Barcelona

Party-Hipster-Metropole oder kriminelle Touristen-Hochburg?

 

Situation:

Es ist ein Traum vieler Europäischer Youngsters wie auch amerikanischer, australischer und asiatischer Touristen und es wurde von Freddie Mercury leidenschaftlich umsungen: die katalanische Hauptstadt Barcelona an der Ostküste des von Katalanen ungeliebten Spaniens, aber mit Sicherheit Teil der iberischen Halbinsel.

So haben auch Kamerad Alex und ich - die wir zu Schulzeiten nun schon manches Land in Trümmern zurückgelassen hatten - diese Verheißung von Party und Kultur im Visier. Hier müssen sich doch ein paar spanische Chicas erobern lassen! Wenn sie nicht zu uns kommen, müssen wir uns eben mit aller militär-touristischer Art zu ihnen durchkämpfen. Als ehemalige Bundeswehrsoldaten haben wir die heiße Schlacht am kalten Buffet zu führen, um unserem Vaterland den Titel der schlimmsten Touristen von den Engländern, Chinesen und Russen zurück zu gewinnen! Und nachdem ich in diesem Punkt mit Ralf schon vor Jahren einige Kilometer vor der spanischen Küste eine herbe Niederlage einstecken musste, obwohl wir uns wirklich angestrengt haben unausstehlich zu sein, versuchen Alex und ich nun mit aller uns zur Verfügung stehenden touristischen Ignoranz diese Küstenstadt strategisch zu infiltrieren. Natürlich ist der Auftrag als „Friedensmission“ zu betiteln, um die angespannte Situation zur Unabhängigkeit Kataloniens zu beruhigen und etwaige Bedenken auszuräumen, man würde einen „Krieg“ führen. Auf Festivals heißt es nicht umsonst „Duschen ist Krieg!“ oder „Kacken ist Krieg!“, o. s. ä. vielleicht kommt das von „etwas kriegen oder nicht kriegen, das ist hier die Frage“ und wäre somit wieder literarisch wertvoll. Deswegen soll das Motto hier nun lauten: „Barcelona ist Krieg!“.

Anflug und Übersicht Barcelonas
Anflug und Übersicht Barcelonas

 

Parole (Spruch der Woche von Alex):

„Die Fauna blüht schon!“

 

Lagebesprechung:

Der erste Spaß kündigt sich allerdings schon vor der Reise an: Kamerad Alex hat sich erkältet und ein ausgiebiges Partyleben muss daher erst einmal zurückgestellt werden. Nach kurzer Begutachtung vom diensthabenden Feldarzt, zu dem ich mich mangels Ersatz und aufgrund der geringen Truppenstärke ernenne, wird KZH (Bundeswehrsprache für „krank zu hause“) allerdings nicht gestattet. Doch nicht dass ich mich darüber sonderlich ärgere. Bin ich doch eher ein Entdecker als der Dandy. Doch das bedeutet nun an die Chicas anschleichen, statt Überraschungsangriff.

Der nächste Spaß noch vor Einlass in den Partytempel Europas bedeutet vom Flughafen in die eigentliche Stadt zu gelangen. Der Wegezoll hier ist mörderisch! Denn wie schon in Australien und in so vielen anderen Touristenzentren werden wieder einmal saftige Gebühren für den Transfer vom Flughafen fällig. Tja, so ein Eroberungsfeldzug ist teuer! Nur Berlin ist eine Ausnahme von dieser Regel: dort hat man nur mit den Busfahrern zu kämpfen, und das manchmal wortwörtlich. Doch wenn schon so viele spanische Touristen nach Berlin pilgern, dann marschieren wir eben im Gegenzug durch Barcelona.

 

Auftrag: Einzug in die Stadt

Die Stadt zu erobern bedeutet sich einzulassen auf einen abenteuerlichen Feier-Tourismus: zwischen bewaldeten Bergen und azurblauem Meer ziehen sich Häuserschluchten wie selbst aus dem Dreck. Dazwischen: Party und Gaudi – wie außerirdisch erscheint die Kunst des katalanischen Idols, zwischen den Clubs und Bars. So lassen wir uns denn ein.

Erste Stadtansichten

Wenn wir schon nicht selbst führen können, müssen wir wenigstens eine englischsprachige Stadtführung mitmachen. Und wie schon in den USA, erkennt man uns auch hier wieder nicht als Deutsche. Die Tarnung und Täuschung funktioniert also!

Dafür wimmelt es wie überall vor deutschen Zivilisten. So auch ein Punk / Hippie / Obdachloser / Alternativer oder etwas ähnliches, der uns nach etwas Geld für seinen Schäferhund anbettelt. Nach einer kurzen, aber intensiven Diskussion darüber, warum man unbedingt in Barcelona betteln muss, statt zuhause in Deutschland herumzulungern und dass damit die europäische Wahl der „Wohnstätte“ bei ihm nicht etwas weit ausgelegt wird, muss er einsehen, bei unserer dekadenten Ignoranz Bettlern gegenüber mit Argumenten nicht weiterzukommen. Ein Punkt für unser Ziel auf der Skale der möglichst schlimmen Touristen aufzusteigen. Zugeben muss man dagegen, dass die meisten hier etwas für ihr erschnorrtes Geld tun: in der U-Bahn gibt es genauso viele freischaffende oder angestellte Bettler wie in Berlin, aber hier kommt keiner ohne Musikinstrument oder irgendein anderes Angebot wie z. B. freies W-LAN daher, statt der bloßen Aussicht auf Erleichterung des sozialen Gewissens. Soldaten haben allerdings kein Gewissen. Darum ist uns auch dieses Angebot herzlich egal. Aber die Zivilbevölkerung muss schon selbst entscheiden, wem sie ihre Löhne für diese Dienstleistung überlässt.

Plaça Reial
Plaça Reial

Allerdings kann man hier auf dem Plaça Reial sehr gut die teils organisierte Vorgehensweise des bettelnden Volkes erkennen: in festgelegten Abständen erscheinen verschiedene Akteure auf der Bildfläche um ihre Hilfsbedürftigkeit zur Schau zu stellen, so z. B. eine junge Frau, die eine geistige Behinderung zu haben scheint und versucht mit Sangeskünsten Aufmerksamkeit zu erregen, während sie mal hier und mal dort durch die Gegend hüpft und vollkommen undiszipliniert aus der Touristenreihe tanzt. Später bei der Stadtführung reiben wir sie erneut auf, als sie sich in normaler Verhaltensweise mit einem bettelnden Kollegen unterhält und wahrscheinlich die nächste Manöverstrategie berät.

Ältestes Haus und die Straßen Barcelonas in der Barri Gòtic
Ältestes Haus und die Straßen Barcelonas in der Barri Gòtic

 

Sicherung und Kartierung des betroffenen Gebietes:

So viel zum ersten Eindruck. Nun brauchen wir aber ein detailliertes Bild. Nachdem wir uns mit den sehr vorteilhaften, kostenfreien Stadttourbussen einen Überblick über die Lage und Situation verschafft haben, müssen wir nun entscheiden, welche Teilgebiete besondere Aufmerksamkeit verdienen. Die Arbeiterviertel sind uninteressant, doch die Sehenswürdigkeiten ziehen stets die Menschenmassen an. Daher ist dieses Areal von besonderem Belang. Durch den schlechten Gesundheitszustand von Kamerad Alex bin ich zur Inspektion der Sagrada Familia allein aufgebrochen, während er heißen Tee im Hotel schlürft und dampfbaded. Die Kosten für diese Unternehmung sind ohnehin hoch genug, so dass die Kriegskasse wenigstens nur einen von uns unterhalten muss.

Geschichtlich gesehen wird seit über hundert Jahren an dem vielleicht berühmtesten Gottestempel Spaniens gebaut und es wird wohl auch noch ein paar Jahre dauern. Auch hier gibt es also eine Parallele zu Berlin und seinem Flughafen „BER“. Die Architektur dieser überfrachteten Kirche steht allerdings ganz im Sinne des Gaudischen Stils und zieht natürlich unübersichtliche Mengen von Schaulustigen an. Hier ist eine Kirche wahrlich zum Massenversammlungsinstrument geworden.

Die Sagrada Familia ist Spaniens Kölner Dom und BER in einem: ewig unfertig.

Womit die Armee allerdings nicht viel anfangen kann ist die Kunst. Zwar gibt es schon eine Weile Maler, die Schlachten auf die Leinwand bannten, kriegslüsterne Romane, Heldenepen und Marschmusik. Doch ohne dieses heroische Motiv ist der Soldat verloren in der Interpretation. Denn er darf ja nicht selbstständig denken. So ergeht es mir auch im Park Güell. Die verzierten Dächer der gaudischen Gebäude erinnern mich eher an Zuckergebäck, wie einst die Stalingebäude im Russlandeinsatz; Pflanzen sind dem Soldaten zur Tarnung da und Blumen entsprechen jahreszeitlich bedingtem Beiwerk zur Reproduktion des Tarnmaterials. Die Freude daran ist dem Zivilisten in Friedenszeiten vergönnt, darf jedoch nicht den allseits vorsichtigen Kriegshandwerker ablenken.

Park Güell
Park Güell
Kann das Kunst oder ist das weg?
Kann das Kunst oder ist das weg?

So bleibt mir die Stadt in großen Teilen ein Rätsel und wenn ich momentan auch nicht besonders an den üblichen Vergnügungen nach Dienstzeitschluss interessiert bin, muss sich der Soldat eine andere Beschäftigung suchen. Normalerweise ist das dann „Selbststudium“ (nicht zu verwechseln mit „Selbstbefriedigung“). Aber auch die sportliche Ertüchtigung ist für den Soldaten eine wesentliche Komponente der Freizeitgestaltung und daher besuche ich auch ohne Alex in aller Tüchtigkeit die städtischen Sportstätten: den Olympiapark rund um die Festung Castell de Montjuïc mit dem Fußballstadion und die Freizeitflächen im Beton-Parc del Fòrum an der Küste. Das muss als Turnübung dann aber auch reichen!

Die Stadt des Sports, wo selbst das Einkaufen in einer Stierkampf-Arena stattfindet – besonders passend beim Sommerschlussverkauf.
Die Stadt des Sports, wo selbst das Einkaufen in einer Stierkampf-Arena stattfindet – besonders passend beim Sommerschlussverkauf.

Der Wetterbericht meldet normalerweise frühlingshafte Wärme, wie man es im März erwarten darf. Doch auch Unwetterereignisse sollten den Streitkräften nichts anhaben können – die im Übrigen kein „Unwetter“ kennen: denn entweder es ist kalt, oder man zittert vor Wut darüber, dass es nicht noch kälter ist! Daher beschließen wir auch dann noch eine Bar aufzusuchen, als das Meer sich bereits über das Land zu ergießen scheint. Innerhalb kürzester Zeit sind wir durchnässt und die Straßen kaum noch begehbar. Dennoch bahnen wir uns einen Weg zu Tapas und Drinks der Rambla. Der Park neben unserer Unterkunft ist schon völlig überflutet, obwohl Wasser im Sandboden schnell versickern müsste. Den exotischen Gewächsen im Parc de la Ciutadella kommt das jedoch gerade recht und so könnte man zusammen mit den Regenergüssen glauben in die Grüne Hölle Vietnams geraten zu sein.

Parc de la Ciutadella

 

Umgebungssicherung und Nebenauftrag:

Wer eine Stadt einnehmen und sichern will, muss auch die Umgebung kennen und beobachten. Daher mieten wir uns nach der Sicherung der Innenstadt eines Tages einen französischen Minipanzer, um die Umgebung Barcelonas überprüfen zu können. So stand auch Lloret de Mar auf der Patrouillenroute. Clubsucher kennen es als Mekka der Partypilger. Doch es liegt dieser Tage ruhig da, keine Bedrohungen sind an der Küste auszukundschaften. Selbst die alte Festung liegt verriegelt vor und der jetzige Eigentümer will niemanden hereinlassen. Wir umringen die Burg und belagern sie ein paar Minuten, beschließen dann aber keine Gefahrenlage auszurufen. Mehr als Meer überprüfen wir daher das Hinterland, welches bis zu den Pyrenäen zu erspähen ist. Die Berge von Montserrat kann man nur von weitem sehen, zu wenig Zeit bleibt für eine nähere Erkundung, denn es wird schon fast dunkel und wir wissen nicht, welche Kreaturen des nachts hier auf arme, ausländische Soldaten lauern.

Lloret de Mar und Hinterland
Lloret de Mar und Hinterland
Die Pyrenäen
Die Pyrenäen
Montserrat (rechts: Alex' Foto)
Montserrat (rechts: Alex' Foto)

 

Patrouille mit Feindberührung:

Die Landzufahrt nach Barcelona von Norden her ist schwierig, aber dadurch strategisch gut zu verteidigen. Denn bloß ein 1-km-schmales Tal gewährt den Eintritt. Für einen besseren Überblick prügeln wir daher den Minipanzer die Serpentinen hinauf zum Tibidabo, dem Hausberg Barcelonas. Die Abenddämmerung hat bereits eingesetzt. Wohl aus diesem Grund stoßen wir nun erstmals auf eine Kohorte ernstzunehmender Gegner: ein Wildschweinfamilie zieht gemächlich vorüber. Sie haben sich unvorsichtig an die Straße heran getraut, doch ziehen bald schon weiter. Dass sie uns bemerkt haben ist zwar wahrscheinlich, allerdings haben sie uns wohl nicht als ihre Jäger erkannt. Schließlich stammen wir aus der Waffengattung der Pioniere bzw. Kanoniere. Da wir für derartige Berührungen also keine adäquaten Waffen parat haben, müssen wir sie gewähren lassen. Vor lauter Verblüffung über diese unerwartete Begegnung und über den grandiosen Einblick über die von uns „gesicherten“ Millionenstadt unter uns vergessen wir schließlich sogar unser Gefährt aufzutanken, was die Verleihstation später noch mit einer erheblichen Strafgebühr quittieren wird. Doch da sind wir bereits wieder abgezogen und eine erneute Stabilisierungsmission gibt der Verteidigungsetat nicht her.

Tibidabo – Über der Stadt
Tibidabo – Über der Stadt

 

Truppenabzug, Fazit und Abschlussbericht:

Der Einmarsch in die Stadt ist unter schweren, finanziellen Verlusten gelungen. Sicherheitsrelevante Maßnahmen waren erfolgreich, nichts wurde entwendet, alle Missionsteilnehmer haben überlebt, wenn auch mit gesundheitlichen Einschränkungen. Einzug in die Heimatkaserne ist vorgesehen. Die Moral der Truppe war allerdings mit örtlichem Proviant in Form von Tapas und Cocktails aufrecht zu erhalten, da auf Chicas erneut verzichtet werden musste. Der Frieden wurde gewahrt, wenn auch wenige Monate später ein heftiger Streit um das Gebiet entbrennen wird.

 

Nachbesprechung: Komische Vögel

Auf der Jagd nach prächtigen Chickas: Die Suche nach Partyvögeln in Barcelona
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