohne die Gewehre aus ihrer wackligen Position scheppern zu lassen.

   Bei der folgenden Geschichte bin ich mir im Nachhinein nicht mehr sicher, ob ich es geträumt habe oder ob es wirklich passiert ist. Denn die Woche war hart, viel Schlaf gab es nicht und Traum und Wirklichkeit können dabei leicht miteinander verschwimmen:

Der letzte Tag dieser erstaunlich langen Woche bedeutete die MG’s und G36 in einen Kleintransporter zu laden und diesen 300 Meter weiter (am Schulungsgebäude) wieder auszuladen. Es hieß, dort sollten sie in einem extra bereit gestellten und präparierten Raum vor hohen Offizieren ausgestellt werden. Nur frage ich mich, ob die hohen Offiziere der Bundeswehr noch nie ein Gewehr in den Händen hatten? Ich meine: möglich wär’s, zutrauen würde ich dieser Armee wirklich alles. Während wir (wer sonst?) also hinter dem Transporter hergelaufen und nun wieder dabei waren die Gerätschaften auszuladen, sah Turn seine Gelegenheit gekommen, ein lange geplantes Vorhaben endlich in die Tat umzusetzen. Noch begriff ich nicht, was er damit meinte. Doch als er die Decke der Kisten zurückriss und nach einem Reinigungsset griff, erkannte ich seine dunklen Gelüste. Noch mal schnell umgesehen, ob auch keiner zu sehen war und vor allem uns nicht sehen konnte und schon hatte er eine fast neue G36-Reinigungskette in seiner Hosentasche (für die sie später auch bestimmt war) verschwinden lassen. Was für ein Glück dabei aus seinen Augen strahlte! Jetzt musste nur noch irgendwie erklärt werden, dass die Kette während des Ausladens „verloren“ gegangen war. Immerhin waren die nicht auf Vollständigkeit geprüft worden …

   … denn nachdem wir alles in dem Raum des Schulungsgebäudes ausgebreitet hatten, wie uns gesagt war, zählte der Oberstabsfeld noch einmal durch. Wir beteten schon zu… Generalinspekteur und Wehrbeauftragter Robbe (passenderweise das ganze Gegenteil von der Vorstellung eines Bundeswehrsoldaten: schwul, ehemaliger Zivi, Jude bzw. Vizepräsident der Deutsch-isrealitischen und Beiratsmitglied des American Jewish Commitee), dass er nicht uns verdächtigte, doch erstaunlicherweise fand er in jedem Set eine Reinigungskette. Schon schaute ich Turn schuldbewusst an, dachte bereits, er hätte sie vorläufig wieder hineingelegt. Er allerdings zog sie ebenso schuldbewusst ein Stück aus der Tasche und gab mir zu verstehen, er wüsste selbst nicht was hier vor sich ging. Nun, umso besser – für uns und den Bund. Nach Dienstschluss begutachteten wir die Beute und teilten sie (fast) gerecht mit dem Bolzenschneider. Anscheinend hatte es eine Kette zu viel gegeben und bevor sie ausrangiert worden wäre, haben wir die Entsorgung übernommen.

 

Kaserne Gera im Frühling
Kaserne Gera im Frühling

Richtig zu tun bekamen wir die letzten Tage, bevor die neuen Gefreiten anrückten, allerdings im Innendienst. Denn es mussten alle Stuben geputzt, Bettwäsche verteilt und Ausrüstung, wie z. B. Kleiderbügel und Spindschlösser verteilt werden. Theoretisch hatte man uns zur Erledigung dieser höchst dramatischen Aufgabe einen Vormittag eingestanden, der sich jedoch bis zum Nachmittag des nächsten Tages ausdehnte. Denn von anfänglich vier Gefreiten sind durch andere Arbeiten drei mit der Zeit abgesprungen, angefangen natürlich mit Meihn. Er musste angeblich den Rechner des OLt verpacken, für Ingolstadt! Selbst Turn wurde wegbeordert. Nun denn, genoss ich eben die sagenhafte Stimmung in dem ganzen Komplex fast allein zu sein und ungestört meiner Arbeit nachgehen zu können – was für friedliche Stunden mitten in einer Armeekaserne während des Dienstes! Nicht einmal der GVD konnte es so ruhig haben. Jetzt, als der März die ersten Knospen sprießen ließ (dieses Jahr war alles etwas früher dran, wie die Jahre vorher und nachher auch) und der Blick auf den Sonnen beschienen Wald die Stimmung um glatt drei Isobaren anhob, sah ich auch den Glanz dieser eigentlich unschönen Zeit, das Radio sanft im Hintergrund dudeln, worauf nicht Jump zu hören war… So gelang es mir schließlich Gedanken heraufzubeschwören, die weit ab von dem Treiben um mich herum in eine ganz andere Zeit die Seele davontrugen, mich gänzlich… „WINTER!“ riss es mich aus diesen Tagträumen, „Wann zur Hölle werden sie mit dem Kram hier endlich fertig! Das kann doch nicht so lange dauern, Herr Gott!“ Kurz benommen von dem jähen Ende der inspirierenden Gedankenwogen entgegnete ich jedes Mal auf die gleiche Frage mit der simplen Antwort, dass es sich allein nun mal nicht so schnell arbeitet, wenn man zwei Flure mit Stuben neu bestücken musste, worauf der Stuffz (meistens war es einer) wieder abmarschierte und ich mich für ein paar Sekunden schuldig fühlte, bis ich wiederum in die Vorstellung von unberührter Natur versank, wieder ungestört arbeiten konnten und für eine Zeit lang keine unsinnigen Befehle bekam. Unsere eigenen Stuben hatten wir ein paar Tage vorher bezogen, nun endlich eine Vier-Mann-Stube, allerdings mit Meihn (und Mitgebauer) zusammen, Breuher dagegen musste nach einigen Protesten zu den HG’s wechseln. Wofür dieser ewige Stubenwechsel nur gut gewesen sein soll? Na wenigsten schliefen wir nun nicht mehr zur Straßenseite raus und mussten uns nicht ständig gegen das einfallende Laternenlicht abschirmen. Allerdings kamen wir durch Ingolstadt kaum in den Genuss, diese herrliche Aussicht zu genießen und außerdem war die Heizung defekt.

   Den Genuss, auf der Hierarchieleiter endlich nicht mehr der letzte zu sein, musste ich schon am ersten Tag begraben, da ich mich als gefürchteter Obergefreiter nicht ganz so gut zu machen schien. Breuher hatte dagegen mehr Erfolg in einer allerdings eher ungewollten Rolle. Der erste (noch) Pionier salutierte gleich vor ihm und machte fein Männchen. Verdenken kann ich’s dem Jungen nicht, wäre mir ja selbst fast passiert, als ich ihn zum ersten Mal gesehen hab. Nur dass er „Jawohl, Herr Gefreiter“ gesagt haben soll, zeugt doch von Respekt vor der neuen Einheit (und von Schauergeschichten über die 5. Kompanie).

 

Highway to Hell … und nach Ingolstadt

Der letzte Erste Tag

So. Lange wurde nur darüber geschrieben, jetzt wurde es ernst. Die Pionierlehrübung „Hamburg“ in Ingolstadt lief am 3. April 2006 endlich an. Ich will es mal so beschreiben: Wenn man auf dem Weg zur Hölle ist, muss man durch sie hindurch und noch ein Stück weiter den Totenkopfmarkierungen folgen, um irgendwann an den Flammen und Dämonen vorbei nach Ingolstadt zu gelangen. Dann ist man dort, wo sich nicht einmal der Teufel hineintraut, der Keller des Hades zuzusagen. Wer nun immer noch nicht weiß, wo das ist: es liegt in Bayern.

   Die Rucksäcke und Reisetaschen waren gepackt, die Verpflegung abgeholt und die LKWs aufgetankt. Zwar gab es noch Streitereien darüber, ob man den Schlafsack mitnehmen sollte oder nicht, doch wie wichtig solche Kleinigkeiten wirklich waren, wurde uns erst vor Ort klar.

   Schön mittig in der Marschkolonne fuhr ich mit Ronneborger in meinem 10-17 / 881 dem Ort der Verdammnis entgegen. Die Normalgeschwindigkeit war auf 70 km/h festgesetzt (Autobahn) und Aufholgeschwindigkeit auf 80 km/h. Das ist schon elend langsam, wenn man 400 Kilometer damit zurücklegen will. Die Route wurde uns vorab mitgeteilt. Trotzdem hoffte ich nicht durch eine rote Ampel oder sonstiges von der Kolonne getrennt zu werden, da ich im Falle des Falles mich wohl kaum dorthin gefunden hätte. Wir hatten ja nicht mal ’ne Karte. Bei einer Pause hieß es: zuerst das Material, dann der Soldat. Also erstmal den linken Außenspiegel festgeschraubt, ohne den ich bis hier fahren musste (danach ist er allerdings wieder nach innen umgeklappt), Bremsdruck prüfen und aufbauen, Staufächer überprüfen, Halteleinen der Planen nachzurren und natürlich das übliche Prozedere mit Keilen unterlegen, Fahrtenbuch und Papiere verstecken und jede Tür einzeln abschließen. Wieder unterwegs hielt das Drecksteil von einem Außenspiegel natürlich wieder nicht mehr und Ronneborger musste das Lenkrad übernehmen (Beachte: Keinen Führerschein!), während ich aus der Werkzeugkiste des Fahrgasthauses mit dem Schraubenschlüssel den Außenspiegel festzog. Der Ruf der Bundeswehr dürfte dadurch zwar etwas gelitten haben - wer es zufällig im Vorbeifahren gesehen hatte - aber das war immer noch besser als nach hinten blind zu fahren. So viel zu den theoretischen Anforderungen der Technikprüfung und der Alltagspraxis. Letztere lehrte mich allerdings, dass Reparaturen selten lange halten, denn der Spiegel war bald schon wieder verrutscht, jedoch ließ ich es dabei. Brauchte man eh nicht… Verdammt, eigentlich schon, aber egal. Es waren ja nur noch 200 Kilometer. Ronneborger lenkte mich zudem mit seinen (sinnlosen) Geschichten ab, über den Garten, den er mit einem Kumpel gekauft, der ihn damit aber allein gelassen hatte und den er nun selbst bewirtschaften und Pacht zahlen muss – zusätzlich zu seinen drei Autos und vier Handys. Was seinen MP3-Player anging… so konnte man die Musik (außer „In Extremo“, weil die so dermaßen laut aufgenommen waren) seltenst verstehen, allein wegen der Motorgeräusche direkt unter unseren Sitzen. Immerhin wurde so ein Ablenkung davon hergestellt hinter immer dem gleichen Objekt ein paar Stunden genau hundert Meter Sicherheitsabstand einzuhalten, woran mich HG Ronneborger auch oft genug peinlich genau erinnerte.

   Dann erreichten wir diese Stadt. Ingolstadt. Die Kaserne lag keine hundert Meter von der Autobahn entfernt. Bereits eine Masse an anderen Fahrzeugen auf dem zum Parkplatz umfunktionierten Hubschrauberlandeplatz vorfindend konnte nun endlich mit der Arbeit begonnen werden. Zunächst hieß es dazu den Eingang des uns zugewiesenen Gebäudes vom Laub des vorigen Jahres zu bereinigen, während der andere Teil der Mannschaft sich um die Betten und Bestuhlung der Stuben zu sorgen hatte, was soweit klappte, dass wir am Ende des Tages wenigstens jeder eine Matratze hatten, wenn es schon keine Bettwäsche, Stühle, Spinde oder Tische gab, außer dem bloßen Metallgestell mit einem versifften Stück Schaumstoff. Generell sahen die Stuben auf den ersten Blick eher wie Knast aus als Soldatenunterkünfte – noch schlimmer als in Gera! Aber das alles wäre noch zu ertragen gewesen, wenn wenigstens warmes Wasser vorhanden gewesen wäre und die Heizung funktioniert hätte. Stattdessen glich sich die Temperatur innerhalb des Baus klimatisch dem Außenbereich an, was ungefähr 0 Grad Celsius entsprach. Wie bereuten wir es jetzt die Schlafsäcke nicht mitgenommen zu haben! Die Zeltbahn ausgerollt, den einen Sportanzug blau als Kopfkissen und den anderen als Decke, alles angezogen, was wir hatten verbrachten wir kältestarr und müde die Nacht. Die alleinige Hoffnung auf eine warme Stube am nächsten Tag ließ uns nicht erfrieren. Doch damit wurden wir enttäuscht. Denn auch tags darauf gab es kein warmes Wasser, weder für die Dusche noch der Heizkörper wegen. Das einzige, was man uns gnädigerweise zugestand war die dringend ersehnte Bettwäsche.

 

Aller Anfang ist schwer

In Woche Numero eins spielte sich das Leben hauptsächlich vor dem Gebäude ab. Dort musste weiter aufgeräumt, hergerichtet und Holz angeschafft werden. Am Ende und sogar bis Mitte des nächsten Sieben-Tage-Zyklus bekamen wir den Übungsplatz kein einziges Mal zu Gesicht. So wandten wir an was uns vorher gelehrt wurde und sammelten Holz im Wäldchen gleich nebenan bzw. versuchten uns an der Kettensäge und schnitten es für den Zugabend und den Feuerplatz zurecht.

   Die Kettensäge war der beste Freund dieser zwei Soldaten, welche sich aus reiner Freude über das Anziehen der Schutzbekleidung entzückten, die zumindest eine schützende Wärme für den Körper versprach. Wer dies nicht hatte, drängte meist darauf in der Sonne arbeiten zu können, denn trotz April blies ein eisiger Wind durch die Kaserne. Besonders in der Frühe, wenn es zum morgendlichen Imbiss ging, fror man sich regelmäßig richtig schön in den anstehenden Tag. Vielleicht schmeckte das Essen auch deshalb besser in Ingolstadt, eben weil allein die Wärme des Küchengebäudes ein wohliges Gefühl verhieß. Doch selbst das hielt nicht lange an. Bald wurden nämlich die Köche der Thüringer Pioniere nachgeholt, was eine akute und leider später auch chronische, man könnte schon sagen eine pathologische Verschlechterung der Mahlzeiten nach sich zog. Noch aßen wir immerhin drinnen zu Mittag. Denn nicht einmal das war die ganze Zeit gesichert.

   Die Tage in jener Woche gingen sehr langsam vorüber. Des Abends legten wir uns bald schlafen, den langen Tagesrhythmus waren wir noch nicht gewohnt. Selten zockte Fleischklopper auch mal seine Kriegsspiele. Fernsehen gab es selbst für die HG’s nicht. Ende der Woche bekamen wir sogar warmes Wasser, womit man sich auf etwas am Abend freuen konnte. Auch wenn wir nicht viel schwitzten, weckte eine warme Dusche doch wieder den einen oder anderen Lebensgeist.

   In der zweiten Woche änderte sich anfangs nicht viel. Noch immer überwogen die Tage, die wir noch hier sein mussten, gegenüber denen, die schon vorüber gezogen waren. Daher fasste ich mit Kamerad Breuher einen Plan: nach Feierabend sorgten wir für ein wenig Beschäftigung und wurden Stammgäste im Mannheim um ein schönes Feierabend-Weizen zu kippen. Dabei ein wenig den Bildschirm hinterher geschaut, ließen wir den Tag entspannt ausklingen. Breuher als FWDLer hatte dabei freilich etwas mehr Kapital zum Ausgeben in den Taschen und bereitete sich regelmäßig ein zweites Abendbrot. Doch den Wirt sollte es nicht weiter stören. So ein richtiger, uriger Bayer sieht höchstens zu den Soldaten noch mehr zu schröpfen.

   Nun war auch der Zeitpunkt gekommen das Übungsgelände kennen zu lernen… und es präsentierte sich von seiner matschigsten Seite. Mitten im Wald lag ein kahl geschlagener Platz, auf dem eine Art Holztribüne stand. Sonst fand man, wo keine Bäume mehr standen, Schlamm. Noch war er nicht völlig aufgetaut. Aber das sollte sich noch erledigen.

Der Repräsentationsbereich für Gäste
Der Repräsentationsbereich für Gäste, Panzerkekse und Knoten, Festzeltbrunnen

   Damit beschäftigt „Panzerkekse“ zu legen (also metallene, sechseckige Verbundplatten), verbrachten wir die Stunden zwischen Frühstück und Mittag sowie zwischen Mittag und Abendbrot. Wie gesagt, so denkt ein Soldat. Obwohl wir lieber arbeiteten als Pausen zu machen, da man während der Pausen immer so schrecklich auskühlte. So nahmen wir auch gerne mal zehn Reihen der 22 kg schweren Eisenplatten wieder heraus, weil sie für den Hauptmann zu schief gelegt waren, verlegten sie in der gleichen Weise wieder, rupften sie erneut weg, weil das  Loch in der Mitte vergessen worden war und erfreuten uns der geleisteten Arbeit. Mehr denn je kam bei diesen Aktionen der Gedanke auf der letzten Mannschaft anzugehören, die diesen Schwachsinn hier vollführte und der Wunsch endlich mal was Sinnvolles zu schaffen. Doch dieser Wunsch sollte in der Gesamtheit der Übung nicht erfüllt werden.

   Als die Kekse gelegt waren, hatte der PiMasch II vorerst nichts zu tun, was hieß, wir teilten uns auf, um den anderen Zügen bei der Arbeit zu helfen. Im Auftrag vom OLt sollte sich auch geeignetes Material für unsere Holzbrückenkonstruktionserneuerung „finden“. Dafür hielten wir auf dem Gelände nach langen, stabile Holzbalken oder Stahlträger Ausschau. Denn unsere Brücke war die einzige, die noch vollständig erhalten, aber auch die einzige, die aus Holz gebaut war. Die Materialsuche war wie für mich geschaffen, denn endlich hatte ich einmal Gelegenheit mir dieses riesige Gelände genauer anschauen zu können. An der PiMasch I angekommen sah ich - natürlich - die Kameraden um Dabiosch Pause schieben. Auf die Frage was sie heute (es war fast Mittag) schon alles vollbracht hätten, kam heraus, dass sie nichts gemacht hatten. Was konnte ich auch anderes erwartet haben? Hatte ich auch nicht. Die MGB (Medium Gider Bridge) machte jeden Tag das gleiche, indem sie ihre Faltbrücke übten aufzubauen. Den FBB (Faltfestbrücke) hatte ich nie wirklich zu Gesicht bekommen und der EOC (Kampfmittelbeseitigung) war aufgrund ihrer Nutzlosigkeit bei dieser Übung der noch viel unnützeren KpFü (Kompanieführung) zugeteilt.

''Mein'' 10-17
''Mein'' 10-17

   Ansonsten stand ich meist bei meinem 10-17 und wartete darauf, dass jemand von den anderen Kompanien kam und was aus dem Pionier-Geräte-Satz brauchte. Doch sollte ich darauf achten, dass mir auch alles wieder zurückgeben werde. Denn Fleischklopper musste, laut eigenen und oft wiederholten Warnhinweisen, letztes Jahr allen Zügen x-mal hinterher rennen, um „seine“ Werkzeugsätze wieder vollständig zu bekommen. Allerdings schaute selten mal jemand vorbei. Die ganze Zeit draußen stehen und in der Kälte den Arsch abfrieren wollte ich derweil jedoch auch nicht. So ließ ich den Motor an und die Heizung auf volles Rohr arbeiten. Es dauerte jedes Mal eine Viertelstunde, ehe das kleine Fahrerhaus aufgewärmt war. Oh wie ich fluchte, wenn dann doch mal jemand angeschissen kam! Lange konnte ich den Motor auch nicht laufen lassen, da der Dieselverbrauch jedes Mal im Fahrtenbuch festgehalten werden musste. Derweil war Kamerad Turn immer gefragt, denn war er der einzige, der die Pi-Geräte-Ausbildung vollständig abgeschlossen hatte und somit berechtigt war eine Kettensäge zu führen. Wenngleich die meisten anderen das gleiche gelernt hatten, durfte nur er sie auch benutzen.

 

Bis freitags hatte jeder so seine eigenen Möglichkeiten gefunden, den Feierabend zu verbringen: Fleischklopper zockte an seinem Laptop Kriegsspiele (als ob er nicht schon genug Soldat war), Reidel und Ronneborger gingen meistens einen trinken, Meihn tat schloss sich ihnen meistens an, Mitgebauer ging trainieren und mixte sich seine Energie- und Aufbaudrinks und ich… tja, ich bildete mich meistens mit wissenschaftlichen Zeitschriften. Soviel zu unserer Stube. Von Breuher ist schon einiges bekannt über seine Freizeitaktivitäten, Turn ging einfach früh schlafen, meist gleich nach Dienstschluss und was die restlichen Gefreiten anbetrifft… wen schert’s?

   In der Stube war schon so einiges los, was dumme Sprüche und unglaubwürdige Geschichten anging. Meist konnte ich mich raushalten, Meihn wurde stattdessen dumm gemacht, oder auch mal Ronneborger. Doch was meine Beschäftigung anging, meinte Fleischklopper seiner Zeit nur:

   „Wissenschaftszeitungen! Man kauf dir doch mal eine ordentliche Zeitschrift, wie Ronneborger zum Beispiel“ (zu Ronneborger) „Hast du eigentlich immer noch das FHM-Abo?“ und hielt mir einen der Playboys unter die Nase. Aber das verflog schon bald, wahrscheinlich verschuldet durch mangelndes Interesse meinerseits, das ich auch ausgiebig zur Schau stellte.

   Mitgebauer mit seinem Topf voll „Proteine“ dagegen hatte schnell den Namen „Eiweiß“ weg und konnte besser damit aufgezogen werden. Sein Fitnesswahn nahm ja auch schon unkontrollierte Züge an. Er sagte selbst mal, dass er den Obstsalattrank, den er sich mit dem eigens mitgebrachten Mixer herstellte, zum Kotzen fand, aber es nun mal runterkippen musste, aus Gründen der Fitness! Nun ja, man kann alles übertreiben.

 

Der ist doch krank!

Wie gewohnt verließen wir das Truppenübungsgelände in Ingolstadt Freitag früh in Richtung Gera und ins Wochenende (manchmal sogar schon Donnerstagabend). Übers Wochenende mussten wir nicht unten bleiben. Nun, es war ja auch die Bundeswehr und nicht die NVA, wofür ich im Grunde dankbar war.

   Die vierte Woche sollte jedoch erst Montag beginnen, nicht, wie gewohnt schon Sonntagabend – was mir sehr recht war, da sich das Wochenende über die anfängliche Erkältung in einen wunderbaren grippalen Infekt entwickelte. Ich schätze, dass mir dieses Rumstehen und Warten am Ende den Rest gegeben hat, zusammen mit dem Stress und zu wenig Schlaf. Also Montagmorgen erstmal krank gemeldet. Der Hauptfeld muss wohl darauf gedrungen haben, dass ich als erster drankam, denn üblicherweise kriegt man den Termin erst so gegen Mittag, so dass ich die Möglichkeit erhielt eventuell doch noch mit nach Ingolstadt zu fahren. Doch mein Eindruck muss dem zuständigen Arzt wohl so sehr imponiert haben, so dass ich natürlich „krank auf Stube“ erklärt wurde – und das in einer Kompanie, deren Soldaten fast komplett auf Übung unterwegs sind. So saß ich ausgerechnet an meinem 20. Geburtstag allein in der Viermannstube saß und auf die nächsten Tage wartete, um dem Herrn Stabsarzt mal etwas von Genesungsumständen zu erzählen und endlich doch noch nach Hause geschickt zu werden. Denn wäre es wohl besser wenn ich mich daheim auskurieren könnte, da in unserer Kompanie nicht mal ein Wasserkocher zum Aufgießen meiner Inhalationslösung zu finden war. Bis dahin mir nur das Warten… auf die nächsten Tage, auf das Abendessen, auf das nächste Lied des MP3-Players. Ich konnte tun, wonach mir der Sinn stand und dennoch war ich gefangen.

   Zwei Tage später also wieder hin, in die Sanitätsstation und wieder wurde nur Inhalieren und kaS verordnet. Langsam begann ich Zweifel zu hegen und zu verzweifeln. Das konnte doch nicht gut sein, für einen Kranken in seiner Stube völlig zu versauern! Andererseits konnte ich auch schlecht sagen ‚Lassen sie mich nach Hause, hier habe ich nicht mal einen Fernseher und weiß nicht was ich machen soll’, denn normalerweise ist auf jeder Stube ein solches Gerät vorhanden, nur eben bei uns nicht. Da wir in unserer Kompanie nicht mal einen Gemeinschaftsraum mit derlei Ausstattung besaßen, war wirklich absolute Stille anzutreffen. Ich spielte schon mit der Idee, wenigstens abends zum UvD zu gehen, um dort ein wenig Ablenkung zu finden. Aber: eigentlich hatte ich es doch genau so gewollt, wenn ich mich richtig erinnerte. Sogar empfand ich es als zu wenig Zeit, um alles das zu machen, was ich schaffen wollte. Nur griff hier die extreme Form von Entscheidungsschwierigkeit, da ich mich in der Situation befand normalerweise in Ingolstadt mit meinen Kameraden zu schuften und nun unberechtigterweise nichts tat, während mir diese Schuldgefühle in einer anderen Kompanie sicher nicht gekommen wären. So freute ich mich regelrecht, als immer mal ein Stuffz oder Gefreiter rein kam und sich erkundigte, ob ich denn arbeitsfähig sei.

   Die einzige und wichtigste Aufgabe der Kompanie zu dieser Zeit stellte sich also im Herrichten der Stuben zur Vorbereitung auf die Übernachtung eines Radsportvereins. Nun gut, warum auch nicht. Dafür sollten alle Betten neu bezogen und die Stuben gründlichst gesäubert werden. Ja, gesäubert, wo es sonst doch hieß: ‚Sauber wird es nie‘, man könne nur reinigen. Was also für ein Anspruch an uns gestellt wurde! Aber irgendwoher kannte ich das… Den Gefreiten, die mir jetzt dabei halfen, hatte ich doch auch schon die Lebensgrundlage in dieser Kompanie geschaffen, war sozusagen ein alter Hase in diesen Dingen. So machten wir uns ans Werk und kamen auch ganz gut voran, wenn auch der eine oder andere ab und zu mal ausfiel (weil dies ja ein Haufen kranker Soldaten war) und nach Hause geschickt wurde oder den ganzen Tag in Gotha oder Leipzig verbrachte. Ein Kamerad ist sogar in Ausübung seiner Pflicht gefallen – nämlich aus der oberen Hälfte des Doppelstockbettes, woraufhin eine weitere Sicherheitsstange angebracht wurde, um ihn vor weiteren Ungeschicklichkeiten zu bewahren.

   An sich waren die Stuben alle recht gut in Schuss, immerhin wurde täglich von den Vorgesetzten darauf geachtet. Doch als wir die eine bestimmte betraten, welche die obligatorische Ausnahme bildete, hätten wir am liebsten eine Kasse davor gestellt und Eintritt verlangt: Eine Achtmannstube von oben bis unten, von links nach rechts voll geklebt mit Ausschnitten aus FHM, Matador, Playboy, Maxim, usw.! Tja, nun. Was sollten wir machen? Es melden und uns den Frust der Kameraden aufhalsen (weil ohnehin klar war, dass wir das entfernen mussten) oder Anschiss kriegen, wenn sich die jungen Mädchen des (Rad)sportvereins über ihre Kameradinnen an der Wand beschweren? Die Entscheidung lag schließlich beim Abnehmen der Poster, was mit gewissen Verlusten an der Menge verbunden war… ein kleines Honorar will man ja auch mitnehmen.

 

Das Warten machte echt blöde. Da nützte es auch nichts, dass der Verteidigungsminister mir einen Besuch abstattete und Verständnis entgegen bringen wollte – abgesehen davon, dass ich lediglich seinen Hubschrauber am Fenster einfliegen und ein paar Stunden später wieder ausfliegen sah. ‚Der war auch nur zum Essen hergekommen’, dachte ich mir – und verwarf den Gedanken gleich wieder ‚Da hätte er sich wohl eine andere Kaserne ausgesucht!’. So hoffte ich weiter auf einen guten Ausgang am Donnerstag, der letzten Möglichkeit vorzeitig von hier zu verschwinden.

   Als mich der Stabsarzt nun wieder in dieser Bude einsperren wollte, wurde es mir zu bunt. Ich schilderte ihm endlich doch meine haarsträubende Situation in allen schmutzigen Einzelheiten – und war erstaunt darüber, als er sagte: „Hätten sie das doch früher gesagt! Dann könnten sie schon seit Tagen zu Hause sein!“ Das setzte dem Fass doch die Krone auf! Wie dreist kann – nein, muss man eigentlich sein, um es zu etwas zu bringen? Auf jeden Fall um Längen dreister als ich es war. Denn einem Bundeswehrarzt muss man als kranker Soldat offensichtlich genau sagen, was er zu tun hat.

   Mit diesem Bescheid in der Hand machte ich mich zur Kompanie auf. In Erwartung baldigen Abfluges wurden meine Schritte immer schneller, bis ich fast an der Wache vorbei rannte. Doch mein dummes Gefühl sollte mich auch dieses Mal nicht enttäuschen, denn erstmal musste jemand vor Ort sein, der meinen Wisch auch autorisierte und die waren alle in Ingolstadt, selbst der Stellvertreter! Auf die Frage, wann denn wieder jemand verfügbar sei, bekam ich nur ein allgemeines Achselzucken. Niemand wusste, was mit der Führung war. Na toll! Und so was nennt sich „straff organisiert“. Das hätte uns mal im Krieg passieren müssen. Nach Ende des Dienstschluss erschien dann wenigstens der Stellvertreter des Stellvertreters und erklärte mir: „Was, nach Hause wollen Sie?“, schaute auf den Zettel: „KzH? Ne, bevor ich so etwas genehmige, müssen Sie schon bis morgen warten.“ Frust machte sich in mir breit. Am liebsten hätte ich ihn mit dem Stück Papier erdrosselt. So wartete ich also genehm des Herrn Hauptfeldwebels auf das Ankommen der anderen aus Ingolstadt, bzw. sie warteten auf mich als sie am nächsten Tag endlich in Gera waren und nach Hause mitgenommen werden wollten, weil dieser Krankenschein erst noch bestätigt werden musste, was wohl das gesamte Wochenende in Anspruch genommen hätte, falls sich auch wirklich alle der Kompanie damit befassten. So ließ ich mich mit OLt Freidel verabschieden, ging nochmals im GeZi vorbei, und ließ beim gerade hinausstürmenden Spieß noch mein KzH ratifizieren, nicht dass ich deswegen nächste Woche erneut warten musste.

   Zwar war die Nasennebenhöhlengeschichte danach noch nicht richtig ausgeklungen, aber bevor ich mich ein weiteres Mal dieser Prozedur für einen Krankenschein unterzog, wollte ich eine Woche später lieber mit nach Ingolstadt und erklärte dem zuständigen Arzt Montagmorgen noch schnell, dass ich fit genug wäre, um wieder mit zu fahren. Der fragte nicht lange nach (was wiederum mangelndes Interesse bzw. mangelnde Kompetenz beweist) und ich fuhr mit der bereits wartenden Kompanie doch endlich mit. OLt Freidel war es recht, er brauchte immer LKW-Fahrer, sonst hätte er wohl auch nicht gewartet.

 

Jetzt geht’s erst richtig los

Da war ich nun, wieder zurück, bei meiner Einheit. Mittlerweile hatte es auch andere Kompanien hierher verschlagen und so traf man ab und zu Parzel und andere alte Bekannte wieder. Ansonsten schlug mir die ersten Tage erstmal ein kalter Wind entgegen – aber nicht aus Ingolstadt sondern von Seiten der Kameraden. Freilich sagte man, ich hätte ein Woche Sonderurlaub gehabt, was wohl auch nicht ganz verkehrt ist, doch irgendwie war die Grundstimmung gedrückter, was wahrscheinlich daran lag, dass man längere Zeit hier unten ausgehalten haben musste als ich. Selbst Breuher ging seltener mit ins Mannheim und so kam es, dass ich des öfteren allein mein Bier trank. Generell schlug seine Stimmung seltsamerweise ins Aufgebrachte um. Hm, komisch.

Abgehangene Stube
Abgehangene Stube

   Turn hatte sich während meiner Abwesenheit (und mit Bräulers Hilfe) selbst verstümmelt, indem er sich einen Baumstamm oder Holzbalken auf den Fuß hat fallen ließ, die Stuben hatten nun endlich Stühle (außer für mich, weil ich während der Verteilung dieser Luxusgüter nicht zugegen sein konnte), die Fenster unserer Stube waren mit Zeltplanen verdeckt – wegen der einfallenden Strahlen des Sterns, der die Erde erhellt (ja, Soldaten werden erfinderisch, wenn es um Bequemlichkeit geht) und die Gefreiten waren aufmüpfig geworden. Na wenigstens schien jetzt ordentlich die Sonne, so dass wir uns schon bald mal wieder einen entsprechend ordentlichen Frost wünschten, der am nächsten Morgen auch schon immer bereit stand, auf uns wartete und den Mittag herbeisehnen ließ. Ein ewiger Kreislauf eben.

   Was die Gefreiten angeht, so hatte Dreimann (der schlimmste von allen und Epizentrum der Antiautorität) die HG’s beschimpft und runtergeputzt, was an sich nicht weiter schlimm gewesen wäre. Weil er (und andere) aber selbst die Vorgesetzten angeschissen und die ihnen übertragenen Aufgaben ständig in Frage stellten, hatte der Hauptmann bald genug und verdonnerte ihn zu (angeblich) 500 Euro Geldstrafe. Dreimann, seines Zeichens Rebell, lachte drüber und es änderte sich zunächst nichts. Erst ziemlich am Ende, als es auf die Vorstellung der Übung zulief, hielt er sich ein wenig zurück. Jetzt hatte er eine dauerhafte Aufgabe und das Ziel vor Augen diese dümmste Zeit seines Lebens schneller rumzukriegen. Vielleicht wurde es ihm auch nur zu langweilig sich über jeden Mist aufzuregen.

   Bis dahin lief der Tag jedoch immer gleich ab. Nur dass abends jetzt so lange gearbeitet wurde, bis die Aufgaben erledigt oder die Sonne untergegangen war. Und selbst der Sonnenuntergang schreckte manchmal nicht ab, als noch im Flutlicht der angebrachten Scheinwerfer das Gerüst für eine Brücke aufgestellt werden musste, so dass es schon mal bis abends um zehn dauern konnte. Wenn jedoch der Arbeitstag für uns eher zu Ende ging, was wesentlich häufiger vorkam, war bis zwanzig Uhr Sport angesetzt. Und das nach dem Abendessen! Da ging es dann entweder zwei bis drei Runden um den See gleich neben der Kaserne oder auf immer mal wechselnden Wegen durch Ingolstadt. Na dann: Currahee! Alles in allem jeden Tag etwa 7 bis 10 Kilometer. Vor meinem „Sonderurlaub“ namens „kaS“ war ich gut dabei. Zusammen mit Breuher und Turn war es auszuhalten und hat sogar Spaß gemacht. Aber jetzt, noch die Krankheit in den Knochen, konnte ich kaum mithalten. Zwar liefen wir noch weit vor den anderen. Aber es fehlte mir nicht mehr viel mein Abendessen wieder zu sehen. Das war eine echte Prüfung für den Willen – durchzuhalten und sich nicht zu übergeben. Dafür kam ich an unerlaubten Pausen jedoch nicht vorbei. Erst ab Mitte der zweiten Woche pegelte sich meine Ausdauer langsam wieder ein. Doch da hatten wir keine Zeit mehr für den Sport.

   Wenn der OLt guter Laune schien, kam es auch vor, dass wir mal Basketball spielten. An Volleyball oder Fußball war dagegen nicht zu denken. „Die Gefahr, dass sich mir einer verletzt, ist viel zu hoch. Letztes Jahr hatten wir deswegen nur noch acht Leute im Zug.“, so lautete jedes Mal seine Argumentation. Rückblickend stand das Laufen für den angenehmsten Teil des Tages. Nicht nur weil man wusste, dass der Tag damit zu Ende war und wir ihn von der Liste der restlichen zu überstehenden streichen konnte. Das eigene Tempo und die ungezwungene Natur bzw. das Reden mit den Mitlaufenden lenkte die Gedanken vom Stress ab, der sich dafür körperlich umso mehr zeigte.

   Abends wurde bei uns gezockt. Dann saßen Meihn und Reidel zusammen vor dessen X-Box und fieberten um die Wette bei ihrem Fantasy-Spektakel, das in Form eines Videospiels bestaunt werden konnte, während Fleischklopper weiter seinen Kriegsspiele fröhnte. Wenn man gerade mal nichts zu tun hatte (was ziemlich oft vorkam), war es eine ganz nette Unterhaltung zuzusehen – jedenfalls mehr als mitzubekommen, dass ein völlig harter, dichter, voller und breiter Meihn reingesteuert kommt und selbst am Morgen drauf von Außenstehenden noch so zu ist, dass er mitten in der Nacht aus der oberen Etage des Doppelstockbettes geflogen ist! Der Aufprall hat den Rest aus dem Bett gerissen, Fleischklopper und ich dagegen hatten schon die Vorbewegungen mitbekommen und waren etwas mehr darauf vorbereitet ihn fallen zu hören, Meihn dagegen wohl eher nicht. Ronneborger stellte sich beim Fallen nicht ganz so schlimm an, der hatte sich im Laufe der Jahre abgehärtet.

   Bei HG Reidel allerdings wunderte es mich, dass er nicht auch öfter einen heben ging. Er war schon etwas älter und hatte eine drei- oder vierjährige Tochter, deren Namen er sich auf den linken Unterarm tätowieren gelassen hat. Zuerst dachten wir, es sei seine Frau, doch seine Erklärung „Eine Frau kann dich verlassen, die Tochter bleibt immer deine Tochter.“ leuchtete ein. Reidel schaffte es immer irgendwie, sich vor unangenehmen Aufgaben zu drücken. Meistens hatte er ärztliche Termine und Untersuchungen, auf Grund derer er so manche Woche seiner zu dienenden Zeit nicht zu sehen war. Doch er machte es genau richtig, wobei er zusätzlich mehr Geld mit nach Hause nahm als mancher Feldwebel. Ingolstadt hatte sich für ihn richtig gelohnt. Zu dem üblichen HG-Sold kamen die sechs Wochen halbe Anrechnungsfälle hinzu, das Geld, was er bekam, weil er von seiner Frau, plus dem für die Zeit, die er von sein Kind getrennt war (Entfernungspauschale) und das übliche Kilometergeld. Nur wundert es mich, dass er nicht längst Stabsgefreitenschulterklappen trug. In einer freien Minute einer Mittagspause erzählte er mir dann seine Geschichte: Einst, vor langer Zeit ist er ebenso wie alle Wehrpflichtigen zur Bundeswehr mit der Aussicht auf darauf folgende Arbeit gegangen, fand aber nichts. Nachdem er sich dann ein paar Jahre durchgeschlagen hatte, beschloss er, sich als Wiedereinsteller zu bewerben. So hatte er wenigstens ein geregeltes Einkommen – zumindest für vier Jahre. Warum er sich nicht länger verpflichtete? Das habe ich auch gefragt. Doch damals wusste er schon von der gründlichen Sinnlosigkeit dieses Vereins, dessen volles Ausmaß wir Tag für Tag erleben durften. Die Kaserne hier war nicht unbekannt für ihn. Denn es war der Ort seiner Grundausbildung. Sein Auftreten, die Stimme und die äußere Erscheinung unterschied sich gehörig von dem der anderen HGs, möglicherweise wegen seiner jungen Familie. Was ab September dann folgen würde, konnte er mir auch nicht sagen. Eine Anstellung in einem Betrieb wäre wohl das Beste und ich wünsche es ihm. Der Kerl war in Ordnung – soweit ich ihn mitbekommen habe.

PiMasch2: Unterstand, OLt und Wippe
PiMasch2: Unterstand, OLt und Wippe

Langsam drängte alles auf die anstehenden Theater-Vorstellungen. Der Platz der Gruppe bot zwischen den vielen Kurzarbeiten eine gute Anlaufstelle und war als Ort der Erholung nicht der Schlechteste, zumal die Pausen am Ende immer länger wurden. Aber man spürte die Aufregung und Anspannung im Zug schon etwas mehr. Nur OLt Freidel hatte immer einen Spruch auf den Lippen, der alle wieder entspannen ließ, wenn er dafür auch gewisse Anforderungen stellte. Denn nun gingen die Übungen los für die Vorstellung.

   Zu meiner Überraschung sollte ich einen ruhigeren Part dabei bekommen. Breuher und mir wurden den LKWs zugeteilt, sodass unsere erste Aufgabe lediglich darin bestand, mit den Karren den Berg zur Brücke rückwärts hinaufzufahren, dort die Ladeklappen herunterzulassen und mit ausladen zu helfen. Dazu wurden extra Haltemarkierungen am Fuß des Hügels angebracht, damit wir sahen ab wann wir einzuschlagen hatten, da das Rückwärtsfahren ab der Größenordnung eines 2-Tonners Unimog mit Aufbau eigentlich nur mit Einweiser erlaubt ist. Dort angekommen sollten wir warten, bis die Erklärungen des OLt auf unserer Brücke abgeschlossen waren und Meihn uns das Handzeichen gab, welches wir im Spiegel erkennend dann gleichzeitig mit Anfahren befolgen sollten, wobei wir unterschiedlich lange Wege hatten, jedoch gleichzeitig oben ankommen mussten. Nach einer Woche Übung hatten wir’s dann auch drauf genau zum selben Zeitpunkt zu bremsen und in der mit Pfeilern markierten Stelle zum Stehen zu kommen.

   Der Rest des PiMasch-II-Zuges musste nun sein Können beweisen: sie schweißten, schleiften, hämmerten, sägten, plätteten, rammten, schnitten Holz und Eisen zurecht. Unser Zug stand stellvertretend für alle Pionieraufgaben des Bataillons, mit Ausnahme der Faltfestbrücken. Wir zeigten den Besuchern, was alles machbar ist bei den Pionieren, welche Gerätschaften diese einsetzen und Fähigkeiten zum Tragen kommen mussten. Daher war unsere Brücke schon vorher fertig, da in den 5 Minuten unseres Auftrittes niemand eine komplette Straßenverbindung aus Holz erschaffen kann. Also zeigten wir nur Ausschnitte aus deren Bau. Das Highlight unseres Auftrittes aber lag in der 500-Kilo-Ramme, weil die so schön bummste.

Warten und Erholen, Die 500-kg-Ramme, Unsere Brücke von oben und von der Seite
Warten und Erholen, Die 500-kg-Ramme, Unsere Brücke von oben und von der Seite

   Nach dieser ganzen Aktion war aber noch nicht Schluss für uns. Denn es gab noch eine weitere Brücke vorzustellen, die keinem Zug genau zugeordnet werden konnte. So wurde sie uns zugeordnet, was irgendwo schon klar war. Also traten wir nach einer kurzen Ruhepause noch einmal auf den Plan. Hierzu hatten wir im Schweiße unseres Angesichts eine mit Tarnnetz bespannte Wand aus Eisenstangen gebastelt, die wir jedes Mal zu einer Vorstellung herunterließen, um sie - nachdem alle weg waren - wieder aufzustellen. Denn die Wand hatte eine Überraschungsfunktion, wenn auch die Zuschauer die Brücke vorher schon gesehen haben mussten. Anschließend war es aber immer noch nicht zu Ende. Vier von uns (natürlich die Obergefreiten und Dreimann) waren angewiesen die Funktionstüchtigkeit der neuen Allzweckunterlage eines französischen Herstellers unter Beweis zu stellen indem wir sie schnellstmöglich ausrollten. Da (theoretisch) aus aller Herren Länder hohe Militärs zugegen waren, stellte dies eine optimale Werbung für den Hersteller dar. Ursprünglich sollte die Unterlage als Hubschrauberlandeplatz in sumpfigen Gebieten dienen, bis man angeblich ihre vielseitige Verwendung herausfand.

   Dieses ganze Spektakel begann mit „Highway to Hell, was am Anfang auch ziemlich passend gewählt gut rüber kam, spätestens beim zehnten Mal doch nervig wurde. Außerdem wurde es bald zunehmend von den Motorengeräuschen der umliegenden Panzer übertönt.

Die Piratenkompanie
Die Piratenkompanie
Bühnenreinigung
Bühnenreinigung

So lief eine Vorstellung für uns ab. Was die Zuschauer sahen, kann ich persönlich nicht einschätzen, doch muss es ziemlich beeindruckend gewesen sein.

   Nach jeder erfolgreichen Show (also immer) warteten wir in den Plätzen der Gruppe darauf, dass die Herren Generäle und Offiziere ihre Imbisse nahmen und wieder verschwanden, damit Hauptmann Zellmer oder der OLt uns erneut seinen Glückwunsch aussprechen konnte und wir uns auf das übrig gebliebene Brötchenbuffet stürzen konnten, das für die Besucher aufgebaut, von denen jedoch selten genutzt wurde und somit eine Menge für uns abwarf. Es glich regelrecht einer Schlacht um die besten Plätze, wenn eine Kompanie hungriger Pioniere auf solch einen Festschmaus losgelassen wurde.

   Den restlichen Tag passierte nicht mehr viel. Das meiste bestand im Abbauen und Vorbereiten für die nächste Schau. Dazu musste die Zuschauertribüne mit dem Wasserstrahl gereinigt werden, wobei wieder einmal die OG’s herhalten mussten und Hauptfeldwebel Naundorf seine Techno-Mucke laufen ließ. Hierzu muss ich allerdings gestehen, dass er einen wirklich guten Geschmack bewies, allen voran natürlich Mind of the Wonderful.

 

Zwischen den ganzen Vorstellungen gab es auch für die Soldaten ab und zu ein paar ruhigere Möglichkeiten, etwas von der ganzen Ingolstadtzeit mitzunehmen…

 

…Entspannungsmomente

Panzerfahren

So hieß es plötzlich eines Vormittags: „Wer will (und Zeit hat) kann jetzt - und nur jetzt - einmal mit dem Biber oder dem Dachs eine Runde drehen.“ Schon die Tage vorher hatten wir uns gewundert was es sollte, dass auf einmal bei uns ständig außerhalb jeder Vorstellung irgendwelche gepanzerten Gefährte vorbei heizten. Diese Chance nun selbst so heizen zu dürfen konnten wir uns natürlich nicht entgehen lassen.

   Die Weise wie die fertigen Kameraden ausstiegen steigerte die Vorfreude nur noch. Denn alles, was oben aus dem Gefährt hinaus geschaut hatte, war mit Schlamm bespritzt und wenn man sah, wie die Fahrer durch die Schlammlöcher preschten, wunderten wir uns umso mehr, dass die Mitfahrer nicht alles voll gespuckt hatten. Als man dann aber selbst dran kam, war alles viel zu schnell vorbei. Das Gefühl, mit voller Geschwindigkeit auf den nächsten Erdhügel zu zurasen und dahinter fast senkrecht in die Tiefe zu stürzen, in jeder Kurve trotz enormer Kraftaufwendung beim Festhalten beinahe rausgeschleudert zu werden, beim Abbremsen die Kante der Ausstiegsluke in die Rippen gepresst zu bekommen und schließlich nicht zu wissen, was als nächstes bevorstand oder ob man das ganze Vergnügen überhaupt überstand und ob der da unten am Schalthebel wusste was er tat, machte den gewissen Nervenkitzel dabei aus. Durchgeschüttelt und vom Druck erfasst, schnellstmöglich zum Platz der Gruppe zurückzukehren, weil die Pause eigentlich längst geendet hatte, war es schon eine Schwierigkeit von dem Panzer wieder runter zu steigen, ohne zu fallen und sich alle Knochen zu brechen. Jetzt wussten wir mal, was die da oben drin immer so durchmachten.

1. Reihe: Biber (Brückenlegepanzer), Dachs (Baggerpanzer), Panzerschnellbrücke 2 (mittlerweile eingestellt),

2. Reihe: Rennstrecke, Schlammloch, Tribüne und Schauplatz

Weitere Haustierchen der Bundeswehr:

1. Reihe: Fuchs (Amphibienfahrzeug, z. B. für ABC-Aufklärung, Funk, etc.), Keiler (Minenräumpanzer), MineBreaker 2000/2,

2. Reihe: Wiesel (Unterstüzungspanzer, z. B. Sanitätstransport, Gewässererkundung, etc.), Leopard 2, Big Mama mit Leopard 2,

3. Reihe: Gepard (Flugabwehrpanzer), Marder (Schützenpanzer), Skorpion (Minenwurfsystem)

4. Reihe: Schweres Gerät, Faltbrücke und Mungo (Mehrzweckfahrzeug),

5. Reihe: Dingo (Patrouillenfahrzeug), Kettenfahrzeug mal anders, Anhänger

 

Schrankwandfahren

"Die Schrankwand"
"Die Schrankwand"

Die nächste Geschichte lauerte an einem der unerträglich heißen Tag vor den Vorstellungen. Gegen zehn Uhr morgens hieß es, „Es ist jetzt eine Übung angesetzt, in der ihr einfach nur überleben sollt!“ Schon rechneten wir mit dem Schlimmsten, aber kurz darauf wurde nachgeschoben: „Die Zeit ist gekommen, da wir entschieden haben auch euch mal in den Genuss kommen zu lassen eine M-Boot-Runde zu drehen.“ Das wollte sich natürlich keiner entgehen lassen, das war ja noch besser als Panzerfahren! Also wurden Kleinbusse angeschleppt, in denen man uns über das „riesige“ Gelände des Übungsplatzes zum Anlegeplatz der M-Boote kutschierte. Diese Dinger trugen zu Recht den Beinamen „Schrankwand“, da sie nicht weniger stromlinienförmig sein konnten und tatsächlich aussahen, als ob man einen Schrank ausgehöhlt, ins Wasser geschmissen und mit einem Motor versehen hätte. Aber es machte tierischen Spaß auf diesem Möbelstück durch den Fluss zu heizen. Ich gehörte zur ersten Mannschaft, die sich dieses Vergnügens erfreuen durfte und deshalb nicht ganz so hart mit dem kalten Nass konfrontiert wurde. Unsere Nachfolger mussten dann mit dem Übermut der fahrenden Stuffze und dem bereits nassen Boot klarkommen und waren dementsprechend nasser wieder aus diesem Seitenarm der Donau herausgekrochen. Außerdem hatten wir mehr Zeit uns trocknen zu lassen, bevor es wieder zurückging, denn obwohl die Sonne an diesen Tagen brannte, lassen sich die Uniformen äußerst schwer trocknen, besonders wenn das Wasser von den Socken aufgesogen bis in die Stiefelspitzen vordringt. Trotz der ungewöhnlich eckigen Form dieses Untersatzes zeigte es sich doch erstaunlich wendig und vor allem spritzig!

 

--> Die Wassertierchen des grünen Vereins:

1. Reihe: M-Boot (aka „Schrankwand“), Sturmboot, Amphibie,

2. Reihe: Amphibienverbund (Panzerfähre), M-Boot mit Schwimmbrückenteil, Schwimmbrücke, Fertige Schwimmbrücke

 

Wackerstei

Ein weiteres Mal wurden wir zum Festspiel geladen: nach Wackerstein. Natürlich bedeutete auch dieser Bonus eine zusätzliche Wertsteigerung unserer Arbeit der letzten Tage. Denn waren wir nun privilegiert, selbst einmal das Ergebnis des Schuftens anderer zu beobachten.

   Allein die Busfahrt zu diesem Ort der Kaserne Wackerstein zog sich stundenlang hin, wo wir schließlich fast ebenso lange warteten, bevor die Kollegen der 3. Kompanie soweit waren uns ihre Kunststückchen vorzuführen. Wieder stach die Sonne und warf ihre heißen Strahlen gen Wackerstein auf unsere Häupter. Die Bühne dieses Spektakels bildete der Fluss. Wir hockten am Westufer in der Mittagssonne, noch vor die überdachte Tribüne, welche allerdings nur den zivilen bzw. militärisch hochrangigeren Besuchern vorbehalten blieb. Das Fußvolk wurde zu dessen Belustigung in der ersten Reihe platziert.

   Was zuerst mit einer ausschweifenden Vorrede und dem Standort begann, entwickelte sich bald zu einem ausgewachsenen Kriegsszenario. Zunächst wurden die Möglichkeiten der Pioniere gezeigt portable Brücken im Wasser zusammenzusetzen und aneinanderzureihen und wie deren Einzelteile, die zum Bau einer fertigen Brücke benötigt wurden, mit LKWs angeliefert werden können. Anschließend ließen sie alle möglichen Gefährte, angefangen vom Wolf, über den Skorpion, bis zum Leo II und sogar den Büffel hinüberfahren, wobei diese unterdessen von einer Einheit des Kampfgeschwaders der Luftwaffe angegriffen wurden. Am erstaunlichsten war das Zusammenspiel der Amphibien(fahrzeuge), die alle aufgereiht in einer Linie eine stabile, gegen den Strom schwimmende Brücke ergaben, wobei die Motoren ständig in gleicher, gegenseitig aufeinander abgestimmter Stärke laufen mussten. Gegen Ende traten noch einmal die M-Boote (wir erinnern uns: auch „Schrankwand“ genannt) auf den Plan, um ihrerseits eine Brücke aus jeweils einem vor sich her schiebenden Teil zusammenzusetzen.

   Und dabei passierte es! Während des Treibens trieb eines der vielen kleinen Boote plötzlich am Rand, direkt an unsere Uferseite. Wir dachten gleich ‚Was der wohl getrunken hat?’, weil bis dahin alles glatt gelaufen war und alles zu gut funktionierte für eine Generalprobe. Doch beim Ankoppeln eines der letzten Teile ging dann wohl etwas schief. Noch dachten wir nichts Schlimmes, wahrscheinlich nur ein Fehler des Steuermannes. Bald darauf kam jedoch ein Hauptmann, dann weitere Feldwebel und Offiziere gerannt und es keimte in uns der Gedanke an eine mittlere Katastrophe. Geschlagene zehn Minuten fuhrwerkten sie an einem Gefreiten herum, bis endlich zwei mit einer Trage kamen und ihn abholten. Direkt vor unseren Nasen lang laufend konnten wir noch das Malheur erblicken: offensichtlich hatte er seinen Daumen zwischen einem sich straff ziehenden Stahlseil und einem Bolzen gehabt, was ihm den Finger ziemlich abgequetscht haben musste. Böse Sache, aber so was passiert. Natürlich war es das Gesprächsthema auf der Fahrt zurück nach Ingolstadt und insgeheim hoffte wohl jeder die eigenen Vorstellungen glimpflicher zu überstehen.

 

Party-(K)Nights

Familienwochenende

Panzer-O-Turn
Panzer-O-Turn

Die letzte Aufführung unserer eingeübten Kunststückchen sollte am Wochenende erfolgen, wofür wir die gesamte Verwandtschaft einladen konnten, was ich soweit auch ausschöpfte.

   Von Samstag bis Sonntag sollten sie sich im gesamten Pioniergebiet umschauen können. Es darf geraten werden, wer sonntags Wache schob: wir selbst. Denn das Wochenende war für uns sowieso gelaufen, da nur zu dieser Zeit den Angehörigen der Soldaten eine solche Show geboten werden konnte.

   Busseweise wurden dann angehörigen Zivilisten ausgeschüttet und in die extra vorbereiteten Quartiere verfrachtet. Viel Luxus wurde dort nicht geboten, aber immer noch mehr als uns. Entsprechend eher volkstümlich ging es nach dieser nun letzten Vorstellung. Thüringer Bratwürste wurden serviert und Bier ausgeschenkt, der Nachtmittag war frei. Freilich zeigten wir allen erstmal das Gelände, erzählten von dem Leben hier und gaben Einblicke hinter die Kulissen. Jeder präsentierte stolz seine Arbeitsgeräte, so auch ich meinen 10-17 / 881.

   Abends wurde zum Essen aufgefahren – allerdings nicht für uns. Die Herren Generäle und Oberste gaben sich die Ehre und wurden gebührend empfangen. Eine extra Marschkapelle hatte man auftreten lassen, um einem von ihnen das Ausscheiden zu erleichtern, wozwischen wir zufällig gerieten und dort ein wenig verweilten. Tags darauf erst erkannte ich, worauf wir gestanden hatten: die Herren von der Panzertruppe mussten ganz schon gefeiert haben. Da kannte das Glas wohl keinen Boden mehr.

 

Hepberg

Der Sonntag stand für Hepberg. Dort, wo die restliche Mannschaft der Pioniere ihre Minenräummöglichkeiten zeigen konnten. In Busse verladen durften wir sogar mal mit. Doch wie peinigte uns das Wetter! Der Regen fiel, als ob es kein Morgen gäbe, so dass schon nach kurzer Zeit unsere Regenschutzmäntel und Nässeschutze völlig durchnässt waren. Die angesetzte Schau wurde mehrmals wegen Regen verschoben, so dass wir vorerst genug Zeit hatten uns die ausgestellten Tarn- und Täuschmöglichkeiten anzusehen, immer bestrebt möglichst unter einer Baumgruppe Schutz zu finden. So passten manche Vehikel auch nicht ganz in die Landschaft, wie der Wüstentarn-5-Tonner; die Tarnnetze ließen den Regen durch und wer sich auf einen echten Raketenträger gefreut hatte wurde bei näherer Betrachtung auch enttäuscht, so ist das eben bei „Tarnen und Täuschen“. Obwohl manches Objekt beinahe stümperhaft versteckt wurde – oder sie wollten uns zeigen, was man an einem Gefährt kaschieren muss und was alles vergessen werden kann. So ist ein knallroter Minenbrechpanzer nicht gerade unauffällig, aber das macht nichts, weil das Minenbrechen etwas mehr Spektakel macht, wenn man denn mal eine erwischt. Beim Gefechtsausschnitt „Öffnen feindlicher Minensperren“ jedoch hatten wir derartiges nicht zu sehen bekommen. So kam auch dieser verregnete Tag irgendwie noch zu einem Ende, für die meisten. Denn für Kamerad Breuher und mich ging es nun erst richtig los: Wacheschieben auf dem Übungsgelände.

Vollgetarnter 10-Tonner, Raketenabschusslader (Attrappe), Wüstentarntonner
Vollgetarnter 10-Tonner, Raketenabschusslader (Attrappe), Wüstentarntonner

 

Wachet gut, wenn es auch vollkommen sinnlos ist

Dazu ließen sie uns einen 7-Tonner mit Standheizung, um in der Nacht nicht ganz so erbärmlich zu erfrieren und zwei Essbeutel mit dem üblichen ungenießbaren Krempel darin. Der Zweck unseres Daseins bestand nun lediglich in der Anwesenheit unserer selbst. Angeblich sollte auf die Tonner und die zwei MGs oben drauf aufgepasst werden. Doch zu deren Verteidigung hatten wir nichts in der Hand, nicht mehr als jeder andere Zivilist auch, der zufällig vorbeischauen konnte, außer… dem Bw-Stumpf (die deutsche Variante des Schweizer Armee-Taschenmessers). Noch dachten wir, dass hier sowieso niemand herein kommen konnte, weil auf der Seite, zu welcher wir täglich hinein gefahren waren, ein gut gebauter Zaun Fremden den Weg versperrte.

   So warteten wir die ersten Stunden darauf, dass endlich alle vom Gelände verschwunden waren, was sich als sehr nervenaufreibend erwies. Denn alle viertel Stunde erschien der Nächste. Beim letzten hatte ich dann auch langsam die Schnauze voll und fragte den Stuffz in seinem Traktor-Bagger schnippisch, wie viele denn noch kommen würden. Als er zaghaft antwortete mit ihm sei Schluss, begriff ich erst, was ich getan hatte. Aber wir waren ja die Wache, und die dürfen auch Vorgesetzten zusammenstauchen. Weiter missmutig behielt ich diese Laune bei und stapfte zum Zwischentor, um danach das äußere Tor für den Stuffz auf- und danach gleich wieder abzuschließen und endlich Ruhe zu haben.

   Wieder zurück kam ich gerade noch rechtzeitig um mitzukriegen wie sich eine dreiste Krähe an meinem Abendbrot zu schaffen machte und die einzig genießbare Fleischgrundlage gerade verspeist hatte! Das anschließende Verscheuchen dieses verdammten Diebes geschah allerdings nur noch fürs Protokoll.

   Breuher war ebenfalls entsprechend sauer – allerdings auf mich, weil er heute Wache schieben musste und keiner weiter mehr da war, auf den er sauer sein konnte. Nun, so ging ich eben allein auf Rundgang, bewaffnet allein mit meiner Kamera. Hier auf dem leeren Übungsplatz bekam ich endlich die Gelegenheit mich einmal gründlich umzuschauen. Im Grunde war es eine weitgehend naturbelassene Gegend, selten mit einer asphaltierten Straße unterbrochen, die allerdings eher wie ein wenig befahrenen Weg, der durch eine nordische Heide führt, anmutete. Während Breuher sich über sein noch erhaltenes Essen hermachte, verließ ich so die heimatlichen Gefilde des schützenden Zeltes und brach auf um bislang unerforschte Regionen auf diesem noch völlig unbekannten Teil des Planeten zu entdecken:

   ‚Die erste Station führte mich bereits zum letzten Außenposten menschlicher Zivilisation, der auch entsprechend wild daherkam: dem PiMasch-I-Unterschlupf. Gegenüber aufgereiht standen die Maschinen des letzten direkten Bollwerkes gegen den Dschungel. Noch einmal bewunderte ich sie, in der Ungewissheit schwebend, eventuell nicht wieder zu kehren. Doch für diese Mission war ich geboren, sie musste ein Erfolg werden! Die Sonne im Rücken brach ich auf und ließ nur den Schatten meiner Vergangenheit zurück, um diese Reise gänzlich unbefangen anzutreten. Nicht zurückblickend auf die hastig verlassenen Werkzeuge, die mir den Weg hätten bereiten können, schritt ich dem entgegen, wovor die anderen in den Feierabend geflohen waren.

Der Truppenübungsdschungel mit alten Germanenruinen
Der Truppenübungsdschungel mit alten Germanenruinen

   Weites Ödland empfing mich, um meine Gestalt sogleich ganz in sich aufzunehmen. Es dauerte nicht lange bis die ersten Bestien vor mir auftauchten. Glücklicherweise hatten sie mich noch nicht gewittert, so dass meine Anwesenheit unbemerkt blieb – vorerst. Doch so verwahrlost und verwildert sich das Landschaftsbild hier meinem Auge auch bot, nach ein paar langen Monaten, … äh, Minuten machte ich bereits eine bahnbrechende Entdeckung: Direkt vor mir, sozusagen zum Greifen nahe, erhoben sich majestätisch die Ruinen einer uralten Kultur. Sie waren von Schlingpflanzen bereits überwachsen und fast hätte ich sie nicht bemerkt, doch bezwungen wurden diese Zeugen der Zivilisation noch nicht. Wunderschön; man konnte meinen, hier sei der Geist eines Menschenstammes noch hoch entwickelt gewesen, im Gegensatz zu der Gesellschaft, wo ich herkomme. Leider waren sie bereits zu verfallen, um von ihnen ablesen zu können, welcher Art und Kultur sie entsprangen. Ebenso konnte ich keine Proben mitnehmen. Aber zumindest diese einmaligen fotographischen Aufnahmen sollen meinen erstaunlichen Fund beweisen.

   Die Vorräte waren nun fast aufgebraucht, schon traten Probleme auf sie mir für den Rückweg einzuteilen, weshalb ich mich nicht weiter vorwagen konnte. Doch zu Ende meiner Forschungsreise durfte ich noch einmal einem jungen Ureinwohnerstamm bei ihren spirituellen Riten beiwohnen. Sie machten auf mir unbekannte Art ein Feuer am Fluss, tanzten um es herum und lauschten derweil gar ungewöhnlichen Beschwörungsklängen. Ich wäre ihnen schutzlos ausgeliefert gewesen, hätten sie versucht mich anzugreifen, weshalb ich vorsichtshalber beschloss sie aus sicherer Entfernung zu beobachten und noch vor Beendigung ihres Kultes unauffällig zu verschwinden. Obwohl ich glaube, dass sie mich bemerkt haben müssen, wohl aber auf Grund ihrer Einschätzung meiner schlechten Bewaffnung in mir keine Gefahr sahen.’ …

Ein Schild muss reichen
Ein Schild muss zur Überwachung reichen

   So in etwa hatte ich mich gefühlt, als ich die unendlichen Weiten des Truppenübungsplatzes erkundete. Es gleicht einem Witz: zwei Mann unbewaffnet auf einem zwei Quadratkilometer großen, überwucherten Gelände ohne Abgrenzung nach außen aufzustellen und ihnen zu sagen, sie sollen niemanden herein lassen. Noch dazu, wo ein freipassierbarer Weg direkt durch dieses Gelände führt. Die Ureinwohner waren übrigens feiernde Jugendliche, die ich auf der gegenüberliegenden Seite des Donauarmes zelten sah, welche aber leicht durch eine Landverbindung zu uns herüber gekonnt hätten. Dennoch will ich mich nicht beklagen. Die Natur entschädigte mich ausreichend für diese immerhin ruhige Nacht. Zudem kam ich in den Genuss die Anlegestelle und M-Boote einmal aus der Nähe zu betrachten, sowie die Panzer, Tonner, Baufahrzeuge und Spezialfahrzeuge in ihrer Gänze zu bestaunen.

 

--> Heute werden Bundeswehrübungsplätze mittlerweile als Naturschutzgebiete ausgewiesen, weil sich durch die jahrelange Nichtnutzung mancher Teile durch den Menschen wieder ursprüngliche Landschaften ausbildeten und bestimmte Arten von Flora und Fauna einen Rückzugsort darin finden. Auf dem Tribünenschauplatz kann man sich das freilich nicht vorstellen, aber es werden ja nicht alle Winkel eines Truppenübungsplatzes genutzt, wie ich an den Lianen und überwucherten Mauern sah.

 

Da die Helligkeit vom Himmel her doch allmählich nachließ und wir keine weiteren Unterhaltungsmöglichkeiten vor Ort hatten, beschloss ich bald schon des Schlafes zu frönen, während Breuher sich im Verpflegungszelt einrichtete und durch sein Multimedia-Nokia-Handy die Zeit bis zum Akku-Aus mit ein paar Folgen Simpsons versüßte. Eigentlich hätte immer nur einer schlafen dürfen, während der andere wachte. Doch mal ehrlich: Im Falle eines geplanten, selbst eines spontanen und aus Jux heraus entstandenen Überfalls hätten wir beide keine Chance gehabt. Lediglich die Präsenz auf dem Gelände rechtfertigte unseren Aufenthalt dort. Diese Gedanken im Kopf kroch ich in den 7-Tonner, schloss von innen noch zu und breitete meine Isomatte auf der gepolsterten Sitzbank aus, den Rucksack als Kopfkissen. Wirklich schlafen konnte ich damit freilich nicht, zumal eine Saukälte in dem Fahrerhaus herrschte. Die Heizung jedoch war so laut, dass man dabei nur schwer ein Auge zu tun konnte.

   Irgendwann in tiefster Dunkelheit wurde ich wach und sah eine Gestalt auf unseren Platz der Gruppe zuschreiten. Flux schloss ich die Tür auf und wollte schon fragen, was er hier wollte, als ich den OLt erkannte. Der wetterte auch gleich los, dass dies doch schließlich eine Wache sei und ich nicht einfach schlafen könne. Meine Erwiderung, Breuher würde gerade nach dem Rechten sehen überzeugte ihn nicht vollends. Doch er zog wieder ab nachdem er mir einen Beutel mit Abendessen überlassen hatte. Dann sah ich ihn weiter Richtung Hauptzelt gehen. Natürlich hoffte ich, dass Breuher immer noch seinen Film anschaute oder Musik hörte, jedenfalls wach war und dem OLt Bericht erstatten konnte. Aber eigentlich, so überlegte ich mir, hatte dieser mich doch gar nicht schlafend erwischt? Ich hatte mich lediglich ein wenig im Tonner aufgewärmt und von dort konnte man etwaige Eindringlinge immer noch gut erspähen. Ach was, am Ende war es ohnehin egal. Wahrscheinlich wollte er mir nur Druck machen. Und so schlief ich doch noch ein wenig. Bis bald darauf erneut jemand meine Träume störte. Dieses Mal war es Breuher, der an die Fensterscheibe klopfte und um Einlass bat. Des Nachts ist es nicht gerade üblich, dass so etwas geschieht und dementsprechend unerwartet fuhr ich aus dem Schlaf. Wir entschieden uns trotz der Lautstärke und der Gefahr, den OLt erneut zu sehen die Heizung wieder anzuschalten, bis sie einer von uns beiden im Halbschlaf ausmachte und wir uns wunderten, am Morgen halb erfroren aufzuwachen.

   Der Tag war hart, denn die fehlende Ruhe machte sich bemerkbar. Zwar gestand man uns eine Stunde zusätzlich zu, um uns zu waschen und zu erfrischen, doch dies machte sich gegenüber den anderen Kameraden nicht so gut, da sie in dieser Zeit unsere Arbeit mit übernehmen mussten.

 

Kommen wir zum Ende!

Abschlussfeier
Abschlussfeier

Der Brigade-General persönlich mit Oberst im Schlepptau lud zum Bataillonsantreten. Nicht, dass man die Einladung hätte ausschlagen können, immerhin waren hier alle Pionierteile vertreten: Hepberg, Wackerstein und wir, die aus Ingolstadt. Nach einer etwas angeschwollenen Dankesrede bekam jeder einen Gutschein für eine Bratwurst oder ein Rostbrätchen und ein Getränk, während der Herr General wieder in seinen schwarzen Phaeton stieg und uns das Feiern überließ. Dies bezog sich allerdings auch nur auf die fast schon zwanghafte Geselligkeit und das darüber-hinweg-Trinken, weshalb Turn schon baldigst das Weite suchte, also sein Bett und ich mir mit Gedanken über die Fortsetzung dieser und anderer Erzählungen den Kopf zerbrach, jetzt, da alle in der Halle versammelt waren und die Kaserne wie verlassen dalag.

Die Aufräumarbeiten zogen sich über die nächsten zwei Wochen hin. Panzerkekse mussten abgeräumt, die Steine für den Brunnen verladen, Plätze von Gruppen zurückgebaut und Netze zusammengelegt werden. Mit letzteren hatten wir unsere liebe Mühe. Die Dinger waren derart unglücklich mit der Bw-Schnur verbunden und brachten uns der Verzweiflung so nahe, bis wir sie notgedrungen zerstückeln mussten. Es sah nicht schön aus, doch es funktionierte nun endlich sie ordentlich zusammenzufalten. Diese Aktion, möchte ich sagen, schweißte die Gefreiten und Obergefreiten der einzelnen Züge mehr zusammen als die gesamte Übung es konnte. Denn während der Vorstellung waren die Züge auf sich allein gestellt, hier musste man übergreifend helfen.

   Jetzt, da nur noch wenig zu tun war, trat der Sport wieder an die freigewordene Stelle. Der OLt wollte uns die viele Freizeit mit einem schönen PFT (Physischer Fitnesstest) vertreiben, was unweigerlich gewisse vorbereitende Trainingsstunden voranstellte.

   Wo andere währenddessen schon den zweiten Zugabend mit gemütlichem Grillfest und Beisammensein feierten, schoben wir eben Sportstunden. So erlebten wir jeden Abend einen „Zugabend“. Der richtige Zugabend dagegen wurde indes immer weiter verschoben, bis von unserer Zeit in Ingolstadt nichts weiter übrig blieb. Doch machte uns von dem PiMasch II das nichts aus. Kurz entschlossen erweiterten wir unsere Bekanntschaften auf den jeweils gerade kräftig prostenden Zug und besuchten einfach die Feiern der anderen.

 

So ließen wir uns den Spaß nicht verderben. Immer noch nicht ganz fertig von diesen Strapazen machten wir uns auf, das örtliche Erlebnisbad zu erkunden. Mit Turn hatte ich die Innenstadt dieser Metropole bereits per Fahrrad erkundet. Nun ging es zu Fuß ein paar Kilometer durch die Stadt. Das Bad an sich kam herrlich herüber. Wir nutzten wirklich alles, mit Ausnahme der Sauna, schließlich schwitzten wir tagsüber schon genug. Nur das Ende dieser recht erholsamen Stunden verunsicherte den einen oder anderen: Kamerad Dreimann zeigte uns, was laut Meihn im Regionalfußball üblich ist und markierte an den nächsten Duschnachbarn im Duschraum des Bades sein Revier – im tierisch wörtlichen Sinn pisste er uns an Bein.

   Danach brauchte Mann schnellstens eine Stärkung und so führte uns der Weg zum nächsten, bekannten Futtertrog für (Bundeswehr)soldaten: McDonalds. Nur leider verschätzten sich die führenden Tiere des Rudels um ein paar hundert Meter, so dass ein Marsch durch Ingolstadt daraus wurde, der aber immerhin am gewünschten Zielort sein Ende fand. Nur führte uns auch der gleiche Weg wieder zurück! Ziemlich fertig übertraf diese Aktion jeglichen PFT.

   Die letzten Tage hier brachen an und als ob sie es gewusst hätten stellten die Köche der Kasernenküche noch einmal ihr ganzes Können in Sachen „schlechtes und zu wenig Essen“ den schwer schuftenden Soldaten zur Schau.

In Kolonne
In Kolonne

   Der lang ersehnte Rückfahrtstag brach wie immer mit einem kräftigen Weckruf Naundorfs und seiner Mucke an. Die einzige Frage, die mich jetzt noch interessierte lautete: Wer ist mein Beifahrer? Breuher musste selbst fahren, so blieb im Idealfall nur Turn. Mit Ronneborger wollte ich mich ehrlich gesagt nicht ein weiteres Mal herumschlagen. Doch oh weh! Als ob ich es geahnt hätte traf mich das Schicksal wie ein Hammerschlag, denn Dreimann versaute mir den Tag! Als ich dieses Todesurteil beim morgendlichen Antreten vor des OLt’s Stube vernahm, konnte ich es zuerst gar nicht fassen. Das musste doch ein schlechter Scherz sein! Der schlimmste Alptraum war Wirklichkeit geworden… Im Endeffekt erwies er sich allerdings als durchaus guter Mitfahrer. Er nervte nicht, schlief fast die ganze Zeit und die paar gewechselten Worte mit ihm machten ihn für mich relativ verständlich. An sich konnte man sich gut unterhalten, wäre er nicht die ganze vorige Zeit so ein verdammtes Arschloch gewesen. So lief die Rückfahrt also doch noch ganz entspannt über die Autobahnbühne.

 

Juni – Warten auf Juli.

Also schön. Der letzte Monat war angebrochen; der Monat des Ausscheidens, der Monat der Vorbereitung auf die Freiheit und … der Monat der WM! Wenn ein Deutschlandspiel zur Dienstzeit gelaufen wäre, so hätten wir es anschauen können. Nur lief einfach keines, die kamen alle zu späterer Stunde (wohlweißlich extra für die Bundeswehr). Dagegen muss ich sagen tummelten sich erschreckend viele Nicht-Fußball-Gucker unter uns. Schon Breuher, Turn und Mitgebauer hatten damit nichts am Hut und so stand ich mit den HGs und Meihn allein.

   Zu tun gab es zwischen den Spielen allerhand. Schon die Tarnnetze wieder abzuladen, die komplett in unserer Halle verstaut wurden, gab uns einige Tage Arbeit. So lief prinzipiell alles wie in den Monaten vor Ingolstadt, mit der Ausnahme, dass es jetzt heiß war und wir uns die Kälte zurückwünschten und dass ein Haufen nerviger Gefreite diese Zeit noch unerträglicher gestaltete. Besonders, wer nicht mit auf Übung war, zeigte nun die meiste Ahnung von unserem täglichen Leben dort.

   Schon eine Woche nach der glücklichen Heimfahrt aus Bayern mussten wir erneut dorthin zurück. Brückenteile und restliche Tonner warteten darauf von dort endlich wegzukommen. Dieses Mal jedoch durfte ich Beifahrer spielen. Einen 10-17 konnte man hierbei nicht gebrauchen und so lehnte ich mich zurück und genoss das Gefühl gefahren zu werden. Glücklicherweise organisierte Oberfähnrich Lasch schnell ein paar Mittagessen in der Kaserne, die wir nun nur zu gut kannten. Erstaunlicherweise erwies es sich als die beste Mahlzeit dort unten, die wir je gegessen hatten. Als wir nämlich fort waren und sie nicht mit uns gerechnet hatten, drehte die Küche erst richtig auf, so schien es. Gegen alle Spekulationen fuhren wir noch am gleichen Tag wieder nach Gera. Nun kam ich allerdings doch noch in den Genuss, ein Soldatenbankett der neuen Art kennen zu lernen, denn das Abendessen hieß ‚Burger King’. Dennoch erinnere ich mich gerne an diesen Tag, der Kamerad Oberfähnrich zeigte sich doch nicht als den Fatzken, für den ich ihn anfangs gehalten hatte, als er noch mit seiner Harley in der Halle aufgekreuzte, sich schnell mal umsah und wieder verschwand. Außerdem hatte ich sowieso nichts für den Abend geplant und der Anrechnungsfall (also bezahlte Überstunden) kam auch nicht gerade ungelegen.

   In den nächsten Wochen wurde es abends dann wirklich langweilig. Die Simpsons liefen nicht mehr, die neuen Gefreiten bei Weigel kannten wir nicht mehr, ausgelaugt von der Arbeit während des Tages waren wir auch nicht mehr und Fernsehen hatten wir immer noch nicht.

   Kurz vor Feierabend klingelte eines Tages des OLt’s portables Telefon, noch einmal konnten wir uns an seinem Klingelton erfreuen, der „Löwenzahn“-Melodie, die uns auch dieses Mal frohe Kunde bringen sollte. Der nachgeholte Zugabend wurde nämlich nach einem harten Arbeitstag mit einem Bier für alle in der Halle gefeiert, eine ganze halbe Stunde lang. Das war also das große, nachgeholte Fest! Turn und ich setzten uns wie immer früher ab und schauten lieber noch einmal nach dem verschlossenen Bunkereingang, den wir bei der Wache im Winter entdeckt hatten. Kamerad Turn dachte, es handele sich um ein einfaches Schloss aus dem nächsten Baumarkt, das er mit einem Bolzenschneider oder dem richtigen Werkzeug knacken konnte. Enttäuscht sah er bald ein, dass dem nicht so war. Die Bundeswehr riegelt nun mal alles sorgfältig ab, was nicht für ihre Angehörigen bestimmt ist. Wer weiß, welche Leichen in diesen Kellern noch versteckt werden.

 

Übung Hamburg war Geschichte, der Sport hatte als einziges Relikt überlebt. Zwar nicht mehr so häufig, dennoch oft genug trieb uns der Zugführer um die Kaserne. Mittlerweile war es nichts weiter als ein lockerer Erwärmungslauf für die drei Ausdauerathleten unter uns und so genossen wir die paar Minuten Pause, welche wir uns an Vorsprung erlaufen hatten. Fußball wurde dennoch nur einmal gespielt, was einem Oberfeld nicht besonders gut bekam, da alle verfügbaren Mittel eingesetzt wurden um zu gewinnen (ich versichere ihm hiermit: es geschah alles ohne Absicht) – und Kinder hatte er ja schon.

   Neben der Hallenarbeit sorgte man sich langsam kräftig um den Tag der offenen Kaserne. Schon wollten sie auch Turn und mich zum Rumführen der Massen verdonnern, wenn wir nicht tags zuvor bereits aus der Armee ausgeschieden gewesen sein würden. Allerdings kamen wir gerne am nächsten Tag noch mal wieder, um an dem ersten, freien Zivilistentag nach dieser „Ewigkeit“ Armee die verbliebenen Kameraden bei der Arbeit zu beobachten.

   Doch zuvor mussten noch Ausstellungsstücke dafür zusammengebastelt werden. Fleischklopper bekam hierfür das Oberkommando, was sich als überaus bedenklich, wenn nicht sogar als arger Fehler erwies. Aus Brettern sollte er nur eine hölzerne Überfahrt für eine halbmeter hohe Mauer zimmern, was ihn am Ende drei Tage lang beanspruchte – seinem Perfektionismus sei’s gedankt. Zwischendurch pendelten wir mit dem 10-17 noch ein wenig hin und her, wobei das Druckaufbauen für die Bremsen dabei die meiste Zeit beanspruchte und wuschen gemütlich ein paar der Automobile des Zugs – und gleich des Nachbarzugs, als die sahen, womit wir gerade beschäftigt waren.

   In der Früh bis Mittag geschah zu der Zeit nicht viel, was wir mit Unterschriftensammeln nutzten. Denn bei jedem wichtigen Aufpasser musste für den Laufzettel ein Namenszeichen gestempelt werden, um sicher zu gehen, auch alles wieder an seinen rechten Platz zurückzulassen. Die meisten stellten kein Problem dar, nach einigen wenigen jedoch rannten wir teilweise Wochen hinterher. Der Kasernenchef mit Dienstgrad Oberstleutnant war natürlich nicht bei der Unterschriftenaktion vorgesehen, obwohl gerade der uns draußen immer mal wieder bei der Arbeit besuchte… oder eher bei den Pausen. So traf er uns gerade während einer solchen an, meinte munter: „Na, Männer. Kleines Päuschen? Das ist immer gut. So arbeitet es sich gleich leichter.“ Eine halbe Stunde später lief er erneut des Weges, aus der anderen  Richtung. Wir taten immer noch nichts, als er etwas verdutzt herüberschaute und beinahe stammelte: „Ja ja, man muss es ruhig angehen lassen… bei dieser Hitze.“ Wenn man dann mal tatsächlich zum Werkzeug griff und geschuftet hatte, erschien plötzlich der Spieß und riss alles vernichtend wieder ein. So gefalle es ihm nicht, das müsse doch besser zu machen sein, zischte er sinngemäß. Gut dass wenigstens er als gelernter Bäcker Fachmann für Tischlerarbeiten war und den anderen nur die Anweisungen für seine Märchenschlösser zu geben brauchte. Im Endeffekt bauten wir es genauso wie vorher wieder auf und ließen es uns von ihm nach erneutem Inspektionsgang als ‚vortrefflich’ begutachten.

 

Die Fahrten zur Kaserne und zurück mit dem Privatwagen waren an sich immer gut gegangen, bis auf ein paar Verrückte:

         -beispielsweise ein Motorradfahrer, der mich auf der linken Überholspur der Autobahn noch mal links überholten, danach einem Schuss gleich nach rechts rüberzog, um dort rechts zu überholen und gleich die nächste Abfahrt kurz vor einem LKW noch rüberzuziehen. Das musste einer dieser Motorradfahrer gewesen sein, wie der Kamerad Oberfeldwebel bei der LKW-Ausbildung in Delitzsch gemeint hatte: „Wenn mich da was erwischt, bin ich die längste Zeit Moped gefahren. Aber der Spaß ist es wert.“;

         -unidentifizierbare Flugobjekte (landläufig „UFO“ genannt), die durch ein kleines Dörfchen bei Nacht mit 150 über eine rote Ampel rasen, so dass man sein Bremsgeräusch mit dem eigenen Herzrasen verwechselte, welches Sekunden später darauf folgte;

      -auf der Der letzte Tag dieser erstaunlilnde, hupende und lichthupende Irre, während bis zum Horizont in beiden Richtungen alles frei ist;

         -ein 40-Tonner, der kurz vor Ende einer zweispurigen 80-km/h-Baustelle auf der linken Spur mit 82 km/h überholt

Dergleichen Späße ereigneten sich hin und wieder, so dass das Autofahren lediglich einem Glücksspiel glich, was ich mir durch den auferlegten Risikofaktor auch teuer von meinen Mitfahrern bezahlen ließ (2 Euro für die 50 Kilometer von Gera nach Jena).

 

Polenspiel und andere bange Zitterpartien

Eines verfolgte einen jeden hier. Niemand konnte sich davor verstecken – am Ende holte es jeden ein: die Fußball Weltmeisterschaft 2006. Während einige ihren Frust noch mit dämlichen Witzen darüber zu verdrängen suchten, fieberten die anderen Abend für Abend spannungsvoll mit. Und welche Begegnung hätte Nerven zerreißender sein können als ‚Deutschland gegen Polen’, in den Geschichtsbüchern seither auch ehrfürchtig als „Polenspiel“ (oder: „Der Polenfeldzug“) bekannt. Für Deutschland ging es um den vorläufigen Einzug ins Achtelfinale, für die Polen war es die letzte Chance besagtes noch zu erreichen. Entsprechend heiß ging es im Vorfeld schon her. Der Kinosaal des Mannheims stellte eine ganz passable Kulisse für all diejenigen dar, welche nicht allein fiebern wollten (die meisten) oder keinen Fernseher hatten (ich). Mit Notration für zwischendurch und die Halbzeit trat man den schweren Marsch durch die Tor-Wüste der ersten 45 Minuten an, wo entgegen aller Erwartungen nichts passierte. Genauso wenig in dem zweiten Zeitintervall gleicher Länge. Nur der Fußball währenddessen begeisterte schlichtweg, wenn auch kein Tor dabei herauskam. Doch irgendwann erging es der polnischen Mannschaft wie uns jedes Mal zu Tagesbeginn: sie wurden extrem müde. Das konnten die Deutschen ausnutzen, als nach vielen ähnlichen Versuchen wieder einmal Odonkor zum Sprint ansetzte, den Ball mit sich riss und endlich in die überforderte polnische Abwehr krachte, wo Neuville ihn mit dem letzten Kraftakt in das wenig später zappelnde Netz schleifte. Was für ein Aufschrei erlöste die bei vorigen Aktionen stöhnenden Gemüter. Wildfremde Kameraden umarmten sich freudig und konnten es nicht fassen, da alle ein Tor schon abgeschrieben hatten. Ein paar Kilometer weiter musste Gera erzittert haben, als die Richterskala gesprengt wurde.

   Noch waren wir nicht Weltmeister und unser eigenes, nächstes Ziel beim Bund lautete erstmal die letzten Tage unbeschadet zu überstehen. Immerhin standen auch die Bewertungszeugnisse noch aus. Doch was sollte uns jetzt noch passieren? So waren Turn und ich als die einzigen zwei Ausscheider des Zugs noch mal zum Hauptmann geladen. „Es eilt nicht“, wurde uns mitgeteilt, kurz vor Dienstschluss sei noch Zeit. So traten wir dann zu ihm herein und hörten gleich:

   „Sie haben doch beide Abitur? Können Sie rechnen?“

   Bitte was? „Natürlich, was soll die idiotische Frage!“, wollte ich schon antworten, doch Turn kam mir wohl wissend zuvor und nickte brav mit einem:

   „Jawohl, Herr Hauptmann“.

   „Na schön“, raunte der Zugführer, „dann wissen Sie bestimmt auch, dass man Urlaubstage, die man schon gehabt hat, nicht noch einmal nehmen kann“, und schaute uns erwartungsvoll an. Jetzt begriff ich. Wir hatten vor einer Woche den restlichen Urlaub für die letzten Tage beantragt, da die Liste im GeZi uns noch neun Urlaubstage ausgewiesen hatte. Konnte doch keiner ahnen, dass die die Woche Zwangsurlaub vom Jahresanfang immer noch nicht verarbeitet hatten, so dass uns lediglich vier Tage blieben. So schnell kann ein gutes Führungszeugnis im Arsch sein! Nun, was soll’s. Teilten wir die letzten vier Tage eben auf die Montage und Dienstage der letzten verbleibenden zwei Wochen auf. So hatte man wenigstens jedes Mal ein verlängertes Wochenende – falls sich nicht noch was fand, das man uns abziehen könnte, im Sinne von „Ihr hattet doch so viel Spaß in Ingolstadt, dass es einem Erholungsurlaub gleichkommt, nicht wahr? Deshalb hängen wir euch doch glatt noch sechs Wochen an die üblich Dienstzeit dran.“ Das wäre diesem Verein alles zuzutrauen!

   Mittlerweile lief mir persönlich die Zeit davon. Ich hatte von einem der Sanitätsstabstrottel einen Leistenbruch diagnostiziert bekommen – im März. Jetzt waren die Nachuntersuchungen zur Feststellung einer Würdigkeit zur Dringlichkeit einer Operation nötig. Dazu wurde ich jetzt - im Juni und drei Wochen vor meinem Ausscheiden - nach Gotha und Leipzig kutschiert, um dessen Richtigkeit bestätigen zu lassen, wozu ich in letztere Stätte extra mit einem eigenen Dienstwolf gefahren wurde. Dem Fahrer vom GeZi konnte es nur recht sein einen ganzen Tag damit zu vergeuden, mich durch die Gegend zu kutschieren. Am Ende hatten mir vier Ärzte bestätigt, dass tatsächlich ein Bruch vorlag, einer hatte es entgegen der Meinung seiner Kollegen ausgeschlossen, ein anderer hatte sogar zwei Brüche gefunden. Aber alle waren sich einig, dass eine baldige Operation unmöglich war, da sich alle Abteilungen total überbelegt sahen (von potentiell auszumusternden Neuzugängen), so dass für einen ausgedienten, vom harten Dienstalltag zerschundenen, geschröpften Ausschusssoldaten wie mich frühestens im November ein Termin frei war. Mit der Nennung meines Abtrittsdatums hatte sich die Operation also für die Armee erledigt.

   In dieser Zeit war ich vorzugsweise blau – angezogen, demnach in Sportanzug, welchen ein Kranker zu tragen hatte.

   Dennoch konnte ich mir die Zusammenkunft der alten Stube nicht entgehen lassen. Die Crew der AGA hatte noch einmal zu einem letzten Rat gerufen, der mit einem berüchtigten ‚Mutzbraten’ angetreten wurde. Der Garten von Kamerad Weigel musste zwar noch um einiges hergerichtet werden, z. B. mit einer Antenne für das Achtelfinalspiel Brasilien – Ghana  Was bei solcherlei Gartenparty jedoch nicht auftreten sollte, geschah auch dieses Mal: Das Bier war alle. Aber wer konnte jetzt noch fahren? Turn! Der trinkt doch nicht… Nein, das würde Weigel nie zugelassen haben. Also musste er selbst ran. Seine eigene Gartenfete verlassend sah er kurze Zeit später, was man mit einem grünen Flecken Erde alles anstellen kann! ... Natürlich bestand kein Grund zur Sorge. Immerhin waren es Pioniere, die hier ihre Armeezeit ausklingen ließen, und viele Erinnerungen mit ihnen – ob traurig oder freudig.

   Die Krönung des ganzen Spektakels lag in Form eines braunen Umschlages an einem der letzten Morgen auf meinem Bett: ein Beurteilungsbogen, worin ich eine Einschätzung über meine Bw-Zeit geben sollte – es war der Grundstein dieses Projektes, die Erlebnisse schriftlich festzuhalten. Bis auf den Krankenbereich hat der Saftladen hier allerdings doch noch eine gute Bewertung von mir bekommen. Denn wenn du krank bist, willst du es nicht in Gera sein! Aber was hat sich Meihn geärgert, dass er keinen Umfragenkatalog bekommen hatte – er als treuester Soldat aller Zeiten! Doch wenn er schon die Schulnote „sehr gut“ als Beurteilung bekommt und der immer noch erboste Hauptmann Kamerad Turn und mich als letzte mit einem knappen „gut“ abstempelt, hatte ich mit dem Beurteilungsbogen doch das letzte Wort. Die Abschiedsworte eines Vorgesetzten lauteten entsprechend: „Warum ich mir kein neues Auto leisten kann? Weil die Wehrdienstpflichtigen noch immer nicht umsonst arbeiten!“

 

Zu guter Letzt tauchte am Schluss noch einmal der Oberfähnrich auf, als stellvertretender Zugführer, während sich OLt Freidel schon auf seinen neuen Posten vorbereitete. Und der Neue kam gleich mal zu spät zum morgendlichen Antreten. Führerlos standen wir da, bis unser Vorgesetzter völlig zerstört daherstolperte und entschuldigend meinte: „Männer, bei mir hat jeder einen Tag frei, wenn er mal zu lang gefeiert. Mein Tag ist heute“, und ging wieder. Aber Recht hatte er! Endlich mal eine vorbildliche Einstellung, auch wenn sie uns nichts mehr nützte.

Der Rest war Formalität: Sachen abgeben, restliche Autogramme suchen, Stuben reinigen. Ein allerletztes Mal staubte Kamerad Turn noch eines seiner Armee-Souvenire ab: seine Erkennungsmarke. Zum Erhalt seines blechernen Ausweises mit Kette hatte er den zuständigen Stuffz solange wirr geredet, bis dieser völlig vergessen hatte, was Turn eigentlich bei ihm sollte, nämlich die Erkennungsmarke abzugeben.

 

Nach dem Ausscheiden:

Tag der offenen Tür:

Den 1. Juli ließ ich mir freilich nicht entgehen. Breuher und Mitgebauer, Fromholtz, Fux, Krahdsch und Därbsch und alle anderen aus zivilem Abstand zu betrachten hatte schon was für sich. Wenn ich mich ab jetzt auch frei und mit gutem Gewissen auf das WM-Endspiel freuen konnte. Das einzige, was mir noch eine Weile schwer im Magen liegen würde, war die Tatsache bis zum Alter von 35 als „Reservist“ zu gelten.

 

Tag der offenen Tür: Wolfsverladung, HiBa-Überquerung, Blick auf Gera
Tag der offenen Tür: Wolfsverladung, HiBa-Überquerung, Blick auf Gera

Und noch mal alle Stationen meiner 9 Monate im Überblick:

 


 

Im Falle des V-Falles:

Für den Verteidigungsfall kann ich nur sagen, dass er das ist, was ich am meisten versuchte zu verdrängen – während der gesamten Bw-Zeit. Die teils sinnlose Arbeit und das „Geficke“ ist gegen den Gedanken an den Kriegseinsatz - vor allem mit der Ausrüstung und Ausbildung,  die uns zur Verfügung standen - leicht zu ertragen. Und es ist ja nicht besser geworden (Link: ZeitOnline: „Kaputte Truppe“ , SZ.de: „Notstand bei U-Booten und Unterhemden“).

   Dennoch: wenn man von all der Misswirtschaft und Intoleranz (geschweige denn Gesetzesbrechung) einmal absieht, entspringen mir die größten Zweifel darüber die Zivilbevölkerung effektiv verteidigen zu können. Denn diese Aufgabe hätte ich dann mit bestem Gewissen zu erfüllen und wäre durchaus auch bereit dazu – wenn sich nicht diese riesigen Versagensängste vor mir auftürmen würden es mit dieser Ausbildung und Ausrüstung nicht zu schaffen.

   Alle Soldaten warten. Viele von ihnen auf den Krieg, darum sind sie Soldaten – ob im eigenen Land oder für fremde Mächte (im Grunde ist die Bundeswehr schon zu einer neuen Form der legalisierten Fremdenlegion avanciert). Mein Anliegen dagegen ist es, das Ende des Friedens mit größtmöglichem Nutzen so lange wie möglich hinauszuzögern. Daher will ich mich heute auch nicht mehr über die ewige Nichtstuerei beschweren.

   Wer nun erwartet hat armeeinterne, geheime Enthüllungen zu erfahren, den muss ich mit der Ausrede entschuldigen, in einem dreiviertel Jahr über den Grad des Obergefreiten nicht hinaus gekommen zu sein.

   Klar, gegen anderer Länder Armeen war unsere Zeit beim Bund ein Klacks. Aber man hätte sich ja hierzulande nicht einmal zu diesem Schritt entschließen müssen und mittlerweile ist die Wehrpflicht ohnehin abgeschafft bzw. „ausgesetzt“. Allerdings hätte ich nach manch anderer Länder Armeen solch einen Bericht vermutlich auch nicht mehr abliefern können. Doch eines ist allen Armeen gemeinsam: Militär bedeutet Gedankenwäsche. Der eigene Wille wird gebrochen, mit Drill und Gehorsam, mit sinnlosen Aufgaben und mit ewigem Warten bzw. Langeweile (körperlicher Überforderung und geistiger Unterforderung). Denn eine Kriegsmaschinerie kann sich nicht erlauben, dass die einzelnen Teile über den Sinn ihrer Aufgaben nachdenken und ihr Pflichten in Frage stellen.

 

Was wir gelernt haben:

Aus allem das Beste zu machen, sich da zusammen durch zu schleifen und an das Schönste in allem denken, durch jedes Problem irgendwie durchzurobben, trotz dem größten Scheiß Spaß zu haben… das macht den Zusammenhalt und die besten Erinnerungen an die Armee aus.

   Als Zivi bekam man zwar mit ca. 900 Euro pro Monat mehr Geld, während der Soldat ohne Entfernungspauschale oder Überstunden („Anrechnungsfälle“) gerade einmal 300 Euro pro Monat mitnahm. Aber da hatte man wahrscheinlich auch selten diesen Zusammenhalt und Austausch mit grundverschiedenen Menschen.

 


 

Musik, bitte!

Nichts erinnerte mich später so oft an diese Zeit wie gewisse Lieder, die man den ganzen Tag gehört hatte. Darum hier die vollständige Liedliste von MDR Jump zu jener Zeit 2005-2006 (geordnet nach Hördatum):

 

Grundausbildung:

-          „Boulevard of Broken Dreams” (Green Day)

-          „Von hier an blind“ (Wir sind Helden)

-          „Rip out Wings Of A Butterfly” (H.I.M.)

-          „Lift me up” (Moby)

-          „F.U.C.K.“ (Bloodhound Gang)

-          „Push the Button” (Sugababes)

-          „Engel Fliegen Einsam“ (Christina Stürmer)

-          „Bad Day“ (Daniel Powter)

-          „Love Generation“ (Bob Sinclar)

-          „Pump it“ (Black Eyed Peas)

-          „Hung up“ (Madonna)

-          „Ich bin ich“ (Rosenstolz)

-          „Undernath your Clothes“ (Shakira)

-          „Ich Lebe“ (Christina Stürmer)

-          „Advertising Space“ (Robbie Williams)

-          „White Flag“ (Dido)

 

Gefreitenzeit:

-          „You’re Beautiful“ (James Blunt)

-          „Uhn Tiss Uhn Tiss Uhn Tiss“ (Bloodhound Gang)

-          „Hollywood“ (Madonna)

-          „That Don´t Impress Me Much” (Shania Twain)

-          „Wenn es passiert“ (Wir sind Helden)

-          „Shine on“ (Apoptygma Berzerk)

-          „She's So High” (Kurt Nilsen)

-          „Every You Every Me” (Placebo)

-          „Sail Away” (The Rasmus)

-          Als ich fortging” (Karussell)

-          Bongo Bong” (Mano Chao)

-          „Pon De Replay” (Mr.DJ) (Rihanna)

-          Upside Down” (Jack Johnson)

-          Hips don’t lie” (Shakira)

-          „Is It 'cos I'm Cool” (Mousse T ft. Emma Lanford)

-          „Forca” (Nelly Furtado)

-          „Because of you” (Kelly Clarkson)

-          „Song To Say Goodbye” (Placebo) --> “Meihn oh Meihn!”

-          „Ironic” (Alanis Morissette)

-          „Come Undone” (Robbie Williams)

-          „A dios le pido” (Juanes)

-          „When I'm Gone” (Eminem)

-          „No no never” (Texas Lightning)

-          „Sin sin sin” (Robbie Williams)

-          „Whenever Wherever“ (Shakira)

-          „Don’t Bother“ (Shakira)

 

Und hier noch ein paar besondere Leckerbissen: