Westrussische Bodenexkursion von der Taiga bis zur Wüste

 

Wie alles begann…

Ursprünglich wollte ich nur mit Alex nach England fahren, weil er eine Sprachreise in Southampton angeboten bekommen und ich noch nichts für den Sommer vor hatte. Doch dann hörte ich durch Christian von einer Bodenkunde-Exkursion nach Russland. Um mich nicht entscheiden zu müssen und weil der Rückflug ohnehin über London führen sollte, buchte ich kurzer Hand drei Flüge: Berlin (Tegel) - Moskau (Domodedovo), Moskau (Domodedovo) - London (Heathrow) und London (Heathrow) - Berlin (Tegel).

 

Karte der Reisen in Westrussland und England (orange)
Karte der Reisen in Westrussland und England (orange)

Noch schnell am Institut für den kompletten August die HiWi-(Hilfswissenschaftler)-Aufgaben vorgearbeitet, Flug- und Bahnticket gebucht, das Visum und die Einreiseunterlagen für Russland beantragt und einen groben Plan für die Woche nach Russland in England gemacht, vier 4-GB-SD-Karten (aus heutiger Sicht lächerlich, aber 2011 war das gut) und drei neue Akkus für die Kamera gekauft, einen für’s Handy und neue Musik auf den MP3-Player gespielt, konnte die Reise angetreten werden.

Problematisch war von Anfang an, dass ich kein Russisch konnte, nicht wusste, wie ich in England eine Woche zurecht kommen sollte und ob die Maria nun doch mitkommen würde, ob wir uns mit Alex überhaupt in London trafen, ob ich die anderen Exkursionsteilnehmer in Russland treffen würde, wie ich zum Flughafen kommen sollte, falls doch niemand in Moskau Englisch sprach und – wie immer, wenn man allein reist – wer auf mein Gepäck aufpasst, wenn ich mal irgendetwas Wichtiges klären muss. Ziemlich planlos ging es also am 30. Juli in Jena Paradies los: mit zwei Rucksäcken und allerlei Technik am Gürtel mit dem ICE Richtung Berlin-Tegel.

 

Berlin-Tegel

Als ich in Berlin-Hauptbahnhof ausstieg und noch über sechs Stunden bis zum Flug Zeit hatte, wollte ich eigentlich noch mal Berlin bei Nacht erkunden, Gepäck einschließen und los ging’s… wenn es nicht geschüttet hätte wie aus Kübeln!

In Tegel selbst hatte ich noch neun Stunden bis zum Flug und suchte mir eine gemütliche Stahlbank um ein wenig wegzunicken – nachdem ich noch schnell geschaut hatte, wo mein Check-In sein sollte: Schalter A 06. Bereits nach wenigen Minuten kamen Sicherheitsleute und ich dachte mir schon, dass sie wie immer versuchen würden, mich vom Schlafen abzuhalten, aber sie räumten den Terminal gleich ganz und verwiesen uns auf den Nachbar-Terminal, weil dieser hier nachts geschlossen wurde. Schlief ich halt dort auf dem Boden neben anderen Touristen und Spaniern, die auf den Flug nach Fuerteventura warteten.

Nach fünf oder sechs Stunden störte mich der Einchecklärm dann zu sehr um weiter zu dösen, deshalb suchte ich gleich mal meinen Schalter und fand sogar Bänke in einiger Entfernung zur Anzeigetafel: immer noch A 06.

Während des Wartens schaute ich den Japanern, Türken und Arabern bei ihrer Ankunft zu und studierte die unterschiedlichen Gepflogenheiten der Begrüßung ihrer Familienangehören und Freunde – Berlin muss wirklich multikulturell sein, dachte ich noch. Das Ergebnis: alle verhielten sich sehr gleich: sie freuten sich. Wenn man dann so allein herum sitzt, fühlt man sich demgegenüber schon etwas verloren. Ich musste an „Terminal“ und „Up in the Air“ denken und versuchte mich nicht in die Szene als Zuschauer zu versetzen, der sich wünscht einen ebensolchen Empfang in Moskau zu erwarten, sondern als neutralen Beobachter, der nichts mit alledem zu tun hat, also jeglichen Gedanken von Emotion und Wunschvorstellung zu verdrängen und zu unterdrücken. Dafür unterhielt ich mich noch mit einem Sicherheitsbeamten über das Verkehrschaos in Berlin. Die ersten Sätze verstand ich zwar kaum, weil er ziemlich berlinerte, aber mit der Zeit erkannte ich ein paar Wortfetzen und konnte mir denken, was er meinte.

Als eine Stunde vor Abflug immer noch niemand am Schalter A 06 stand, wurde ich misstrauisch. Mein Gepäck allein lassend riskierte ich noch einmal einen Blick auf die Anzeigetafel und wie ich auf den letzten Metern dorthin schon befürchtet hatte, stand jetzt plötzlich B 26 als neuer Ort der Gepäckaufgabe dran. Wo war jetzt dieser verdammte Schalter wieder? Also schnell durch den Flughafen geflitzt und die richtige Schlange gesucht, als auch schon Christian nach mir rief und mir riet, mich in seine Schlange zu stellen. Nur dass er bereits elektronisch eingecheckt hatte, was ich nach einigen Minuten am Schalter erfuhr und mich noch mal anstellen musste. Derweil wurde es schon reichlich knapp und mit der Hektik kam auch die Schusseligkeit: da fand ich den Reisepass nicht, vergaß die Wasserflasche und die Äpfel auszupacken, stolperte fast noch über ein altes Mütterchen und so war ich nach neun Stunden Warten der Letzte an der Gepäckkontrolle.

 

Moskau: Anthrosol

Am Flughafen Domodedovo (sprich: Domo`dedowwa) stand schon Prof. Kuzyakov bereit um alle mit ziemlich gutem Deutsch abzufangen. Während der Stunde Wartezeit auf den Rest der Exkursionsgruppe machten wir uns schon mit dem Russischen Wetter vertraut: es regnete.

Durch Moskau jagten wir dann mit dem Bus durch das Sightseeing-Programm, sahen praktisch die komplette Stadt im Schnelldurchlauf, konnten uns aber dennoch kaum ein Bild machen, außer dass die Stadt riesige Ausmaße zu haben schien. Kreuz und quer durchfuhren die Straßen Moskaus und hielten gerade mal am Roten Platz (Krasnaja Ploschtschad = schöner / roter Platz)  kurz an, um wenigstens den Kreml, das Lenin-Mausoleum, das Einkaufsparadies GUM (Glawny Uniwersalny Magasin) und die Basilius-Kathedrale zu sehen. Letztere ist tatsächlich das Juwel russischer Architektur, denn mit ihrem auffällig bunten Mehrfachkuppelbau zieht sie alle Blicke auf sich, noch vor dem Kreml, dessen Bauplan ohnehin aus italienischer Feder stammt.

Nach dieser kurzen Besichtigung des wichtigsten Platzes der größten Stadt Europas verschlug es uns allerdings zunächst in den Norden, Richtung Verbilki um dort am Fluss Dubna die Taiga-Umgebung zu erforschen.

Roter Platz - Kreml-Haupttor, Lenin-Mausoleum, Basilius Kathdrale, mit GUM
Roter Platz - Kreml-Haupttor, Lenin-Mausoleum, Basilius Kathdrale, mit GUM

Taiga (Verbilki): Arenosol, Podsol, Katena, Histosol, Planosol, Gleysol

Mittlerweile schrieben wir den 1. August 2011. Die Schweizer Gemeinschaft unserer Gruppe demonstrierte ihre Zusammengehörigkeit mit Schweizer Flaggen und Luftballons an ihren Zelten, wir tauschten Lebensgeschichten miteinander aus und so langsam fanden sich Interessengruppen zusammen. Zwischen den ersten Erläuterungen zum Klima, den Bodeneigenschaften und Verbreitungen sowie Vegetationswucherungen unter Kiefernkronen und zwischen Igluzelten bekamen wir eine erste Einführung in die Klassifikation der russischen Bodeneinteilung und unserem Vorhaben der nächsten Wochen. Es würde ein straffes Programm sein. Denn täglich erwarteten uns mehrere Bodenprofile, die gegraben, bezeichnet, erklärt und teilweise wieder zugeschüttet werden wollten. Was uns an Sonne und Trockenheit hier fehlte, wogen die Mücken an Lästigkeit locker wieder auf. Aber nicht so süße, vereinzelte und kleine Blutsauger wie in Deutschland schwirrten hier um uns herum, sondern fette, lebenssaftlüsterne Brummer, die gleich in Armeen organisiert über uns herfielen, machten uns das Zuhören und Mitdenken schwer. Autan® und Anti Brumm® hießen darum die besten Bodyguards in diesen angriffslustigen Zeiten.

Doch wir lernten, dass der Boden immer nur die derzeitigen Verhältnisse widerspiegelt, allein durch das Klima auf gleichem Untergrund seine unterschiedliche Ausprägung erhält (ohne Eingriff durch den Menschen), ja selbst das Wasser in Mooren (scheinbar) bergauf fließen lassen kann.

(Die Erklärung für Boden-Nerds: Wenn nämlich ein Starkregen auf einer Mikroerhöhung niedergeht und im Boden Richtung Senke fließt, wo sich das Wasser sammelt und die Umgebung dadurch sumpfig wird, fließt es in Trockenzeiten wegen niedrigerer Konzentration in Hügelboden und wegen des entstandenen Konzentrationsgefälles wieder Richtung Hügel und sättigt dort die Erde.)

Verbilki (nördlich von Moskau)
Verbilki (nördlich von Moskau)

Noch am gleichen Abend gab es die erste Wodkarunde mit einer Flasche pro fünf Leuten um die gegenseitige Vorstellung in der Gruppe zu erleichtern.

 

Am nächsten Morgen erwachte ich durch ein Geräusch. Zwei Stimmen unterhielten sich. Eine schien zu Kichern und erst als das Kichern nicht endete, erkannte ich, dass es ein Schluchzen war. Es folgte ein etwas seltsames Gespräch direkt neben unserem Zelt: „Jetzt beruhige dich erst mal. Das klären wir gleich. Du hast dein Sachen verloren?“ In undeutlichem Englisch hörte ich Gerede von einem verlorenen Rucksack, bildete sogleich eine Theorie über jemand, der sich am Vorabend im Wald verlaufen hatte, als wir uns bei Sekt und Wodka einander vorgestellt hatten und es etwas heiterer und lustiger wurde. Sehr mysteriös, auch für Tom, meinen Zeltgenossen, der mittlerweile ebenfalls erwacht war und einen Teil mit angehört hatte. Was wirklich geschehen war, erfuhren wir auch später nicht. Aber als wir wieder in Moskau ankamen, brach ein Exkursionsteilnehmer zum Flughafen auf und versuchte in die Heimat zurück zu gelangen. Angeblich hatten ihm Liebeskummer und eine Krankheit zu stark zugesetzt.

 

Nach den ersten, morgendlichen Bodenprofilen führte uns der Kuzyakovsche Bodenlehrpfad an diesem Tag vorbei an einer Endmoräne mit reichhaltiger Fundgrube für alle Gesteinsinteressierten, durch herrliche Taigalandschaft und entpuppte sich sogar noch als Abenteuertour in Form einer Flussdurchquerung. Kuzyakov suchte angeblich nach einer seichten Stelle oder sogar nach einer Brücke, was sich allerdings im Nachhinein als geplante Maßnahme zum Zusammenhalt der Gruppe in unseren Köpfen etablierte. Doch im Gegensatz zu Verzweiflung und Missmut, was sich bei dem einen oder anderen Studenten diverser Fachrichtungen eingestellt hätte, kam bei unserer Gefolgschaft des Russlandpioniers Kuzyakov eher Heiterkeit über das Hindernis auf, den Geographen und ihrer gesunden Weltansicht sei Dank. Einige Kilometer weiter mussten wir noch schnell an einem Nonnendorf vorbei, dessen Nonnen wohl sehr argwöhnisch Fremden gegenüber sein konnten und so beeilten wir uns diese Siedlung hinter uns zu lassen, um nicht den Zorn der Gattinnen Gottes spüren zu müssen.

Verbilki - Nachtzelt, Endmoräne, Flussdurchquerung
Verbilki - Nachtzelt, Endmoräne, Flussdurchquerung

Mit der Besichtigung des Troizko-Sergievskii Klosters erlebten wir noch einen Teil russischer Kirchengeschichte, die sich erneut in bestaunenswerter Architektur und reich verzierten, mit Gold geschmückten Kuppeln manifestierte. Obwohl die religiösen Menschen in Russland heutzutage ihren Glauben sehr ernst nehmen, richteten sich die Gründer der Russisch-Orthodoxen Kirche einst um 1000 dagegen eher pragmatisch an den größten Vorteilen für sie selbst aus: Die Katholiken fielen wegen ihrer offensichtlichen Scheinheiligkeit und dem Zölibat für Priester durch, der Islam wurde wegen des Alkoholverbots abgelehnt, was in Russland nun wirklich nicht durchsetzbar gewesen wäre, und daher blieb nur noch die orthodoxe Variante des byzantinischen Reichs, was auch gleich mit der teilweisen Übernahme des griechischen Alphabets einherging, oder zumindest einen weiteren Vorteil durch die Ähnlichkeit dazu bot. Daher verbanden sie die Vorzüge miteinander und so kommt es, dass hierzulande Priester, im Gegensatz zu Mönchen, auch heiraten dürfen. Interessant fanden wir außerdem die sehr eigenen Toiletten, wie sie überall in Ost- und Südosteuropa vorkommen.

Verbilki / Sergijew Possad - Die Toilette, Klostertürme, Taubenfrau
Verbilki / Sergijew Possad - Die Toilette, Klostertürme, Taubenfrau

Das weitere Kennenlernen erprobten wir dann abends allerdings im gemütlichen Hotelzimmer Moskaus. Ein paar hundert Meter weiter gab es einen Supermarkt, der Bier, Wodka und Knabberzeug bot, so dass die gemütliche Runde in den Zimmern, auf dem Flur oder Balkon versorgt war. Hitzige Debatten über Festivals, Demonstrationen, Gesellschaftskritik, Erziehungsvorschläge und des vielen mehr gaben uns die geistige Nahrung und sättigten mit etwas Alkohol nachgespült irgendwann dann doch genug, um doch noch schlafen zu können.

Die Erkundung Moskaus begann mit dem eigentlichen Ziel: dem Agrar-Ökologischen Museum der Universität, indem wir allein und ohne weitere Besucher die Grundeinführung in die bodenkundliche Situation Russlands in Bezug auf die Welt erhielten. Neben einigen archivierten Bodenprofilen, Vegetation und Karten einiger (ehemals) sozialistischer Länder, wurde uns hier wenigstens noch einiges an Anleitung zur Erkundung gegeben. Was den weiteren Tag in Moskau betraf, mussten wir die Stadt selbst erforschen. Nicht gerade einfach, wenn man keine Ahnung von dieser Megacity oder von der russischen Sprache hat. Daher verliefen sich viele der nunmehr aufgeteilten, kleinen Grüppchen erst einmal in Richtung Kreml, um dort gleich vom Eintrittspreis abgeschreckt zu werden. Das GUM-Kaufhaus gegenüber war da schon wesentlich attraktiver für arme Auslandsstudenten zu betreten, so dass wir uns im Anschluss sogar noch den Eintritt in die Basiliuskathedrale (offiziell: „Mariä-Schutz-und-Fürbitte-Kathedrale am Graben“) leisten konnten. Zumindest mit ein paar Tricks verschaffte Patricio sich Einlass, der seinen Studentenausweis vergessen hatte und daher den von Magnus auslieh, welcher wiederum keinerlei Interesse an der Innenausstattung einer der wohl berühmtesten russischen und spektakulärsten bzw. schönsten Kirchen der Welt überhaupt zeigte. Doch obwohl er diesen geborgten Ausweis dreimal vorzeigen musste, fiel es niemandem auf, dass sein Gesicht nicht zu dem dort abgedruckten Foto zu passen schien.

Wie auch immer, das Innere dieser herrlichen Kirche ist ebenso imposant und sehenswert wie die äußere Erscheinung, nur wesentlich unbekannter. Zudem sang gerade in der Hauptkuppel ein russischer Männerchor voller Erhabenheit eine wunderbare Weise, die in diesem spitz zulaufenden Dom nahezu göttlich erschall. Nicht ganz uneigennützig verkauften sie im Anschluss zwar noch ihre CD, was allerdings angesichts dieser wunderbaren Stimmen eher eine Gelegenheit als schnöde Geldschneiderei zu sein schien.

Moskau - Basiliuskathedrale
Moskau - Basiliuskathedrale

Nach einer Runde über die Moskwa / Moskau, am Kremlufer entlang und zurück mit der Metro waren wir zunächst auch von Moskau bedient. Diese Stadt nimmt einem den Atem, in jeder Hinsicht: von der Entfernung, der Architektur, den Gegensätze, des Staunens etc. Mit ein paar Bier mussten wir unsere Kräfte daher im Hotelzimmer schnellstens wieder auffrischen. Immerhin wussten wir ja nicht, wann wir das nächste Mal in den Weiten Russlands eine Einkaufsmöglichkeit finden würden und in zwei Wochen ein ordentliches, untergäriges Bier zu brauen, ist für ungeübte Menschen (wie uns) auch nicht gerade einfach. Außerdem war es die letzte Nacht in einem richtigen Bett – für viele, viele Nächte lang.

Moskau - Dostojewski-Denkmal, Metrostation und -aufgang, GUM-Kaufhaus
Moskau - Dostojewski-Denkmal, Metrostation und -aufgang, GUM-Kaufhaus

 

Mischwald (Tula): Luvisole, Phaeosem

Der 4. Tag im August führte uns aus dem nunmehr sonnigen Moskau in einem heißen Bus Richtung regnerisches Tula. Den hiesigen Kreml (ja, es gibt nicht nur den in Moskau!) sollten wir uns wegen der strategischen Besonderheit heraus dennoch anschauen. Danach folgte ein wahrer Kulturhöhepunkt: das Anwesen Leo Tolstois stand auf dem Programm, mit interessanten Details wie z.B., dass russische Adlige der napoleonischen Zeit überhaupt kein Russisch konnten, weil das die Sprache der Arbeiter und Bauern, eben der einfachen Leute war, von denen man sich abheben wollte. So wurde in diesen Kreisen Französisch gesprochen. Tolstoi selbst, so ein anderes Detail, soll sich als ebenfalls Adliger davon abgehoben haben, indem er seinen Bediensteten Schulbildung zukommen ließ und ihnen sogar Rechte zusprach – welch ein wahnwitziges Unterfangen!

Jasnaja Poljana (bei Tula) - Birkenallee, das Anwesen, Tolstois Grab
Jasnaja Poljana (bei Tula) - Birkenallee, das Anwesen, Tolstois Grab

Zelte aufbauen im Regen, wer liebt es nicht? Feuerholzsammeln, spalten, sortieren, sägen, brechen und stapeln im Regen, Abendessen im Regen. Der Wodka wurde da bitter nötig um uns wenigstens ein bisschen aufzuwärmen und die Stimmung der Gruppe zu retten. Prompt begann durch eine Mundpfeife in Ermangelung einer Gitarre Gesang und Interpretation weltbekannter Melodien. Unter den Planen konnte so das stimmungsvolle Zusammensein durch Witze und Musik seinen Einstand im Felde feiern.

 

Der Schleimbrei am Morgen darauf bestand dieses Mal aus Hafer. Davor war es Gerste, Weizen und Reis (bzw. Milchreis) und danach würde es Gries und Mais werden. Dann wieder von vorn. Tolle Aussichten für jemanden wie mich, der damit nun wirklich gar nichts anfangen kann. Aber wenigstens hat es nicht geregnet. Und mit extra Marmeladenbroten lässt sich das Frühstück auch aushalten.

Diverse Betriebe der ehemaligen Sowjetunion gehörten natürlich auch zu einer agrarökologischen Exkursion dazu, weshalb wir im triefnassen Morast der Äcker über die Felder matschierten und doch noch den einen oder anderen interessanten Wissensfetzen aufschnappten. Unter anderem gehört hier der Betrieb anteilsmäßig noch allen Mitarbeitern. Die ehemaligen Kolchosen sind eigentlich in privatem Besitz und betreiben Mischanbau, Sowchosen dagegen sind staatlich organisiert und eher auf eine Fruchtsorte spezialisiert.

Dörfliche Häuser und eine verfallene Kirche
Dörfliche Häuser und eine verfallene Kirche

Desweiteren standen Bodenprofile auf dem Plan. Direkt nach der einführenden Vorlesung im Wald ging es los mit Graben, platt trampeln, Zuhören und Mückenerschlagen. Die Abwehrstrategie der Russen gegen die anstürmenden Tartarenstämme in dieser Region hatte es allerdings in sich: sie fällten die vordersten hundert Meter ihrer Waldstreifen (den Tula-Schneisen) um das Vorrücken den fremden Horden durch das dichte Blattwerk praktisch unmöglich zu machen.

 

Vor dem 7. Tag des achten Monats im elften Jahr des dritten Jahrtausends nach der Inkarnation eines unbewiesenen Religionsstifters lag noch ein Halt auf dem hiesigen Acker. Ein Schwarzerdeprofil wollte ausgehoben und gebohrt werden.

Tula - Bodenprofil der Tula-Schneisen, Waldzelten, Bohrung und Aushub eines Ackers
Tula - Bodenprofil der Tula-Schneisen, Waldzelten, Bohrung und Aushub eines Ackers

Waldsteppe (Woronesch, Divnogor‘je): Leptosol, Tschernosem

Während wir an und in Woronesch vorbei fuhren änderte sich die Waldvegetation schon stark in Feld und Grasland und es fiel vor allem eins auf: in der ganzen Stadt wurden Wohnplatten gebaut. Als würde die Stadt gerade erst aus der Taufe gehoben. Jedoch vollzieht sich gerade ein Wandel in der Wohnkultur. Während außerhalb Moskaus (und man kann Russland guten Gewissens in Moskau versus Restrussland einteilen) die Familienmitglieder vor allem unter einem gemeinsamen Dach wohnten, ändert sich diese Ansicht in westlicher Hinsicht, dass die erwachsenen Kinder bzw. junge Familien in eigene Wohnungen umziehen.

Die nächste Stationen dieses Tages fand kurz vor unserem Ankunftszeltplatz statt, als der Bus mitten im Schlamm stecken blieb und wir uns tonnenschweres Gefährt mal vor, mal zurück schieben mussten, um überhaupt voran zu kommen. Dass ich darauf nicht zu sehen bin, muss ich damit entschuldigen, dass ja irgendjemand dieses Foto machen musste. Überhaupt hatte mich schon vorher gewundert, dass ein Reisebus überhaupt solche Wald- und Wiesenwege befahren kann. Aber russische Lenkkunst macht‘s möglich.

 

Mitten im saftigsten Grün einer Flussauen-Überschwemmungslandschaft bauten wir schließlich die Zelte auf und erfrischten uns im nahen Nass des feuchten Flusses. Einige Schlingpflanzen machten dieses ganze Spektakel zwar etwas unangenehmer, aber die vorhandene Holzleiter im Fluss ermöglichte zumindest ein schlammfreies Aussteigen und gegen die Strömung zu schwimmen hatte auch seinen Reiz: man konnte sich danach tatsächlich einmal treiben lassen.

Nur die abendliche, russische Feierei der nahe gelegenen Zeltplätze auf der anderen Flussseite störte die nächtliche Idylle und den wenigen Schlaf, der die ganze Zeit über auf der Exkursion sehr gering ausfiel, zumal wir begonnen hatten mit und auch mal gegen unseren Schweizer Mitexpeditionisten zu diskutieren. Doch die Diskussionsgruppen legten sich sehr unnational fest und beliefen sich lediglich auf die jeweilig individuelle Meinung. So kam es, dass es ebenfalls gegen drei wurde, als wir endlich die Zelte aufsuchten.

Divnogorje - Bus mit Dieselmotor- und Menschenantrieb, Divnogorje-Flussaue, Kalkkirche
Divnogorje - Bus mit Dieselmotor- und Menschenantrieb, Divnogorje-Flussaue, Kalkkirche

Wieder einmal kulturell begannen wir diesen Tag mit einer Kalkhöhlenkapelle und einer überwachsenen Hasarenfestung. Erstere wurde von zwei Mönchen in den Kalkfelsen geschlagen, weil sie an dieser Stelle eine Gotteseingebung hatten und sich dadurch berufen fühlten, eine Klostergemeinde zu gründen. Die Hasarenfestung dagegen wurde auf dem Felsen angelegt um die nahenden Horden schnell zu erkennen und effektiv bekämpfen zu können. Durch die Landenge (Isthmus) zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer war dieser Landkorridor prädestiniert für tatarische Reiterhorden, da sie am Bosporus nur schwer übersetzen konnten – obwohl der Kaukasus eigentlich schon eine natürliche Barriere hätte darstellen sollen.

Divnogorje - Erosionsrinne
Divnogorje - Erosionsrinne

Etwas weiter davon entfernt saßen wir dann mehrere Stunden - gefühlte Monate - an einer Erosionsrinne, mitten auf einem Kalkhang und hörten uns sehr mühsam Vladimirs Ausführungen über die örtliche Flora an, bis wir endlich aus dieser elenden Hitze raus kamen. Unterwegs begegneten wir immer wieder Beifuss, bzw. Artemisia-Arten, wie z.B. auch Wermut, der praktisch als Leitgewächs überall in der Steppe vorkommt. Der Name, erfuhr ich dabei, leitet sich von der römischen Nutzung dieses Krauts ab, wonach sich die römischen Fußsoldaten Beifuß in die Sandalen legten, um den Schweißgeruch zu minimieren, da die Pflanze antibakteriell wirkt und die Entstehung von Geruch dadurch verhindert – weil man es also „bei die Füße“ legt. Gleiches versuchte ich ebenfalls in meinen bereits eine Woche ständig getragenen Schuhen und es wirkte einwandfrei! Außerdem war es das erste Mal, dass das Sprichwort „Da könnte ich mich reinsetzen!“ auch ausgeführt werden konnte, weil wir unser Zelt mitten im Beifuß aufgestellt hatten.

So schön der nahe gelegene See dort dann auch aussah, aber das Baden darin war wirklich keine Freude. Außer, dass man ständig andere Temperaturbereiche von arschkalt bis pisswarm durchschwamm, das Ufer so schlammig war, dass man erst einmal einen halben Meter tief einsank, man die eigenen Hände beim Schwimmen nicht mehr sehen konnte, weil das Wasser dermaßen mit Algen eutrophiert war und am Rand scharfkantige Muschelschalen lagen, war es ganz angenehm gewesen sich hier ein wenig abzukühlen. Das muss ein Ursprung der „russischen Seele“ sein: trotz aller Unannehmlichkeiten das einzig Positive zu genießen.

Steinsteppe - Eutrophierter See und Zeltlager
Steinsteppe - Eutrophierter See und Zeltlager

 

Steinsteppe: Tschernosem / Schwarzerde, Vertisol

Die Hitze nahm Überhand. So langsam wünschte ich mir die Kälte zurück, selbst wenn sie nasskalt gewesen war. Gerade in dem Ort „Steinsteppe“ war das deutlich zu spüren. Das örtliche Museum zeigte die Steppeneigenschaften konzentriert in einem winzigen Haus: von Bodenprofilen, getrockneten Mäusen (also Rodentarien) und Käfern, bis ausgestellten und ausgestopften Gräsern, über geschichtliche Agrarkonzepte der 40er Jahre und Gemälde großer Bodenkundler (insbesondere und ganz wichtig: Dokutschajew!).

Obwohl wir durch die Hitze ziemlich geschlaucht waren, stand noch mehr auf dem Programm: die Anlage künstlicher Seen wollte erklärt und verstanden werden; die Gründe, Folgen und physikalischen Eigenschaften von Waldschneisen zur Unterbrechung der Felder und Fruchtfolgen auf denselben sollten folgen; die örtlichen, landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und Betriebe (so langweil… wierig wie die Worte zog sich auch das Programm dahin) und deren technische, soziale, finanzielle, kulturelle Voraussetzungen und Auswirkungen in Bezug zu den regionalen Eigenschaften mussten erfasst sein; und zu guter Letzt die humusreichen Schwarzerdeböden (Tschernoseme) sowie natürlich wieder mal die dazugehörige Vegetation von Fürst Vlad dem Dritten wurden uns vorgeführt. Da alles in der Nähe war, konnten wir alles zu Fuß ablaufen bzw. mussten es. Noch schnell ein Bodenprofil auf dem Schwarzerdeacker gegraben, die Jugendlichen auf ihren Motorrädern über den Staubboden brettern gesehen und ab ging es zurück in die Zeltstadt.

Steinsteppe - Dokutschajew, Schwarzerdeprofil mit Kuzyakov, Motorradjugend, Beifuß
Steinsteppe - Dokutschajew, Schwarzerdeprofil mit Kuzyakov, Motorradjugend, Beifuß

 

Trockensteppe (Wolgograd): Kastanosem, Südschwarzerde

Unterwegs zur nächsten Station an diesem 9. Tag im August hieß die Zwischenstation … tja, wie eigentlich? Jedenfalls begutachteten wir das kleine Städtchen ausgiebig. Gerade die Kirche und der Markt waren außerordentlich interessant, weil man wie auf einem orientalischen Basar so ziemlich alles kaufen konnte, was nach mensch-gemachtem Müll aussah.

Novoanninski
Novoanninski

Doch die Zeltplätze wurden immer besser. Von anfangs kalter Taiga und hartem Waldboden hat es sich über immer noch Wald, aber weniger Mücken, danach immerhin nur noch nasser Wiese und einem Fluss zum Baden und eine Stufe weiter direkt am See (wenn auch ziemlich verdreckt) zu mittlerweile einem sauberen Fluss mit Ministrand, aber auch nahezu unerträglich gewordener Hitze gesteigert.

Holz wurde hier langsam knapp, da mittlerweile eher Gras als Wald vorherrscht und so versuchten wir es mit „Feuerholzsammeln auf steppisch“: mit Hilfe einer Wäscheleine morsche Äste von den Bäumen zerren – was auch einigermaßen funktionierte. Der Fluss hier war dagegen ideal zum Baden geeignet. Ein kleiner Strand ermöglichte sogar ein schlammloses Aussteigen nach der Körperreinigung und gerade auch der dringend notwendig gewordenen Wäsche der Wäsche, bevor es mit Vertisolen und Fluvisolen auf dieser Flussaue weiter ging. Doch diese waren in der Gluthitze teils so steinhart getrocknet, dass eine der zuständigen Bodengrabgruppen für 40 Zentimeter Tiefe drei Stunden brauchte. In dieser Region begann dann auch schon die Melonenesserei. Abends wurde dann wieder viel diskutiert und in den ersten der folgenden vier oder fünf Geburtstage hineingefeiert.

Steppe
Steppe

Es war sogar nachts noch so warm, dass wir nicht mal mehr Kondenswasser im Außenzelt hatten. Nach den morgendlichen Bodenprofilen bei schweißtreibenden Temperaturen kam der nächste landwirtschaftliche Betrieb auf unserer Liste an die Reihe. Die regionalen Knechte und usbekischen Gastarbeiter hatten teilweise das ganze Gebiss voller Goldzähne vorzuweisen, verdienten aber dennoch zu wenig um nach deutschen Verdienstmaßstäben diesen Gebissersatzaufwand zu rechtfertigen.

Im Gegensatz zur ersten Obstplantage in der Laubwaldzone, wo Äpfel, Birnen, Johannisbeeren und Kartoffeln angebaut wurden, den darauf folgenden Steppenbetrieben mit Getreide wie Weizen, Mais und Hafer, gab es hier vor allem Sonnenblumen- und Wassermelonenanbau in der beginnenden Halbwüste. Die Niederschläge reichen ohnehin kaum noch für ausreichend hohe Erträge und die Verdunstung ist durch die anhaltende Hitze zu hoch. Gerade jetzt – oder deswegen – begann die Klimaanlage des Busses Flüssigkeit auszuschwitzen und die darunter Sitzenden angenehm (?) kühl zu erfrischen.

Novoanninski - Melonengesicht, Kosakenkühlschrank, Klimaanlage
Novoanninski - Melonengesicht, Kosakenkühlschrank, Klimaanlage

Besser wäre da schon der Kosakenkühlschrank gewesen, den wir uns auf der Weiterfahrt im Freilichtmuseum anschauten, und der durch die luftige Bauweise den Wind als Kühlmittel benutzte. Dahinein wurde das Kühlgut (meist Milch) gestellt und seinerzeit eine Kröte in die Krüge gesetzt, die mit ihrem Treten gleichzeitig Sahne oder Butter erstrampelte. Überhaupt hatten die Anschauungsobjekte oft gänzlich andere Funktionen als man als Mitteleuropäer gedacht hätte. Die Veranda war so zum Beispiel nicht für den gemütlichen Ausklang des harten Arbeitstages gedacht, sondern als Verteidigungszone für angriffslustige Nachbarn und das Joch bzw. Traggeschirr an der Wand nicht für die Ochsen um sie vor den Pflug zu spannen, sondern für die Frau, um sie damit Wasserholen zu schicken. Das weiche und einzige Bett wurde meist nur ein einziges Mal für die Hochzeitsnacht benutzt. Ansonsten schlief man kollektiv auf dem harten Steinofen, direkt unter dem Dach und (das ist den altpreußischen Mitteleuropäern dann wieder vertraut) das Essgeschirr wurde lediglich in den Schrank gestellt, um bestaunt zu werden, aber ja nicht um davon zu essen!

Novoanninski - Kosakenwohnstube
Novoanninski - Kosakenwohnstube

 

Flussauen-Halbwüste: Fluvisol, Technosol (wegen Bombenartefakten!)

Nahe Wolgograd erschlossen wir in größter Hitze die Halbwüstenbodenprofile völlig ohne Gedanken an die Geschichte, als wir - ‚Klonk!’ - mit dem Spaten auf etwas Eisenartiges stießen. Als es herausgeholt wurde, ließ der entsprechende Hobbyarchäologe es beinahe gleich wieder fallen: denn es sah aus wie eine Mine. Etwas nervös legten wir es zunächst zur Seite, zerteilten beim weiteren Graben mit dem Spaten etwas konfuser Weise eine recht große Eidechse und entschieden uns, ihr ein qualloses Ende durch Köpfen zu bereiten, bis wir die weiteren, metallischen Einzelheiten der zerfetzten Bombe, die es in Wirklichkeit war, auch noch herausholten. Nach der Bodenprofilbeschreibung wurde sie wieder eingegraben, wie jedes Jahr, für die nächsten, denen dieser Schreck nicht erspart bleiben sollte.

Wolgograd - Bombensplitter oder Minenauslöser bei Stalingrad
Wolgograd - Bombensplitter oder Minenauslöser bei Stalingrad

Weil der ursprünglich geplante Abstecher zur Banja (der russischen Sauna) ausfiel, wie auch der Besuch der Forschungsstation (angeblich wegen technischer Probleme), hatten wir den ersten Nachmittag frei! Der wurde auch prompt am Donufer beim Waschen, Sonnen, Herumlungern und Baden verbracht. Dabei eignete sich die niedrige Wasserführung des Dons ideal für Wasserfrisbee und Wassertennis-Völkerball. Die ersten akrobatischen Nachahmungen des weltberühmten russischen Zirkus’ wurden auch bereits geprobt, indem manche eine Pyramide aus (noch) lebenden Menschen im Wasser errichteten. Auf diese Weise musste dieser berühmte Zirkus also entstanden sein. Eine ordentliche Runde Feuerholzspalten bzw. -sägen ließ den Tag rund ausklingen, nachdem wir unliebsamerweise für Magnus in seinen Geburtstag hineingefeiert hatten.

Ein Lagerfeuereindruck:

Gerade Magnus’ Einstellung zum Leben ist einigermaßen bewundernswert: Leben und Leben lassen. Schlagfertig und witzig sein, selbstbewusst und genau darüber Bescheid wissend, was man macht, aber noch nicht, was man will und Fehler zugeben ohne sich bloß zu stellen; kein festes Ziel haben, aber dennoch zielstrebig sein – angenehm aufrichtig und unterhaltsam, nicht keck, frech oder arrogant, aber ehrlich und menschlich. Wer weiß, welche Schritte notwendig waren, um so zu werden, aber selbstverständlich war es nicht. Doch es entsprach der Einstellung vieler Menschen, die ich als religiös und gottes- bzw. schickalsfürchtig kenne. Er allerdings hatte eher Ehrfurcht vor Heavy-Metal. So kamen wir mit ihm meist gut aus, weil er unterhaltend war und gleichzeitig tolerant gegenüber den Eigenarten der anderen.

Am 12. August 2011, 68 Jahre nach Ende der Schlacht um Stalingrad erreichten wir diese 50 Kilometer an der Wolga entlang gestreckte und eine Million einwohnermächtige Metropole, heute mit Namen „Wolgograd“, bis Stalin „Zarizin“ genannt.

Der erste Eindruck entstand mit dem Denkmal der bombenüberstülpten Familie am Wolgaufer. Doch es war kein Zufall, dass wir diesen Eindruck hatten, denn dieser entsteht an fast jeder beliebigen Stelle der Stadt, denn sie ist ein einziges Denkmal, überzogen mit sozialistisch-stalinistischen Bauten, neoklassizistischen Anlagen und etlichen Erinnerungsstätten.

Wolgograd - Bombendenkmal, Russische Treppenführung, Wolgaufer, Theateranstrich
Wolgograd - Bombendenkmal, Russische Treppenführung, Wolgaufer, Theateranstrich

In Grüppchen nach Wahl aufgeteilt erkundeten wir die Stadt ein wenig. Bei fünfzig Kilometern Länge in drei Stunden schafft man zu Fuß nicht viel, aber eine Vorstellung bekamen wir doch, zumindest was auch russische Lebensweise anbetrifft.

Gerade einige neu gebaute, postsowjetische Kaufhäuser boten die richtigen kulturellen Einblicke und Angebote, um uns noch schnell mit allen wichtigen Lebensmitteln für den Abend einzudecken: Bier. Das gab es in allen möglichen Varianten und aus allen möglichen bierberühmten Nationen. Das Wolgaufer selbst erschien dann sehr sozialrealistisch, mit alten, grauen Kulturzentren für die Massen, trist und wuchtig, aber mit einem Blick auf den gegenübergelegenen Wolgastrand, der mich an karibische Sande erinnerte, obwohl ich nie da war. Nicht anders bot sich uns das Kriegsdenkmal von „Mütterchen Russland“ oder „Mutter Heimat“. Überladen mit heroischem Pomp wurde hier das Andenken an die Schlacht um Stalingrad jeden Tag aufs Neue zelebriert. Die Frauenstatue mit wehendem Umhang, hoch empor gestrecktem Schwert und aufgerissenem Mund zum Siegesschrei mit bitterer Miene, die etlichen Skulpturen der Soldaten, die ihre verwundeten oder verzweifelten Kameraden stoisch ins Nirgendwo tragen, das Rondell mit einem ewigen Feuer, das von steifen Wachmannschaften behütet wird, allein schon die hoch gelegene Position auf einem Hügel mitten in der flachen Landschaft über der Stadt sollte den Eindruck von Macht und unbezwingbarem Siegeswillen, ja Unbesiegbarkeit erwecken. Es erklang Marschmusik und Wandreliefs sollten angeblich wahrheitsgetreu die Geschichte der Schlacht wiedergeben. Passend dazu bildete eine Kirche den golden bekuppelten Abschluss des Geländes, von dem aus man wirklich einen weiten Blick über die Stadt hatte.

Wolgograd - Weiter Blick, Mutter-Heimat-Statue, Aller-Heiligen-Kirche, ewigem Feuer
Wolgograd - Weiter Blick, Mutter-Heimat-Statue, Aller-Heiligen-Kirche, ewigem Feuer

Wieder zurück in der heimatlichen Natur der Halbwüste bauten wir uns erst einmal einen Kühlschrank – aber nicht nach Kosakenart, sondern nach Naturburschen- und Outdoor-Alternativ-Aktivistenart: wir gruben zwei Löcher in den Boden. Experimentell wurde das eine unten etwas dicker ausgehöhlt und mit der ursprünglichen Grasvegetation über ein darunter gelegtes Holzgitter abgedeckt (ich holte zusätzlich Wasser in einem Eimer vom Fluss und legte das Bier und die Schokolade zur Kühlung hinein). Das andere Bodenloch wurde tiefer ausgegraben und erhielt eine Plastiktütenabdeckung, die mit Heringen verankert wurde. Ergebnis: Je tiefer das Loch, desto kühler das Kühlgut, aber mit Wasser wird es umso kühler.

 

Beim diesmaligen Bad im Fluss Achtuba packte einige von uns die Erkundungslust und wir schwammen vielleicht zwei Hundert Meter ans andere Ufer, zum wesentlichen höheren und steileren Prallhang. Schon im Wasser machte sich ein Unterschied bemerkbar, denn wir stießen förmlich mit den Knien an eine steil abfallende Unterwasserkante im Fluss, die mit Wasserpflanzen bewachsen war. Das Ufer war entsprechend schwer zu begehen, noch dazu, weil wir ja barfuß waren, bevor wir auch den Steilhang noch hinaufkletterten. Oben angekommen überblickten wir allerdings nur ein recht karges Bauernfeld, und im Hintergrund vermutlich einige Ausläufer Wolgograds. Den Rest der Zeit wurden wieder Wasserkunststücke geprobt.

Wohin ein freier Nachmittag alles führen kann, zeigte Magnus’ Schicksal, der sich eigentlich nur die Hände am improvisierten Baumbecken waschen wollte, unglücklicherweise an dem Wodkafreund eines Busfahrers vorbei kam und durch seinen heutigen Geburtstag auf einen Schluck eingeladen wurde. Dieser Schluck verlängerte sich auf die halbe Nacht darauf und es wurde wild gefeiert und getrunken.

Umso erstaunter war ich, als Kuzyakov erklärte, wir wären eine ziemlich ruhige Gruppe am Lagerfeuer. Sonst wäre mehr los gewesen. Er begründete es sich selbst damit, dass seit diesem Jahr kein Wodka mehr an russischen Tankstellen verkauft werden dürfe.

Wolgograd - Kühlloch, Prallhang, teils durch Brände abgestorbene Bäume, Gottesanbeterin
Wolgograd - Kühlloch, Prallhang, teils durch Brände abgestorbene Bäume, Gottesanbeterin

Die vorhergehenden Tage waren heiß, heißer am heißesten gewesen. Aber jetzt brieten wir unter der Glutsonne der südrussischen Wüstensteppe bzw. nordkaspischen Steppenwüste. Neben den physikalischen und ökologischen Ursachen der Überschwemmungsrillen, trafen wir auch auf Hirschkäfer, Gottesanbeterinnen, diverse Spinnen und zur Überraschung vieler auf Cannabis, der dort zwar recht mickrig, aber in größerer Anzahl wild wächst.

Während der Profile nahe des Lagerplatzes bekam Kuzyakov auch den Anruf der Feuerwehr mit der Aufforderung kein Lagerfeuer mehr zu entfachten, da durch die Brandgefahr ein Feuerverbot erlassen wurde. Aber wir konnten wenigstens im Lager bleiben, da wir in manchen vorangegangenen Situationen schon befürchtet hatten vertreiben zu werden – allerdings nicht wegen der Feuergefahr, sondern weil zweimal Ranger gekommen waren. Vermutlich wurden sie mit ein paar Rubel zur Umkehr bewogen, oder sie waren schon mit dem Vorsatz gekommen, sich das übliche Bakschisch abzuholen.

Eine letzte Abschlussvorlesung als Zusammenfassung von den weltweiten Klimazonen mussten wir noch über uns ergehen lassen. Warum so negativ? Weil wir das im Studium und hier insgesamt bestimmt ein halbes Dutzend Male gehört hatten. Währenddessen zog schon starker Wind auf und es sah so aus, als würde sich ein Sandsturm vorbereiten. Dabei erschlug mich fast ein armstarker Ast, der keinen vollen Meter entfernt herunterbrach. Es musste ein Zeichen des Himmels gewesen sein! Man muss es nur richtig für sich deuten, dann weist es auch den Weg, würde ein Esoteriker an dieser Stelle sagen. Nur habe ich diesen Wink des Schicksals bis heute nicht ganz verstanden: Sollte ich mir daraus jetzt einen Wanderstab bauen und auf Pilgerschaft gehen, eine Ikone daraus schnitzen, einen Schlagstock basteln oder sollte ich einfach nur ab jetzt meine Zeit und zukünftige Chancen besser nutzen? Doch wenn man keinen Glauben als Interpretationshilfe hat, kann es so ziemlich alles bedeuten. Rein naturwissenschaftlich sollte ich es vermutlich als Warnung sehen nicht bei Sturm im Wald zu sitzen. Denn auch hinter uns unter den Bäumen krachte immer wieder einiges Gehölz zu Boden. Schon die vorherigen Zeltplätze waren mir nicht immer sicher vorgekommen, aber jetzt hatte ich die Bestätigung dafür erhalten.

Wolgograd - Am Achtuba
Wolgograd - Am Achtuba

Inzwischen war auch die zweite Exkursionsgruppe angekommen, die die Strecke in umgekehrter Richtung von hier aus begannen. Jetzt waren wir als zu siebzigst. Es war entsprechend eng im Lager und beim Essen. Doch nur wenige vermischten sich die Gruppen untereinander, was wohl auch daran gelegen haben mochte, dass schon die eine oder andere Geschichte ihrer Herfahrt zu uns durchgesickert war. So mussten sich einige wohl ziemlich stark betrunken haben, noch bevor die Fahrt eigentlich losging und im Bus gefeiert und gereihert haben (also ganz nach Kuzyakovs Geschmack). So wurden wir von der alleinerziehenden Ex-Gothic unserer Gruppe lediglich dafür verachtet, dass unsere heutige Generation nicht mehr so cool war wie früher, als noch fast jeder in der DDR Hanf geraucht hatte… Wie jetzt?? Wo doch alles an der innerdeutschen Grenze auseinander genommen und aufs Schärfste kontrolliert wurde? Ja, meinte sie, deswegen wäre der Stoff ja auch so teuer gewesen, weil das Risiko hoch war. Ach, na dann! Wo sie gerade mal zehn Jahre gewesen sein dürfte, hat sie das auch so eindeutig mitbekommen… na ja, Menschen und ihre Geschichten. Jedenfalls hatte sie diesen ortsansässigen Cannabis getrocknet und noch am selben Abend geraucht. Angeblich hatte es aber bei ihr keine Wirkung hervorgerufen. Wahrscheinlich hat sie statt der Blüten die Blätter geraucht. Soll vorkommen, da doch die Blätter immer als Symbol für die Neuhippies und Anarchisten dienen.

Wolgograd - Beide Exkursionsgruppen, Wüstenabend, Cannabis sativa
Wolgograd - Beide Exkursionsgruppen, Wüstenabend, Cannabis sativa

Salzwüste (Baskuntschak): Solonchak

Ebenso eng wie die Platzverhältnisse wurden die Wasservorräte am nächsten Tag. Etwa eine Flasche à zwei Liter reines Trinkwasser brauchte jeder von uns pro Tag bei dieser Hitze und während der ständigen Bewegung beim Profilegraben und Herumlaufen wurde das schnell mal auch mehr. Also brauchten wir etwa 70 Flaschen Wasser. Verdammt viel zu transportieren. Das dachten sich wohl auch die Organisatoren und Kuzyakov, weswegen sie es auch einfach sein ließen und wir entsprechend sehen mussten, wie wir mit unseren restlichen Wasserreserven zurecht kamen. Das verrauchte Wasser, das im Lager aus Flusswasser abgekocht wurde, war jedenfalls nicht die beste Variante zum Trinken, zumal es kochend heiß morgens zum eigentlich Teebrühen verteilt wurde.

Baskuntschak - Bogdo-Berge, Parkplatz in der Wüste, heiliger Kalmückenpilgerpfad
Baskuntschak - Bogdo-Berge, Parkplatz in der Wüste, heiliger Kalmückenpilgerpfad

Dann ging es in die Salzwüste, Baskuntschak. Immer öder, staubiger und vegetationsloser wurde es in Richtung Kasachstan. Der einzige Grund, warum dieses lebensfeindliche Gebiet rund um den 7 Kilometer tiefen Salzstock zu Russland gehört, war die Überzeugung Stalins, dass selbst innerhalb der SU dieses Gebiet unbedingt zu russischem Territorium gehören sollte, weswegen er einfach die Grenzlinie ein paar Kilometer verlegte. So liefen wir 5 Kilometer von der kasachischen Grenze entfernt auf die Erhebung eines Tafelberges mitten in der Ebene. Dieser war als Insel im Kaspischen Meer übrig geblieben und deshalb noch heute mit fossilen Muscheln und Tieren bedeckt, als sich das Meer schon längst 200 Kilometer weiter südlich verkleinert hatte. Immerhin liegt die Umgebung um diesen heiligen Hügel „Bogdo“ der Kalmücken (einem Volk ursprünglich aus der kasachischen und usbekischen Steppe) 20 Meter unter dem weltweiten Meeresspiegel.

 

Auf dem Gipfel steht ein Holzgerüst mit wehenden Fahnen im sehr starken Wind, die die Wünsche der Kalmücken in die Welt tragen sollen. Nach Kuzyakov’s Aussage soll der Wind hier oben sonst noch wesentlich stärker wehen. Etwa in der Art, wie die Jahrgänge vor uns mehr und ausgelassener gefeiert haben sollen. Schon klar. Um uns herum sah man jedenfalls die Kalmücken auf ihrem heiligen Pfaden den Bogdo umrunden und ansonsten weit in die umliegende Ebene hinaus, sowie auf den Salzsee Baskuntschak direkt unter uns und die gleichnamige Stadt, die nur deswegen hier im lebensfeindlichen Nirgendwo existierte, um Salz in alle Teile Russlands zu liefern. Alles andere zum Überleben der Menschen muss dagegen her geschafft werden.

Baskuntschak - Kalmückische Gebetsfahnen, Salzsee Baskuntschak, Stadt und Salzsee Baskuntschak, Motorradtaxi
Baskuntschak - Kalmückische Gebetsfahnen, Stadt und Salzsee Baskuntschak, Motorradtaxi

Wieder von der Erhebung heruntergestiegen fuhren wir weiter zum Salzsee hinab, um dort ein Bad zu nehmen, in Wasser, dass mehr Salz enthält als das berühmte Tote Meer in Israel mit derzeit 28 % – also fast 10 mal mehr Salz als im Meerwasser mit 3,5 % und über 100 mal mehr Salz als in Süßwasser mit maximal 0,1 %. Entsprechend verkrustet traten wir später heraus. Aber das Gefühl sich schwerelos in zwar nur knietiefem Wasser treiben zu lassen, war auch die Gefahr stark brennender Augen wert, die das Salzwasser verursachen konnte. Nur ein wenig mit mitgebrachtem Wasser konnten wir uns anschließend von den Krusten befreien, weshalb jetzt schon eine spätere Wäsche im Achtuba beschlossen wurde.

Baskuntschak - Salzwasserflasche, Salzbadesee, Dorfjugend in Baskuntschak
Baskuntschak - Salzwasserflasche, Salzbadesee, Dorfjugend in Baskuntschak

Vorher mussten wir allerdings noch die Solonchakböden der Salzwüste bestimmen. Festgebacken vom verdunsteten Wasser erwies sich die Grabung als äußerst anstrengend und nach 30 Zentimetern mussten wir die Arbeiten einstellen, zumal schon Grundwasser des nahe gelegenen Sees durchtrat. Interessant waren auch die motorradähnlichen Beiwagentaxis, die den über die letzten Jahre zunehmend stärker gewordenen Touristenstrom die ein bis zwei Kilometer sonst fälligen Fußmarsch über die Salzkruste transportierte. Zurück wollten wir ebenfalls damit fahren, weil wir gehört hatten, dass es nur 20 Rubel pro Person kosten solle. Als die Fahrer jedoch mitbekamen, dass wir westliche Ausländer waren, erhöhte sich der Preis schnell um das Fünffache auf 100 Rubel pro Person. Weshalb wir es aus Protest sein ließen. Andererseits ist es verständlich, dass Reichere mehr bezahlen. Nur ist es sehr willkürlich, wer als reich zählt.

Baskuntschak - Salzlandschaft
Baskuntschak - Salzlandschaft

Als Ersatz für das fehlende Wasser wurden von Kuzyakov noch schnell fünf oder sechs Wassermelonen für die 80 Leute (70 plus 10 russische Mannschaft) geschlachtet und filetiert, auch um die Wartezeit zu überbrücken, die die Busfahrer mit der defekten Mechanik einer der beiden Busse zu tun hatten.

Zu allem Übel nervte dann aus den hinteren Reihen Maria mit ihrem Techno-Dance-House-Radio-Wunschkonzert beim Busfahrer, nachdem wir schon einmal umkehren mussten, weil sie irgendwo ihren MP3-Player verloren hatte.

Baskuntschak - Müllhalde Salzsee, Solonchakboden, Halophyt (salztolerante Pflanze)
Baskuntschak - Müllhalde Salzsee, Solonchakboden, Halophyt (salztolerante Pflanze)

Abends wurde es dann gänzlich zur Klassenfahrt. Heute hatte Geburtstag: Mark. Wir tranken am Fluss, saßen im Sand und diskutierten lebhaft über Religion und ein paar Nebenthemen. Innerhalb der Gruppe 1 hatte sich eine Diskussionsgruppe gebildet, die zwar gespaltener Meinung über Gott und Religion sowie gesellschaftspolitischer Ausrichtung war, aber dennoch menschlich sehr gut miteinander auskam und sich auch als austauschwillig erwies. So kamen wir uns auch geistig näher und machten immer weniger Unterschiede im Denken untereinander aus.

Auch wegen der knappen Wasservorräte, aber aus reiner Neugier über die Funktionstüchtigkeit, versuchte ich mir tags darauf einen Wasserfilter selbst zu bauen, indem ich mich der Anleitung eines Survival-Experten von YouTube bediente. Neben einigen interessierten und neugierigen Blicken trafen mich auch manche Rügen, wie ich denn nur so verantwortungslos sein könnte Flusswasser zu trinken, wo man hier doch nirgends Wasser unabgekocht vertragen könne. Immerhin müssten wir noch 24 Stunden mit dem Bus nach Moskau fahren und könnten nicht ständig wegen meinem voraussichtlichen Durchfall anhalten. Später stellte sich heraus, dass das Wasser hier noch am ungefährlichsten war, verglichen mit dem Moskauer Frühstück. Denn dort mussten viele der Zweifler feststellen, dass Hotelessen nicht immer verträglicher ist als überlegt verzehrte Naturkost. Mit einigen Zentimetern Aktivkohle aus einem abgebrannten Baumstumpf, ein paar Lagen Zellstofffilter, Zentimeterweise Sand, Stroh und feinen Wildhafersamen darüber ergab sich eine durchaus funktionstüchtige Wasserfilteranlage in einer Plastikflasche. Dummerweise färbte der Wildhafer das Wasser gelblich und verlieh ihm den Geruch und Geschmack eines Kräuteraufgusses, weshalb mir die Skeptiker noch nicht glaubten. Dennoch versuchte ich zumindest einen Teil des Gesöffs und bewies damit dessen Ungefährlichkeit.

Die restliche Zeit bis zum nächsten Morgen war bestimmt von der Weiterfahrt zurück nach Moskau über 22 Stunden hinweg und die Nacht hindurch, ähnlich wie letztes Jahr nach Bulgarien und in den Abend- sowie Morgenstunden bestimmt vom Filmeschauen.

 

Moskau, zum Zweiten

Zurück in Moskau waren wir zu früh angekommen und der Busfahrer hatte aus diesem Grund wohl beschlossen noch ein paar Stunden sinnlos im morgendlichen Berufsverkehr durch die Megacity zu fahren, um die Zeit tot zu schlagen, bis wir zum Mittagessen in der Mensa eingeplant waren. Dann endlich doch angekommen tropfte es auch dort zur Begrüßung von der Decke, wie schon im Bus aus der Klimaanlage. Muss eine russische Tradition sein.

Die Wiedereinquartierung im Hotel verlief wie das letzte Mal: schleppend. Doch nun waren die letzten Tage zur freien Verfügung geplant. Daher hatten wir Zeit. Die nutzten wir auch gleich erstmal um etwas einzukaufen: Wodka und ein paar andere, weniger wichtige Lebensmittel. Während wir uns also mit der Reproduktion unserer Vorräte und mentalen wie physischen Kräfte beschäftigten (also duschen und ratzen), plante ich schon mal die folgende Woche in England (was auch dringend nötig war, wie sich später herausstellen sollte). Nach Wochenlanger Nachrichtenentbehrung brachte das russischen Fernsehen Schockierendes! Ich hatte ja schon per SMS erfahren, dass in London Unruhen herrschten, aber was in der Welt (also hauptsächlich Europa) gerade vor sich ging, grenzte schon fasst an anarchischem Ausnahmezustand: in London Randale und Tote, in Berlin brennende Autos, in Madrid wurde der Papstbesuch boykottiert, in Israel ein Reisebus entführt. Was doch alles passiert, wenn man mal nicht in der Nähe ist um aufzupassen!

Anschließend ging es auf zur Sehenswürdigkeitentour durch Moskau. Mit der Metrokarte konnten wir diese riesige Stadt für etwa einen Euro pro Fahrt erkunden. Im Gegensatz zu London später, war es jedoch möglich für den gleichen Preis beliebig weit und lange zu fahren und zu verweilen. Ein Relikt des Sozialismus.

Moskau - Hare-Krishna-Umzug, Hard-Rock-Café
Moskau - Hare-Krishna-Umzug, Hard-Rock-Café

Für den Kreml war es schon zu spät (etwa 4 Uhr nachmittags) und so entschlossen wir uns die große Einkaufsstraße Arbat zu erkunden. Neben einer Hare-Krishna-Sekten-Umzugsparty trafen wir dort außerdem ein Hard-Rock-Café an, das wir natürlich besichtigen mussten, wenn sich vor dem Eingang auch die mächtig muskelbepackten Kellner wie Türsteher aufgebaut hatten, als wäre dies ein privater Club oder zumindest ein edles Restaurant. Dennoch war meine Neugier auf das Innere stärker als mich davon abschrecken zu lassen, zumal es in Moskau immer mal etwas förmlicher aussieht als es letztlich ist. Jedoch schien es mir, als hätte der HRC-Shop nur eine einzige Größe: S. Denn es gab keine andere und auch als ich die Verkäuferin (sogar mal englischsprachig!) fragte, ob es denn in ganz Moskau nur so kleine Menschen gäbe - zugegeben etwas sarkastisch - antwortete sie genervt nur kurz: „Yes.“ Aber wenigstens die Inneneinrichtung sah mit ihrem Gitarrenhimmel über der Treppe sehr schön aus.

Weiter ging’s die Moskwa folgend hinunter zum Gorkipark („I follow the Moskwa, down to Gorki-Park“). Eigentlich wollte ich zumindest am Puschkinmuseum vorbeilaufen, aber die Entfernungen auf der Karte sehen dann doch noch etwas anders aus als in der russischen Realität und so stießen wir unversehens auf das Diplomatenviertel mit der dänischen, österreichischen und malawischen Botschaft. An der Australischen Botschaft schließlich wurde ich verjagt, als ich versuchte durch das Gittertor hindurch zu fotografieren. Dann noch schnell zum Gorkipark gegenüber der Tretjakow-Galerie und mit der Metro zurück zum Roten Platz, wo gerade alles für eine Militärparade der nächsten Wochen vorbereitet wurde, also überall schon Gerüste für Tribünen auf dem Roten Platz herum standen.

Moskau - Peter der I. - der Große als Seefahrer, Eingang zum Gorkipark
Moskau - Peter der I. - der Große als Seefahrer, Eingang zum Gorkipark

Das Abendessen war in einem ukrainischen (!*) Restaurant geplant, das Juliane bereits für 30 Leute reserviert hatte. Es befindet sich direkt an der Lenin-Staatsbibliothek nahe dem Kreml-Gelände und schon die Inneneinrichtung erschien recht rustikal und ansprechend. Mit Kaviar, Lachs, Schinken, Blutwurst, Obst und diversen anderen Vorspeisen stiegen wir auch recht kulinarisch ein, dazu ein kühles Bier in dieser doch recht warmen Abendstimmung und zum Hauptgericht etwas Gebackenes, für jeden unterschiedlich. Etwas entsetzt starrten wir dann allerdings auf die Rechnung, die für die Vorspeise und vor allem für das Bier doch recht bedeutende Preise forderte (allein das Bier kostete umgerechnet 10 Euro; das billigste und zweitbilligste war angeblich ausverkauft). Empört sammelten wir das fehlende Geld zusammen und verließen das Etablissement ins nächtlich erhellte Moskau, die horrenden Köstlichkeiten im Magen, mit dem Vorsatz uns nie wieder abziehen zu lassen. Das Bolschoi-Theater bildete dann die abschließende Station diesen Tags.

* Man sieht: Weltgeschichte kann sich rasch ändern: 2011 war es kein Problem in Moskau in einem ukrainischen Restaurant zu essen. Drei Jahre später hätte es vermutlich durch die Annektion der Krim Mord und Totschlag dort gegeben. Aber immerhin: Das Restaurant existiert noch!

Moskau - Ukrainisches Restaurant, Bolschoi-Theater, GUM
Moskau - Ukrainisches Restaurant, Bolschoi-Theater, GUM

Der nächste Tag, ein 17. des großen römischen Kaisers Augustus gewidmeten Monats, stand im Zeichen des Roten Platzes. Denn zunächst reihten wir uns in die Schlangen am Lenin-Mausoleum ein, ca. eine dreiviertel Stunde. Und nachdem wir alles Gepäck abgegeben hatten, erwartete uns natürlich wieder ein Metalldetektor lange vor dem Eingang mit zwei Wachhabenden, die die Rucksäcke nochmals filzten – krasser als am Flughafen! Innerhalb des Mausoleums bewachte dann je eine Wache jede Ecke der Grabstätte des berühmtesten aller Russen, als ob ihm noch in irgendeiner Weise geschadet werden könnte. Deswegen durfte man auch nicht reden, nicht stehen bleiben, natürlich auch nichts anfassen und ganz wichtig: die Hände nicht in den Hosentaschen vergraben! Einer der Schweizer erzählte, dass er genau das getan hätte, als ihn einer der Wachen mit Gesten mitgeteilt habe, er solle doch bitte die Hände aus der Hose nehmen. Daraufhin sagte er es gleich verdutzt seinem danebenstehenden Mitschweizer, wurde deshalb wieder ermahnt und blieb erstmal noch verwirrter stehen, als ihn der nächste schon wieder weiter scheuchte, weil er stehen geblieben war.

Lenin selbst schläft scheinbar hinter seinem Glas wie aus Wachs. In fünf Minuten (höchstens) war die ganze Leichenschau auch wieder vorbei. Und so wartete der Kreml schon auf unseren Besuch. Dort erfuhren wir, dass man nicht fotografieren durfte, zumindest stand es so auf einem der Schilder. Also gaben wir als vorbildliche Deutsche unser Gepäck und alle Geräte für 60 Rubel pro Stück ab, gingen wieder durch eine Hochsicherheitszollstelle hinein und merkten, dass wir so ziemlich die einzigen waren, die sich daran zu halten schienen. Zunächst dachten wir, dass dieses Verbot vielleicht nur für Ausländer gedacht war, aber die zahllosen Japaner knipsten fröhlich drauf los mit ihren nicht etwa versteckten Kameras, sondern frei sichtbar und um die Brust geschnallt, mit bis zu drei Apparaten gleichzeitig. Abgesehen von einer Menge Kirchen, so befanden wir etwas frustriert, war in der ehemaligen Stadtfestung Moskaus ohnehin nichts zu sehen.

Moskau - Panorama in 6 Akten - Ouvertüre der Erlöserkirche, Taube als Spannungsmoment, Erlöserkirche in den Blütezeiten, Umgebung des Schauplatzes, Finanzzentrum Moskaus als Zukunftsvision und die siegende Schifferstatue als Kursgeber
Moskau - Panorama in 6 Akten - Ouvertüre der Erlöserkirche, Taube als Spannungsmoment, Erlöserkirche in den Blütezeiten, Umgebung des Schauplatzes, Finanzzentrum Moskaus als Zukunftsvision und die siegende Schifferstatue als Kursgeber

Zum Gorkipark an sich war es ja schon so eine Weltreise vom Kreml aus. An einem Hafenviertel vorbei mit etwas zu deutlich blinkenden Bordell- oder Diskotüren überholten wir die Statue Peter des I. und kaum waren wir daran vorbei, während Patricio und ich noch etwas zurückgeblieben waren um Fotos zu machen, als vor uns ein Polizeibus plötzlich hielt und sechs Polizisten ausstiegen um die vorderen Vier unserer Gruppe anzuhalten. Wir hielten uns dezent im Hintergrund und taten so als würden wir nicht dazu gehören. Dabei schluckte Patricio schon bitter, denn er hatte seinen Reisepass im Hotel vergessen und bevor er das den Russen auf seinem nicht vorhandenen Russisch in Englisch erklärt hätte, was die nicht verstanden hätten, weil hier ja so gut wie keiner Englisch versteht, hätten die ihn einfach mitgenommen. Also noch mal Glück gehabt. Die Polizei wollte einfach mal die Ausweise sehen, erklärte uns die Gruppe später. Mit den Schweizer Pässen hatten die zwar auch so ihre Probleme, weil die eher aussahen wie die ehemaligen DDR-Impfausweise, aber nach einigen mürrischen Grimassen ließen sie auch die durchgehen.

Moskau - Kreml
Moskau - Kreml

Wie jemand später nochmals bestätigte, erschien einem der Gorki-Park sehr lebhaft und dennoch gelassen ruhig. Überall übten Tanzgruppen, Parkour-Sportler, Yogaisten und andere merkwürdige Personen ihre Freizeitaktivitäten. Über die überdachte Brücke ging es dann in eine Straße, in der kein Auto an den Straßenrändern unter hunderttausend Euro kosten konnte. Die Häuser sahen zwar entsprechend schäbig wie Lobedaer Plattenbauten aus, aber bei den Autopreisen blieb eben nicht mehr viel für die Behausung übrig. Man muss sich schon entscheiden und wissen was man will, wenn man Bentley, Maserati, Ferrari, Cadillac, Mercedes, BMW, Porsche Cayenne S, Audi, Jaguar, Volvo oder natürlich Landrover fährt.

Moskau - Havenviertel und Bogdana-Brücke
Moskau - Havenviertel und Bogdana-Brücke

Irgendwohin fuhren wir dann mit der Metro in Richtung der komischen Szenedisko nach Julianes Vorschlag, wo wir allerdings vergeblich einige Stunden auf die anderen – vor allem Juliane – warteten, weil sich jemand mit der SMS vertippt hatte und sie nicht an Juliane verschickte, sondern an Mark und der natürlich sagte: „Klar komm ich auch hin!“ Das wussten wir zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht und als es mir dann zu bunt wurde, fuhr ich allein quer durch Moskau mit der Metro. Problematisch wurde es, weil ich sonst immer mit anderen in der Gruppe gefahren war und mich nicht allein orientieren musste. Jetzt stieg ich allerdings irgendwo in dieser Stadt ein und hatte keinen Plan von der Streckenführung, der Sprache oder den Gepflogenheiten. Immerhin die Buchstaben konnte ich mittlerweile halbwegs und mit Mühe entziffern. So muss sich ein Analphabet fühlen. Irgendwie schaffte ich es dann doch, sogar ohne mich zu verfahren, auch wenn ich mehrere U-Bahnen vorbei fahren lassen musste, weil ich nicht wusste, ob es die richtigen waren. Aber zum Glück kommen die ja mindestens alle drei Minuten. Bis heute staune ich über die Anzahl von Waggons, denn das ganze U-Bahn-Netz muss mit Waggons voll gestellt sein, die immer nur im Kreis fahren, ohne wirklich ein Ende zu haben.

Moskau - Am Gorki-Park
Moskau - Am Gorki-Park

Im Hotel traf ich dann jedenfalls die anderen wieder, die ich eine dreiviertel Stunde zuvor verlassen hatte. Offensichtlich waren sie schneller durch die Stadt gekommen, obwohl sie noch eine Weile dort im Park vor der Disko sitzend zugebracht hatten. Ich musste ganz schön lange überlegt haben, da unten in den Kellergewölben der Metropolitan. Der letzte Abend wurde trotzdem noch mal gefeiert, mit Melonenbowle und Wodka.

 

Der Abschied am Morgen fiel so manchem schwer. Immerhin hatten wir uns die meiste Zeit über sehr gut verstanden und eine Menge erlebt in zweieinhalb Wochen Russland. Zumindest bei dem Nachtreffen in Bayreuth zur „Nachbesprechung“ zwei Monate später sahen wir uns ja alle wieder.

 

Eine Zugabe von Moskau

Die Verlängerung der Hotelzimmer nahm noch mal seine Zeit in Anspruch, wie immer, doch Juliane und Patricio wollten ja sowieso in der WG von Dima übernachten. Den kannte Juliane über die Zwischenmieterin ihrer Wohnung, weil sie gleich im Anschluss an die Exkursion für ein Semester nach Göteborg wechselte – verrücktes Weib! Denn Dima kannte sie nicht persönlich, sondern hatte nur ein paar mal am Telefon auf Russisch mit ihm gesprochen. Für mich und drei kunstinteressierte Mädels stand währenddessen die Tretjakow-Galerie auf dem Programm, um uns noch ein bisschen Kunst reinzupfeifen (immerhin vier Stunden Hardcore-Kultur) sowie die Besichtigung eines Skulpturenpark, in dem auch die gestürzte Statue des KGB-Gründers Dserschinski bestaunt werden konnte.

Davor wartete ich dann auf Christian und Tom, die ebenfalls in der Galerie weilten und trafen schließlich auch Juliane und Patricio wieder. Auf die Frage, ob ihre WG-Besichtigung erfolgreich war, tauschten sie zuerst nur gegenseitig mulmige Blicke aus und erzählten dann von ihren Erlebnissen der letzten Stunden: Sie hatten sich also hingefunden und waren gleich mit den WG-Mitgliedern ins Gespräch gekommen, die auch sehr freundlich schienen und ihnen sofort einen Joint anboten. Dumm nur, dass dort anscheinend die ganze Zeit geraucht wurde und aus der „Schlafmöglichkeit“ nichts werden würde, weil jede Nacht Party angesagt war. Nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die WG mit Hasch und Alkohol nur so voll gestopft war, weil sie so ziemlich sämtliche Diskotheken Moskaus belieferte. Damit lassen sich auch die Highend-Gerätschaften erklären, die der dort wohnende DJ beherbergt. Alle schienen-schon-wieder-immer-noch breit zu sein. Aber am krassesten war wohl der Bordmathematiker und -informatiker, von dem beide sagten, sie hätten noch nie einen so zugedröhnten Menschen gesehen. Schließlich wollte Juliane noch mal kurz das WC benutzen, kam aber gleich wieder und Patricio fragte schon, wie sie das so schnell gemacht hätte, wo Frauen doch immer gern länger brauchen. Die Antwort war, sie wollte lieber noch aushalten, weil das Klo wohl noch schlimmer als im Kloster nördlich von Moskau gewesen sein soll. Und weil sie nach drei Wochen Exkursion auch mal wieder schlafen wollten, statt die ganze Nacht zu feiern, entschieden sie sich schließlich im Hotel der nachbezahlten Zimmer auf ihrer Isomatte schwarz zu übernachten.

Denn am nächsten Morgen begann eine Odyssee durch Moskau zum Flughafen, die erst in London am Ibishotel wieder enden sollte.

Es begann damit, dass ich zwar zusammen mit zwei der gestrigen Mädels zum Flughafen fahren wollte, die Metro allerdings nicht bis dorthin reichte und ich nicht allein durch eine Stadt wollte, deren Sprache ich nicht verstand, sich die eine aber am Tag zuvor den Fuß verstaucht hatte und deshalb nur sehr langsam laufen konnte und die andere die ganze Zeit nur am Nörgeln und Panik schieben war.

Nachdem wir es doch noch zum Flughafen geschafft und ich die beiden verabschiedet hatte, weil ihr Flug schon zwei Stunden früher ging als meiner, hatte ich noch drei Stunden Zeit, checkte schon mal vorsichtshalber ein, damit ich nicht wieder wie in Berlin kurz vor knapp am Schalter ankam, obwohl ich Stunden zuvor schon da war. Währenddessen schrie zwar noch ein hosenloser Mensch aus der Herrentoilette stürmend irgendwas über den halben Terminal und verfluchte anscheinend gerade den anderen Menschen, der ihm die Hose samt Unterhose geklaut hatte, aber sonst passierte nichts weiter Aufregendes. Vielleicht zu wenig, denn als ich mich so langsam zur Körperkontrolle aufmachte, merkte ich, dass schon wieder so wenige Leute anstanden und dass ich schon längst im Flugzeug hätte sitzen sollen! Ein ziemlich hippiemäßig aussehender, anscheinend Nichtrusse schien das gleiche Problem zu haben, denn auch er hastete noch schnell durch den Detektor, kam aber noch wesentlich eher im Flugzeug an als ich, weil ich mich mit einer der Mitarbeiterinnen noch darüber verständigen musste, dass die Plastiküberzieher nicht für die Schuhe, sondern für die Strümpfe gedacht waren, während ich schon im Körperscanner stand. Also musste ich nochmals raus und wieder rein, was alles zusätzlich Zeit kostete, die ich doch gerade jetzt nicht mehr hatte. Aber wahrscheinlich wollten die beiden Damen am Körperscanner meinen Körper nur noch einmal nackt am Bildschirm bestaunen, redete ich mir zur Beruhigung ein. Im Flugzeug dann traf ich natürlich wieder auf den Althippie, der auf dem Platz neben mir saß und zusammen mit einer chinesisch aussehenden, russischen Ökonomin, die Englisch, Deutsch, Spanisch, Französisch und Niederländisch (warum auch immer dies) sprach und zwei Jahre in München studiert hatte, in einer illustren Philosophenrunde und erfuhr unter anderem einige Lebensweisheiten dieses Althippies, der sich als schottischer Yogalehrer und in London beheimatet vorstellte und der nur mal eben in den Ural gereist war, um den dortigen Schülern die richtigen Kniffe in Sachen Entspannung beizubringen. Ganz schockiert war er über die Frage, ob er (das) denn sogar studiert hätte, denn anscheinend studierten alle in Großbritannien oder nennen es zumindest immer so, wenn sie auch nur eine Lehre gemacht haben. Außerdem entrüstete ihn die mittlerweile deutsch gewordene Tradition gutes Bier mit allerlei Säften und Limonaden zu mischen. Wo doch gerade in Deutschland noch Wert auf Reinheit gelegt werde. So brachten wir die Zeit herum, sprachen über Meditation, Konzentration, den Sinn von Prinzipien, die Jagd nach immer währendem Glück, Kampfsport und was an Parkour Ästhetik bedeutet, Drogen und warum ich es ablehnte Hasch oder überhaupt Tabak zu rauchen und moralische Werte, ja tauschten sogar Adressen aus. Ich solle ihn doch mal in der Nähe von Southampton besuchen, wenn ich schon mal in der Gegend unterwegs war. Was ich sicherlich auch gemacht hätte, schon allein weil ich noch nicht mal wusste, wo ich überhaupt übernachten würde. Nur dass seine Adresse komplett aus Nummern bestand und ich damit nichts anfangen konnte – sorry Keith! (Hm, war sein Zweitname oder Nachname nicht irgendwas mit „Richard“ gewesen und hatte er nicht auch erwähnt, dass er ab und zu nebenbei mit ein paar Kumpels durch die Lande zog und ein bisschen auf der Gitarre zupfte?)

 

Doch was in England passierte, sollte alle Erlebnisse der letzten drei Wochen in den Schatten stellen! Man sei gespannt…


Und dann waren da noch… Fotos, für die kein Platz mehr war:

Motivmotto: Moskauer Metrostationen

Motivmotto: Arbeit (oder auf russisch: rabota bzw. "Roboter")


Epilog

Sechs Jahre später sollte ich zwei Mitglieder der Russland-Exkursion übrigens wieder treffen. Die eine davon war damals noch gar keine Studentin, dafür heute einer der süßesten Versuchungen seit es Russland gibt ;)