USA-Ostküste:

Schüleraustausch – Da drüben, über'm großen Teich

 

Ein wenig Bildungsauftrag

Unsere eifrige und amerikophile Klassenlehrerin Frau Hartfigg hatte schon so einige Reisen in die düsteren Tiefen der imperialistischen und vereinigten Staaten hinter sich. Zumeist waren vorherige Schüler mit ihr in den harten Kern vorgedrungen, nach Texas. Nun gab es allerdings eine neue Kooperation mit einer Schule in Pennington, New Jersey. Und so kam der Englisch-Leistungskurs in den Genuss eines neuen, spannenden und bahnbrechenden Austausches an die Ostküste Amerikas: in der Reichweite von New York.

Natürlich fand diese ganze Aktion nach der politischen Wende Deutschlands statt. Dennoch stammen die Schüler und Lehrer dieser wahren Geschichte aus der ehemaligen DDR und in unseren immer noch gültigen Geburtsurkunden werden wir als Bürger eben jenes erloschenen Staates geführt. Daher soll im Folgenden einmal der Stil einer Delegation des ehemaligen, sozialistischen Ostens Deutschlands angenommen werden.

 

Anmerkung: Interessant ist auch, dass gerade unsere sämtlichen Lehrer noch Werktätige in beiden deutschen Systemen waren. Gerade die pädagogische Bildung gilt allerdings als äußerst anfällig für die ideologische Indoktrinierung. An politisch heiklen Stellen der Geschichte, Literatur oder Bewertung der Tagespolitik musste unser Lehrpersonal also nach der Wende plötzlich das genaue Gegenteil seiner vorherigen Meinung vertreten! Die Scheinheiligkeit dabei spürte man als Schüler natürlich auch.

 

Stationen der Ostküstenerlebnisse
Stationen der Ostküstenerlebnisse

1. Die einstige Ausgangssituation

Reiseziel: Die „Staaten“. Nun mag man denken: „Wow, geil, Hammer! Das Zentrum der Welt – da geht es so richtig ab!“ Mag sein, aber ich dachte nicht so. Eigentlich wollte ich gar nicht mit in die USA: zu weit weg, zu fremd, zu kapitalistisch. Aber unser sowjetischer Bruderstaatsmitschüler aus der Ukraine bekam kein Visum für das kapitalistische Ausland und so war ein Platz frei, der gefüllt werden sollte – schon weil es eine gewisse Anzahl an Austauschfamilien gab, die bereit waren einen (ost)deutschen Schüler das Fürchten zu lehren. Wie das ZK ("Zentralkommitee") das organisiert hatte, kann ich mir nicht mal im Traum vorstellen. Aber ausgerechnet wir sollten nun die Schülerdelegation darstellen, natürlich mit einem gewissen diplomatischen Auftrag.

Überhaupt hatte ich Englisch als Hauptfach (heute: Leistungskurs) an der EOS („Erweiterte Oberschule“, heute: Kursstufe / Sekundarstufe II des Gymnasiums) nur als Alternative zu Erdkunde (heute: „Geographie“) gewählt und weil man mit Russisch in Zukunft aufgrund der politischen Öffnung nach Westen wohl nicht mehr weit kommen würde. Denn ich dachte, dass Erdkunde als Wahlhauptfach ohnehin nicht zustande kommen würde, weil sich zu wenige Mitschüler dafür ebenso interessieren würden wie ich und dass dieses Fach nicht wirklich karrierefördernd sei. Am Ende fehlte genau ein Teilnehmer für das Zustandekommen diese Leistungskurses – gut dass niemand der damaligen Erdkunde-Liebhaber von meiner Entscheidung weiß! Aber mit diesem Austausch würde ich ja immerhin praktische, geographische Erfahrung als Ausgleich sammeln. Freilich konnte man zu DDR-Zeiten fast nur im sozialistischen Freundesland unterwegs sein, im Westen auch „Zweite Welt“ genannt. Es gab natürlich auch Ausnahmen, z. B. für Leistungssportler aus Wettkampfanlässen oder zu den Weltfestspielen (heute: der kirchliche „Weltjugendtag“). Aber wenn man sich die Weltkarte mal genauer anschaut, stellt man leicht fest, dass auch diese zweite Welt einiges zu bieten hat: allein Russland ist schon groß genug, um ein Leben lang unterwegs zu sein und trotzdem ständig Neues zu entdecken, wie ich in späteren Jahren noch erfahren sollte! Wer sagt denn außerdem, dass die Grenzen nicht auch einmal durchlässiger werden können? Viele andere Völker hatten sogar noch viel weniger Möglichkeiten zu reisen, was vor allem an materialistischem Mangel lag als an politischen Einschränkungen.

Noch ein Grund mitzufahren war, dass ich in der EOS Alex traf und zusammen waren wir durch FDJ-Aktivitäten („Freie deutsche Jugend“, heute: Arbeitsgruppen) schon in Polen gestrandet und würden auch später noch so manche Reise antreten (z. B. diese in katalonische Krisengebiete). Er würde also ebenfalls mitfahren, so dass man auf einen Kumpanen für etwaige Ausgelassenheiten zählen konnte.

 

2. Der präsente US-Aufenthalt

Mache mor ma schnell nüber!

Also fliegen wir mal schnell „rüber“, für drei Wochen. Länger würde man uns dort sowieso nicht ertragen und dass nun eine deutsch-amerikanische Freundschaft nach sowjetischem Vorbild aus unserer Reise entstände, glaubt auf beiden Seiten niemand wirklich, wenngleich wir natürlich auch „typisch deutsche“ Gastgeschenke mit dabei haben.

Sechs Stunden Flug vergehen sogar einigermaßen rasch, wenn man spontan von den Sitznachbarn vollgequasselt wird und dabei gerade noch vergessen kann sich wegen der wirklichen miesen Landung in dem Moment übergeben zu müssen, als man auch schon auf amerikanischem Boden in New Ark aufsetzt. Immerhin: eine Zugreise von Rostock nach Dresden verläuft auch nicht schneller!

Kurz vor dem Austausch wurden zwischen Alex und mir noch die Gastfamilien getauscht, so dass er den langgewachsenen Aaron und dessen Rabbi-Onkel bekommt und ich die Holländer – schon wieder. Dabei habe ich nun wirklich nichts gegen Juden und kannte außer von der Erziehungsfahrt nach Auschwitz auch keinen – allerdings scheinen die Amis was gegen mich zu haben. Denn gleich nachdem ich mein überschüssiges Obst vorsichtshalber in den Mülleimer geworfen habe, um keine Schwierigkeiten zu bekommen, raunt mich ein schwer verständlicher Zollbeamter an ob ich Terrorist sei (wir schreiben immerhin nur drei Jahre nach den Terroranschlägen am 11. September) und er will mich schon einkassieren. Vielleicht weil Genosse Stalin dereinst seine antisemische Haltung gezeigt und Juden als „wurzellose Kosmopoliten“ bezeichnet hatte – aus heutiger Sicht weniger eine Beleidigung als im meliorativen Sinne des Euphemismus eine tatsächliche Beschreibung der jüdischen Geschichte und eines „Weltbürgers“. Oder einfach, weil Stalin als der „Kommunist“ gilt, eine Eigenbezeichnung der Revolutionsbewegungen im 20. Jahrhundert, die mit der Idee des Kommunismus so viel zu tun haben wie der Kapitalismus mit dem Weltfrieden. Als ich dem Grenzer jedenfalls klar machen kann kein Arabisch zu sprechen und er an meinem Pass sieht, dass ich aus einem deutschen Lande komme, lässt er mich gerade noch einmal durch. Deutschland scheint vertrauenswürdig zu sein. So viel zum Fremdenhass. Immerhin wird uns erspart Fingerabdrücke abgeben zu müssen, da es sich heute um den letzten Einreisetag in der US-Historie handelt, an dem das noch möglich ist!

Aber na schön, statt zu der jüdischen Familie geht es dann eben auf zu den Jan-Kees – wie die Niederländer früher hier genannt wurden. Allerdings empfängt mich keine Frau Antje, sondern eine ein wenig kurzgeratene Amerikanerin im Minivan, die (wie ich später erfahren werde) eigene auf Deutsch verfasste Gedichte im Internet veröffentlicht. Sie ist die Frau des Holländers.

Und dann leben da noch: natürlich Simon (mein Gastbruder), Elsa (meine Gastschwester), drei Katzen und ein Mops im Haushalt.

Ein Holländer-Haus in New Jersey, Ein Mops und … der Teufel (eine Katze namens „Diablo“)!
Ein Holländer-Haus in New Jersey, Ein Mops und … der Teufel (eine Katze namens „Diablo“)!

 

Amerikanischer Schulalltag

Autowerkstatt als Schulfach
Autowerkstatt als Schulfach

Tagsüber sollen wir eigentlich in der Schule etwas lernen. Tatsächlich aber weilen wir in den nächsten drei Wochen insgesamt vielleicht bloß eine Woche wirklich im Schulgebäude der Hopewell Valley Central High School – und selbst da feiern wir eigentlich eher den Unterricht als inhaltlich etwas zu lernen, was aber nicht notwendigerweise an uns liegt, Ehrenwort!

Denn in den USA herrscht die Freiheit, so auch in der Unterrichtswahl. Während wir in Deutschland sowas entscheiden wie: Englisch als Haupt- oder als Nebenfach, heißt es dort: Welche Sprache willst du lernen und willst du überhaupt eine Sprache lernen oder vielleicht lieber etwas ganz anderes machen? Und wenn, auf welchem Niveau? Also Einsteiger (Basic) oder Fortgeschrittene (advanced) – vergleichbar mit den Grund- und Leistungskursen der BRD, nur dass die Fächer wie gesagt frei kombinierbar sind. Das hat den Vorteil, dass man seine Vorlieben austesten und seine Stärken selbst entwickeln kann. So hat Alex und mich vor allem der „Autoshop“ interessiert, worin man mechanische Fertigkeiten bezüglich der Autoreparatur erlernt. Nachteilig ist später eventuell allerdings, dass man aufgrund des jugendlich-einseitigen Interesses bestimmte Fächer wie Mathe nicht belegt, obwohl sie unabdingbar werden können. Doch obwohl ich kein ausgesprochener Rechen-Fan bin (ausgelöst vor allem durch eine sehr bescheidene Oberstufen-Mathelehrerin mit dem Motto: „Was fragst du mich das jetzt, komm nach der Stunde – was fragst du mich nach der Stunde, das hättest du gleich fragen müssen!“) und ich sicherlich auch nicht einmal die Hälfte des englischen Algebravokabulars verstand, gehe ich nach ein paar Tagen freiwillig in den Unterricht des verrückten Mathelehrers. Dort wird beispielsweise mit einem Stuhl als Hilfsmittel die Tafel mit Formeln verziert und mit lockeren Sprüchen untermalt. Der Unterricht gleicht eher einem Kabarett-Programm.

Im Erdkunde-Unterricht hängt entgegen aller Fortschrittlichkeit noch die Karte der deutschen Besatzungszonen. Aber gut, unsere Lehrmaterialien sind auch nicht immer die neuesten. Nur was die Kenntnis der Historie angeht, steht bei den Amis bloß die jüngere, amerikanische Geschichte auf dem Stundenplan und das bis ins Detail jeder einzelnen Schlacht. Von den Weltgeschehnissen keine Spur. Hm, obwohl, haben wir eigentlich großartig etwas außer Europa behandelt? Die weitreichende Chronik Chinas z. B. oder der Kulturrevolution? Nicht das ich wüsste. Was allerdings nicht so ganz zum Freiheitsbegriff passt, sind die Aufpasser in den Gängen zwischen den Klassenräumen. Bekommt man nämlich keine außerordentliche Bescheinigung auch wirklich mal aufs Klo zu müssen oder einen Botengang zu übernehmen und wird stattdessen beim Herumstreunen im Schulgebäude erwischt, kann man sich auch gleich selbst zum Nachsitzen anmelden. Uns Deutschen wird allerdings eine Ausnahmegenehmigung zum Streunen erteilt.

Was die Schulkantine anbelangt: dort gibt’s zwar ungesundes Essen, aber wenigstens kann man es essen. Und was in der Kantine Ungesundes passiert bleibt ja auch in der Kantine. Im Gegensatz zu unserem Bolemiefraß zuhause, der mir oft genug wie die Soldatenverköstigung zu Kriegszeiten erscheint. Bei uns galt eher: Was die Kantine serviert bleibt in der Kantine! Andererseits will ich mich dann mal dem ungesunden Lebensstil hingeben (natürlich aus rein experimentellem Interesse im Eigenversucht), gerade auch bei einem Empfang beim Bürgermeister, bei dem wir entscheiden können, was wir tafeln möchten (also Muffins und Süßgebäck oder gesunde Nahrung) und dann kommen die Mädels und wollen nur das Obst! Damit sie bloß kein Gramm Fett zulegen. Dabei sieht das Gebäck in vielen Fällen besser aus und ist süßer als das Weibsvolk selbst. Tja, und am Ende heißt es, ich wäre zu dünn! Kein Wunder, wenn man nichts zu Fressen kriegt!

 

Homecoming Parade
Homecoming Parade (1)

Homecoming

Doch auch die amerikanischen Schüler können im Unterricht nicht so wahnsinnig eingespannt sein, wenn sie doch im Oktober erst „Homecoming“ aus den Sommerferien feiern – Straßenparaden zur Ehrenbekundung für ihre Ehemaligen inklusive. Angeblich ist diese Feierlichkeit so ähnlich wie der „Spring break“, nur anders. Aber gut, immerhin fällt auch für uns eine Fete dabei ab und für Alex angeblich auch eine heiße Schülerin aus dem Kunstunterricht. Denn es läuft ganz gut an: Nach einer kleinen Bühnenaufführung mit Verkleidung und äußerst deliziösem Kürbisbrot, das von der Süße her eher Kürbiskuchen gleich kommt, wird damit begonnen Drinks auszuschenken. Allerdings darf man sich das hiesige Besaufen nicht wie eine feuchtfröhliche Faschingsfeier im volkseigenen Betrieb bei uns vorstellen. Es ist eher so, dass sich mit Apfelsaft und Bonbon-Cola beschwipst wird. Eventuell mischt sich auch mal etwas Bier mit rein oder ähnlich niederprozentige Angelegenheiten. Aber dennoch reicht es um unsere Gastgeber etwas in Rausch zu versetzen. Das soll uns auch nicht zum Nachteil gereichen! Denn auf diese Weise kommen wir im Zuge des Aufbaus der deutsch-amerikanischen Freundschaft immerhin an den einen oder anderen engeren Kontakt mit den US-Mädels. Da fällt es auch nicht weiter auf, dass weder Alex noch ich wirklich tanzen können, zumal das hier ohnehin anders definiert wird. Seltsamerweise glauben einige Amerikaner Alex stamme irgendwo aus einem anderen Bundesstaat der USA, weil er so guddes Inglisch tokt und sie anscheinend seinen Akzent nicht zuordnen können. Ich glaube: diese Leutchen sind auf der Wurschtsuppe hergeschwommen!

Hopewell Valley Central High School, Aufpasser in den Gängen*, Vermutlich der ausrangierte A-Team-Truck
Hopewell Valley Central High School, Aufpasser in den Gängen*, Vermutlich der ausrangierte A-Team-Truck
Mathematischer Komödiant – oder: Der Mathelehrer als Klassenclown*
Mathematischer Komödiant – oder: Der Mathelehrer als Klassenclown*

 

Was wir statt Schule wirklich machen: Ausflüge

Noch ist es lustig, ja! (1)
Noch ist es lustig, ja! (1)

White Water Rafting

Mit einem zünftigen, gelben Ami-Schulbus fahre ich des öfteren, allerdings nicht zur Schule. Es geht vielmehr zum White / Wild Water Rafting auf dem Delaware. Zugegeben, dieses gemächlich plätschernde Bächlein ist jetzt nicht zu vergleichen mit der wilden Saale hierzulande. Aber zum Sterben reicht’s – denkt sich zumindest unser Religionslehrer Herr „Herzfehler“. Er ist letztlich nur mitgekommen, weil die männlichen Vertreter dieser Gemeinschaft aus Gleichstellungsgründen (ja, auch das gibt es damals schon!) auch einen Ansprechpartner haben sollen. Ansonsten ist seine Existenz komplett unbegründet, wenigstens in Amerika. Denn weder sind wir religiös noch kann er auch nur ein Wort Englisch. Stattdessen sucht er anscheinend den direktesten Weg, um in den Himmel zu gelangen und gibt sich alle Mühe das auch zu erreichen – dummerweise ausgerechnet in unserem Schlauchboot! Während Alex, Claudia und ich also einigermaßen bemüht zusehen die Stromschnellen unbeschadet hinunter zu schlittern und das Boot zu kontrollieren, setzt sich dieser „Agitator“ verkehrt herum zu uns und hält das Paddel immer genau anders herum ins Wasser, so dass eine Pirouette neidisch werden würde. Da helfen weder oder gutes Zureden noch die lustigen Schwimmwesten nichts, die uns übergestreift werden, um im Notfall nicht unterzugehen. Der Herzfehler würde selbst das hinkriegen! Am liebsten würde ich ihn noch im Boot ersäufen, denn mittlerweile haben wir mehr Wasser drinnen als im Fluss. Von dieser Tat hält mich nur ab, dass ich noch relativ am Anfang meiner Karriere als Mensch stehe und das Projekt „Leben“ nicht im Knast verbringen will. Schon gar nicht in einem amerikanischen. Obwohl: zählt ein Mord unter Deutschen auch zum amerikanische Strafrecht? Ausprobieren möchte ich es allerdings nicht. Soweit reicht meine Liebe zum Selbstversuch dann doch nicht. Eine solche Auslandserfahrung macht sich auch nicht so gut im Lebenslauf. Mein Strafregister bleibt also jungfräulich, bis auf weiteres.

 

Philadelphia

Alex‘ Fotos: Hochhaussiedlung, Philly‘s Taubenzentrum, Rathaus, PNC-Bank zwischen den Liberty-Towers
Alex‘ Fotos: Hochhaussiedlung, Philly‘s Taubenzentrum, Rathaus, PNC-Bank zwischen den Liberty-Towers

Einer der Hauptgründe warum Alex in die USA wollte ist: Klamotten kaufen. Mittlerweile fliegen die Leute der BRD ja wohl sogar übers Wochenende nach New York, nur um Shoppen zu gehen! Aber auch wir langen damals zu: Basecaps, T-Shirts, Hosen und so’n Zeug, das man eigentlich nicht wirklich braucht. Einer der wichtigsten Läden stelle dabei das Hard Rock Café dar. Als Ikone der coolen Rockerjugendmode zieht es uns magisch an. Halb Museum für Accessoires der Rockgeschichte, halb Eigenmarkenladen sind die weltweit verteilten Café-Filialen eigentlich keine richtigen Cafés mehr, zumal die Getränke völlig überteuert angeboten werden. Aber wer etwas aus dem Hard-Rock-Café-Sortiment besitzt, der kann sich damals noch cool fühlen. Denn das bedeutet: man ist gereist, in eine der großen Metropolen oder man lebt sogar dort. So erwerbe auch ich eines dieser T-Hemden, sogar in der richtigen Größe. Nach dem ersten Waschgang stelle ich allerdings betroffen fest, dass es auf Mopsgröße zusammengeschrumpft ist.

Hard Rock Café und Verkäufer mit Hemd im Bart, Nur Fassade, Alt und Neu
Hard Rock Café und Verkäufer mit Hemd im Bart, Nur Fassade, Alt und Neu

Neben dem Shoppen gibt es natürlich auch einen Grund für diesen Ausflug. Aber ich habe ihn vergessen. Dennoch kann man in Philadelphia einiges bewundern, wie die staatliche Münze, die Freiheitsglocke (Anmerkung: Der Riss war schon drin!) oder das Ankunftsdenkmal der Siedler. In guter, touristischer Manier fotografieren wir das auch. Aber ein gesteigertes Interesse unsererseits darf man dann am Ende doch nicht erwarten.

Was hier allerdings auffällt ist die wilde Mischung aus viktorianischen Gebäuden der Gründerzeit und gläsernen Wolkenkratzern. Genauso wild ist angeblich auch die Musikmischung, die den Gangsta-Rap, aber auch den „Phillysound“-Soul hervorbrachte.

Irisches Hungerimmigrantendenkmal, Chinatown, Liberty Bell, Philly’s Zentrum
Irisches Hungerimmigrantendenkmal, Chinatown, Liberty Bell, Philly’s Zentrum
One Liberty Place, Philly’s Sky, Straßenschlucht, Zwischen Rathaus und Masonic Temple (Freimaurer)
One Liberty Place, Philly’s Sky, Straßenschlucht, Zwischen Rathaus und Masonic Temple (Freimaurer)

 

Washington, D.C.

Die Hauptstadt des Weltgeschehens, das Zentrum der Macht, die wichtigste Metropole der Welt, der Traum und Olymp eines jeden Menschen – würden Amerika zu ihrer Hauptstadt sagen. Jeder andere würde fragen: „Das ist nicht euer Ernst, oder?“ Wir würden sagen: „Das ist ihr toter Ernst!“ (ein Insider, dessen Ursprung heutzutage keiner mehr kennt).

Kaum im 8-Bett-Hotelzimmer angekommen, kracht es schon unten auf der Straße und einer der vielen Unfälle ist passiert. Wir blicken freilich verwundert auf die Straße, aber den Amis scheint das öfter zu passieren. Als Alex und ich beispielsweise die Stadt auf eigene Faust erkunden, biegt in gleicher Manier ein tief liegender Oldsmobile um die Ecke und überfährt Alex um ein Haar, wenn er nicht gerade noch so zurückspringen würde. Ist das nun Zufall oder ein Anschlag? Denn drinnen sitzen vier Afroamerikaner, denen ich jetzt nicht unmittelbar Rassismus vorwerfen möchte, die sich zumindest aber auch nicht besonders um unsere Gesundheit scheren.

Unfall, „Driffe“-Corvette (Kennzeichen), Cops
Unfall, „Driffe“-Corvette (Kennzeichen), Cops

Anders jedoch im Indianermuseum. Dort habe ich nun einmal den Drang die „Bäder“ aufzusuchen, wie hier die Toiletten genannt werden. Wie ich später von Alex erfahre, soll sein Gastbruder Aaron soll nun nach mir suchen, weil ich schon eine Weile weg bin. Unverrichteter Dinge kommt dieser allerdings wieder zurück und meldet gehorsamst, er habe mich nicht auffinden können. Auf Alex‘ Nachfrage, ob er denn auch in überall nachgeschaut hätte, so auch hinter den Toiletten-Türen, verneint Aaron wie selbstverständlich. Er fürchtete nämlich jemanden bei dringenden Geschäften überraschen zu können: „He’d punched me in the face!“ Wie viel Angst muss der arme Junge von knapp zwei Meter Körperlänge vor mir wohl haben? Aber das ist wohl kein Wunder, wenn schon sein Onkel mich als Terroristen ansieht, wie ich später erfahre. Ob der Zollbeamte vom Flughafen geplaudert hat?

F.B.I.-Hauptquartier
F.B.I.-Hauptquartier

Die Rundtour im Capitol sowie dem Weißen Haus sind fast schon obligatorisch, wenngleich man dort ewig anstehen muss und nicht mal fotografieren darf. Das F.B.I.-Hauptquartier will man dagegen gar nicht fotografieren, aus Angst die Hässlichkeit des Objektes würde den teuren Farbfilm oder bei den neumodischen Digitalkameras den Chip zerstören. So bleiben letztlich nur noch das Lincoln-Memorial und das Washington-Monument (also der übergroße Obelisk) übrig und das „Germania“ Amerikas ist touristisch abgearbeitet.

Capitol, Weißes Haus, Indianermuseum, Union Station Innenbereich
Capitol, Weißes Haus, Indianermuseum, Union Station Innenbereich
Lincoln Memorial*, Lincoln*, Reflecting Pond mit Washington Monument, Squirrel*
Lincoln Memorial*, Lincoln*, Reflecting Pond mit Washington Monument, Squirrel*

 

Amisch-Leute

Vom Zentrum der Macht ist es nur ein kurzer Weg in die altertümliche Provinz und das ist wörtlich zu verstehen. Denn gerade einmal 150 km entfernt leben die Amish-People, also die historisch zurückgebliebenen Leutchen mit ihrem stehengebliebenen Glauben und der immer noch deutschen Sprache. Allerdings passen auch sie sich an die Zeit ihrer Umgebung an. So wird Touristen gerne mal ihre Handwerkskunst in speziellen Läden außerhalb ihrer Siedlungen angedreht, weil sie selbst ungestört vor den Gaffern leben wollen. Erst nach sorgfältiger Prüfung moderner Innovationen entscheiden sie sich diese eventuell zu übernehmen – im Prinzip kein schlechter Gedanke. Jahre später werden sich manche Leute nämlich durch mangelnden Datenschutz und verlorene Privatsphäre im Internetzeitalter nach dieser Lebensweise zurücksehnen.

Viel mehr als die Touristenläden bekommen wir dann auch nicht zu Gesicht. Die Amish sind eben genau wie hier auch in der großen Weltpolitik nur ein kurzer Abschnitt der Geschichte.

 

New York City

Doch kommen zum wir wichtigsten Teil: dem großen Apfel – also nicht die Firma für I-phones, I-Pods, I-Tunes und sonstige Eierwärmer, sondern dem Inneren der Macht, der Börse, des Verbrechens und des Theaters. Wenn man’s genau betrachtet ist das eigentlich auch alles eins, aber Aufzählungen machen sich gut um etwas wichtig erscheinen zu lassen.

New York City: Manhattans Skyline von außen und von innen (vom Empire State Building)
New York City: Manhattans Skyline von außen und von innen (vom Empire State Building)

Fangen wir an mit dem fiesen Schlumpf im Turm vom Trumpf oder Trump Tower. Wer soll denn ahnen, dass dieser Billigpalast später einmal der Präsidentensitz sein würde? So abwegig haben selbst wir damals nicht geblödelt. Aber das zeigt wieder: Gott würfelt doch und die Menschen lernen halt nicht aus der Geschichte. Obwohl es solch einen Honk tatsächlich vorher noch nicht in der amerikanischen Geschichte gegeben hat.

Na ja, ich schweife ab. Kommen wir lieber zu etwas anderem: niedlichen Katzenbabys oder: Der König der Löwen. Aber nicht in Hamburg, sondern das Original, am Broadway. Denn neben Hollywood stellt Manhattan die große Bühne der Welt, für das Theater und Musical im Stile Frank Sinatras „New York, New York“. Zur Erfahrung des Broadway gehört es eben auch sich solch ein Musical einmal zu geben. Und tatsächlich: es ist eine erhebende Erfahrung, eingequetscht in engen Sitzreihen diesen mitreißenden Melodien zu lauschen und die Bühnendekoration, Tierverkleidungen und Darbietung (Neudeutsch: „Performance“) der Darsteller visuell zu verfolgen. Doch natürlich lebt der Broadway vor allem auch durch den Times Square in unserer Vorstellung vom very heart of it, also dem Zentrum dieser riesigen Metropole und dem Traum der amerikanischen Kleinstadtjugend. Entsprechend verrückte Leute laufen hier herum, welche Weltuntergangsstimmung predigen oder in Unterhosen Countrysongs spielen. Die Ausnahmeerscheinung „Broadway“ zeigt sich schon dadurch, dass diese Straße als einzige quer durch sie ansonsten so aufgeräumt schachbrettförmig angelegten Straßen amerikanischer Städte führt und sogar einen Straßennahmen statt bloßen Nummerierungen aufweist! Die Künstler wollen eben mit allen Mitteln auffallen. Angeblich soll der Broadway aber aus einem alten Indianerpfad hervorgegangen sein und deshalb quer durch die Stadt führen.

Dump – ähm, Trump-Tower, Der Breitweg (auch: „Broadway“)
Dump – ähm, Trump-Tower, Der Breitweg (auch: „Broadway“)

Musik ist ohnehin ein wichtiges Element der Stadt. Wer nicht von den Taxifahrern aller möglichen Nationen mit ihren jeweils sehr eigenen Melodien und Rhythmen vereinnahmt wird, hört immer mal wieder Leute singen und summen, oder von irgendwoher Werbejingles spielen. Auch Simon nervt mich schon die ganze Zeit damit, dass er unbedingt die neue Platte von „Green Day“ will, auf deren Erscheinen er seit Wochen fieberhaft wartet. Wir fuhren extra meilenweit zur nächsten Mall dafür, dass er sie nun jeden Morgen auf dem Weg zur High School in seinem Mini-Pickup dudeln kann. Aber zugegeben: die Band hat was. Also beschließe ich mir die LP auch zu kaufen – aber nicht irgendwo in einer hinterwäldlerischen Mall auf dem Lande. Nein! Das muss schon am Times Square sein. Und so tauche ich denn zum ersten Mal ins Virgin ein, dem großen Heiligtum der Musikindustrie – eine erneute, unbefleckte Erfahrung, nachdem ich die Jungfräulichkeit meines Führungszeugnisses beim Rafting-Event geradeso gerettet habe.

 

Empire State Building*, Eingangshalle, Häuserschluchten mit Schatten des ESB
Empire State Building*, Eingangshalle, Häuserschluchten mit Schatten des ESB

Zu New York gehört aber freilich auch das ESB, also nicht die „Europäische Sentralbank“, sondern vielmehr das Empire State Building, seinerzeit seit 1931 lange Zeit das höchste Gebäude der Welt und immer noch Wahrzeichen der großen Wirtschaftswachstumsphase des 20. Jahrhunderts. Außerdem ist der Blick aus der obersten Etage einmalig. Denn von hier erkennt man die Struktur der New Yorker Insel Manhattan im Hudson River: Wie ein riesiger Tanker scheint sich die Stadt durch die Fluten des Wandels zu entwickeln, was man von der Brücke des Empire State Building gut erahnen kann, wenn man die 5 km rüber späht, vorne zum Bug der Wallstreet-Wolkenkratzer und zu den drei Jahre zuvor veranschlagten WTC-Türmen des Welthandelszentrums. Das UN-Hauptgebäude befindet allerdings gleich um die Ecke und als „Schulgruppe“ haben wir dort sogar einen Besichtigungstermin inklusive der reichhaltigen Gastgeschenke aus aller Welt.

 

Einige New Yorker Symbole des Friedens und der Freiheit:

UN-Hauptversammlungsraum*, Elfenbeingeschenk im UN-Gebäude*, No-War-Banner
UN-Hauptversammlungsraum*, Elfenbeingeschenk im UN-Gebäude*, No-War-Banner
Ground Zero*, US-Demokratie-Plakat*, The Sphere* (noch im Battery Park, dem „Weltfrieden durch Handel“ gewidmet)
Ground Zero*, US-Demokratie-Plakat*, The Sphere* (noch im Battery Park, dem „Weltfrieden durch Handel“ gewidmet)
Freiheitsstatue auf Liberty Island*, Pier am Battery Park, 2.-Weltkriegsdenkmal an Manhattans Bug mit Segelturm*
Freiheitsstatue auf Liberty Island*, Pier am Battery Park, 2.-Weltkriegsdenkmal an Manhattans Bug mit Segelturm*

 

Bemerkung zum Weltfrieden:

Im sozialistischen Sprachgebrauch wird ja gerne vom Weltfrieden gesprochen und Friedenstauben sucht man auch nicht vergeblich. Sicherlich vereint auch New York viele Nationen und Kontroversen in einer Stadt. Das zeigt sich zum einen in dem enormen Reichtum mancher Bewohner Manhattans und Long Islands gegenüber der bitteren Armut der Menschen in Harlem, Hell’s Kitchen oder der Bronx. Zum anderen erkennt man die Unterschiede an den Namen der Viertel „Little Italy“, „Chinatown“, „Koreatown“, „Spanish Harlem“, „Little Germany“, usw. Der Spitzname „Big Apple“ kann auf diese Weise auch als Synonym für die Welt, also unseren Planeten Erde mit den vielen, verschiedenen Kulturen verstanden werden.

Was den Weltfrieden, Wohlstand und das Glück aller Menschen auf Erden nun aber ausmacht, kann nur vielleicht in einer Weltregierung gefunden werden. Denn diese Weltregierung darf nicht durch eine einzige Nation repräsentiert werden, wie sich die Vereinigten Staaten selbst als solche Weltpolizei manchmal gerne vorstellen. Vielmehr ist mit dem Schritt zur Gründung der Vereinten Nationen gezeigt worden in welche Richtung der Weg führen sollte: gleichberechtigte Staaten mit ihrer eigenen Kultur und allem was dazu gehört (Sprache, Religionen, Geschichte, Regierungsformen) sollen sich selbstständig entwickeln können, sich aber unter dem Dach und der Beobachtung der vereinten Nationen an die Menschenrechte halten. Der Welthandel ist die Verbindung zwischen den Nationen, darf aber weder von einer einzigen Nation als Mittel zum Krieg um Ressourcen und Interessen missbraucht werden, noch durch Globalisierung in der Zerstörung regionaler Natur und Kultur gipfeln. Die Weltregierung darf eben nicht die gleichen Kompetenzen haben wie die einzelnen Nationen oder Regionen. Wenn wir etwas gesamten Deutschland aus dem Föderalismus gelernt haben sollten, dann dass die Kleinstaaterei den Menschen vor Ort dienen kann, aber die großen Zusammenhänge von abstrakteren Strukturen und Nichtregierungsorganisationen ohne nationale Interessen geführt werden muss – so wie es auch Ziel der EU sein sollte (nach: Immanuel Kant).

 

Großstadtflair, Spiegelung der Dekadenz…, … und Stock Exchange (Die Börse)*
Großstadtflair, Spiegelung der Dekadenz…, … und Stock Exchange (Die Börse)*
Paramount Building, Einsames Hochhaus, Lange Straße, New Yorks Straßen bei Nacht
Paramount Building, Einsames Hochhaus, Lange Straße, New Yorks Straßen bei Nacht

 

Rabbis und Terroristen

Wenn wir mal nicht in der Schule oder auf Ausflügen weilen, hänge ich meisten mit Alex ab. Manchmal überreden wir auch meine Gastmutti mit uns eine extra Tour in den Big Apple zu unternehmen. Denn so toll der verrückte Mathelehrer auch sein mag, New York zieht uns doch etwas mehr an.

Allerdings merken wir gleichsam, dass in der Stadt unterwegs zu sein auch nicht ganz ungefährlich ist. Denn nicht nur, dass es immer mal wieder Morde in den U-Bahnen gibt, sondern auch die Türen der U-Bahn schließen sich manchmal unvermittelt, so dass man beim Ein- und Aussteigen schnell mal mit der Tasche oder dem Rucksack darin eingeklemmt wird – so wie in meinem Fall. Da sehe ich mich schon am nächsten Tunnelmast kleben, weil der Rucksack zwar drinnen steckt, ich jedoch außerhalb der Tür hänge. Glücklicherweise sieht aber wohl der Fahrer das Missgeschick und öffnet rechtzeitig wieder das Tor zwischen Leben und Tod, so dass ich kurz vor der Abfahrt noch abspringen kann. Alex feiert über die Situation natürlich ordentlich, so dass ich sein Gelächter noch heute in den Ohren höre.

 

Alex‘ Fotos:

The Plaza am Central Park, Guggenheim-Museum, Central-Park-Brücke
The Plaza am Central Park, Guggenheim-Museum, Central-Park-Brücke
Minihaus, New Yorks Straßen…, … und Gassen, 50 United Nations Plaza
Minihaus, New Yorks Straßen…, … und Gassen, 50 United Nations Plaza

Mit dem Besuch des Guggenheim-Museums lohnt sich allerdings dieses Abenteuer auch wieder. Wenngleich ich meine behaupten zu müssen, dass die als eine der teuersten Wohngegenden der Welt geltende Umgebung des Central Parks nicht unbedingt meiner Traumvorstellung des Wohnens entspricht. Zwar zeigen die Mercedes-, Lamborghini-, Rolls-Royce-, Ferrari-, Maserati- und Bentley-Autohäuser den gehobenen Luxus der Gegend an. Vielleicht dürften auch die Penthouse-Besitzer einigermaßen zufrieden mit ihrem Appartement sein. Ansonsten aber dringt kein Tageslicht je ins Leben dieser Menschen, so millionenschwer sie auch seien. Daher ist dies für mich ein Ort, wo die Sonne niemals scheint, so zentral am Puls der Zeit er auch ist. Als kleine Insel davon zeigt sich nur der Central Park, so groß wie eine deutsche Kleinstadt, einem grünen Land gleich dem staunenden Besucher.

Lila Blumenkohl
Lila Blumenkohl

Nun mag es an den Anschlägen drei Jahre zuvor liegen, dass mich nicht nur die Zollbeamten am Flughafen für den terroristischen Nachwuchs hielten, sondern sogar Alex‘ Gastonkel. Denn der ist Rabbi und auf Araber nicht gut zu sprechen, da ja solche den Anschlag verursacht haben sollen und ihrerseits bekanntlich nicht gut Freund mit den Juden sind. Warum er ausgerechnet mich aber für einen seiner Feinde hält, kann ich mir besten besten Willen nicht erklären… Jedenfalls staunt er nicht schlecht als er mich einer Einladung der Familie folgend am Abendbrottisch sitzen sieht und glaubt wohl dem Geist des Nahen Ostens gegenüber zu hocken. Gut, aus dem Osten komme ich, aber so nah bin ich ihm dann auch wieder nicht. Dabei verwundern Alex und ich uns eher über den lilafarbenen Blumenkohl, den man zum Abendessen hierzulande darbietet und glauben schon an giftige Lebensmittelfarbe oder verseuchtes Leitungswasser. Später erst erfahren wir, dass dies wohl eine ganz natürliche Färbung sei, wie es sie bei uns zuhause nur nicht gäbe. Und ich dachte schon, der Rabbi würde einen derartigen Hass auf mich hegen, dass er extra das Gemüse vergiftet.

Simons Mini-Pickup-Coupé
Simons Mini-Pickup-Coupé

Dabei bin ich doch extra mit dem Auto ins Nachbardorf angereist, statt wie ursprünglich geplant mit dem Fahrrad zu fahren. Denn die Fortbewegung hierzulande um von einem Ort zum anderen zu gelangen ist schon ein Abenteuer für sich! Mit dem Fahrrad solle ich auf keinen Fall fahren, auch wenn meine Gastfamilie durchaus welche besitzt. Allerdings scheinen die Autofahrer hier noch nie jemanden damit unterwegs angetroffen zu haben. Daher soll es viel zu gefährlich für mich sein. Also bin ich auf Simon und seinen Subaru-Minipickup angewiesen. Wenn wir nur zu zweit unterwegs sind, hat er seine Bassboxen auf der Ladefläche montiert. Will mal jemand mitfahren, schraubt er zwei weitere Sitze auf. Praktisch, denke ich mir. Aber auch umständlich und ziemlich zugig für die armen Schweine hinten drauf.

Doch das geht immer noch. Was wesentlich heftiger ist, sind die Fahrkünste junger Amerikaner, die gerade frisch ihren Führerschein in der Lotterie gewonnen haben. Denn Fahrstunden nimmt hier kaum jemand. Zu teuer. Nur in die Prüfung wird investiert. Aber die gleicht eh einem zu kurz geratenen Witz und dann geht es auch schon los. Nachdem ich seinerzeit bei einer dieser Achterbahnen ohne Schienenleitsystem mitfuhr danke ich noch heute dem Schicksal, dass es mich im großen Buch zum Ende aller Zeiten nicht finden konnte. Denn das Mädchen dort am Steuer beförderte acht Menschen in ihrem Minivan auf einem Grat zwischen Tod und Teufel durch die Gegend und nur haarscharf an der Ausfahrt zum Jenseits vorbei. Mit völlig überhöhter Geschwindigkeit, auf laubnasser Fahrbahn und Handy am Ohr schlitterten wir da durch die Nacht zu irgendeiner Feier. Sein Verhängnis nicht wenigstens selbst in der Hand zu haben soll mir nie wieder so deutlich passieren, schwöre ich mir dabei gleich am nächsten Tag, als ich glaube aus einem schlimmen Alptraum erwacht zu sein.

Selbst die Fahrten mit meinem Gastvater Gooitzen, der seinem Sohn schon einen „broken head“ attestierte, sind nicht so schlimm und das obwohl er mit seinem Honda Accord im Stile von „The Fast and the Furious“ über das Land heizt, nur selten abgebremst durch seinen Radarwarner im Cockpit. Als Wissenschaftsingenieur für Computerchips muss man sich wohl derartig auf den Straßen ausleben. Seine Frau dagegen klammert sich eher verkrampft am Lenkrad fest, während sie über den Asphalt schleicht und uns „short and pregnant“ etwas erzählen will. Klein war sie ja, aber warum sie wohl immer betonte schwanger zu sein, kann ich mir nicht erklären!?

 

Mit einer Tasche voller Gastgeschenke kam ich und mit einer ebensolchen verlasse ich diese spannenden drei Wochen Amerika wieder. Sie wurden zwischenzeitlich nur durch amerikanische Produkte ausgetauscht. Darunter sind noch mehr Klamotten von Princteon und der Hopewell Valley High, Werbegeschenken der örtlichen Einzelhändler und Bücher über New York. Denn der Devisenhandel will ja auch leben.

Alles in allem kann man unseren Austausch als Erfolg verbuchen: wir sind alle wieder zurückgekehrt, keiner wurde verhaftet oder übermäßig gefoltert und Amerika steht noch. Was will man mehr erwarten von einer ostdeutschen Delegation?

3. Zurück in die Zukunft

Auch ein Rücktausch des Klassenfeindes ins sozialistische Ausland wird natürlich anstehen. Allerdings passiert dies erst, wenn die EOS für uns eigentlich schon vorbei und das Abi geschafft sein wird. Dann wollen die Amerikaner auch mal nach Good Old Europe rüber schwappen. Es wird wohl die Rache für mein ungezügeltes Verhalten im kapitalistischen Ausland sein. Dabei war ich nur meinem Naturforscherdrang gefolgt und wollte prüfen, wie weit Katzen fliegen können und das Gerücht verifizieren, ob sie immer auch auf ihren Pfoten landen, egal wie tief sie fallen!

Good old Thuringia
Good old Thuringia

Aber nicht, dass logischerweise mein Gastbruder Simon zu uns solle, oh nein! Frau Hartfigg wird sich wohl aus Rache über meine mäßigen ML-Kenntnisse (Marxismus-Leninismus) eine ganz besondere Überraschung für mich ausdenken. So laste ich es meiner Tierliebe an, dass ausgerechnet ich ein verstörtes Oachkatzl zugesprochen bekomme, das sich eher für japanische Trickfilme und Saufen interessieren wird als für die (ost)deutsche Kultur. Letzteres jedoch werden wohl die meisten amerikanischen Jugendlichen gemein haben – bis auf Axels Austauschbruder, der später sogar deutsche Philosophie studieren soll und für Hegel schwärmen wird. Frau Mama hat bereits vorgesorgt und wird sich auf Kur abgesetzt haben, so dass ich mit meinem alten Herrn allein squirrelsitten muss. Den Namen „Eichhörnchen“ wird sich mein neuer Gastbruder durch seine Armhaltung erwerben, die er bei jeglicher Mahlzeit einnimmt als würde er eine Haselnuss mit den Zähnen knacken wollen.

Ansonsten wird sich das Eichhörnchen weniger für das kulturelle als für das kulinarische Erbe Europas interessieren: das Bier. Sein größter Wunsch ist es nämlich einmal nach Tschechien zu fahren und dort den Hopfenauszug zu trinken. Da wir das aber weder verantworten können noch wollen, werden wir versuchen sein Augenmerk auf die Burgen, Feengrotten, Wälder und Städte zu lenken, die unsere Heimat zu bieten hat. Allerdings kann ich mir schon vorstellen, dass er während der Fahrt mehr schlafen wird als das er von seiner Umgebung etwas mitbekommt und auch sonst wenig Lust für unsere sehenswerte Auswahl zeigt. Aber wie sich mir selbst gezeigt hatte, war Müdigkeit (durch den Jetlag, die neuen Eindrücke und ständigen Unternehmungen) auch mir selbst in den Staaten auf die Unternehmungslust gedrückt und hatte mich gehindert mehr mit meiner Gastfamilie zu unternehmen.

 

Die Gruppenaktivitäten werden es dann wieder herausreißen: die Wartburg in Eisenach, die Erfurter Innenstadt, Dresden und die Bastei im Elbsandsteingebirge sollen die Amis schon mehr locken. Wenn mich diese Steinanhäufungen nur mal nicht mein Erdendasein kosten werden! Schon jetzt kann ich mir vorstellen, dass es geregnet haben wird und wie ich auf dem nassen Eisenboden der Treppen bis zum Geländer hundert Meter über dem Abgrund runterrutschen und wahrscheinlich nur an einer der Geländerstangen noch hängen bleiben werde. Als Ausgleich für dieses Risiko verspreche ich mir allerdings gelungene Fotos der berühmten Felsformationen mit mystischen Nebelschwaden.

Auch der Trip nach Rerik an die Ostsee kann den Gästen gefallen. Denn allein schon leicht bekleidet Volleyball zu spielen hat schließlich für beide Geschlechter seinen Reiz. Was in den Zelten nachts sonst noch so abgehen wird kann ich zur Zeit nur schwer beurteilen, außer dass vielleicht irgendwelche Besoffenen wohl mal wieder über meine Campingheimstatt stolpern und den halben Zeltplatz dabei abreißen werden.

Und wie Jugendliche so sind, werden wir uns auch über alles Mögliche lustig machen, auch über das kulturelle Erbe. Bei einem Thema jedoch hört der Spaß für Deutsche beider ehemaliger politischer Staaten auf: dem Holocaust. Denn auch das KZ-Denkmal in Buchenwald steht auf dem Programm. Während wir Deutschen vor einigen Jahren noch ehrfürchtig und auf Ekel getrimmt über das Gelände und durch die Baracken geschlichen waren, werden die meisten Amerikaner gar nicht begreifen, weshalb sie da sind und ich hoffe inständig, dass sie während des Schaufilms über die Gräuel im Vorführungsraum nicht über belanglose Narreteien abfeiern werden.

Zum Trost über diese Zukunftsvisionen fällt mir der Spruch am Tor zur Hölle aus Dantes „Göttlicher Komödie“ ein: Drum „lasset, die ihr hier eintretet, alle Hoffnung fahren“. Das soll der Wahlspruch meiner Zukunft sein. Allerdings würde ich noch ergänzen: „ …lasset alle Hoffnung und Ängste fahren“. Man will ja schließlich kein Pessimist werden.

 

Von Eisenach über Dresden bis zur Ostsee – die ehemalige DDR für amerikanische Jugendliche:

Wartburg, Erfurter Marktplatz, Dresdener Kulturpalast
Wartburg, Erfurter Marktplatz, Dresdener Kulturpalast
Elbsandsteingebirge, Zeltplatz in Rerik, Strandaussicht
Elbsandsteingebirge, Zeltplatz in Rerik, Strandaussicht

Als „German way of rafting“ will Frau Hartfigg auch den Amerikanern ein Abenteuer bieten – in Thüringen wohlgemerkt! Nur zum Vergleich: wenn Europa laut Tolkien Mittelerde sein soll, dann ist Thüringen das Auenland. Entsprechend habe ich schon jetzt eine Erinnerung an dieses Erlebnis:

 

Es sollte ein unvergesslicher Tag werden; denn die Vorstellung mit einem Floß über einen reißenden Strom zu fahren, erweckt schon ein beklemmendes... halt! Ich glaube wir sprechen doch noch immer von der Saale.

Bereits die Anfahrt zum mitten im Urwald Thüringens gelegenen Uhlstädt gestaltete sich weitaus beschwerlicher als gedacht. In landesüblichem Dialekt mussten die Eingeborenen-Späher unseres Reisefahrzeugs „Zug“ davon überzeugen die Erlaubnis zur Benutzung des mittelalterlichen Gefährts auch wirklich legal erworben zu haben – was nach endlos scheinenden Unterhandlungen und Tauschgeschäften auch glückte. Auf die erste Hürde sollten zahlreiche Tücken dieses tropischen Regenwaldgebietes folgen. Wobei: tropische Hitze erwartete uns wirklich, vom Regen jedoch bekamen wir trotz Voraussage unseres sherpaähnlichen Kundschafters nichts mit.

Das Basislager schließlich bot noch einmal die letzte Ruhe und Zeit zur Besprechung der Expedition „Flößen“, bevor wir in diese geheime Kunst eingewiesen wurden und das wacklige Gefährt in Augenschein nahmen. Schmale Holzbretter (auch „Bierbänke“ genannt), befestigt an dem nicht sehr Vertrauen erweckenden Mehrbaum, boten die einzige Sitzgelegenheit.

Gnadenlos ließ uns die Sonne die Gefahr unserer waghalsigen Unternehmung spüren. Spätfolgen wie Lachanfälle oder Hautkrebs sind nicht auszuschließen! So ging es also los, flussaufwärts, ohne zu wissen, welche menschenverschlingenden Monster im trüben Wasser nur auf unser Kentern warteten. Unerforschtes Gelände breitete sich vor uns aus, keine Menschenseele konnte uns hier begegnen. Die Stille wurde nur von dem Geräusch des Bordmotors und gelegentlich flüsternden Gesprächen unterbrochen.

Bald gab uns der führende Eingeborene zu verstehen, dass kein Weiterkommen mehr möglich war. So mussten wir diesem unwegsamen Gebiet nachgeben und es unerforscht lassen. Wir werden wohl nie erfahren, was sich bis zum heutigen Tag dort draußen verbirgt. Entsprechend gedämpft hielt sich die Stimmung auf der Rückfahrt, vor allem wegen der örtlich äußerst penetranten Moskitos (dort auch als „Bremsen“ bekannt) und dem ungelöschten Wissensdurst. Doch es kann nicht jede Entdeckungsreise erfolgreich verlaufen, wie letzten Oktober auf dem Delaware. In dieser Beziehung muss die Ausrüstung und Planung wohl noch etwas optimiert werden. Aber wir lernen ja gerne aus Fehlern. Daher bleibt mir nichts mehr, außer Ihnen, liebe Leser, den guten Rat zu geben: Bitte nicht nachmachen! Dieser Höllentrip kann zu schwersten psychischen Störungen wie Langeweile und Unsinn führen. Denn eines kann Ihnen versichert werden: Zwar sind wir froh, mit dem Leben davon gekommen zu sein, jedoch werden wir noch lange dieses Erlebnis zu verarbeiten haben!

 

Und was werden die Amis von alledem halten?

 

Die Aussichten:

Auch wenn ich nie in die FDJ oder Partei eingetreten war (was auch schwer möglich ist, weil beide Organisationen bei meinem heute möglichen Eintrittsalter tatsächlich nicht mehr existieren), sollte ich demnächst doch noch die Gelegenheit bekommen wenigstens Pionier zu werden: allerdings nicht mehr im sozialistischen Sinne oder bei der NVA („Nationale Volksarmee“), sondern viel mehr erneut beim Klassenfeind: der Bundeswehr.

 


* Alex‘ Fotos

(1) Fotos von Mitaustauschschülern


Und hier noch die Verarbeitung einer traumatischen Erfahrung, daher seien die Übersetzungsfehler zu entschuldigen:

 

Rafting on the Edge of Times

(nach „Don’t pay the ferryman” von Chris deBurgh)

 

Early in the mornin’ from a sad young town

A smart group broke for raft and have fun,

The last day of so many lives seemed to went on

 

They got split in groups, what is always wrong

Four of them in one tiny boat,

Between these brave young guys

Already a dar(k/e) devil hides.

And as the river got wild,

And the waves crushed in

He heard loudly himself cry: “Don’t do it!”

Than he thought to die: “Let it be!”

Hastened to find two coins in the pants

Which were already lost,

 

“Can’t pay the Ferryman

Must not even fix the price.”

“You’ll get a second chance,

If same next time swim to the other side.”

 

One of the three from the four-men-boat

Now has reached his final road,

Remembering long ago to an old fashion.

Well, in afternoon he’ll meet him again,

Today there’s no more Ferryman,

It is just a different form and the Timeless's still after

And this time he has the cash

But the man at wheel says:

“No, now the price is twice,” – “Let it be!”

“No free chance - surprise!” – “Don’t do it!”

Until that voice comes from behind

So what will you do?

 

“Don’t trust the bus driver –

Just another Ferryman

Don’t look to motormen,

Because you could distract them.

 

Don’t look to gang mem’

You could be send to the Ferryman,

Don’t trust autopilots then

Until they get you to the very end.

 

Don’t trust – any men!”