Doktorspielchen in Berlin

 

 Kapitel I:

Drei Jahre gefangen in Neukölln

 

 

Kapitel II:

Dissertieren in der preußischen Hauptstadt:

Eine Promotion-Tour durch die Wissenschaft

 

 

 Eingangszitat:

 

Unter den Linden

muss Berlin wohl grenzenlos sein.

Alle Bayern, alle Sorgen, sagt man,

bleiben darüber verborgen und dann,

würde, was ei'm deutsch und schwäbisch erscheint,

plötzlich preußisch und klein.

 

(Friedrich-Wilhelm van BuisMarcks feat. Reinhard Mey)

 

Wat det janze soll („Zusammenfassung“ / „Abstract“)

Wer nach Berlin kommt, sucht das Großstadtleben, Freiheit, Geschichte, politische oder künstlerische Möglichkeiten oder schlicht: Arbeit – bei mir manifestierte sich das zumindest in Form eines halben Vertrages an einem wissenschaftlichen Institut. Derzeit - wie vermutlich auch zu früheren Zeiten - sehen viele Neuankömmlinge in der Metropole allerdings den großen Traum der anonymen und toleranten Großstadt, in der das spießbürgerliche Kleinstadtleben nichts zählt:

 

Nachmittags in einem der vielen Parks, mit Grünflächen und Gewässern: Man sieht überall kleine Grüppchen beim Grillen, chillen, erzählen und diversen Wiesenspielen. Manche liegen nicht nur darauf, sondern rauchen auch Gras, denn es interessiert keinen, genauso wenig wie die ungehemmten Pärchen aller Geschlechtermischungen beim Turteln und Küssen. Die sonnenverwöhnte Stadt bietet alle möglichen Kulturen sowie deren Küchen und Sprachen in einer multikulturellen Vielfalt und jeder spricht außerdem freundliches Englisch.

 

Die Startup-Kultur und die Künstlerszene erlaubt eine flexible Arbeitseinteilung, so dass man ruhig mehrere Stunden im Café sitzen kann und das bedingungslose Grundeinkommen ermöglicht es, sich auch einfach mal ein paar Monate oder auch Jahre treiben zu lassen.

Abends geht es dann zuerst in eine der unendlichen Bars und Strandbars an der Spree um einigen, billigen Alkohol zu tanken, und später in einen der Technoclubs zum Abfeiern bis in die Mittagsstunden oder wahlweise verschwindet man mit der nächtlichen Eroberung aus dem Club in die Couch-Surfing-WG in Kreuzberg. An den geschichtsträchtigen Sehenswürdigkeiten wie an den selbstverständlichen Demonstrationen für irgendetwas kommt man wie von allein vorbei.

 

Gleichzeitig wollte ich - ein Fremder dieser Metropopole wie auch dieser paradiesischen Zustände - zwischendrin an der berühmten Humboldt-Universität über die Nährstoffrückhalteleistung von und die Freizeitnutzung an Flussseen in der Hydrogeografie promovieren. Ich bin selbst noch gespannt, ob das am Ende dieses Textes gelungen sein wird.

 

Bis auf das bedingungslose Grundeinkommen passt diese Utopie der großstadtliebenden Men­schen perfekt zu Berlin.

 

Graphical Abstract (Bildliche Zusammenfassung):

Karneval der Kulturen auf einer Hauptverkehrsstraße in Kreuzberg
Karneval der Kulturen auf einer Hauptverkehrsstraße in Kreuzberg

Kapitel I – Abhandlung zu Berlin, insbesondere Neukölln

Vorjeplänkel („Einleitung“)

 

Forschungsfrage 1: Was begeistert Menschen denn überhaupt an Berlin?

Die Anonymität der Großstadt; die vielen Möglichkeiten sich die Zeit um die Ohren zu schlagen; die ständigen Veränderungen von Straßen und Cafés; das pulsierende Leben der multikulturellen, weltoffenen Großstadt; vielleicht sogar die Berliner Schnauze, die so direkt und unverblümt sagt: „Leck mich und verpiss dich – du Dreck, ey, ick diss‘ dich!“, und damit doch nur meint, dass jeder sein kann wie er will, solange man sich nicht in die Quere kommt. Das ist in einer Großstadt jedoch natürlich nicht möglich, so anonym sie auch sei.

Berlin ist ein Phänomen – warum wollen alle hier her? Die Stadt ist zerklüftet und weitläufig. Es dauert ewig um irgendwo hin zu fahren. Überall räkeln sich Dauerbaustellen. Nichts wird jemals fertig. Und die Menschen könnten nicht unfreundlicher sein. Immerhin gibt es zwei Flughäfen, um von hier wegzukommen, auch wenn der eine durch die ewige Bauzeit die Lachnummer der Nation geworden ist (BER) und falls die S-Bahnen mal fahren oder die Autobahnen nicht verstopft sind, wollen trotzdem nicht so viele raus wie rein in die Stadt.

Woran liegt das? Ist der Grund, dass sich alles in Berlin konzentriert: die geballte Geschichte des letzten Jahrhunderts fokussiert auf ein Stadtgebiet? Oder sind die Freizeitmöglichkeiten durch endlose Straßenfestivals, Messen, unzählige Theater und Opern, Museen, aber auch Gewässer, Wälder und Parks so verlockend? Sind es vielleicht die Jungunternehmer, Künstler, Influencer bzw. YouTuber, Instagramer, Twitterer, und übriggebliebenen Punks, die sich hier eine leere Wiese neben der Industrie erhoffen? Vielleicht haben aber auch die Regierungsorgane und die Politik eine gewisse Anziehungskraft auf die verschiedensten Nationalitäten, die an den vielen Hochschulen, aber auch in den Kiezen und Flüchtlingsheimen eine neue Zukunft suchen. „Man braucht nicht in die Welt zu zieh‘n, denn die Welt kommt nach Berlin!“ Das heißt so viel wie: man ist mittendrin, wenn man hier lebt, und man wird Teil der Geschichte.

Berlin ist auch so spannend, weil immer irgendetwas los ist: nicht nur Veranstaltungen, sondern auch im Café zu sitzen und sich mit Leuten zu unterhalten - v. a. in lauen Sommernächten - kann schon eine Sehnsucht nach Lebhaftigkeit auslösen. Aber es ist auch viel Gedankenspielerei. Denn vieles wird einfach nicht wahr, wenn man nicht die entsprechenden Drogen nimmt, insbesondere Alkohol. Und so bleibt vieles Traum in Berlin. Die Flughäfen, die Bahnhöfe, die ständig fahrenden U-Bahnen und die Menschen darin mit ihren Geschichten und die Möglichkeiten zu verreisen sowie die Leute, die von überall her kommen – das macht die Weite von Berlin aus und auch die erdrückende Freiheit. Verstärkt wird dieses Gefühl dadurch, dass es wenige Hochhäuser gibt oder ernsthafte Berge. Dadurch ist kein Ende zu sehen. Gleichzeitig ist es aber auch beengend. Denn bevor man aus der Stadt kommt, vergeht viel Zeit und man ist dadurch praktisch gefangen. Außerdem kommt noch die ganze Welt als Touristen zu Gast und auch das kann beengend sein. Durch den Mauerfall hat sich Berlin zwar vergrößert, hat aber auch gleichzeitig ein Stück dieser riesigen Weite sogar verloren. Denn das Gefühl der Weite wird von Träumen gespeist und die Träume wurden durch fehlende Reisemöglichkeiten gesteigert und nun von der Realität eingeholt (ein Stück dieser Träume vom Reisen und von der Weite dürften in Corona-Pandemie-Zeiten allerdings wieder aufleben). Zudem sind die ursprünglichen Berliner kaum noch anzutreffen, wenn weiterhin so viele von außerhalb der Stadt und des Landes zuströmen. Die Weite wird eine andere, es wird internationaler, auf Kosten der Einzigartigkeit der Stadt, aber mit der internationaleren Kultur vereinheitlicht sich Berlin auch mit allen anderen Großstädten der Welt und gleicht sich an.

 

Forschungsfrage 2: Was macht Berlin so anziehend für junge Leute und Touristen?

Die Leute, die nach Berlin ziehen, denken nur große Städte sind wichtig – und sie denken für sich genommen richtig: denn wer hier her kommt denkt liberal, weil er die kleinbürgerliche Enge zuhause nicht mehr länger aushält. Man denkt, man selbst allein hat recht und wird dadurch zu eben jenem, wovor man zuhause flieht. Großstädte strotzen vor Intelligenzflüchtlingen.

 

Was die Anziehungskraft von Berlin vielleicht am besten beschreibt ist neben der WG-Kultur, den Drogen und Parks der (unter Techno-Fans) legendäre Club Berghain, in den niemand „Normales” reingelassen wird (https://www.newyorker.com/magazine/2014/03/24/berlin-nights). Vielleicht hat er mich deswegen nur teilweise interessiert, auch wenn ich mich nicht unbedingt in jeder Hinsicht als normal bezeichnen würde. Vielleicht hat es mir aber auch gereicht damals in Frankfurt schon nicht ins 101 reingelassen worden zu sein (Alex wird sich erinnern!).

Zwar wollte Alex immer mal ins Berghain als er bei mir zu Besuch war. Doch gleichzeitig wären wir wohl in der ewig langen Schlange davor verhungert und am Ende doch nicht eingelassen worden. Nach allem, was man über diesen Ort hört, ist es wohl wie die moderne Version des Maskenballes von Venedig oder Rio de Janeiro und des Magischen Theaters aus Hermann Hesses „Steppenwolf“: Es wird von hemmungslosem Sex auf der Tanzfläche berichtet und der absoluten Freiheit alles zu tun, solange man niemand anderen gefährdet. Vielleicht ist das die letzte Bastion der wilden 90er, als nach dem Mauerfall alles möglich schien und die illegalen Untergrund-Raves neben der Explosion von Partydrogen auch von der Droge „Musik“ oder wohl eher vom gemeinschaftlichen „Rhythmus“ lebten. Die spastischen Zuckungen wurden von da an als Tanz verehrt (https://www.refinery29.com/de-de/berghain-hallo-seele-komm-mit-ins-fegefeuer-da-hast-du-es-gut). In diesem Sinne hält das Berghain möglicherweise, was Großstädte an sich versprechen: das freie Leben, wenn sich nur alle Menschen untereinander verstehen und einander sein lassen, wie sie sein wollen („Meine Freiheit endet, wo die Rechte des anderen beginnen.“).

 

JWD in der Heide – Standortbeschreibung („Methoden und Materialien“)

Herkunft: Jena; Sozialisierung: Nachwendezeit (Generation „Y“)

Beginnen wir mit meiner Herkunft und damit meiner Urteilsfähigkeit über Berlin-Neukölln. Geboren zu DDR-Zeiten („Made in GDR“) und aufgewachsen im einzigen Volluniversitätsstädtchen Thüringens in der Nachwendezeit tangierte mich Berlin bestenfalls als weit-weg-Stadt und Neukölln kannte ich zu jener Zeit natürlich auch noch nicht. Gleichzeitig begann auch eher Berlin-Kreuzberg seinen Siegeszug der Gentrifizierung (um es mal auf „neointellektuell“ zu beschreiben), auch wenn dieser Begriff zu meiner Jugendzeit noch nicht verwendet wurde. Raver und Investoren begannen sich dafür zu interessieren. Aber Neukölln? Entsprechend wenig bekam ich anscheinend auch von meiner eigenen Umgebung mit, denn bis zur Mitte der 90er Jahre war die Plattenbausiedlung Winzerla (Abb. 1) ein buntes Gemisch aller Gesellschaftsschichten. In unserem Hauseingang waren beispielsweise von Assis, über Arbeitern und Akademikern bis zu Professoren alle Schichten vertreten, erstaunlicherweise auch annähernd dem Bildungsstand nach von unten nach oben sortiert, wie mir gerade auffällt.

 

Plattenbausiedlung Winzerla (aktuellstes Bild von GoogleEarth und unverändert fast wie damals)
Abb. 1: Plattenbausiedlung Winzerla (aktuellstes Bild von GoogleEarth und unverändert fast wie damals)

 

Dabei fiel mir als Kind tatsächlich nichts, aber auch gar nichts auf, was ich als rechtsradikal hätte deuten können – was auch daran liegen mag, dass ich politisch noch wenige Vorstellungen von rechts und links hatte, sondern diese Richtungsangaben bestenfalls im Straßenverkehr auf meinem Fahrrad auseinander halten konnte. Viel später erfuhr ich dann aus den Nachrichten von der Herkunft eines der NSU-Mitglieder aus dem Block direkt gegenüber der Straße. Vielleicht ging er in die Realschule, direkt neben meiner Grundschule oder ich habe ihn sogar auf der Straße gesehen. Wer weiß. Vielmehr interessierte mich zu dieser Zeit wohl eher mit wem ich die nächste Fußballpartie spielen könnte, wie lange es noch bis zur nächsten Micky-Maus-Ausgabe oder zum nächsten Überraschungsei dauerte, wann wieder ein Impftermin (*schauder* – nicht, dass ich Impfgegner wäre, nur sieht man das als Kind naturgemäß anders) anstand oder wo auf dem Land bei den Großeltern ich die Ferien verbringen würde. Von einem heute manchmal sogenannten „Winzer-L.A.“ bemerkte ich nichts. Soweit zum Vergleich mit Neukölln.

Da ich außerdem noch Westverwandtschaft in Mainz-Mombach (heutiger Migranten-Anteil: ca. 40 %) hatte und auch den heutigen Zustand durch besagte Verwandtschaftsbesuche noch dort kenne, kann ich erst einmal behaupten, dass es auch in mindestens einer anderen Stadt (im tiefen Westen) ähnlich ablief. Und dort kannte ich sogar einen Neonazi, auch wenn er ursprünglich ebenfalls aus Jena stammte.

Auch fern der Politik war das Überleben in unserem Gymnasium nahe Winzerla eine Herausforderung. Denn während meiner Gymnasialzeit:

o  verbrannte ein Schüler fast, weil ein Depp beim Frühlingsfest dachte, dass Bratwurstrostfeuer schneller zu entfachen sei, wenn man den Spiritus gleich aus der Flasche in die Flamme sprüht. Dadurch kroch allerdings die Flamme am fließenden Brandbeschleuniger in die Spiritusbuddel, sprengte den Boden weg, erwischte einen Schüler in der wartenden Schlange voll im Gesicht und setzte ihn in Brand, so dass dieser wohl bis heute nicht aus dem Krankenhaus entlassen wurde;

o   suizidierte sich ein Schüler, indem er von einer Brücke auf Bahngleise sprang;

o   wurde ein dreizehnjähriges Mädchen ermordet und vermutlich vorher noch missbraucht;

o  fuhren sich drei frischgebackene und betrunkene Abiturienten direkt nach der Abifeier in den Rollstuhl (allerdings im Jahrgang nach mir).

Das bedeutet, dass während meines G-8-Abis eine 50-%ige Wahrscheinlichkeit bestand in einen Jahrgang mit einem Unfall, Selbstmord, Mord oder fahrlässiger Tötung zu geraten. Bei ca. 60 Schülern pro Jahrgang wurde also jeder 240ste Schüler bzw. knapp 1 % aller Schüler während dieser Zeit dauerhaft gelähmt oder getötet. Schule kann gefährlich sein! Da hätten wir auch gleich zur Armee gehen können.

Und auch Mobbing kam langsam auf, wenn es nicht schon immer bestanden hatte und lediglich das Wort nun Mode wurde. Immerhin gab es noch kein Facebook und Co., so dass wir wenigstens von den Auswüchsen des Cyber-Mobbings verschont blieben. Wir erfreuten uns noch eher an den frühen Vorzügen des Internet, wie Wikipedia (welches bald schon das Hausaufgabenlexikon Microsoft Encarta ablöste, falls das noch jemand kennt), herunterladbaren MP3-Hits aus Tauschbörsen und den aufkommenden Multiplayer-Online-Games. Allerdings erfreuten wir uns als Jugendliche genauso der Computerspiele, welche Frau Hartfigg aus den U.S.A. für ihren Sohn mitbrachte, der in unserem Alter war und diese Spiele lange vor der Veröffentlichung und Indizierung in Deutschland an uns weiter gab, wie z. B. „Duke Nukem 3D“ oder „Unreal Tournament“ (Ego-Shooter der Härte-Extra-Klasse).

Allerdings kam ich auch hier in den zweifelhaften Genuss von Rassismuserfahrungen – zwar nicht weil, ich Ausländer wäre, sondern eher, weil Mitschüler ausländischer Wurzeln meinten sich beweisen zu müssen. So erinnere ich mich bspw. als Kanake beschimpft worden zu sein, weil sich ein in Lettland geborener Russe mit angeblich jüdischen Wurzeln beweisen wollte und meinte, er sei „deutscher“ als ich (Ist es eigentlich auch rassistisch als Ost- oder Westdeutscher diskriminiert zu werden?). Einige Lehrer dachten bei deutlich schwerwiegenderen Vorkommnissen und Gewalt (nicht nur mir gegenüber) auch gar nicht daran zu helfen, sondern waren eher selbst damit beschäftigt heil durch den Tag zu kommen und manche verbrüderten sich sogar mit den Schülern. Der einzige, wirkliche Rechtsextreme, von dem ich auf der Schule hörte, wurde dagegen noch vor meiner Zeit von der Schule verwiesen. Wenn man als Schüler allerdings zu links auftrat, dann konnte man auch leicht mal sein Abitur versauen, wie es vielen Stürmenden und Drängenden aus meinem Jahrgang im Fach „Deutsch“ erging. Denn als solche Schüler begannen wir Ungerechtigkeiten und Fehler im System zu erkennen, weil uns auf dem Gymnasium ja auch beigebracht wurde kritisch und eigenständig zu denken – und das ist nun einmal die Definition von fortschrittsorientierten, "progressiven" Gedanken, also auch von "links". Aber was will man von Lehrern erwarten, die zum größten Anteil zu DDR-Zeiten linientreu ausgebildet worden waren (also realsozialistisch links-konservativ) und nun im Kapitalismus genau die gegenteilige Politik vertreten sollten?! Wer dabei dachte in Mathe besser dran zu sein und wissbegierig im Unterricht Fragen stellte, bekam unter Umständen zu hören: „Frag nach der Stunde!“ und nach der Stunde: „Da hättest du im Unterricht fragen müssen!“ und bearbeitete stur Lehrbuchseite um Lehrbuchseite auf sich allein gestellt ab. Projektarbeit in der Gruppe (engl. "team") kam auch langsam auf, lief aber eher unter dem Motto „TEAM – toll ein anderer macht’s“ und war daher keine Alternative zum Frontalunterricht. Eine Schande für ein naturwissenschaftlich ausgerichtetes Gymnasium war aber eher, dass man von vier Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Biologie und zum Teil auf zusätzlicher Basis Informatik) zwei naturwissenschaftliche Fächer in der Kursstufe abwählen musste! Immerhin gab es einen Astronomieunterricht, einige Exkursionen und interessante Klassenfahrten.

Dabei kann ich nur lachen, wenn dann 2011 vom ZDF (Sendung „aspekte“) ein Reporter aus München mit migrantischem Hintergrund in unsere Stadt reist, zwei Stunden durch das Zentrum läuft und am Ende meint, er hätte sich unwohl gefühlt, weil die Blicke hinter den Gardinen nur auf ihn gerichtet wären (Ausschnitt der Originalsendung: https://www.youtube.com/watch?v=FZt9-WxVIZc, bzw. die ersten drei Treffer meiner bevorzugten Suchmaschine:

- https://www.thueringer-allgemeine.de/leben/recht-justiz/wie-jena-im-zdf-zur-stadt-der-angst-wurde-id218035793.html;

- http://www.jenanews.de/feuilleton/kolumne/eine-kolumne-fuer/4808-eine-kolumne-fuer-steven-uhly-und-das-zdf;

- https://taz.de/ZDF-Beitrag-ueber-Rassismus-in-Jena/!5105961/).

Dabei hatte Jena zu dieser Zeit bereits viele fremdländische Studenten unter dem 25-%-Studenten-Anteil der Einwohner und ebenso viele Links-Wähler.

Soviel zu Jena, wo selbst die Penner im Paradies (das ist äquivalent zu Berlin: ein Volkspark) leben und kurz vor dem nördlichen Stadtende das Himmelreich (eine Einfamilienhaussiedlung) liegt. Die Stadt scheint wie eine Welt für sich zu sein. Dabei ist es anderen deutschen Städten doch sehr ähnlich. Dazu passt auch, dass das Elendsviertel Lobeda am Südende der Hölle gleichkommt, weil sich dort Niedrigverdiener, Mafia und Nazis „gute Nacht“ sagen. Irgendwo dazwischen bin ich aufgewachsen und träumte so vor mich hin. Aber Berlin-Neukölln?

 

Berlin reduziert auf das Ökosystem Neukölln

Tatsächlich vereint Berlin in sich derzeit weniger alle Arten von Träumen (auch der spießbürgerlichen), als dass es noch damit beschäftigt ist die bunte Ansammlung von Träumen sehr unterschiedlicher Lebensweisen einfach nebeneinander aufzureihen. Die Vermischung würde noch mehr Toleranz der Menschen erfordern, auch mit den unliebsamen Menschen wie Spießern oder gar Neonazis und ist wohl der schwierigste Schritt auf dem Weg zur perfekten Großstadt und dem utopischen Vorbild einer Demokratie.

Neukölln ist nun eines der Paradebeispiele für diese These. Warum? Das soll hier kurz erzählt sein:

In Neukölln stehen die Schulen im Verruf, dass die Lehrer sich bereits selbst bewaffnen müssen, um überhaupt noch eine Überlebenschance gegen die türkisch- und arabischstämmige Jugend zu haben und dass im Höchstfall noch ein Kind in den mit über 30 Schülern völlig überfüllten Klassen deutsche Eltern hat, was nicht heißt, dass es auch Deutsch versteht. Von Arbeitskollegen mit Kindern habe ich das zum Teil bestätigt bekommen, zum Teil aber auch nicht, abhängig von der Schule eben.

Zu allererst wohnte ich aber in Britz, einem Stadtteil des Bezirks Neukölln. Der eigentliche Stadtteil Neukölln ist das, was man im Kopf hat, wenn es um schlecht integrierte Ausländer geht. Daher muss man unterscheiden zwischen Neukölln nach und vor der Gebietsreform Anfang der 2000er und außerdem zwischen Tag und Nacht. Tagsüber ist es friedlich und kaum von anderen Berliner Vierteln zu unterscheiden. Nachts hingegen – nun, das weiß wohl keiner so genau. Aber dann ist es eher ein Basar und rechtsfreier Raum, in den sich selbst die Polizei nicht mehr rein traut. Selbst in Britz, das eher konservativ, altberlinerisch und teilweise rechts geprägt ist, hörte ich regelmäßigen Lärm, welcher Bombenexplosionen glich und selbst hier wurde mir ein Auto der Kompaktklasse vor der Haustür in der Nacht gestohlen, obwohl teilweise Porsche und Rolls-Royce zum Klau bereit gestanden hätten – übrigens eine Woche nach dem großen Raub der 100-kg-Goldmünze aus dem Bode-Museum, soll nur nebenbei erwähnt sein. Die Polizei interessierte das entsprechend wenig und meinte nur, der Wagen sei vermutlich von Ausländern und als Fluchtauto gebraucht worden.

Auch Vici fühlte sich nicht wohl in Neukölln bzw. Britz, weil sie zu oft begafft, gefilmt und von offensichtlich arabisch aussehenden Männern umkreist worden ist, während sie auf die U-Bahn wartete. Hier ist Multikulturalität nicht angekommen, weil es vor allem die nahöstlichen Migranten sind, die den Ton angeben und sagen, welche Musik gespielt wird, statt einer breiten Vielfalt, wie es auf dem „Karneval der Kulturen“ propagiert wird.

Schildkröten im Kirchteich
Abb. 2: Schildkröten im Kirchteich

Beim Nachbarschaftstreffen habe ich ähnliches erfahren. So seien viele Läden und Restaurants selbst in Britz bereits in mafiöser Hand und meine ehemalige Friseuse wurde nach eigenen Angaben regelmäßig, manchmal sogar mehrmals im Monat überfallen, weshalb sie mit ihrem Laden auch weiter Richtung Buckow zog. Der „Billig-Bestatter“ prosperiert dagegen und türkische Großhochzeiten sind an der Tagesordnung, auch im Rest von Berlin. Aber es gibt auch kritische Ausländer, z. B. den Libanesen, der jeden Sonntag aus dem Fenster schreit: „Ich liebe Deutschland! Ich hasse meinen Vater!“ Vor meiner Zeit müssen allerdings auch noch andere Mächte am Werk gewesen sein, denn so wurde das Viertel wohl von freilaufenden Pfauen belagert, die auf den Dächern und vor den Eingangstüren den Bewohnern auflauerten, bis sie durch den Besitzer vom nahegelegenen Stall entfernt wurden. Die Schildkröten im Britzer Kirchteich (Abb. 2) dagegen schienen sich von all diesem Treiben nicht beeindrucken zu lassen.

 

Der Rest von Berlin im Uhrzeigersinn („Standortbeschreibung“) (Abb. 3)

Karte zur Reisebeschreibung durch Berlin
Abb. 3: Karte zur Reisebeschreibung durch Berlin

 

In Mitte schlägt das Herz dieser Stadt und das rund um die Uhr. Hier fließt die Spree (Abb. 4), hier liegt das Regierungszentrum mit Reichstag (Abb. 13), Kanzleramt (Abb. 16) und anderen Regierungsorganen, welches über die U55 (der derzeit mit 3 Stationen kürzesten U-Bahnstation) mit dem Hauptbahnhof (Abb. 9) und dem Brandenburger Tor (Abb. 13) verbunden ist und noch weiter bis zum Alex(anderplatz) (Abb. 13) mit dem Fernsehturm (Abb. 13, Abb. 14) samt einer Art „Körperwelten-Ausstellung“ ausgebaut werden soll (was ähnlich lange dauert wie der BER). Hier befinden sich auch die Museumsinsel (Abb. 6), das umstrittene Humboldt-Forum, das aus dem ehemaligen Stadtschloss und späteren DDR-Regierungssitz (Palast der Republik) hervorging, unzählbar viele Bars (wie die „Ständige Vertretung“) und Touristenläden, Opern, Theater, usw. Ein Zentrum selbst kann man dabei nicht ausmachen, vielmehr erstreckt sich dieses vom Hauptbahnhof über den Tiergarten (Abb. 11), das Berliner / deutsche / Einheits-Wahrzeichen: Brandenburger Tor, die ausländischen Botschaften, die Friedrichsstraße (als Ostberliner Einkaufsmeile) mit dem Friedrichstadtpalast (Abb. 5) und entlang der Demonstrationsallee „Unter den Linden“ über die Humboldt-Universität (Abb. 7, Abb. 10), Madame-Tussauds, die Staatsoper (Abb. 8), den Gendarmenmarkt und den Dom (Abb. 12) bis zum Alex. Dabei ist die Haltestelle „Stadtmitte“ tatsächlich eher der Vorstellung im 3. Reich entsprungen, als Berlin als Welthauptstadt „Germania“ neu entstehen sollte, heute jedoch praktisch keine Bedeutung mehr besitzt und mehr noch vom nahe gelegenen „Checkpoint Charlie“ (Abb. 18) an Bedeutung überragt wird. Dagegen bildet der Potsdamer Platz (Abb. 13) den vielleicht einzigen Punkt in der ganzen Stadt, an dem eine Skyline zu erahnen ist, wie sie in Berlin sonst völlig fehlt. Der sandige und grundwasserdurchnässte Boden erlaubt keine hohen Bauten ohne aufwendige und teure Stabilisierung im Untergrund. Vermutlich kommt sogar der Name „Berlin“ vom Sumpfland. Das Naturkundemuseum (Abb. 10) beim Krankenhaus „Charité“ bietet weitläufige Einblicke in deren Hintergründe und andere Begebenheiten rund um die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse auf und fern der Erde.

 

 

Abb. 4: Architektonische Höhepunkte: Beleuchtung, überstehende …, und hängende Wohncontainer, gespaltene Persönlichkeit des Architekten? Abendszenerie

 

Friedrichstadtpalast – gepflegter Partytempel
Abb. 5: Friedrichstadtpalast – gepflegter Partytempel
Museumsinsel
Abb. 6: Museumsinsel
Ein wenig Kultur
Abb. 7: Ein wenig Kultur (v. l.):

- Wanderlustausstellung im Neuen Museum: Landschaft mit Pilger (Karl Friedrich Schinkel nach einem unbekannten Künstler) – ungefähr meine Sichtweise auf Berlin (= aus der Provinz bzw. Natur kommend in die vielversprechende urbane Metropole);

- Aufgang der Humboldt-Universität: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an sie zu verändern.“ (Karl Marx)

- Neue Synagoge

- Staatsbibliothek-Eingang

 

Staatsoper innen
Abb. 8: Staatsoper innen
Berliner Hauptbahnhof
Abb. 9: Berliner Hauptbahnhof
Humboldt-Universität, Einweckgläser im Naturkundemuseum und Naturphänomene im Tiergarten
Abb. 10: Humboldt-Universität, Einweckgläser im Naturkundemuseum und Naturphänomene im Tiergarten
Tiergarten und Siegessäule
Abb. 11: Tiergarten und Siegessäule

 

Die Westberliner Entsprechung einer Einkaufsmeile ist der Ku’damm (Kurfürstendamm) mit dem abstrus großen KdW (Kaufhaus des Westens, Abb. 13), Hard-Rock-Café und dem kürzlich (ick gloobe 2017) geschlossenen Café Kranzler und der alljährlichen Berlinale (internationales Filmfestival, Abb. 13). Am östlichen Ende des Ku’damms liegt mit mittlerweile trauriger Berühmtheit der Breitscheidplatz mit der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und dem weitläufigen Zoo (Abb. 12) – dem ersten der zwei Tierparks Berlins, nicht zu verwechseln mit dem Tiergarten und ehemaligen Jagdrevier Friedrichs des Großen, in dessen Zentrum die Siegessäule und das Schloss Bellevue als Sitz des Bundespräsidenten steht. Gleich neben an: Moabit, bekannt durch sein Gefängnis, aus dem kürzlich immer wieder Gefangene entfleuchen konnten und die TU beim Zoo. Wedding schließlich ist keine englische Hochzeit, sondern lediglich ein Viertel mit hohem Migrantenanteil; warum es überhaupt zu Berlin-Mitte gehört, ist fraglich.

 

Abb. 12: Zoo

 

Abb. 13: Glanzvolle Mitte

1. Reihe: Berlinale, KDW, Breitscheidplatz

2. Reihe: Alex mit Fernsehturm…, …vom Dom, Fahrstuhlballon, Fernsehturm

3. Reihe: Fernsehturm, Dom bei Nacht…, … und Tag

4. Reihe: Brandenburger Tor bei Nacht…, … und Tag, Potsdamer Platz,

5. u. 6. Reihe: Reichstag

 

Abb. 14: Fernsehturm-Rundumblick: Osten, Südosten, Süden, Südwesten, Westen, Norden

 

DDR-Charme
Abb. 15: DDR-Charme

 

Eine Besonderheit Berlins ist der Tag der offenen Bundesregierung (Abb. 16) im August, an welchem man Einblicke in die Ministerien und Abläufe der Verwaltung hat. Es klingt trocken, wartet aber mit so vielen Eindrücken und Ausstellungen auf, dass ich nach zweimaligem und ganztägigem Besuch nicht einmal die Hälfte geschafft habe. Denn es handelt sich dabei praktisch um das komplette Leben in Deutschland, wie es durch die einzelnen Ministerien abgebildet wird: technische Neuerungen im Verkehrs- und Verteidigungsministerium, Food-Trucks mit Hipster-Essen im Ernährungsministerium, aktuelle Forschungsprojekte im Bildungs- und Forschungsministerium, usw. Sogar das neue BND-Gebäude konnte man besichtigen (zumindest von außen) und dabei erfahren, dass sich bereits Spione in den Häusern gegenüber eingemietet haben. Die Konsequenz? Den PC-Bildschirm vom Fenster wegdrehen!

 

Abb. 16: Tage der offenen Bundesregierung

1. Reihe: Bundeskanzleramt;

2. Reihe: Spree, Bundestag, Kennedys Rede „Isch bin oin Börliner“;

3. Reihe: Kanzlerheli außen, … und innen; Ein Mittel gegen Raser?

4. Reihe: berittene Polizei, Waldsoldat, Wüstensoldat, Fliegender Weihnachtsmann

5. Reihe: Dschungel der Politik, Staatsstretchlimo, Säkularisierung (Trennung von Kirche und Staat)?

 

Kreuzberg hingegen wird immer noch von Junkies und Kleinkünstlern unsicher gemacht. Gleich zwei Kollegen (beide aus schwäbischer Provinz) berichteten von weggetretenen Menschen in ihren Kellern und anderen Süchtigen, über welche sie in ihre Wohnungen schleichen müssen, um zur ohnehin nicht mehr abschließbaren Haustür zu gelangen, in der Nähe des Gewaltparadieses Kottbuser Tor (auch „Kotti“ genannt) und des Drogenumschlagplatzes Görlitzer Park ("Görli") im Osten Kreuzbergs. Sie selbst fanden das gar nicht so schlimm, und würden im Vergleich dazu Neukölln mit seiner aufgeräumten Clan-Ordnung wohl geradezu als spießig bezeichnen. Gleichzeitig macht das westliche Kreuzberg durch seine Feste und sein Straßenleben auf sich aufmerksam. Nicht nur die wahnsinnige Zahl von Fressläden, sondern auch die Feste wie der „Karneval der Kulturen“ sind die Straßen-Essen-Ereignisse schlechthin. Aber auch der 1. Mai und Silvester (Abb. 17) können durchaus einschlagende Erlebnisse sein. Kleinkunst ist hier zuhause, u. a. im berühmten „SO36“, das fast immer ausgebucht ist – aber auch manchmal grottige Kulturbeiträge zu bieten hat (wie leider von meinem eigenen Institut dargeboten).

 

Silvester in Berlin (Webcam-Aufnahme)
Abb. 17: Silvester in Berlin (Webcam-Aufnahme)

 

Der Westen von Kreuzberg ist schon wesentlich intellektueller geprägt. Hier findet man einen der wenigen und namensgebenden Berge von Berlin im Viktoriapark mit samt Wasserkaskaden und Ausblick. Das Technikmuseum (Abb. 18) dagegen wartet mit einer unfassbaren Anzahl von Exponaten, Erklärungen und Versuchen über mehrere Etagen und Gebäude auf, so dass ich eine ganze Woche dort verbringen könnte – und ich begreife mich nicht gerade als Ingenieur.

 

Abb. 18: Ein Bisschen Kreuzberg

Oben: Industrieruine bei der Yorckstraße, Partyfeuerwerk über einer alten Fabrik, gesperrte Brücke

Mitte: Verfall, Checkpoint Charlie, Trauriger Rest des Anhalter Bahnhofs, Viktoriapark

unten: Endzeit-Filmdreh am Gleisdreieck, Technikmuseum mit…, … Raumfahrtanzug, … offener Litfasssäule, … Luxuswaggon (innen)

 

Abb. 19: Friedrichshain-Kreuzberg: Club der Visionäre…, … nachts, Oberbaumbrücke, Mauer, Spreeufer mit Mercedes-Benz-Arena (innen)

 

Friedrichshain ist bekannt für die Clubs und Partyszene (Abb. 19), so z. B. das Berghain und für ausgefallene Fressbuden mit witzigen Namen, wie das „Burgeramt“ oder für mit Stickstoff gefrorenes Eis, damit es möglichst cremig bleibt. Rasch gehen diese Läden aber auch wieder pleite.

In Rummelsburg liegen die Industrieruinen (Abb. 20), zwischen denen ein Kollege in der Spreebucht mal surfen war, allerdings wohl Hautausschlag danach gekriegt hat und selbst die Fische Benzin im Blut haben, oder zumindest danach riechen.

 

Rummelsburg
Abb. 20: Rummelsburg

 

Plänterwald (abgewandelt von der Forststruktur „Plenterwald“ mit Bäumen aller Altersklassen) und Treptow sind für ihre Parks berühmt, unter anderem dem einzigen Freizeitpark der ehemaligen DDR (Abb. 21), der nunmehr eher ein totes Museum ist. Dafür finden sich hier auch noch alte Industrieanlagen gegenüber der Rummelsburger Bucht und zahlreiche Bars, wie der kürzlich abgebrannte „Club der Visionäre“ (Abb. 19). Aber auch der Baumschulenweg macht seinem Namen alle Ehre und begeistert in der Vorweihnachtszeit (wie in so vielen Berliner Vierteln) mit seinem speziellen Mix aus Weihnachtsmarkt, Flohmarkt und den Gewächshäusern der Späth‘schen Baumschule, nach der sogar ein ganzes Viertel benannt ist (Späthsfelde).

 

DDR-Charme Teil 2: Plänterwald und Treptow mit sowjetischem Ehrendenkmal
Abb. 21: DDR-Charme Teil 2: Plänterwald und Treptow mit sowjetischem Ehrendenkmal

 

Neukölln ist also vor allem in der Hand von Arabern, Türken und Libanesen und liegt auf der Berliner Uhr auf halb sechs.

Britz (Abb. 22) mit dem Britzer Garten (Abb. 23), seinem ehemaligen Bundesgartenschaugelände und dem noch dörflicher geprägten Buckow erstrecken sich südlich von Neukölln und Brandenburg bis zum lange vor seiner Eröffnung berühmten Flughafen BERlin Brandenburg „Willy Brandt“ und gehen in die Hochhaus-Wohnkasernen und die Einkaufszentren von Gropiusstadt über. Interessanterweise gibt es noch einen Stadtteil Buckow direkt hinter Gropiusstadt, der wie eine Exklave ausgelagert ist.

 

Abb. 22: Britz: Um den Kirchteich: Kirche, Schloss Britz in den Jahreszeiten; Tierpark …, … mit Gutshof, Rathaus Britz; gefrorener Müll im Teich, Kirche, Schloss

 

Abb. 23: Britzer Garten

 

Tempelhof ist durch den dritten, ehemaligen Flughafen Berlins gekennzeichnet (Abb. 24, Abb. 25). Noch immer ist das zwei km lange Flugfeld intakt und allerlei Freizeitaktivitäten wie Fahrradfahren, Drachensteigen, Kiteboarding, Grillen aber auch Freiluft-Erlebnistheater, Zirkus, zeitweise Flüchtlingsunterkünfte und sogar die Formel-E finden dort statt. Drum herum existieren zahlreiche Bars, Behörden und der alte Hafen mit 3D-Minigolf, Lasertag und Billardanlage.

 

Tempelhofer Feld
Abb. 24: Tempelhofer Feld
Tempelhof Flughafen: wie zu Zeiten des vollen Betriebes bei der Formel-E
Abb. 25: Tempelhof Flughafen: wie zu Zeiten des vollen Betriebes bei der Formel-E

 

Steglitz, Zehlendorf, Dahlem und Wannsee beherbergen die Alt- und Neu-Reichen. Entsprechend imposante Villen gibt es hier zu bestaunen (z. B. auf der Insel Schwanenwerder), ebenso wie interessant klingende U-Bahn-Stationen (U3 und U7), wie „Onkel Toms Hütte“, „Krumme Lanke“, „Mexikoplatz“, „Schlachtensee“, „Nikolasee“ und natürlich dem „Wannsee“ (Abb. 26), in Richtung Potsdam. Die Pfaueninsel (Abb. 27) in Form eines Pfaus ist ein besonderer Schatz, auf dem tatsächlich echte Pfauen, weitere seltene Vögel in einer Voliere und Rinder wie in einem offenen Tierpark leben. Als Spielwiese mitsamt Sommerrodelbahn für preußische Könige bietet der Park eine Fülle von architektonisch und historisch faszinierenden Bauten, wie eine Scheinschlossruine, das Schweizerhaus, eine Jagdschlosshütte oder eine Meierei. In Steglitz hat außerdem die Freie Universität Berlin in Dahlem ihren Hauptsitz mitsamt dem Botanischen Garten gefunden. Berühmt für die Teilung Berlins, Deutschlands und der ganzen Welt in Ost und West wurde auch der Grenzübergang zu Kleinmachnow am Checkpoint Bravo und die Glienicker Brücke zu Potsdam (Abb. 26) für ihren Agentenaustausch zwischen Ost und West. Berlin kann insofern als Nabel der Welt im Kalten Krieg bezeichnet werden. Nur wenige wissen, dass auch Wien gleichermaßen geteilt war, jedoch bereits zehn Jahre nach dem 2. Weltkrieg wieder vereint wurde und daher nicht die politische Bedeutung Berlins erlangte.

 

Abb. 26: Steglitz:

oben: Rathaus, Schlachtensee, Wannsee,

unten: Glienicker Brücke, Park Babelsberg: Schloss Babelsberg mit Glienicker Brücke, Flatow-Turm

 

Abb. 27: Pfaueninsel

 

Der Übergang von Steglitz zum Grunewald, mit 3000 ha dem größten, zusammenhängenden Berliner Waldgebiet, ist fließend und dazwischen liegt die Havel, eine durchströmte Seenkette (auch Flussseen genannt), die wegen des geringen Gefälles und der zahlreichen Kanäle auch schon mal „rückwärts“ fließen kann und die von Klein-Venedig bis Potsdam (Abb. 51) gerne für allerlei Freizeitaktivitäten genutzt wird. Und auch der Teufelsberg, ein Trümmerberg aus Nachkriegszeiten, ist eine Welt für sich. Denn die ehemalige Abhörstation wurde mittlerweile von anarchischen Mächten besetzt, die auch Führungen durch das Gelände und die Türme anbieten (allerdings mit zweifelhaften Sicherheitsvorkehrungen) und das Gelände durch ihre „Kunst“ wie eine postapokalyptische Szene aussehen lassen. Dem entgegen stehen das Jagdschloss Grunewald und der Grunewaldturm (Abb. 28) als aristokratische Ruhe und Autorität ausstrahlende Gegenstücke. Wer würde außerdem erwarten, dass auf der Autobahn A 115 früher einmal Rennsport stattgefunden hat? Die verfallenen Tribünen zeugen noch davon.

 

Abb. 28: Grunewald:

oben: Teufelsberg, Grunewald-Turm, Teufelsbergblick,

unten: Anarcho-Szenen auf dem Teufelsberg, Berliner Skigebiet

 

Damit ist man auch schon in Charlottenburg, mit dem namensgebenden Schloss Charlottenburg (Abb. 29) mit seiner reichen Innenausstattung im barocken / klassizistischen Stil und der Deutschen Oper als Pendant zur Staatsoper in Ostberlin. Im Westend sind das Olympiastadion (Abb. 30), das Mommsenstadion (z. B. genutzt für American Football), das Messegelände u. a. mit der „Grünen Woche“ (Ernährungsmesse), dem Funkturm, die Waldbühne sowie dem Kletterwald zu finden; eine Gegend für die „Darbietungszentren der Körperkunst“ also.

 

Abb. 29: Charlottenburg: oben: Architektur von Charlottenburg; unten: Schloss Charlottenburg

 

Olympiastadion bei einem Hertha-BSC-Spiel
Abb. 30: Olympiastadion bei einem Hertha-BSC-Spiel

 

Wer in Berlin „in Spandau sagt, meint „jwd“ (also „janz weit draußen“) und eigentlich hat es mit Berlin selbst nicht mehr viel gemeinsam. Dennoch hat die Zitadelle (Abb. 31) und das bereits erwähnte Kleinvenedig (Abb. 32) seinen Reiz. Ansonsten ist bspw.das Viertel Siemensstadt ein reiner Industriestandort, wie der Name schon vermuten lässt.

 

Abb. 31: Spandau: Zitadelle

 

Kleinvenedig
Abb. 32: Kleinvenedig

 

Reinickendorf - tja, wofür steht das? Ach ja: Tegel (Abb. 33). Neben dem gleichnamigen See ist es vor allem der Flughafen, den keiner mehr haben will, besonders nicht in Reinickendorf, den aber bis dato alle brauchten, weil ansonsten der BER in Schönefeld noch nicht in vollem Betrieb war. Mit seinem sechseckig gebauten Terminal war der mittlerweile ebenfalls geschlossene Flughafen seit den 60er Jahren enorm effektiv und fertigte weit mehr Passagiere ab als zur Entlastung von Tempelhof geplant war. Flughäfen sind immer scheiße für die Anwohner, genauso aber auch für die Umgebung Schönefeld. Im Gegensatz zum BER hat der TXL jedoch besser funktioniert.

 

Anflug nach Tegel
Abb. 33: Anflug nach Tegel

 

Mehr als ein Sonderzug ist zum Bezirk Pankow dann ebenfalls nicht zu sagen. Eine Ausnahme ist der Stadtteil Prenzl’berg (Prenzlauer Berg), was für die Gentrifizierung vom Arbeiterviertel zu Ökointelektuellen steht, die ihre Kinder aber auch gerne mal im Suff (ähm, SUV) neben den Craft-Bierbrauereien von der Schule abholen und sich in den Altbauten die hohen Decken zu Tode heizen. Der Mauerpark (Abb. 34) ist eher eine Fortführung dieses Lebensstils, wo jeden Sonntag Freilicht-Karaoke zum besten gegeben wird und sich Junkies und Neu-Hippies gute Nacht sagen. Wenigstens hat man noch das Zeiss-Planetarium und das „Velodrom“ (eine Radsport-Arena, Abb. 34) zum Abreagieren. Und nicht zu vergessen: die Thüringer Stuben ;)

 

 

Pankow: Mauerpark-Konzert, Berliner Werte, Velodrom; Lichtenberg: Der Sinn einer Litfaßsäule
Abb. 34: Pankow: Mauerpark-Konzert, Berliner Werte, Velodrom; Lichtenberg: Der Sinn einer Litfaßsäule

 

Lichtenberg setzt seiner StaSi-Vergangenheit (StaSi: Ministerium für Staatssicherheit) zwei Denkmäler: das StaSi-Hauptquartier und das StaSi-Gefängnis (Abb. 35) in Hohenschönhausen. Zwischen diesen Gedenkstätten sieht die Architektur aber auch nicht besser aus.

 

Stasi-Gefängnis
Abb. 35: Stasi-Gefängnis

 

Die Architektur wird in Marzahn und Hellersdorf auch nicht besser, wenngleich hier wenigsten noch die Gärten der Welt und seit 2017 auch die IGA (Internationale Gartenausstellung, Abb. 36, Abb. 37) mit einer Seilbahn (in Berlin!) besteht.

 

Abb. 36: IGA

oben: Seilbahn in Berlin, Marzahn im Grünen, Sommerrodelbahn,

unten: japanischer Garten, orientalisches Tor, Wrackblumen

 

Wuhlgarten in Marzahn mit IGA-Gelände
Abb. 37: Wuhlgarten in Marzahn mit IGA-Gelände

 

Immerhin hat Friedrichsfelde noch den Ostberliner Zoo „Tierpark“ für die Bevölkerung anzubieten und in Karlshorst hat die neu-intellektuelle Schicht mittlerweile ein Zuhause gefunden.

Ganz im Gegensatz dazu steht die Schweineöde (oder vor allem Ober-Schöneweide) in dem Ruf eher von Rechten bewohnt zu werden.

Damit sind wir in Köpenick (Abb. 39). Das Zentrum um das Schloss ist, ähnlich wie die Zitadelle in Spandau, vom Wasser der Spree (Abb. 38) und der Dahme umströmt und bietet in der Altstadt ein bestimmtes Gefühl von Berlin, das bis Berlin-Mitte trägt, wenn man eine Spreerundfahrt mitmachen würde. Hier hatte ich mal eine Wohnungsbesichtigung, die mir ein 3-m-breites Zimmer mit 4-m-hohen Wänden in einer Art Hochbunker bot – dabei geht man eher von Wohnraum in Kubikmetern als von Wohnfläche in Quadratmetern aus. Dennoch waren in mehreren Staffeln und jeweils bis zu 30 Leute gleichzeitig zur Besichtigung dabei. Ich zog lieber nach Britz.

 

Spreefahrten: Partyboot, Oberbaumbrücke, Molecule Man, Insel der Jugend
Abb. 38: Spreefahrten: Partyboot, Oberbaumbrücke, Molecule Man, Insel der Jugend
Köpenick
Abb. 39: Köpenick
Müggelberge: Müggelturm außen, Müggelturm innen, Funkstation Müggelberge
Abb. 40: Müggelberge: Müggelturm außen, Müggelturm innen, Funkstation Müggelberge

Abb. 41: Müggelheim

oben: Müggelwald, Müggelsee, Teufelsmoor

unten: Berlins höchste Berge: Müggelberge mit Müggelsee (links) und Langem See (Dahme) (rechts)

 

Mündung Müggelsee in Müggelspree, Müggelsee mit Müggelbergen im Hintergrund
Abb. 42: Mündung Müggelsee in Müggelspree, Müggelsee mit Müggelbergen im Hintergrund

 

Köpenick ist außerdem das Ende der Stadt und alles weiter dahinter gehört zwar teils noch zu Berlin, ist aber eher dörflich geprägt. Die Entsprechungen und Pendants zwischen Ost- und Westberlin finden in Köpenick einen Höhepunkt. Schon Carl Zuckmayer hat hier seinen Hauptmann spielen lassen; und nicht nur das mit Union-Berlin im Stadion „Alte Försterei“ ein gleichwertiger Fußballgegner zur Westberliner Hertha-Mannschaft existiert; auch die Parkbühne in der Wuhlheide im FEZ (Freizeit- und Erholungszentrum) bildet das Gegenstück zur Waldbühne; schließlich ist der Müggelsee die Entsprechung der aquatischen Freizeiterholung zum Wannsee und seine umgebenden Wälder spiegeln den Grunewald. Entsprechend ist das Waldgebiet zwischen Dahme und Müggel-Spree (Abb. 40 - 43) ein beliebter, aber weniger überlaufener Ausflugsort und war wohl zu Ostzeiten noch häufiger genutzt, wie sich an den Hotelbauten am südlichen Müggelsee ablesen lässt. So befindet sich der Müggelturm in einem gefährlichen Zustand - wie auf dem Teufelsberg - und ist dennoch zugänglich, im Gegensatz zur etwas weiter entfernten Sendeanlage. Wieder gibt es mit dem Teufelsee, einem Moorsee, eine Entsprechung zu Charlottenburg bzw. dem Grunewald. Doch hier ist die Umgebung mit Bergen natürlichen Ursprungs. Aber auch das Gewässer-und-Fisch-Institut „IGB“ in Friedrichshagen ist in der Nähe beheimatet und gab auch mir drei Jahre lang eine (halbtagsbezahlte) Vollzeitbeschäftigung um die Freizeitnutzung und die Selbstreinigungsleistung der zuvor erwähnten Flussseen zu untersuchen. Berlin bietet dafür mit seinen zahlreichen Wasserstraßen und Seen ein ideales Terrain. Entsprechend war ich u. a. in diesem Gebiet für Umfragen und Feldforschung zwischen Friedrichshagen, Wannsee und Brandenburg zusammen mit einem Masteranden unterwegs und lernte so auch das Wassersportfest auf der Regattastrecke in Grünau, die Lange Nacht der Wissenschaften in Berlin-Mitte und meine heutige Frau Vici beim Rudern in Schmöckwitz besser kennen.

 

Seddinsee
Abb. 43: Seddinsee

 

Bei der Angelprüfung zum Angelschein A (Sportangeln) in Prenzl’berg und dem Erwerb des Sprechfunkzeugnisses SRC und UBI in Siemensstadt war auch noch die persönliche Entwicklung mit dabei.

Tja und im Fernseh-, Uni-, Wissenschafts- und Gewerbegebiet Adlershof (Abb. 44, Abb. 45) – da habe ich doktoriert.

 

Abb. 44: Grenzradweg am Teltowkanal nach Adlershof: Kirschblüte in Britz, Herbstweg in Johannisthal, Gespinste, Regenbogendschungel, Eutrophierung, Nebelkanal, Autoturm mit Adlershofer Werbespruch

 

Abb. 45: Landschaftspark, Tscherenkow-Teleskop, und mein Arbeitsgarten in Adlershof

 

So beschrieben ist Berlin wirklich wahnsinnig vielseitig und hat eine ganz eigene Stimmung, wie sie wohl keine andere deutsche Stadt hat. Es kommt mir immer noch vor wie ein frisch befreites Gefängnis für den Verstand oder auch ein Versuchslabor für den Freiheitsdrang. Entsprechend viele Angebote für „Escape-Games“ bzw. „Exit-Games“ und Krimidinner gibt es hier, die aufgrund der Fluchtversuche über die ehemals innerdeutsche Grenze stimmungsvoll inszeniert sind. Die „Berliner Luft“ - auch ein bekannter Pfefferminzschnaps - verspricht das große Erlebnis und ich fühlte mich eigentlich ständig mehr als Tourist denn als Einwohner. Vielleicht wollte ich deshalb auch bald wieder weg. Denn man braucht eine Menge Energie, um sich mit diesem Gefühl auf die Dauer wohlzufühlen. Und auch in den Nachrichten, egal ob Fernsehen, Radio oder Internet, ist Berlin häufiger präsent als andere deutsche Gebiete, nicht nur aufgrund des Regierungssitzes. Es ist einfach mehr los hier. Und obwohl Berlin wie gesagt derzeit keinen Vergnügungspark aufweist, ist es selbst ein solcher, riesiger Park.

 

Seenlandschaft in Brandenburg
Abb. 46: Seenlandschaft in Brandenburg

 

Aber es gibt noch einen Park um Berlin, er nennt sich Brandenburg (Abb. 46). Dieser Park ist 33-mal so groß, hat jedoch nur knapp ¾ der Einwohner Berlins. Neben den nahegelegenen Filmstudios in Potsdam-Babelsberg (Abb. 48) gibt es dort vor allem Natur zu erleben: vom Kranichsammelfeld bei Linum (Abb. 49), über die Mark mit dem klarsten See (Stechlinsee) an der mecklenburgischen Grenze zwischen Neuruppin und Templin, zu den Ökobauern der Uckermark und im Biosphärenreservat Schorfheide zwischen Oranienburg und Eberswalde, hin zur Auenlandschaft im Oderbruch, der Hügel- und Schluchtenlandschaft in der Märkischen Schweiz hinter Strausberg (Abb. 50), der Pferderennbahn Hoppegarten, dem Heideseen-Gebiet zwischen Bad Saarow und dem Ferienparadies „Tropical Island“, dem Spree-durchfurchten Spreewald von Lübben bis vor Cottbus (Abb. 52), den Bergbaugebieten in der lausitzer Seen- und Heidelandschaft von Spremberg über Senftenberg, Lauchhammer, Bad Elsterwerda bis Mühlberg, dem Fläming um Bad Belzig, den Beelitzer Heilstätten und Spargel (Abb. 47), der namensgebenden Stadt Brandenburg an der Havel mit seinen schönen, innerstädtischen Wasserstraßen, dem Naturpark Westhavel um Rathenow (Abb. 53) und den Elbtalauen um Wittenberge.

 

Beelitzer Heilstätten: Brandenburg naturverbunden: Wege führen durch die Luft, Wald wächst auf Häusern und Schlaf im Blumenbeet – „Stadt der Zukunft“ aus der Vergangenheit ist hier Gegenwart
Abb. 47: Beelitzer Heilstätten: Brandenburg naturverbunden: Wege führen durch die Luft, Wald wächst auf Häusern und Schlaf im Blumenbeet – „Stadt der Zukunft“ aus der Vergangenheit ist hier Gegenwart
Filmpark Babelsberg: Löwenzahn-Waggon, Burgkulisse, Kleiner-Muck-Brunnen
Abb. 48: Filmpark Babelsberg: Löwenzahn-Waggon, Burgkulisse, Kleiner-Muck-Brunnen

Abb. 49: Linum: Seen, Flachland, Kraniche

 

Märkische Schweiz: Biberspuren, Beerenfluss, Sumpfwald, See
Abb. 50: Märkische Schweiz: Biberspuren, Beerenfluss, Sumpfwald, See

Abb. 51: Potsdam: Schlosspark Sanssouci und Cäcilienhof (letztes Bild)

 

Abb. 52: Spreewald

 

Unteres Havelland: Rathenow, Flussland, Brandenburg an der Havel
Abb. 53: Unteres Havelland: Rathenow, Flussland, Brandenburg an der Havel

 

So is’ es („Ergebnisse“) oder Willst de Streit? („Diskussion“)

Wenn Churchill online in Berlin ein Hotel gebucht hätte, hätte man ihm wohl auch vorgeschlagen: „Sie haben kürzlich Berlin bereist. Wollen Sie die Stadt jetzt mit ihren Freunden teilen?“ und es entstanden die vier Besatzungszonen, von denen zwei letztendlich vierzig Jahre lang Geschichte schrieben – die sowjetische und die amerikanische mit den Checkpoints dazwischen.

Berlin ist aber nicht nur politisch zwischen Links und Rechts, Ost und West aufgestellt, sondern hat viele Parks, so genannte „Volksparks“ (Abb. 54) und ist auch durch die relativ großen Waldbereiche zwischen den Wohngebieten recht grün, ähnlich wie Moskau im äußeren Stadtbereich. Wohl deshalb erinnerte es so grandios an ein Ökosystem, mit seinen vielen verschiedenen Menschenspezies und ihren hübschen, kleinen Eigenarten. Wie so viele von ihnen versuchen zwanghaft nonkonformistisch zu sein, und wie sie doch gerade im mittlerweile gentrifizierten Prenzlauer Berg so spießig „öko“ sind.

 

Volkspark Friedrichshain
Abb. 54: Volkspark Friedrichshain

 

Es gibt auch an sich (zu) viele Spinner: Schwaben wollen aus ihrem spießigen Zuhause weg und in die Untiefen der Metropole; nachts rasen die Motorradfahrer und andere Adrenalinjunkies durch die leeren Straßen und Krankenwägen überfahren einen fast täglich, wenn die Polizisten in Privatautos, Clanmitglieder und Gangsta-Rapper es nicht vorher erledigen. Insofern, ja: Berlin bedeutet tägliche Abenteuer.

Ich glaube, unter sogenannten „Kanaken“ versteht man hier v. a. die jugendlichen Migrantensprösslinge, welche sich nicht integrieren konnten, außer ihren BMW keine Zukunftsperspektive sehen, sich mit anderen Gleichgesinnten in Gewaltorgien verbünden müssen, um ihre Minderwertigkeit zu kompensieren und weitgehend unseren „Assis“ entsprechen. Die meisten anderen negativ auffallenden Personen mit Migrationshintergrund sind entweder Mafiamitglieder oder Nichtberliner. Und wenn jedes andere Geschäft geschlossen hat, treffen sich alle im Späti („Spätkauf“).

 

Multikulti

Die Möglichkeiten in Berlin reizen schon, das ist klar. Man geht um eine Straßenecke und da spricht ein bekannter Politiker vor Studenten oder man trifft einen anderen in einer Bar. Parties und Clubs locken den ganzen Tag, Kulturveranstaltungen im Überangebot, Freizeit und Arbeit verschwimmen. In Berlin ist eben immer etwas los. Besonders spanische Touristen kommen gerne hier her, vielleicht um die verlorenen Freiheitskämpfe in Südamerika hier nachzuholen oder einfach nur um Spaß zu haben.

Eine Hauptstadt ist wohl immer das Tor zur restlichen Welt und Tummelplatz für unterschiedliche Kulturen und Völker, allein schon durch die Botschaften und die vielen Möglichkeiten, bezüglich Handel, Regierung und Wissenschaft. Insofern ist es auch gerechtfertigt Berlin nach 1990 wieder als gesamtdeutsche Hauptstadt etabliert zu haben. Die Stadt trägt diese Rolle mit der Würde ihrer Einwohner: „Muss ja!“.

Unterschiedliche Sprachen in der Umgebung als normal anzusehen steht für „Multikulti“ und zieht u. a. so viele liberale und sich selbst für tolerant haltende Menschen an. Die Vielfalt der Kulturen drückt sich z. B. im „Karneval der Kulturen“ aus, der allerdings nur wenige Tage im Jahr dauert. In Vicis 13er WG im Wohnheim mit elf Mitbewohnern ausländischer Herkunft war allerdings auch ganzjährig ein „Karneval der Kulturen“ zu erleben, oder sollte man es eher „Theater“ mit einem überproportionalen Hang zur Aufführung von Dramen nennen?

Viele unter ihnen meinen tolerant zu sein, verhalten sich gegenüber bestimmten Meinungen, die nicht ins links-liberale Schema passen, allerdings meist abweisend und ignorant. Durch das Reiten auf der gut durchorganisierten und vermarktbaren Alternativen-Strömung (durchaus verbunden mit „alternativlos“ oder „alternativen Fakten“), statt ihre eigene Meinung auszubilden, werden sie zu Berlins Hipstern. Die eigentlichen Punks und Aussteiger trifft man nicht in den international wirkenden Clubs und Bars, sondern auf der Straße, in den U-Bahnen und auf den Brachflächen.

Viele Kulturen kommen aber nicht mit allen Unterschieden gleich gut klar und haben unterschiedliche Toleranzlevel. So geraten auch verschiedenste Menschen und Interessen aufeinander. Irgendwann ist das zu viel. Die Zahl der Möglichkeiten lockt Leute an und lässt auch Konflikte ausbrechen, die irgendwann eskalieren müssen und zu Subkulturen bzw. Parallelgesellschaften führen, welche wiederum zur Spaltung und Bekämpfung der Gesellschaft von innen führen, wie z. B. die zuvor angesprochene Bildung jugendlicher Vereinigungen abseits der Gesellschaft.

Hier lebend und die Aufs und Abs erlebend merke ich, dass man wirklich dankbarer sein muss für seine Fähigkeiten und seine Möglichkeiten, die man von der Natur bekommen und die man sich auch selbst erworben hat. Denn das Überleben in dieser Welt ist nicht selbstverständlich und nur durch stetige Anpassung und Veränderung möglich. Andernfalls wird man von der Umgebung vertilgt oder muss sie verlassen. Das ist das Gesetz des Kiezes und es trifft genauso auch auf jede andere Gemeinschaft zu. Eine diverse Kultur ist wie eine diverse Natur stabiler gegenüber fremden Einflüssen. Aber die Arten und Populationen müssen auch zusammenpassen und wenn sich zu viele Raubtiere tummeln bleibt irgendwann die Beute aus, so dass auch die Räuber leiden. Das wird hier in den stark kulturdiversen Vierteln umso deutlicher. Der Stärkere setzt sich durch, weil er den anderen einen Schritt voraus ist. Aber der Starke wird nie auf Dauer stark sein, wenn er sich nicht weiterentwickelt und stehen bleibt. Die Konkurrenz ist in einem diversen Ökosystem zu groß und die Konkurrenz treibt die Entwicklung voran. Diversität ist also gut für die Gemeinschaft, verzehrt allerdings auch die Kraft der Individuen. Dadurch hat der Starke irgendwann keine Kraft mehr für den entscheidenden Schritt, der ihm die Vormachtstellung sichert. Das Ökosystem bleibt bestehen, aber die Individuen opfern sich für es auf, getrieben von dem Wunsch der Vormachtstellung. Das ist auch das Wesen des Kapitalismus, wie auch zu großen Teilen das des Kommunismus. Was in der DDR und im Berliner Osten der Gehorsam gegenüber dem Sozialismus war, ist heute und im früheren Berliner Westen der Gehorsam gegenüber dem demokratischen Konsumieren. Widersprüche gibt es auch heute genug, nicht umsonst habe ich die Wissenschaft vorgezogen um von der Politik und Finanzwelt fern zu bleiben, obwohl die Wissenschaft heute doch genauso über Drittmittelanträge daran angepasst ist.

Hier nun muss die Kultur der Zivilisation ins Spiel kommen, worin der Mensch diesen Teufelskreis der Natur durchbricht und eine friedliche Gemeinschaft erzeugt, in der das Individuum sich entfalten kann, aber nicht durch den Konkurrenzdruck verzehrt wird. Die Herausforderung für eine diverse, multikulturelle Gemeinschaft wie in Neukölln ist also die permanente Weiterentwicklung ohne Konkurrenzdruck und Machtstreben. Die Weiterentwicklung muss durch andere Triebkräfte erreicht werden.

Das multikulturelle Resümee: überall in Berlin wohnen Ausländer und Fremdenfeindliche nah beieinander. Zwischen spießiger Scheinheiligkeit und prolliger Direktheit bis hin zur Beleidigung liegt auch freundliche Toleranz.

 

Ärzte – nicht nur eine Berliner Punkband

Als ich einen Termin bei einem Hautarzt wollte, bekam ich zu hören, es gäbe keine Termine, sondern ich solle direkt zur Sprechstunde kommen. Allerdings stand morgens zwei Stunden vor Praxisöffnung bereits eine Schlange von Menschen vor der Tür, welche in eisiger Kälte ausharrten bzw. aushärteten. Selbst abends war es kaum besser und woanders bekommt man keinen Termin ohne bereits Patient zu sein.

Da ich seit Russland bereits eine verdeckte Borreliose in mir trage, wusste ich um die Risiken und Symptome dieser Krankheit. Nun tauchte mir ein roter Fleck (Erythema Migrans) am Bauch auf und ich ging zunächst zum nächstgelegenen Allgemeinmediziner. Dass dieser allerdings auch noch Homöopath war, fiel mir erst vor Ort auf. Entsprechend trat er auf: Ich kam rasch dran, und er erklärte mir es gäbe vier Arten von Borreliose und dass es schon auffallen würde, wenn ich die schlimmste Variante hätte, welche mit Nervenschädigungen einher ginge. Daher solle ich einfach nach Hause gehen und die Sache vergessen. Nach fünf Minuten war ich wieder draußen. Einige Tage später allerdings erlitt ich hohes Fieber, fühlte mich matt, krank und konnte mich kaum noch bewegen. Außerdem schwitzte ich mich nachts kaputt, so dass ich kaum noch Bettwäsche zum Wechseln fand, bevor die alte getrocknet war. Erst durch Einnahme eines starken Breitbandantibiotikums (noch vorrätig von meinen Reisen) besserte sich mein Zustand dauerhaft wieder und auch das Erythema Migrans verschwand. Anstatt also eine ordentliche Diagnose zu stellen bzw. zumindest einen Bluttest durchzuführen, lieferte mich dieser Scharlatan lieber ans Messer des „reinen“ Glaubens.

Die Zahnärzte dagegen erwiesen sich als echte Berliner: grob rissen sie mir bei der Prophylaxe eher das Zahnfleisch vom Schmelz als die ohnehin schon gereizten Zahnhälse zu schonen. Es bewahrheiteten sich also die Sprüche: „Nur ein absolut Gesunder kann die Traktur der Ärzte überleben.“ oder „Wo Ärzte und Apotheker fehlen, sterben die Leute an Altersschwäche.“

 

Verkehr (Abb. 55)

Autofahren in Berlin? Bist du des Wahnsinns!“, müsste ich jemandem antworten, der auf die Idee käme ohne Waffenschein mit dem eigenen Gefährt die Stadtgrenzen nach Berlin zu überschreiten. Denn rote Ampeln zählen nicht und Kavalierstart ist der normale Anfahrvorgang, so scheint es von den Fahrschulen hier vermittelt zu werden. Die unübersichtliche Verkehrsführung mit plötzlichen Abbiegespuren und die unendlichen Baustellen (unendliche viele und unendlich lange) lassen einen da schnell auf die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen. Denn Fahrradstreifen sind zwar gut ausgebaut. Aber in Neukölln fühle ich mich selbst im schwer gepanzerten Auto nicht sicher, wenn gefühlt jeder zweite wie ein Bankraubfluchtfahrer drauf ist. Außerdem gibt es hier eine ganz neue Spezies: den neoliberalen Spießer. Vor allem im Straßenverkehr zeichnet er sich durch rücksichtsloses Verhalten aus, droht aber sofort mit Klage, falls der Lack seines Spritfressers oder City-Bikes (alias „Stadtrad“) touchiert wurde.

 

Nachtrag:

Aber alle Erfahrungen von fragwürdigen Fahrszenen in Berlin wurden in meiner nächsten Wohnstätte (Sachsen) noch bei weitem getoppt! Was dort abgeht stellt Berlin in einen langweiligen Schatten am Ende eines perfiden Tages des Überlebenskampfes. Vermutlich gilt die Regel: je weiter im Osten (der Welt), umso radikaler wird gefahren.

 

Abb. 55: Baustellenland; Wohncontainerviertel; Parkplatz oder nicht, das ist die Frage!; U-Bahn-Ersatzverkehr; Haltestelle Grenzallee mit Einschusslöchern (?)

 

Das Leben in U- und-S-Bahn (Abb. 56)

Zwar mag ich es nicht U-Bahn zu fahren (gehört zu den Berliner Verkehrsbetrieben: BVG, siehe auch z. B. https://www.youtube.com/watch?v=2pic3FnvUrY), da man untertage nichts von der Umgebung sieht und wenn man wieder an die Oberfläche kommt erstmal nicht weiß, wohin man gehen muss. U-Bahnfahren ist also jedes Mal wieder wie Platons Höhlengleichnis. Busfahren ist für mich aber auch zu unübersichtlich bei den zig Linien und Haltestellen und die Busse stecken genauso im Stau fest wie die Autos. Außerdem kann man im Bus keine billigeren Vierer-Fahrten-Karten kaufen. Was also letztlich noch übrig bleibt ist die S-Bahn (gehört zur Deutschen Bahn: DB), wenn sie nicht gerade durch die vier Feinde der DB ausfällt: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Übers Fliegen von den Berliner Flughäfen aus brauchen wir seit dem BER und dem meist völlig überfüllten Tegler TXL eigentlich gar nicht erst anzufangen. Obwohl: durch Corona scheinen die Flughäfen ja sogar (fast) klimaneutral zu werden.

 

Das Leben eines Pendlers - auf der Straße zuhause: Gleisbett, Hausboot, Arbeitsweg
Abb. 56: Das Leben eines Pendlers - auf der Straße zuhause: Gleisbett, Hausboot, Arbeitsweg

 

Man geht in der U-Bahn schnell dazu über Privates in der Öffentlichkeit zu bereden. Ob es um neue, noch nicht veröffentlichte Forschungsberichte oder das Zerbrechen einer Beziehung geht. Als wären alle anderen Fahrgäste das verständige, perfekte Publikum, das einen immer ausreden lässt – die U-Bahn als Bühne der Berliner Welt. Und wenn man will, kann man den ganzen Tag auf der Ringbahn (S-Bahn) fahren, müsste allerdings alle zwei Stunden ein neues Ticket lösen. Immerhin billiger als jeder Vergnügungspark. Es gibt vier Hauptattraktionen („Kreuze“) auf der Ringbahn, von denen die Station „Gesundbrunnen“ die Funktion des Nordkreuzes übernimmt. Von Kreuz zu Kreuz dauert es ca. 15 Minuten, also eine Stunde einmal rundherum. Seltsamerweise fehlen immer ein paar Stücke zwischen bestimmten Anschlüssen, wie zwischen „Rudow“ (U7) und „Schönefeld SXF“ (S9); zwischen „Alt-Mariendorf“ (U6) und „Marienfelde“ (S2); zwischen „Innsbrucker Platz“ (U4) und „Friedenau“ (S1); zwischen „Krumme Lanke“ (U3) und „Mexikoplatz“ (S1); zwischen „Theodor-Heuss-Platz“ (U2) und „Heerstraße“ (S5); sowie zwischen „Alt-Tegel“ bzw. „Otissstraße“ (U6) oder „Halemweg“ (U7) und dem Flughafen Tegel, womit bei letzterer Variante gleich eine durchgehende Verbindung beider Großflughäfen gewährleistet wäre. Falls ein gelangweilter Stadt- und Verkehrsplaner diese Zeilen jemals lesen sollte, möge er diese Anmerkung bitte beachten. Wenn die U-Bahn- und S-Bahnstationen verbunden sowie eine zweite Ringbahn wie in Moskau gebaut würde, ergäbe sich meines Erachtens sogar ein wesentlich effektiveres Verkehrsgefüge, wodurch man nicht erst bis in die Stadt oder zur Ringbahn fahren müsste, um von zwei benachbarten Stadtteilen wie Mariendorf nach Britz zu gelangen. Im Prinzip besteht dieser zweite Ring in Form der Regionalbahn bereits, nur dass man innerhalb des äußeren Rings zwischen zwei Stationen wesentlich mehr bezahlt als im inneren Ring. Aber vielleicht wollen die Stadtväter des Senats es nicht anders, weil sie die Menschen dazu bringen möchten die Wege oberirdisch mit dem Bestaunen der Umgebung (insbesondere des stockenden Verkehrs) zu verbringen.

Witzig ist, dass nur im Osten Berlins Straßenbahnen fahren und im Kalten Krieg die U- bzw. S-Bahn aus dem Osten teilweise durch den Westen fuhr, jedoch nicht anhielt. Auf diese Weise sind Geisterstationen entstanden. Die „Berliner Unterwelten“ geben einen Einblick in diese Kuriositäten, wie auch zu den Plänen die U-Bahn als Bombenschutzräume zu nutzen.

Ab und zu kommen auch Kontrolleure vorbei, allerdings nicht um Fahrkarten zu kontrollieren, sondern um ganz eigennützig Spenden für sich selbst zu sammeln. Sie beginnen ihre Ansprache sogar wie einer der offiziellen Kollegen:

„Liebe Fahrgäste. Entschuldigen Sie bitte die Störung, mein Name ist Jens / Svenja / Ole / … und ich lebe derzeit auf der Straße“, und sie vollenden ihre Durchsage in 3D ungefähr mit den Worten: „Daher bitte ich Sie um etwas Geringschätzung, ähm, ich meine Unterstützung. Ein wenig Kleingeld würde mir schon reichen für eine trockene Unterkunft heute Nacht. Vielen Dank und ich wünsche Ihnen noch eine gute Fahrt.“ Wie gesagt, sie sind kaum von Kontrolleuren zu unterscheiden, außer dass sie wesentlich häufiger auf der U- und S-Bahn-Bühne auftreten. Ich frage mich jedes Mal: wie finanzieren sie ihre Fahrkarten? Oder werden sie von den tatsächlichen Kontrolleuren einfach toleriert? Bei 200 Euro für ein Semesterticket oder 400 Euro regulär pro Jahr muss man nämlich eine Menge Durchsagen dieser Art machen. Und es handelt sich nicht immer um Studenten!

 

Wat ham’ ‘mer draus jelernt? („Schlussfolgerung“)

Der zusammenfassende Rest von Berlin

Zum Abschluss meiner Berlinphase besuche ich noch einmal Schloss Charlottenburg. Es ist Winter und ab und an nieselt es. Vielleicht kommt mir die Stadt deshalb so trist vor, vielleicht ist es aber auch die Kälte der Backsteinhaus-Bauweise, in denen junge Hipster-Familien in offenen Wohnungen leben, hinter übergroßen Fenstern ohne Gardinen. Ebenso wie sie ihre Daten überall im Netz verteilen (was ich anhand der Twitterdatenauswertung selbst mitverfolgen konnte; mehr dazu im 2. Teil), stellen sie sich hier der Straße zur Schau und blicken im Gegenzug auf die Industrie und die Hektik der Großstadt.

Ja, ich wohnte in Neukölln, aber von den täglichen Meldungen über Mord und Verbrechen bekam ich in Britz nichts mit, außer vom Hörensagen. Zugegeben, ich habe mich auch nicht großartig angestrengt mich in die Gemeinschaft einzufügen, aber das ist in einer Großstadt mit ständig wechselnden Nachbarn und Arbeitsstellen auch kaum möglich oder nötig. Gerade das lieben ja so viele, die hier her ziehen. Das Gegenteil wäre ein Leben auf dem Lande, im Dorf. Dort kennt sich jeder und wer sich nicht in die Gemeinschaft einfügt und auf die immer gleiche Weise mitmacht, der lebt nicht lange auf dem Dorf. Aber ist es in der Großstadt nicht zumindest ähnlich? Auch hier muss man sich einfügen, wenn auch oberflächlicher und immer wieder neu. Meine persönliche Zielvorstellung jedenfalls ist die mittlere Universitätsstadt zwischen fünfzigtausend und fünfhunderttausend Einwohnern.

Berlin ist seltsamerweise beides: im Herzen eine Großstadt, und in der Peripherie eine Agglomeration von Dörfern. Entsprechend grün ist es teilweise dazwischen, wo man auf einmal in einem Wald stehen kann. Dennoch wächst es und wächst es. Nicht umsonst hieß es Anfang des 20. Jhdt. „Berlin, Berlin!“, um die rasche Verdopplung der Bevölkerungszahl auszudrücken (GeoEpoche, Nr. 12). Heute wächst die Stadt wieder über 3,5 Millionen Einwohner auf den 892 km² Fläche an (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg). Davon sind übrigens 164 km² Wald (= 18 %). Erst später übernahmen die Fußballfans den zuvor erwähnten Spruch für die Vorfreude auf das DFB-Pokal-Finale, welches in dörflicher Tradition in Berlin stattfindet: „Berlin, Berlin – wir fahren nach Berlin!“ Nur ich, als Dauertourist, beende diesen Trip nach 3 Jahren wieder, mit Vici als Preis für die Mühen.

Entsprechend gibt es in Berlin möglicherweise zwei Hauptziele der Zugereisten, nach dem Motto „Partei oder Party“, geht mir noch so durch den Kopf: entweder Kohle machen und Einfluss haben oder feiern gehen – manchmal auch beides. Wer Berlin aus Sicht eines dieser dort lebenden, philosophierenden Klein- bzw. Lebenskünstlers und verrückten Halbtags-Anarchisten erleben will, dem seien die Känguru-Tagebücher nahegelegt. Mehr Berlin geht nicht. Oder vielleicht noch Folgendes:

 

Tab. 1: Ein paar Beispiele Berliner Erlebnisse

Das Amt ist besonders lustig und gibt sich genauso preußisch wie man es aus den Erzählungen kennt: Für einen Vorgang bekommt man nach monatelanger Wartezeit nicht etwa einen Termin zur Bearbeitung (in dem Fall für die Führerscheinverlängerung), sondern zunächst nur für die Antragstellung. Wenn man Glück hat, ruft man danach eine ahnungslose Telefonzentrale an und erhält fünf Minuten später einen Termin zur tatsächlichen Verlängerung bei der gleichen Bearbeiterin wie der Antragstellung zuvor. Wie viel gehobener diese Verwaltung doch ist, verglichen mit der schnöden Provinz!

(Man könnte glauben die tatsächliche Führerscheinverlängerung fände über mehrere Wochen im Verborgenen statt und die Telefonzentrale wäre nur pro Forma existent wahrlich kafkaesk!)

Noch etwas vom Amt, aber mit anderem Schwerpunkt: ich hatte einst beim Britzer Bürgerbüro einen Termin und wartete in der Schlange früh morgens auf mein Drankommen. Dabei fiel mir offenbar nicht auf, dass die Schlange zwei Enden hatte und als es soweit war, ging mich aus dem anderen Schlangenende ein Mann an, ich hätte mich falsch angestellt und solle zurück ans Ende seiner Schlange gehen, obwohl ich offensichtlich nicht der einzige war, sich dieses Vergehens zu erdreisten. Doch bevor die Situation eskalieren konnte, schritt eine dunkelhäutige, übergewichtige Frau ein, die vor dem Mann stand und machte ihn rund, was dieser Blödsinn denn solle. Er schaute verdutzt und ich konnte mich dennoch einreihen. Vielleicht half mir dabei mein leicht südländisches Äußere. Will sagen: Man steht sich auch gegen Ungerechtigkeit bei, in Neukölln.

Auch das ist Berlin: Wir fuhren mit den Rädern so durch Adlershof und trafen auf einen Jogger, der eine leere Leine hinter sich her schliff. Vici: „Fehlt da nicht ein Hund?“

Ich dachte noch: ‚Na ja, er konnte sich halt erstmal nur die Leine leisten‘, aber keine hundert Meter weiter sahen wir schon einen verwirrten Vierbeiner sich aus dem Gebüsch schälen und auf dem Radweg umherirren. Als wir uns umblickten, war auch der Jogger umgedreht, um seinen treuen, aber dummen Begleiter wieder aufzugabeln. Anscheinend hatte er unsere unfassbaren Gesichter und die Worte dazu gehört und erkannt schließlich, was an diesem Bild nicht stimmte.

 

Referenzen

… sucht’s selbst raus oder glaubt’s einfach

(Berlin hat keine Referenzen verdient, Berlin ist eine Referenz – falls man es überlebt!)

 

Also gut, hier habt ihr’s – nehmt dies:

Berghain:

·        https://www.newyorker.com/magazine/2014/03/24/berlin-nights

·        https://www.refinery29.com/de-de/berghain-hallo-seele-komm-mit-ins-fegefeuer-da-hast-du-es-gut

Jena, Stadt der Nazis – oder Nasos?:

·        https://www.youtube.com/watch?v=FZt9-WxVIZc

·        https://www.thueringer-allgemeine.de/leben/recht-justiz/wie-jena-im-zdf-zur-stadt-der-angst-wurde-id218035793.html

·        http://www.jenanews.de/feuilleton/kolumne/eine-kolumne-fuer/4808-eine-kolumne-fuer-steven-uhly-und-das-zdf

·        https://taz.de/ZDF-Beitrag-ueber-Rassismus-in-Jena/!5105961/

Brandenburg:

·        https://www.youtube.com/watch?v=uellmynA34U

BVG:

·        https://www.youtube.com/watch?v=2pic3FnvUrY

Berlin, Berlin:

·        https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/ein-tag-in-der-kaiserzeit-102.html

·        Ulrike Moser (2004) „Deutschland um 1900“, GeoEpoche, S. 158, Nr. 12

Alles weitere:

·        Fortgeschriebene Bevölkerungszahlen vom 31. Dezember 2019. Amt für Statistik Berlin-Brandenburg

·        Fläche von Berlin am 31. Dezember 2012. Amt für Statistik Berlin-Brandenburg

·        Marc-Uwe Kling (2009 - 2018) Die Känguru-Tagebücher: 1. Das Känguru-Chroniken; 2. Die Känguru-Manifest; 3. Die Känguru-Offenbarung; 4. Die Känguru-Apokryphen. Ullstein-Verlag, Berlin

 

Filme, die mir dazu einfallen besonders die Stimmung von Berlin zu transportieren:

-  „Emil und die Detektive“ (1931) von Gerhard Lamprecht

-  „Der Hauptmann von Köpenick“ (1956) von Helmut Käutner

-  „Berlin Alexanderplatz“ (1980) von Rainer Werner Fassbinder

-  „Sonnenallee“ (1999) von Leander Hausmann

-  „Führer Ex“ (2002) von Winfried Bonengel

-  „Goodbye, Lenin!“ (2003) von Wolfgang Becker

-  „Der Untergang“ (2004) von Oliver Hirschbiegel

-  „Die fetten Jahre sind vorbei“ (2004) von Hans Weingartner

-  „Elementarteilchen“ (2006) von Oskar Roehle

-  „Das Leben der Anderen“ (2006) von Florian Heckel von Donnersmack

-  „Keinohrhasen“ (2007) von Til Schweiger

-  „Der Baader Meinhof Komplex“ (2008) von Bernd Eichinger

-  „Berlin Calling“ (2008) von Hannes Stöhr

-  „Männerherzen“ (2009) von Simon Verhoeven

-  „Rubbeldiekatz“ (2011) von Detlev Buck

-  Oh Boy (2012) von Jan-Ole Gerster

-  „Unsere Mütter, Unsere Väter“ (2013) im Auftrag des ZDF und ORF

-  „Deutschland 83“, „Deutschland 86“ (2015, 2018) von UFA Fiction

-  „Charité“ (2017, 2019, 2021) von UFA Fiction

-  „Nightlife“ (2020) von Bora Dagtekin

-  „Die Känguru-Chroniken“ (2020) von Dani Levy und Marc-Uwe Kling

 

Musik, die mir zur Stimmung in Berlin einfällt:

-  „Sommer ist“ (von Eden)

-  „Bernd am Grill“ (Hasenscheisse)

-  „Everything we do“ (Bastian Baker)

-  „Berlin“ (Pudhys)

-  „Wind of Change“ (Scorpions)

-  „Sonderzug nach Pankow“ (Udo Lindenberg)

-  „Wir sind Wir“ (Paul van Dyk und Peter Heppner)

-  „Super Drei“, „Hurra“, „West-Berlin“ (Die Ärzte)

-  „Do Animals cry?“ (Sea + Air)

-  „Ich bin das Chaos“, „Der Krieg ist vorbei“,Afroamerikanerküsse“ (Judith Holofernes)

„Ich trag' den Staub von deinen Straßen“ (Reinhard Mey)

-  („Castle of Class“ (Linkin Park))

-  („Boys of Summer“ (Don Henley))

-  („Something in the Water“ (Brooke Fraser))

-  („On my Way“ (The Baseballs))

-  („This Life“ (Vampire Weekend))

-  („Wake me up“ (Avicii))

-  („Always the Sun“ (The Stranglers))

-  … Raum für Notizen