Mastertagebuch aus Sibirien (Teil 2 und 3):

Der transsibirische Eisenweg

 


II. Teil – Die Zwei Türme

(2 Eddytürme und 20 Gasmesskammern)

 

Kapitel 2: Rückreise (per Transsibirischer Eisenbahn)

 

Es ist seltsam aus der Fremde wieder zurück nach Hause zu fahren. Man weiß, dass das Abenteuer zu Ende geht, schon bevor man zum eigentlichen Abenteuer aufbricht. Daher beschloss ich mir vorzustellen, ich wäre von hier, ein Tschuktsche, der seinerseits aufbricht um den hochtechnisierten Westen kennenzulernen und so wandelte sich meine Fahrt von der einstigen Heimreise aus der einsamen Wildnis zurück in die Zivilisation zu einem spannenden Vorstoß in die Zukunft und zur unfassbare Lebensweise moderner Menschen des Westens.

 

Transsibirien-Reise
Transsibirien-Reise: Grün: Hinflug | Rot: Rückfahrt

17.07.2014:

Wieder starteten wir (Fany, Schenja und ich) mit einer alten Maschine aus den 1979er Jahren, dieses Mal aus Chersky. Fany will nach Hause, Schenja über Jakutsk und Magadan nach Sankt Petersburg. Auf den vier Stunden Flug wurde reichlich erzählt, so dass kaum Zeit blieb aus dem Fenster zu schauen und Schenja konnte sogar seine komplette Fotoausrüstung trotz 20-kg-Grenze mitnehmen, obwohl von den vier Gepäckstücken schon jedes schwerer gewesen wäre. Doch mit dem Versprechen der Grenzbeamtin beim nächsten Mal ein großformatiges Vogelbild mitzubringen erkaufte er sich das nicht genutzte Gepäck mancher Kinder als vollwertige Passagiere. Selbst ich kam auf gerade mal 19 kg, trotz 28 kg hinwärts, da ich mir sämtliche Technik und Bücher an den Körper in zahlreichen Taschen und in der Funktionshose, Jacke und Fleecejacke stopfte. Hinwärts hatte es dieses Problem nicht gegeben, da wohl kein zusätzliches Kerosin (für den Rückflug?) mitgenommen werden musste. Mit Nasdja machten Christian und ich vorher noch den Taxisammelservice aus und Schenja nahm mich in Jakutsk mit seinem dortigen Freund (ein Krähenexperte) mit zu meinem Hostel. Er rief sogar Nasdja an um ihr zu sagen, es sei alles gut gegangen und um ihr die Adresse des Gostinizas (Hotels) mitzuteilen, damit sie den Taxifahrer von Cherskij aus übers Mobiltelefon richtig lenken konnte.

 

18.07.2014:

Panorama von Jaktusk und Weltkriegsdenkmal
Panorama von Jaktusk und Weltkriegsdenkmal

Jakutsk, die kälteste Stadt der Welt, wo es im Winter bis knapp an die -70 °C werden kann, lässt es heute kontinentale 36 °C sein. Der Feldauftrag in Cherskij ist erfüllt, das Drops gelutscht, die Mission abgeschlossen, der Ring ins Feuer geworfen. Weiter als Frodo oder andere Fantasyfiguren jemals hätten gehen können sind wir von Mittelerde bzw. Europa entfernt und sogar die russischen Eisenadler haben uns wieder von den Schicksalsbergen zurückgebracht, also dort, wo sich der klimatische Verlauf der Erde entscheiden könnte.

Jakutsk-Kathedrale | orthodoxes Innere | Lenaaue
Jakutsk-Kathedrale | orthodoxes Innere | Lenaaue

Entsprechend verändert ist meine Sichtweise nun. Aus dem fernabgelegenen, in Natur eingebetteten Rand der Welt, der größten zusammenhängenden Landmasse des Planeten, bewege ich mich von jetzt an immer weiter ins Innere, weit weg von den salzigen Wassern, auf dem Weg zurück nach Westen. Doch ich fühle mich nicht, als ginge ich zurück, sondern als ginge ich in neue Gebiete. Denn ich kenne die Strecke zwischen Jakutsk und Jekaterinburg zu Lande noch nicht und zudem habe ich diese jakutische und die tschuktschische Nomadenkultur soweit erlebt (nämlich fast gar nicht), dass ich nun völlig frei aus der Sicht eines jakutischen Reisenden fantasieren kann, der zum ersten Mal seine Heimat verlässt um entgegen der Tradition seiner Sippe, aber im Sinne des Nomadentums durch die Welt reist:

Fernöstliches Eingangstor | Wasserrohre | Hauseingang | alter Jakutenholzbau
Fernöstliches Eingangstor | Wasserrohre | Hauseingang | alter Jakutenholzbau

„Diese Welt ist nicht meine. Die Siedlung, die sie ‚Jakutsk‘ nennen, ist zwar offen nach allen Seiten, hört aber schon unvermittelt mitten nach einer großen Straße auf. Sie ist unsere Hauptstadt, ja, und ich sehe viele Menschen der mongolischen Abstammung, aber schon einige Großaugen sind dabei. Die hohen Steinhäuser finden sich hier noch gehäufter als ich es aus anderen Ortschaften kenne und die Menschen leben weit zahlreicher, aber auch gedrängter. Viele der Gotteshäuser der Religion aus dem Westen sind mit glänzendem Gold bedeckt. Sie sehen am unnatürlichsten aus, ohne jede Schattierung in der Außenfarbe, doch innen umso bemalter. Und dort wachsen Blumen! Die Esshütten des Kochs ‚Macdonalds‘ fehlen jedoch, von denen ich zuvor oft hörte. Auch andere, große Köche finde ich nicht, nur einen der einfach ‚Burger‘ heißt. Diese unerträgliche Hitze zwingt mich aber bald wieder zurück in eines der Steinhäuser, wo ich mein Lager aufgeschlagen habe. Einige Rubel hat es mich gekostet, wofür ich einige Dinge nutzen kann, wie einen schwarzmatten Spiegel an der Wand, ein Gerät, das Luft aus einem Ring bläst und Wasser aus dem Stein fließend.“

Mantschaary-Denkmal | Lenin-Denkmal | Begetow-Denkmal | ? -Denkmal
Mantschaary-Denkmal | Lenin-Denkmal | Begetow-Denkmal | ? -Denkmal

19.07.2014:

„Die Zeilen an die zurückgebliebenen Menschen zuhause abzuschicken war letztlich nicht schwer. In der Briefannahmestelle zeigte man mir die Preise und Hinterlassungsorte. Leider vergaß ich einen der Briefkonwerte zu schließen und hoffe nun, dass er trotzdem ankommt. Nun warte ich hier voller Aufregung auf die Ankunft des Gemeinschaftsreisewagens, der mich hoffentlich zur nächsten Reisestation bringt. Bis dahin sitze ich auf meinem Lager wie auf dem Rücken eines Weißbären, dessen Eis beim Laufen unter seinen Füßen schmilzt. Doch ich sehe, dass die Vögel in den Städten langsam fliegen und nicht fressen, wenn sie hungrig sind. Daher kommt der Wagen etwas nach der vereinbarten Tageszeit an. Ich treffe drinnen ebenschon weitgereiste Wanderer: Sascha, der in seiner Heimat, dem Kaukasus, ‚Bulat‘ genannt wird und Andrej aus der Nähe von Ulan-Ude. Er ist Wolkenschauer, wie ich es ähnlich war, in einem früheren Leben. Die anderen Mitfahrer kommen aus der Region und viele sprechen auch eher Jakutisch als Russisch.

Nachgebautes Holzdorf? | Autofähren über die Lena
Nachgebautes Holzdorf? | Autofähren über die Lena

Bis zur Lenadurchquerung fahren wir auf glatten Steinstraßen, danach meist auf Staub, mit kurzen Steinstrecken dazwischen. Die Hütten außerhalb Jakutsks sehen alle wesentlich besser aufgebaut aus und sind doch nur aus Holz. Im Wagen hängen überall diese schwarzen Gürtel, die an den Sitzen festgeklebt wurden, aber keiner benutzt sie. Dabei wären sie bestimmt hilfreich, so wild wie der Fahrer den Wagen reitet. Weit schneller als jedes Pferd stürmen wir voran, fast könnte uns kein Falke mehr folgen! Ein solcher hätte auch seine Probleme mit der Sicht aufgrund des Staubs, des Regens und der Nacht, die es hier auch im Sommer noch gibt. Nun erreichen wir die Eisenpferdstation in Tommot am allerfrühen Morgen und selbst hier verabschiedet mich der wilde Fahrer in meiner Landessprache Jakutisch.“

Verlassener Bahnhof in der Russischen Taiga | Tommoter Bahnhof | Weg nach Jakutsk
Verlassener Bahnhof in der Russischen Taiga | Tommoter Bahnhof | Weg nach Jakutsk

20.07.2014:

Tommot mag vielleicht 1000 Einwohner haben und am mittleren Ende der Welt liegen (wenn man die zentralkontinentale Lage als Endstation des Eisenbahnpersonenverkehrs betrachtet), aber es wird gelebt und gebaut als befände man sich in einer Aufbruchsstimmung. Grade der Bahnhof ist eine wahre, architektonische Besonderheit mit seinen drei Kegelspitzen in Ocker und Zitronengelb. Vielleicht erinnert mich aber auch der Mix aus japanischen Neuwagen und alten Holzhäusern an das Leben in den 90ern auf dem Land, besonders in den neuen Bundesländern, da man sich auch hier in einer Aufbruchsstimmung sah, die momentan in Individualismus und Entfremdung mündet, wie mir scheint. Aber das kann auch dem Einfluss des Internet geschuldet sein.

 

„Die Zeit unterwegs kann lange andauern. Ein anderer Reisender fragt, was ich so mache und ab und zu reden wir. Nach einem kräftigen Regen erscheint die Bahn und fährt wieder, nachdem die Ankömmlinge ausstiegen. Mir scheint, ich muss auf den nächsten Eisernen Weg warten. Doch noch ist Zeit bis zur vereinbarten Abfahrt. Als die Menschen mehr werden, bin ich mir klarer über die Richtigkeit meines Handelns. Drinnen erwartet mich eine Ansammlung von Lagerplätzen, übereinander, nebeneinander, durcheinander. Doch einer der Insassen (Juri) hilft mir sogleich bei einem Problem und bietet mir von seinem gebratenem Huhn an. Ebenso biete ich ihm eine Milchspezialität gemischt mit Kakaobohnenextrakt in hartgepresster Form aus meiner Heimat an. Nur die Menge fremder Menschen zusammengepfercht in dieser rollenden Höhle zerrüttet mich ein wenig. Zu viele fremde Gesichter sind mir zu nah, wohin ich auch gehe. Nach wenigen Stunden Fahrt erreiche ich mit dem Eisernen Weg Nerjungri in dunkelster Nacht. Wieder heißt es zu warten bis morgens der nächste Eisenweg nach Tinda führt. Juri bleibt noch ein wenig und ich ertausche ihm ein Kaffeebohnengetränk, bevor er andere ihm bekannte Menschen trifft.“

Sprunghörnchen? | Rostende Waggons | Alte Schule in Tommot
Sprunghörnchen? | Rostende Waggons | Alte Schule in Tommot

21.07.2014:

„Der Waggon sieht heute anders aus, innen und außen. Die Räume sind getrennt voneinander und die Schlafplätze nur noch zu viert und länger, als es in Nerjungri losgeht. Auch die Menschen scheinen mir anders zu sein: verschlossener, argwöhnischer. Es dauert Zeit bis sie sich an mich gewöhnt haben, der ich ihre Worte nicht verstehe und Bart trage. Doch dann bieten auch sie mir Essen an. Viele schlafen viel in den Räumen und auch ich fühle mich matt – vom Fahren? Einer fragt mich, ob ich ein Spion sei, weil ich immer in die Fahrtzeitenliste sehe. Erst glaube ich, jeder gilt hier als verdächtig der lesen kann, doch er meinte es wohl nicht ernst, Stepan nennt man ihn.“

Jakutische Bahn (3. Klasse) | Gangbereich | Offenes Abteil | Samowar und Gang
Jakutische Bahn (3. Klasse) | Gangbereich | Offenes Abteil | Samowar und Gang

22.07.2014:

„Es ist angenehm hier zu sitzen und nur die Lande um mich her zu betrachten, die sich ständig ändern, während ich dennoch vorwärts komme. Es scheint wie eine lange Pause zu sein, die doch keine ist. Hier fühle ich mich auch wohler als in dem Taxi-Wagen von Jakutsk und Tommot zuvor, denn der Weg ist vorgegeben und der Eisenzug hält sich auch daran. Außerdem legt er nur etwa 90 Kilometer in einer Stunde zurück, wohingegen der Taxi-Wagen fast einen von drei Teilen geschwinder fuhr.

So sehr ich auch diese Möglichkeit zur Entdeckung neuer Welten schätze, praktisch als Bote meiner Heimat, fehlen die Menschen dieser Heimat auch wieder in dieser neuen Welt. Besonders wenn ich über meine Gedanken reden möchte oder andere nach ihrem Urteil meiner Beobachtungen fragen will, ist hier niemand, der mich oder meine Sprache kennt oder mich genügend in ihrer Sprache versteht. Und noch immer sind es sechs Zeitstunden Unterschied bis Moskau, obwohl ich schon vor Tagen aus Jakutsk aufbrach. Wie riesig muss dieses Stück Land nur sein!

Ich hielt es für warm, gar heiß auf diesem Eisenweg, doch in meinem Raum ist es kühl und auch sonst erträglich warm. Nur dieses ständige Eingesperrtsein ist unangenehm und nimmt mir die Gedanken. Andererseits fühle ich mich nicht genötigt irgendetwas zu tun, außer die Landschaft zu bewundern. Doch es ist schwer die Gedanken und das Gefühl etwas tun zu müssen auszuschalten.“

RZD-Waggons und Güterverkehr | „Babuschkas“ | Bergpforte
RZD-Waggons und Güterverkehr | „Babuschkas“ | Bergpforte
Bei Tschernischewsk-Sabaikalskij | Flussschleife
Bei Tschernischewsk-Sabaikalskij | Flussschleife

23.07.2014:

„Die Sonne erweckt mich aus meinem Schlaf. Und draußen erblicke ich den Sonnenstrahl, der sich auf dem Wasser spiegelt, das dem Baikal gehört. Ohne Horizont liegt es ruhig da, direkt vor dem eisernen Weg: ein großes Wasser mitten im Land, wo große Wasser nicht weiter entfernt sein könnten. Langsam winden sich die Wagen um die Berge, die oft steil im Blau verschwinden, auch wenn sie zuvor noch in den Himmel reichten. Am Ende der Fahrt entlang des weiten Wassers quält sich der Weg die Berge rauf. Ab und an kehrt ein Blick auf den unendlichen Horizont zurück und verschwindet wieder. Noch einige Zeit schlängeln sich die Wagen durch Waldberge bis schließlich Irkutsk erreicht ist: eine hügelige Großsiedlung, deren Gebäude schier unübersichtliche Außenwände haben, ganz anders als noch in Jakutsk.

Baikalberge | Morgendlicher Baikal
Baikalberge | Morgendlicher Baikal
Seeufer | Südliches Baikalende | Baikal
Seeufer | Südliches Baikalende | Baikal

In Irkutsk allerdings, wie ich es schon von diesem noch östlicheren Betonhaus für Fremde kenne, finde ich im Wald aus Häusern nur schwer meine Unterkunft für die nächsten Stunden. Doch einige umstehende Arbeiter helfen mir, ohne dass ich sie gefragt hätte, indem sie auf den Eingang zeigen. Drinnen treffe ich nur eine junge Frau, die mir alles zeigt und hilft mich zurecht zu finden, obwohl sie selbst nur Gast ist. Und sie spricht die gemeinsame Sprache dieser Welt, die auch ich lange Jahre erlernte. So fangen wir an zu reden, während ich auf Oxana, die Gastgeberin warte. Diese spricht die gemeinsame Sprache ebenso und sie ist sehr zuvorkommend. Als ich noch überlege, was man bis morgen hier machen könnte, bietet mir Julia an (die junge Frau von zuvor), mir die Stadt zu zeigen. Und so ziehen wir los. Noch zeigt sie sich erstaunt über meinen Rückenbeutel, doch schon bald sieht sie dessen Notwendigkeit als Fundort für allerlei Nützliches. Besonders als wir uns entschließen zum Baikalsee zu fahren erkennt sie den Wert von schützender Salbe gegen die Sonne und eines Hutes den ich noch zu Hause trug, etwas verschwitzt, aber dienlich. So vergeht die Zeit in Listwjanka mit dem Essen von Omul, einer lokalen Fischspezialität, Liegen auf den Steinen des Baikal, dem Versuch ihr beizubringen, wie man Steine über das Wasser wirft, ohne dass sie versinken, mich im See kurz abzukühlen, herum zu laufen und sich übereinander auszutauschen. Auf der Rückfahrt beschließen wir abends zusammen etwas essen zu gehen und die Uferpromenade des Flusses Angara entlang zu wandeln, wo wir auf einige, sehr reich aussehende Gotteshäuser stoßen und Julia beschließt in eines dieser einzudringen um vom Dach aus auf die Stadt und die untergehende Sonne zu schauen. Ein seltenes Gefühl von Nähe durchdringt mich dabei, doch es erstirbt als sie erstaunt feststellen muss, dass ich keiner dieser Gemeinschaften angehöre, die über Grenzen hinweg Menschen verbindet (ich erinnere mich, dass sie es „soziale Netzwerke“ nannte), was ich in diesem Moment allerdings nur kurz bereue. Rückwärts treffen wir noch auf ein paar alte Tasteninstrument, die ich verstehe zu spielen und ich spiele ihr etwas aus einer bekannten Erzählung meiner Heimat vor, womit der Abend jedoch endet.“

Osero Bajkal | Christi-Erscheinungs-Kirche | Angarafischer
Osero Bajkal | Christi-Erscheinungs-Kirche | Angarafischer

24.07.2014:

„Erneut geht es auf Erkundung durch Irkutsk mit Julia, nachdem wir beide lange schliefen. Ein altes Haus des ehemaligen, ersten Häuptlings dieser Ortschaft zieht uns in seinen Bann und wir verbringen viel Zeit damit die Gegenstände des Mannes zu bewundern: exotische Pflanzen, reiche Einrichtungen, teure Malereien und Schriftstücke aus aller Welt. Es ist, wie ich mir das Leben eines solchen Mannes vorstelle. Die Hitze zwingt uns anschließend Wege im Schatten zu suchen und viel Zeit bis zu meiner Abreise bleibt nun nicht mehr, so dass ich nur noch rasch etwas Obst für unterwegs einkaufe und mit ihr etwas essen gehe. Bis zum Halt des eisernen Weges begleitet sie mich noch als ein Abschied naht, den ich doch bedaure. Denn diese Zeit in Irkutsk war die schönste der ganzen Reise und vor mir liegen lange Weilen, des Nicht-Redens wegen meiner fehlenden Russischkenntnisse und der Anstrengung in Moskau das nächste Ticket zu beschaffen sowie die Ukraine zu überleben.

Touristeninfo (Haus Schastinich) | Sukatschows Getreidespeicher | Babr (Wahrzeichen Irkutsks)
Touristeninfo (Haus Schastinich) | Sukatschows Getreidespeicher | Babr (Wahrzeichen Irkutsks)

Ich befinde mich dieses Mal in einem älteren Waggon, aber der ist schöner als derjenige zuvor, denn hier sind die Fenster weiter zu öffnen, es gibt die Möglichkeit kaltes Trinkwasser zu zapfen und die Wände sind aus Holz. Nach fünf Tagen ist allerdings leider das Brot aus Jakutsk angeschimmelt. Als wir halten erkenne ich die Nacht, aber immer noch herrscht Wärme, um die 24 westliche Grad. Hier, beim Halt in Sima, habe ich das Gefühl in einem dieser Lager für russische Gefangene zu sein, denn wie so manche der Alten erzählten, sollen die Menschen dort mit lauten Stimmen aus Blechtrichtern an den Wänden wie Renherden zusammengetrieben worden sein, während grelles Licht, hinter Quarz verborgen dennoch jeden von ihnen beobachtete, ebenfalls von den grauen, rauen Wänden aus. Wie auf dem Weg in eines solcher Lager fühle ich mich hier. Wenigstens höre ich nebenan Menschen, welche die gemeinsame Sprache sprechen. Ich werde sehen ob ich irgendwann ins Gespräch einsteige.“

 

25.07.2014:

Krasnojarsker Bahnhofsplatz
Krasnojarsker Bahnhofsplatz

„Bis zur Mitte des Tages dauerte mein Schlaf heute an. Gerade rechtzeitig zum Ausstieg in Krasnojarsk erwachte ich und konnte diesen reichen Bahnhof erkunden. Die Stadt liegt direkt an den Bergen und auf der nächsten Fahrt muss ich sie doch einmal näher kennen lernen. Leider wird es bei Ankunft in den nächsten Städten tiefste Dunkelheit sein. Doch meine Gedanken sind noch in Irkutsk, in Erinnerung an die Erlebnisse mit Julia.

Eine Frau in meinem Raum trägt außerdem Beschwerden vor, es betrifft wohl die Toiletten und ihren Fahrausweis, der nicht richtig behandelt wurde. Ansonsten passiert nicht viel, nur bin ich heute viel mit Einfällen für Geschichten gesegnet, so das der Tag schnell vergeht. Nur für einen Zwischenhalt in Nowosibirsk verlasse ich kurz mein rollendes Heim, um den Bahnhof in Augenschein zu nehmen.“

Nowosibirsker Bahnhofsvorplatz
Nowosibirsker Bahnhofsvorplatz

„Erneut erwache ich an einem bedeutenden Bahnhof: Omsk, wo auch die Hälfte der verbliebenen Reisenden aussteigt. Der Tag bringt nicht viel, nur dass heute Musik in den fahrenden Räumen gespielt wird. Es kommt irgendwo aus der Wand, kümmert mich aber auch nicht länger, woher genau. Gerade spielen sie ein Lied über Moskau von einer Gruppe, die sich selbst nach dem gefürchteten Mongolenfürsten ‚Dschinghis Khan‘ nennt. Die Gesellschaft hier ist noch frostiger als vor Irkutsk, wo man immerhin noch versuchte mich zu fragen, woher ich komme und sogar rote Vielsamenbeeren anbot. Nur sieht man wohl das Land durch diese Weise der Zugfahrt in der besseren Reiseklasse, jedoch nicht die Menschen darin. Dennoch bin ich froh darüber nicht allein im Raum zu sein, auch wenn die anderen nur da sind. Ich weiß nicht warum.

Jetzt endlich habe ich herausgefunden, wie das Wasser in diesem eisernen Weg zum Laufen gebracht werden kann: nicht die Räder sind zu drehen, wie noch nach Irkutsk, sondern direkt am Auslass muss gedrückt werden.

In Jekaterinburg tausche ich den Platz mit einer Mutter und ihrer Tochter, damit sie zusammen in einem Raum reisen können und komme nun in den weniger bequemen Genuss die oberen Liegeplätze auszuprobieren. Aber Moskau ist nicht mehr fern.“

In Jekaterinburg auszusteigen ist am Bahnhofsplatz plötzlich wie ein Déjà-vu von vor zwei Jahren

Transsib-Teegefäße | Warten auf die Weiterfahrt
Transsib-Teegefäße | Warten auf die Weiterfahrt

27.07.2014:

„Die Nacht war sehr kalt und jetzt ist es kaum besser. Ein heißer Tee lindert das ein wenig. Seit dem Platztausch gestern kann ich kaum noch lesen, denn oben ist es einfach zu dunkel. So sehe ich mich selbst mürrisch werden – da ich jetzt in Europa bin? Der Ural gilt als Pforte zum Westen und gestern lag er in blutrotem Sonnenuntergang zwischen Jekaterinburg und Perm. Aber ist das ein gutes Zeichen, dass ich in eine Gegend fahre, in der sogar die Sonne dem Untergang geweiht ist? Inzwischen komme ich gut voran mit dem Studium der westlichen Weltreligionen, deren heilige Schrift ich mir derweil vornehme.“

Dauergäste | Omsker Bahnhofshalle | Natur
Dauergäste | Omsker Bahnhofshalle | Natur

28.07.2014:

„Früh um 4:00 erreiche ich Moskau. Es ist noch Nacht, daher versuche ich ein wenig im Bahnhof zu schlafen, wie so viele andere. Erst gegen neun kann ich meine Fahrkarte abholen. Als ich das aber versuche, zieht genau aus meiner Richtung ein Strom Moslems entgegen, so dass ich kaum vorankomme um auf die Karte zu schauen. Nachdem das Haus dann aber gefunden und der Pförtner mich erstmal in die falsche Etage geschickt hat, zeigt mir ein anderer Mitarbeiter den richtigen Eingang im Erdgeschoss. Den Rest des Tages verbringe ich damit durch die Einkaufsstraße Arbat zu laufen, das Puschkinmuseum zu suchen, im Park zu liegen und der Dinge zu harren, die da kommen, wie z.B. einem russischen Hobbyfotographen zu begegnen, der mich auf dem Rasen liegend fotografieren will. Wir sprechen über die politische Situation, meine Arbeit in Cherskij und dies und das. Nun bin ich also angekommen, in der Zivilisation, in der Mitte der Menschheit, am Pulsschlag unserer Zeit. Hier ist der Zug in den weiteren Westen sogar noch komfortabler, mit nur noch drei Liegen pro Abteil, alle übereinander, mit Waschbecken und fließend Wasser, Schrank, Sessel, Spiegel und sauberen Fenstern.“

Metro | Finanzviertel | Smolensker Kirche
Metro | Finanzviertel | Smolensker Kirche
Straßenabrisskunst | Bogdana-Chmelijskowo- bzw. Krasnoluschskij-Brücke | Smolensker Klosteranlage
Straßenabrisskunst | Bogdana-Chmelijskowo- bzw. Krasnoluschskij-Brücke | Smolensker Klosteranlage

29.07.2014:

Die Grenzkontrollen waren sehr ernsthaft und ich musste meine Steinsammlung erklären, konnte sie aber behalten. Ich sagte einfach, ich hätte sie aus Deutschland mitgebracht um sie den Russen zu zeigen. Die Zugbegleiterin erinnerte mich in ihrer sowjetisch besorgten Art an meine Kindertage in der DDR. Die Fahrt durch die Ukraine ist auch daher eher eine Reminiszenz an die Zeit bei den Groß- und Urgroßeltern auf dem Land, mit ein wenig friedfertiger Idylle.

„Gerade wurde ich von zwei Polizisten direkt vor meinem Zug am Bahnhof angehalten und nach den Dokumenten befragt. Gut, dass ich sie dabei hatte, aber das ist wohl Ausdruck der immer noch angespannten Situation hier in der Ukraine. Wozu die hier drin nur einen Bewegungsmelder in den Abteilen brauchen? Interessant ist allerdings, dass man auf den Feldern noch Brandrodung betreibt.“

Kiewer Russ Bahnhof | Gang in der gehobenen 2. Klasse | Ukrainischer Bahnübergang immer mit Blumen
Kiewer Russ Bahnhof | Gang in der gehobenen 2. Klasse | Ukrainischer Bahnübergang immer mit Blumen

30.07.2014:

„Die Grenzkontrolle von der Ukraine zur Slowakei mitten in der Nacht gegen drei Uhr morgens sind langwierig und aufwendig. Der Beamte durchsucht gründlich mein Medizintäschchen, kann mit vielem anscheinend nicht viel anfangen, ist aber von der Fülle derart beeindruckt, dass ihm ein „sehr gut“ in meiner Sprache entfährt.

Die Slowakei dagegen raubt einem fast den Atem: nach der flachen Landschaft der Ukraine gibt es nun Berge, Seen, Felder, Flüsse, Dörfer zu bestaunen – und trotzdem scheinen die Berge wohl den entscheidenden Unterschied auszumachen. Alles andere war in der Ukraine ähnlich, nur mit russischen Holzhäusern und beblumten Bahnübergängen. Hm, schon wieder eine Polizeikontrolle, nun auch noch mitten im Zug! Bei dem Mix an Sprachen (Russisch, Ukrainisch, Slowakisch und Brocken von Englisch und Deutsch) weiß ich schon gar nicht mehr, in welcher ich antworten soll.

In Bratislawa treten sich die Tagestouristen auf die Füße. Als ich vom Bahnhof aus losziehe gewittert es gerade heftig, ist aber trotzdem noch warm. Je weiter westwärts ich komme, finden sich außerdem mehr Bettler. Man sollte meinen, dass sie mit zunehmendem Wohlstand abnehmen, doch mit mehr Reichen gibt es auch mehr Arme!

Karpatischer Berg | Felderheimat
Karpatischer Berg | Felderheimat
Burgurine | Burg Bratislawa | Künstlerschindeln
Burgurine | Burg Bratislawa | Künstlerschindeln

Die Züge nach Prag haben nun auch mehr Verspätung, es sind ja nur Kurzstrecken. Und was soll ich sagen: dadurch verpasse ich natürlich die Öffnungszeiten meines gebuchten Hostels und darf mir mitten in der Nacht ein anderes aus dem allerdings überreichen Angebot aussuchen. Glücklicherweise habe ich mit so etwas bereits gerechnet und vorher nach einem Ersatz Ausschau gehalten. Willkommen also im Wilden Westen. Nach sieben Tagen im Zug wird noch schnell geduscht und dann endlich geschlafen.“

 

31.07.2014:

Prager Wenzelsplatz
Prager Wenzelsplatz
Karlsbrücke
Karlsbrücke

„Nachdem ich relativ lang ausschlief, bin ich aber unter den anderen Sauftouristen immer noch der erste das Hotel zu verlassen. Also auf ins Getümmel dieser nach Hören-Sagen schönsten Stadt im inneren Europas. Und wahrlich, sie ist es bis dato für mich. Es gibt zu viel zu sehen für einen Tag, was mir recht selten passiert. Nur die Massen an Touris und Bettlern, Gauklern und Musikern, Souvenir-Shops und Möchtegern-Hippies ist nahezu erdrückend. Da kommt es mir oft recht ab und zu einen Park als ruhiges Plätzchen zu finden. Um sich abzuschießen mit Wodka, Cocktails und Absinth mangelt es jedenfalls nicht in der City. Genauso wenig wie an erlesenen Chicks, wenn man sich dabei nicht in den Gassen verläuft, egal ob auf der Prager Burg mit zahlreichen aufgetakelten Bräuten (neben ihren Bräutigamen), der Altstadt oder der Kleinseite. Noch schnell einen Cappuccino im Hard Rock Café geschlürft und ab zum Bahnhof. Das war ein Tag in Prag und das Ende der Reise liegt in Deutschland, dem diesjährigen Fußballweltmeister. Woohoo! …“

Angekommen im Westen
Angekommen im Westen

 

Empfehlungen für eine Transsibreise:

Mitnehmen:

-        Hausschuhe, Fertigsuppen, Kleingeld für Tee (Tassenhalter kaufen), zwei Uhren (eine für die lokale Zeit, eine für die Moskauer Zeit)

-        Unterwegs Stopps in Krasnojarsk, Irkutsk, Nowosibirsk einplanen um Elektrogeräte in Ho(s)tels aufzuladen, um Städte zu sehen und zu Duschen

-        Viel Lesestoff, ein paar Russischkenntnisse, Kamera und Abenteuerlust, Sitzfleisch

 

Reiseplanungen:

-        Untere Liegeplätze und Kupé buchen (außer man legt Wert auf russische Unterhaltung im Schlafsaalwaggon)

-        Von Krasnojarsk aus über Irkutsk (mit Zwischenstopp) nach Osten fahren

-        Fahrplan ausdrucken

 

Verhalten (um die Bahn nicht zu verpassen):

-        Beim Aussteigen auf das Verhalten anderer Leute achten (z.B. bei Zwischenhalten: wann sie wieder einsteigen)

-        Wagenreihenfolge ist nicht immer nach Nummern geordnet (durch Umkopplung an bestimmten Halten)

-        Wenn man bei Zwischenhalten über Gleise zum Bahnhof statt über Brücken geht kann es sein, dass zwischenzeitlich andere Züge einfahren und den Rückweg versperren!

-        Uhr auf Moskauer Zeit einstellen

 

Verschiedene Loks entlang der transsibirischen Eisenbahnroute
Verschiedene Loks entlang der transsibirischen Eisenbahnroute

 

Eindrücke der transsibirischen Landschaft:


 III. Teil – Die Rückkehr des Königs?

 

01.08.2014:

Kaum war ich in Deutschland angekommen (nachts halb eins), schreibt Michael schon (halb neun), dass ich bitte möglichst schnell mit der Auswertung beginnen möge. Da es sich heute nicht mehr lohne sich in Bayreuth zu treffen, solle ich doch bitte am Montag vorbei schauen. Bin ich Südkoreaner?

 

04.08.2014:

Viel hatte ich nicht gemacht, gerade mal eine R-Graphik über ein paar Ebullitionsereignisse. Demensprechend nervös und angespannt war ich auch vor dem Treffen mit Theo und Michael, denn letzterer wolle schon einmal „eine gute Aufarbeitung des verfügbaren Datenmaterials“. Letztendlich blieb es aber beim Brainstorming und eher lockerem Reden mit Theo über die Arbeit im Feld und die Reise mit dem Zug.

 

29.08.2014:

Einleitungs- und Methodenteil sind weit fortgeschritten, wenn auch noch nicht fertig, aber dafür reichen zwei Wochen eben doch nicht ganz aus, zumal ich mich durch einige Literatur und weite Teile des letzten IPCC-Berichtes arbeiten musste. Mit der Auswertung habe ich bis jetzt noch gewartet bis alle Daten vorliegen. Ming hat sich leider noch nicht wieder gemeldet, obwohl sie seit Anfang der Woche wieder zurück sein sollte.

 

02.09.2014:

Ming ist wieder im Lande und hat die Daten wie Bonbons verteilt. Nun beginnt also die Auswertung. („Kein Schleier ist mehr zwischen mir und dem Bösen! Ich bin nackt in der Dunkelheit.“ [Zitat: Frodo])

 

03.09.2014:

Das Orientierungsgespräch mit Theo und Michael lief wieder mal nicht so schlimm wie befürchtet, aber das meiste aus meiner Einleitung soll in einen Extra-Theorieteil gepackt werden, da beide den Methankreislauf schon kennen und das nicht vermengt in der Einleitung lesen wollen. Außerdem sollten 30 Seiten in der Masterarbeit genügen – wogegen ich bei meiner Bachelorarbeit damals schon mit 42 Seiten (plus Anhang) die wohl kürzeste aller Arbeiten abgab.

 

10.09.2014:

Nachdem Isa mir schon ihre Karte von Cherskij nicht geben wollte, ist Fany mit den Klimadaten jetzt ebenfalls sparsam umgegangen und hat mir den kompletten Winter herausgeschnitten. Entweder sind sie alle so dermaßen verschwiegen, weil das MPI sie dazu verpflichtet oder sie haben eine Heidenangst vor Michael.

 

15.09.2014:

So langsam verzweifle ich an den Problemen, die mit der Datenauswertung einhergehen. Nicht nur, dass manche Daten im Logger einfach nicht da sind und auch der Analysator oft keine oder fehlerhafte Daten aufgezeichnet hat (z.B. ohne Zeitangabe), sondern auch die Umformatierung der Analysatordaten extrem umständlich ist, da dieses dämliche Teil einfach nicht im Sekundentakt aufzeichnet, sondern in irgendeinem anderen, völlig unbegreiflichen Rhythmus!

 

26.09.2014:

Nachdem Michael sich das Skript zur Slopeberechnung angesehen hat, dauert es noch etwas, bis ich endlich alle Datenaufbereitungsarbeiten abschließen kann. Daher bastele ich erstmal ein paar R-Zeilen zur statistischen Auswertung zusammen für die Daten, die ich schon habe.

Nach den Erlebnissen in Prag am letzten Wochenende und der gestrigen Feier mit drei Wodka muss ich dem Partyleben endlich einmal wieder abschwören, wenn ich mich auch nicht gleich ins konservative Arbeitslager schlagen muss oder als Öko enden will. Aber das, was ich derzeit repräsentiere, will ich eigentlich nicht sein und dafür ist zu viel Geselligkeit hinderlich.

 

10.10.2014:

Das Treffen in Jena ging erst halb sieben zu Ende. Nach zwei Vorträgen über den Arbeitsstand und die Russlandreise sowie ermüdenden, endlosen Diskussionen wurde nun auch der Termin für die Abschlusspräsentation um einen Monat am 3.11.2014: (!) vorverlegt. Wie soll das schaffbar sein, wenn ich vorgestern erst von Michael das neue R-Skript bekommen habe? Das geplante Zusatzstudium „Umweltrecht“ kann ich damit ziemlich vergessen.

 

23.10.2014:

Nach einigen Intermezzi und Miseren mit Frauen wurde zumindest der Präsentationstermin um drei Wochen verschoben und soll nun am 24.11.2014: stattfinden. Nun hat mich aber auch ein alter Hiwi-Vertrag eingeholt, den ich schon vergessen hatte, weil sich niemand meldete und mir nun wieder diese zwei Jahre alte Geschichte unter die Nase gehalten wird. Der Stress hört eben nie auf.

 

11.11.2014:

Eigentlich kommt die Auswertung ganz gut voran. Die Kammermessungen und die Ebullitionen sind fast fertig ausgewertet und jetzt müssen noch die Testmessungen und die Pflanzentransportmessungen bearbeitet werden. Eventuell vergleiche ich noch etwas zwischen Christians Daten und meinen.

 

24.11.2014:

So, der Abschlussvortrag ist gehalten. Auch wenn es einige Fragen im Anschluss gab, besonders zu den Kammersetups, bin ich doch ganz zufrieden mit dem Ablauf. Noch ein paar Änderungen an den Ergebnissen und ich kann das Schreiben beginnen.

Die Abschlusspräsentation:

Die letzten Tage waren ja einigermaßen stressreich, seit Freitag vor 10 Tagen kam ich im Schnitt nicht vor 20:00 Uhr aus der Uni. Daher muss ich jetzt mal wieder etwas mehr Freizeit in mein Leben einfließen lassen.

 

01.12.2014:

Das Schreiben beginnt. Momentan weiß ich zwar noch nicht ganz, wie ich anfangen soll, aber zumindest bin ich froh schon mal so weit zu sein. Morgen wird Julia wieder mal schreiben (Nachtrag vom 02.12.2014:) und Ming meinte, dass Michael einen Nachfolger für sie sucht, der das Projekt in Cherskij weiterführt. Vielleicht könnte ich dann meine Bekanntschaft mit Julia dadurch weiter ausbauen.

 

11.12.2014:

Nun ist die Auswertung eigentlich schon zu Ende, doch nachdem Michael heute zur Besprechung da war, bevor er in die USA zur Konferenz fliegt, ist nun doch noch einiges an Kleinarbeit zu tun. Immer wieder fallen mir Fehler auf, die eigentlich gar nicht passiert sein dürften, so auch beim Anschauen einer Tabelle mit ihm zusammen. Das lässt mich dann immer wieder meine gesamte Auswertung hinterfragen, da ich ja nicht weiß, wo sich noch überall Fehler verstecken und wie weit ich meinem eigenen Urteilsvermögen und meiner Arbeit eigentlich trauen kann.

 

12.01.15

Der Vortrag für die Patagonienexkursion hat mich extrem viel Zeit gekostet. Auch wenn natürlich neue Literatur und eine Erweiterung meines Masterarbeitsthemas dadurch heraussprang, weil es für mich um den C-Kreislauf Moore in Patagonien und Feuerland ging. Nun muss ich aber effektiv arbeiten, um bis Ende Januar endlich fertig zu werden!

 

22.01.15

So, nun ist es noch eine Woche bis zur Fertigstellung - abgeben werde ich erst im Februar, wenn alle Korrekturen abgeschlossen sind. Diese Frist habe ich selbst gesetzt, um anderen Verpflichtungen und eigener Disziplinlosigkeit aus dem Weg zu gehen. Schon allein, weil Sonnabend die Abschlussfeier stattfinden soll und alle gehörig Stress schieben, wenn sie sich gezwungen fühlen mit zu organisieren (z.B. Christian, der wieder einmal das Ruder übernommen hat).

 

11.02.15

Fast fertig. Michaels Korrekturen fehlen noch, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich darauf warten kann. Morgen werde ich alles noch einmal durchlesen, so dass ich endlich Drucken und einreichen kann.

 

13.02.15

Nachdem ich heute noch mal beim Oberprofessor als potentiellem Erstkorrektor und Vorsitzender des Prüfungsausschusses war, um mich davon zu überzeugen, dass meine Gutachter auch von ihrem Glück wissen, kam es zu stundenlangem E-Mail-Verkehr mit ihm, Theo, Michael und mir. Letztendlich kann Theo trotz Mikrometeorologie-Abteilung angesiedelt in der Umweltphysik nun doch bei mir als Biogeochemiker Erstkorrektor sein, nur Michael als Nicht-Universitätsdozent kann es nicht. Nun aber meldet sich Michael damit, dass er ich seiner Meinung nach noch wesentlich mehr tun sollte. Was genau das sein könnte, spricht er aber nicht an. Stattdessen will er wissen, warum ich wie geplant abgeben will, statt die Frist voll auszureizen. Anscheinend will er einfach noch mehr kostenlose Arbeitskraft ausnutzen. Ich befürchte, falls ich in seinem Sinne arbeiten sollte, wäre ich noch mehrere Monate beschäftigt, zumal meine eher geringen R-Kenntnisse die weitere Auswertung oder was auch immer er sich noch vorstellt, dies erschweren würden.

Zu allem Überdruss wohnt auch noch eine angehende Plattenauflegerin über mir, die meint den ganzen Tag lang mit Technoklängen üben zu müssen und den Subwoofer wahrscheinlich auf dem Parkettboden stehen hat, so dass die Schwingungen wunderbar nach unten geleitet werden.

 

18.02.15

Nachdem ich die letzten Tage gut zu tun hatte Michaels Vorstellungen umzusetzen und noch etwas an Auswertungsarbeit miteinzubinden, habe ich nun endlich ein Ende gefunden und …

…abgegeben!

 

 

Fazit zur Kapitelüberschrift: Zwar kam es zu keiner Rückkehr des mikrometeorologischen Königs, aber zur Einstellung eines Nachfolgers, statt des Wegfalls des Lehrstuhls. Also eine Machtübergabe. Nachdem sich allerdings herausgestellt hat, dass laut der neuen Prüfungsordnung Theo Focken doch Erstkorrektor sein darf, kann man letztlich doch von einem Wiedersehen zumindest für die letzten beiden Arbeiten von Christian und mir sprechen.

 

 

Epilog:

Schweren Herzens musste Michael meine Entscheidung abzugeben akzeptieren, schob aber noch in der selben E-Mail nach, noch einmal wegen einer Diskussion über die Ergebnisse mit mir sprechen zu wollen. Langsam habe ich das Gefühl, ich komme aus dieser Geschichte nicht so schnell wieder raus.