Nordwege

 

Norwegens Küste…

scheint, wenn ich’s nicht besser wüsste,

wie aus Nebel, nur ein Rand.

Doch lässt er sich nicht vermeiden.

Kann kaum mehr unterscheiden

Wolken von Land.

 

 

Hinauf die steilen Berge

durch dicht bewachs’nen Nebelhang

gehen mir Gedankenzwerge

seit jeher schon auf Bärenfang.

 

 

Hör das dumpfe Nebelhorn

wie eine reine Himmelsposaune.

So treibt sie mich nun auch nach vorn,

wie ich dem Wald den Gruß zuraune.

 

 

Denn weit muss ich heut noch voran,

gerade erst hier angekommen –

gerufen hat mich dort ein Mann,

in Erinn’rung lang schon verschwommen,

werd’ sehen, ob ich ihm helfen kann,

er nicht schon ohne mich gewonnen.

 

 

Durch dünne Fichten,

schlanke Birken

werd’ ich mir den Weg errichten,

einen kurzen Durchlass erwirken,

wo wenig erst vor mir gegangen.

Hinter mir schon düstre Einsamkeit

mir starken Willen abverlangen,

in stetig dunkler Natürlichkeit.

 

 

Bald schon schneit es stärker noch.

Muss trotzdem weiter stapfen.

Verkriech mich hier in keinem Loch.

Ess’ Schneeeis und Nadelzapfen.

 

 

Weites Feld, lichte Ebene,

zaghafter wird bald der Wald.

Hier preist man alles Gegebene,

was die Natur dir wieder galt.

 

 

Helle Nacht und düstrer Tag,

gerade so, wie ich es mag!

Komme jetzt auch gut voran,

seh’ schon weit,

der Nebel hat es aufgetan,

über des Schlachtfeld Seligkeit

den Blutstrom schon ins Meere münden.

Von der Ferne Hörner künden,

mit Mann und Schiff im Dunst verschwinden.

 

 

Tote Leiber mich Buße mahnen,

Vergebung such’ ich bei den Ahnen.

Wäre ich doch mit ihnen gestorben,

so gäb’s für mich kein schrecklich morgen!

 

 

Der Freund, er liegt herum verstreut.

Sein Haupt hängt fest am Pfahl vertäut,

um seinen Feinden nach zu schauen

und nie wieder Erd’ auf Erd’ zu bauen.

 

 

Zum stillen Wasser zieht’s mich ihn.

Soll’s nehmen, was ich nicht mehr bin.

Doch dann da treibend, in der Not

schaukelt wahr ein kleines Boot.

 

 

Hab mich geirrt,

die Reise ist noch nicht zu Ende.

Gen Norden sie mich führt,

nicht zu Fuß, nehm’ ich die Hände

und suche dort des Schicksals Wende.

 

 

Nor(d)wege II

 

Weite Welten, nur Natur

keine Kunst und kaum Kultur

Überleben ist hier Instinkt,

wo Diskussion nicht weiter bringt.

Nur Anpassung an die Umgebung,

der Umwelt den Tribut zu zollen,

kein Bitten um Vergebung.

Man geht gebückt oder verschollen.

 

 

Einerseits erfüllt mit Stolz,

so nah bei ihr zu atmen dürfen,

zwischen tot und lebend Holz

zwischen Baum und Bärenwürfen.

Akzeptiert zu sein, zu überleben

Meinen eignen Weg zu weben.

Andrerseits weg von der Welt,

in der man unter andern zählt.

Wo einem noch lange gedacht,

wenn man den Löffel weggebracht.

Wo andre einem Dienste leisten,

mich anerkennen – und erdreisten

meine Art mir krumm zu nehmen

und sich selbst zu sehr bequemen.

 

 

Hier ist meine Art egal,

bin höchstens tot, leid’ keine Qual.

Bin ich stark, liebt sie mich nur,

so ist sie stets, Mutter Natur.

 

 

Selten jedoch geschieht es so,

dass ich mich ängstige mit ihr,

sie ist zwar grausam und ist roh.

Doch ist der Mensch das schlimmste Tier.

Denn Angst vor ihr kam nur von uns,

- eine Mensch gemachte Kunst -

weil wir versuchen alles zu verstehen

und unsrer Pflicht so zu entgehen,

den Tod zu überlisten,

ewig auf, ihr gleich zu fristen

was uns aber nicht bestimmt

und sie uns deshalb wieder nimmt.

 

 

Alles, was sie tut, soll sein.

Das ist, was ist und was ich mein’.

Aus diesem Grunde laufe ich hier

weit wohler als im Menschrevier.

 

 

Sie zu entdecken, einfach leben –

Kann es denn was Schön’res geben?

Irgendwo dort, da liegt mein Ziel,

ich schreit voran, es ist nicht viel,

doch irgendwann komme ich an,

dann ist das Schönste schon getan.

 

 

Gleich, ob’s Wegende schön, ob schlecht:

Ist’s reizend, will ich schneller hin,

merk’ spät, dass der Moment verzecht.

Ist’s abstoßend, steht mir der Sinn

nach langer Weile recht.

 

 

 

Stapfe deshalb vor mich her,

weiß wohl wie ich gehen muss.

Gefahr besteht für mich nicht mehr.

Ich bin der Nahrungskette Schluss.

 

 

Seicht wiegen sich Fichtenbäume,

und mir scheint, als ob ich träume,

denn immer wieder mein’ ich fern

das Murmeln eines Tons zu hör’n.

 

 

Durch dichtes Gras zieht es mich fort,

längst bin ich weiter, Richtung: Nord.

Noch immer klingt’s mir in den Ohren -

und bald bin ich im Schnee erfroren!

 

 

Stetige Dämm’rung zum Begleit’

und auch der Wind hat für mich Zeit.

Zerrt an den Wipfeln, weht verwegen,

mal zu den Gipfeln, mal entgegen.

Doch das ist just die richt’ge Richtung:

immer hin, zur Selbstvernichtung.

 

 

Ins Gebirge muss ich hoch,

vielleicht überleb’ ich es ja doch,

wenn mein Schicksal günstig steht.

Bin glücklich, wenn es dann noch weht.

 

 

Wälder enden und auch Leben,

es scheint, als hätt’s nie was gegeben.

Zwischen schneebedecktem Fels,

mal zu Fuß, mal mit dem Seil,

zieh’ ich mich vor – hoffentlich hält’s!

Dass ich nicht gar zu lang verweil’.

 

 

Wie auch der Wind hier seltsam pfeift,

wo nichts gedeiht und auch nichts reift,

glaub ich dem Ursprung nah zu kommen,

wenn ich die Höhen jetzt erklommen.

Man fühlt sich wie zu andren Zeiten,

als ob noch Götter sich hier streiten,

kann beinah ihre Nähe spüren,

und denke auch, dass sie mich führen.

 

 

Ist’s dort nicht Stein auf Stein gebaut?

Seltsam, was man alles schaut.

Nur Fels auf Stein um Eis formt sich.

Erwartung, Hoffnung trüget mich.

 

 

Weiß nicht mehr welches Tal zu nehmen,

bin ganz und gar und wüst verirrt,

beschäftigt meinen Geist zu zähmen,

der nur um meine Seele schwirrt.

 

 

Nun, grade durch ist die Devise,

wo wenig Nebel, enge Schlüchte

da weht schon eine kleine Brise,

dort will ich hin, und wie ich flüchte!

 

 

Zwar bin ich oft und gerne frei,

auch der Entdeckung wohn’ ich bei,

doch wo man sich verloren sieht,

dort liegt dann auch mein Grenzgebiet.

 

 

Wer sagt’s! als ich herunter steige

Seh’ ich, worauf ich gerne zeige.

Da marschier’n sie vor sich hin,

das sagt mir, dass ich richtig bin.

 

 

Sie gingen nicht über die Höhe,

nahmen Umwege in kauf,

gleich bin ich in ihrer Nähe,

wenn ich parallel jetzt lauf.

 

 

Unerwartet wenig nur,

schafften es durch Weid’ und Flur.

Wohl haben andre zugeschlagen,

auch ich werde es bald noch wagen.

Einen um den andren zu schlachten.

Soll’n sie nehmen, was sie brachten!

 

 

An den Ufern woll’n sie rasten,

da werde ich mich näher tasten,

einen hinten schnell erlegen

und mich in ihrer Mitte hegen.

 

 

Mal schau’n, was ich erfahren kann,

über den graus’gen, fremden Than.

 

 

Nor'wege(n) III

 

Hab die Meere überstanden, 

eisige Flüsse, Hochgebirge, 

durch dichte Wälder, moor’ge Sanden

dacht’ ich, dass die Natur mich würge.

 

 

Aber am Ende aller Welten,

scheint auch mir das Ende nah,

scheint auch mir ein Schluss zu gelten,

träumte stets schon, wie’s geschah.

Kann mich lieben, kann mich schelten

und freuen, ob dem, was ich sah.

 

 

Doch eine Sache steht noch aus,

dem Freund zu helfen war’s zu spät.

Nun muss ich aus der Tarnung raus.

Das wäre, was er für mich tät’.

 

 

Hauptsache nur, dass es gelingt,

was mich so hart im Herz beschwingt.

Gleich, wie, wann und wo’s dann geschieht -

Sterben werd’ ich in jedem Fall!

Ob Held, ob Narr, ist’s mir egal,

wie mich die Nachwelt später sieht.

 

 

Gerade will ich zum Schwert mich strecken,

als mich viele Hände greifen.

Die Kleinigkeit ließ mich entdecken

und meine Kraft endlich versteifen.

 

 

Als Spion werd’ ich geführt

eben auf den Thane hin.

Werd’ ihm geben, was ihm gebührt,

wenn ich auch gefesselt bin.

 

 

„Was schleichst als Fremder du dich ein?

Warum kamst du uns hinterdrein?“

 

 

„Zu Leben lohnt es mir nicht mehr,

nachdem ihr alles habt genommen.

Für Rache rann ich hinterher.

Für Rache bin ich her geschwommen.

Zu viele feige abgestochen,

dass sich keiner wehren konnte.

Hab das Blut meil’nweit gerochen,

gewusst, dass man nie einen schonte.“

 

 

„Dann soll es das gewesen sein.

Geht hinfort, lasst uns allein!“

 

 

Als alle fort, kommt er auf mich gericht’

und spricht:

„So, nun hör, was ich zu sagen habe,

denn mir graut schon lang vor dieser Plage.

Bin zwar König, doch auch Sklave,

unter Wölfen bin ich das Schafe.

 

 

Genau wie du will ich’s beenden.

Denn würd’ ich auf den Thron verzichten,

käm’ der nächste ihn zu schänden.

So muss ich Kompromisse dichten.

 

  

Doch jetzt seh’ ich des Weges Wende,

dich hat das Schicksal her gesandt,

als Werkzeug dich mir in die Hände,

obwohl ich dich bis jetzt nicht kannt’.

 

  

Denn vor dir ist ihnen bange,

schlichst dich über Berg, durch Tal,

folgst uns sicher, folgst uns lange,

drangst gar in diesen Heil’gen Saal.

  

 

Sie werden es daher wohl glauben,

dass du mich besiegst,

nachher mit ihnen ziehst zum Rauben

und Völker mit ihnen bekriegst

 

  

Hernach lässt du das Siegel brechen,

zum Tor der alten, großen Mannen.

Es soll, heißt es, all jene rechen,

deren Herzen Pein ersannen

 

  

Niemand weiß davon, nur ich.

Bevor du aber dieses sagst,

nimm diesen Pfad und rette dich,

damit du deinen Tod vertagst.“

 

 

„So, wie“, sprech’ ich, „stellst du’s dir vor?

Deinen Tod so feig’ zu inszenieren!

Eher hält man dich für einen Tor,

wird mich auch gleich darauf verschnüren!“

 

 

„Es bleibt kaum Zeit und keine Wahl,

sie müssen sich an Regeln halten.

Das ist ihr Versprechen und ihr Gral.

Der wird sie letztlich selbst ausschalten,

die alten Gesetze in Stücke spalten.

 

  

Gewiss ist’s schad’ um sie bestellt,

zu Höherem war’n sie berufen.

Doch zeigte sich, dass diese Welt

und ihre Menschen sie verfluchen.

 

 

Denn jene, die sie einst erschufen

waren groß und licht erhellt.

Nach ihnen verfielen dann die Stufen,

die führten an des Himmels Zelt.

 

 

So tu’s, um unser aller Willen!

Auch Rache ist so fortan dein.

Geh, deinen Durst zu stillen

und kehr’ gesegnet danach heim.“

 

 

Das Schauspiel ist also getan,

und niemand zweifelt mehr daran.

Kurz nach dem ich ihn erstochen,

wird das Siegel aufgebrochen,

die Tore damit aufgestoßen.

Man hört bereits ein tiefes Tosen.

 

 

Dann schießt die Flut ins Tal hinaus,

es versinkt mit Mann und Maus.

Nur wenige sind hier dabei

und die Wölfe, sie sind frei…

 

 

Nun holt es auch den Letzten ein,

ich höre nur noch jemand schrei’n.

Schlepp den blutend Than hinan,

durch den Pass, soweit ich kann.

 

 

Erst glaub ich, dass die Flut uns hat,

von vorn schon hör’ ich ihr Getöse.

Doch seh’ ich dann die Klippe matt

mit einem Hang zu mächt’ger Größe.

 

 

Hier endet meine Reise nun,

es gibt nichts mehr zu tun.

 

 

Stille liegt an diesem Ort,

mitten drin und soweit fort.

 

 

Anfangs schien alles wie geplant,

hatte als Kind nie Zufall geahnt.

Zwischendurch war ich nicht sicher,

ob mir ein Schicksal existiert.

Nun bin ich wieder sicher,

dass sich nichts im All verliert.

 

 

Ein Tal, so endgültig gar,

dass man das Weltenend’ vermutet,

mit einer zielverlor’nen Schar,

sich unpassierbar flutet.

 

 

Keiner kommt hier wieder raus.

Keinem macht’s mehr etwas aus.

 

 

Hinter die letzten, grenzend Spitzen

bin ich mit ihm noch fortgeschritten,

bis wir schließlich, nun im Sitzen,

noch der Götter Gnad’ erbitten.

 

 

Hinter uns des Lebens Land,

wirre Klüfte, irre Weite,

wo man selten Wahrheit fand

und an Berge Täler reihte.

 

 

Sein letztes Wort, es klingt zum Schluss,

ist weder Genuss noch ein Verdruss,

doch wie ein König sagen muss:

„So, wie es einmal begann,

ist nun mein Volk mir wieder Unterthan.“

 

 

Vor uns einzig glatte See,

scheinbar geht es nicht mehr weiter.

Dann ist mir doch, wie wenn ich geh’

als endgültiger Himmelsreiter.

 

 

Soll er in den Fluten drunten

ewigen Frieden, Glück auch finden.

Bald treibt er weiter, ist verschwunden

und wird Legenden mitbegründen.

 

 

Noch an seinem Grab verweilend,

merk’ ich Atem, hechelnd eilend.

Hör die Wölfe jaulen, bellen.

Jetzt merk ich, kommen sie heran.

Bei mir lebt der Than fortan,

ich werde mich zu ihm gesellen.

 

 

Bis hierher bin ich gegangen,

geh’ jetzt weiter, noch ein Stück,

wohin schon unsre Ahnen drangen.

Von dort fällt nie ein Blick zurück.