Vize-Hochzeitsreise als Coronaferienkrimi auf Tournee in Süddeutschland

Ein Mordsspaß mit totem Ernst

 

Nachdem wir unsere „Kriegshochzeit“ mit Minimalbesetzung, aber dafür wenig gaffendem Publikumsverkehr feierten und sowohl die Gartenfeier mit den Freunden als auch die geplante Hochzeitsreise nach Island nicht antreten konnten, sollten nach den ersten Lockerungen der Covid-19/SARS-CoV-2/Coronavirus-Pandemieausbreitungsmaßnahmen nun wenigstens die wichtigsten und erreichbaren Freunde in Deutschland besucht werden.

Daher buchten wir „Last Minute“ bevor uns das „Letzte Stündlein“ durch den Coronatod schlagen konnte.

 

Meine Sicht auf manche Mitbürger kann furchtbar sein, wenn nicht sogar mordsmäßig. Daher ist heuer in der Coronakrise und unter dem Gesichtspunkt der andauernden Überbevölkerung ein Vergleich mit einem Auftragsmörder nicht unpassend – mein berufliches Ziel: die Krankheiten wie Covid-19, Umweltschäden und letztlich die Dummheit der Menschen zu beseitigen.

Krankheiten auszurotten habe ich nach meinem früheren Beruf in der Apotheke aufgegeben, denn es wird immer neue Krankheiten geben. An der Beseitigung von Umweltschäden bin ich gerade dran, aber es ist am Ende genauso bürokratisch wie das Gesundheitssystem. Daher wende ich mich hobbymäßig gerne der Dummheitsbeseitigung zu, denn die sprießt trotz aller Vorteile in einer Demokratie leider am besten.

Schnell habe ich bei dieser Beschäftigung gemerkt, dass Überzeugungsmethoden allein nichts nützen. Man muss radikaler handeln und die Dummheit effektiver ausrotten. Aber Vici meinte, wir sollten uns im Urlaub nicht ärgern und daher nehmen wir die Attentate auf die Nerven unserer Opfer mal nicht so wichtig.

Profiling-Karte des Urlaubs von Nervenattentaten
Profiling-Karte des Urlaubs von Nervenattentaten

 

Heimatvorbereitungen

Straftaten werden immer begangen, in Deutschland mit seiner hohen Bevölkerungsdichte umso mehr – aber uns muss man erst einmal eine nachweisen! Die Spur führte jedenfalls weg von unserer Heimat hin zur Krimihochburg Süddeutschland.

Durch die diesjährigen Corona-Einschränkungen beschränkten wir uns lieber auf inländische Ziele. Denn gerade am Flughafen kann es leicht vorkommen, dass man mir aufgrund meines Aussehens oder Berufes dumme Fragen stellt – und dann hätte ich mein Nicht-Berufs-Gelübde ja bereits gebrochen. Außerdem konnte ich so die üblichen Handwerkswaffen wie den messerscharfen Verstand und die spitze Zunge auch auf die Reise mitnehmen. Das eine oder andere Utensil hilft nämlich auch im zivilen Leben abseits des Berufsalltags! Besonders Corona spielt einem Attentäter dabei in die Karten, da man in manchen Gegenden ja bekanntlich verpflichtet ist eine Maske zu tragen – wie praktisch, kann ich da aus Erfahrung nur sagen. Denn so lassen sich lästige Zeugenbefragungen leicht umgehen.

 

Audi – Ich höre? (Ingolstadt)

Um die Spuren zu verwischen und die Anreise nicht ganz so lang werden zu lassen, machten wir auf dem Weg nach Süden einen Zwischenstopp bei Alex. Er ist den einschlägigen Behörden z. B. noch vom Partykrieg in Barcelona oder von der diplomatischen Aufklärungsmission kurz nach den Terroranschlägen vom 11. September in die USA bekannt, hat sich aber entschieden beim größten Arbeitgeber und scheinbar einzigen Existenzzweck dieser Stadt unterzutauchen. Es geht ihm so gut, dass er uns gleich zum Abendempfang Kaviar kredenzte – in seiner 35-m²-Einraumwohnung. Ein nächtlicher Werksbesuch seiner Firma blieb dabei nicht aus und wir erstaunten ob der gut integrierten Migranten in der Stadt. So hässlich dieser Ort architektonisch ist, so freundlich erscheinen uns die Bewohner der verschiedenen Nationen. Da gab es für meinen Berufsstand nicht viel zu tun.

 

Entspannter Stress am Staffelsee (Murnau)

Abgelegen vom großen Urlaubsaufkommen wählten wir Murnau als ersten Ort der Entspannung und Relaxation. Berge, Seen, grüne Natur – die Religion findet hier durchaus eine Entsprechung ihrer Vorstellung vom Paradies. Gerade die nahen Alpen oder die Voralpentäler nach Oberammergau und Ettal bieten landschaftlich mannigfaltige Möglichkeiten um den überlebendingen Geist auszuschalten.

Staffelsee, Über Oberammergau
Staffelsee, Über Oberammergau

Entgegen der Entspannung erfuhren wir am nächsten Tag allerdings ein morgendliches Erdbeben, denn leider hatte irgendjemand Religiöses diese Kirche vor das Schlafzimmerfenster der Pension gesetzt und irgendjemand ließ sie dann auch noch um 5 Uhr früh klingeln – ‚Irgendjemand muss dafür sterben!‘, dachte ich gleich, doch Vici erinnerte mich, dass wir nicht an den Berufsstress denken und ohnehin früh aufstehen wollten, um uns der Natur zu erfreuen. Außerdem hatte ich einmal gehört, dass bereits einmal jemand namens Jesus dafür gestorben war. So ließ ich das Messer wieder sinken und schnitt das Proviantgemüse.

Denn die Erklimmung des Herzogstands stand auf dem Plan und dafür muss man - wie für jedes gute Attentat - vorbereitet sein, selbst wenn es „nur“ 900 Meter hoch und wieder runter geht. Trotz guter Schuhe und relativ wenig Gepäck bemerkten wir baldige Migräneanfälle und es überholten uns so manche Mitwanderer. Die Kopfschmerzattacken wehrten wir zunächst mit Aspirin ab und redeten uns unsere Lage schön, denn die Mitwanderer hatten weniger Gepäck und wohl noch bessere Schuhe. Aber die Ausrüstung anderer zu beneiden ist ja nun wirklich kein Grund jemanden umzubringen – oder? Ich entschied mich jedenfalls dagegen. Zu viele Morde passieren ja aufgrund niederer Beweggründe und dazu wollte ich nicht auch noch im Urlaub beitragen.

Jedoch geschehen „Unfälle“ noch wesentlich einfacher, wie ich mir oben auf dem Gipfel vorstellen konnte. Denn eine Absicherung gab es trotz steiler Abhänge nicht und so kann leicht mal einer über die Klippe rutschen. Doch auch dazu wollte ich nicht beitragen, denn es bot mir niemand ein Motiv. Da erschoss ich doch lieber Fotos von der Umgebung, denn die bot genügend Motive:

Herzogstand - Oben: Almweg zum Herzogstand | Unten: Alm, Tote Buchen und Walchensee

Hier oben scheint die Erde mit dem Himmel zu verschwimmen. Daher fielen uns wohl auch erst auf dem Rückweg die abgestorbenen Bäume auf, die bei näherem Blick allesamt Buchen waren. Erstaunlich genug, dass in dieser Höhe überhaupt noch Buchen wuchsen, müssen ihnen wohl die letzten, trockenen Sommer nun endgültig den Todesstoß versetzt haben.

Trotz schleunigstem Abstieg platzte aber auch uns bald der Kopf, so dass vom restlichen Abend nicht viel als die Erfahrung eines ruhigen Bettes übrig blieb.

 

Altes Neuschwanstein

Zum (chinesischen) Touristenzentrum Deutschlands begaben wir uns nicht nur aufgrund des legendären Ablebens des Märchenkönigs Ludwig II. im Starnberger See am 13. Juni 1886 (einen Tag nach seiner Zwangsabreise von Neuschwanstein), der augenscheinlich durch einen brillanten Kollegen umgesetzt und deshalb nie aufgeklärt wurde. Denn durch die Corona-Krise waren auch wesentlich weniger Chinesen und andere Nichtbayern hier zu erwarten. Mit den Chinesen behielten wir tatsächlich recht, so dass der Ansturm auf das Schloss im Wesentlichen ausblieb. Dafür fielen vermehrt (junge) Amerikaner auf, die ihr Leben wohl über längere Zeit in Deutschland fristen.

Pöllatschlucht mit Neuem Schwanstein
Pöllatschlucht mit Neuem Schwanstein

Und obwohl sich Vici etwas enttäuscht von der Schlosslage am Gebirgsrand zeigte, die man von Postkarten inspiriert ähnlich Machu Picchu immer inmitten von Bergen vermutet und obwohl man für einen Ausblick auf das Schloss zur Marienbrücke eine Dreiviertelstunde hätte anstehen müssen, hatte sich Ludwig schon einen hübschen Platz für seine Hütte ausgesucht. Im Nachhinein war das tatsächlich eine langfristige Investition in die touristische Zukunft, wenngleich die hohen Baukosten dem König oft Kritik und letztlich sogar die Entmündigung aufgrund psychischer Irritation eingebracht hatten. Aber so ist das eben mit Genies, die zum Wahnsinn tendieren.

Umgebung von Neuschwanstein

Entsprechend wahnsinnig war es wohl noch am selben Tag nach Schloss Linderhof zu fahren, um die Schlosstrilogie aus Neuschwanstein, Hohenschwangau und Linderhof perfekt zu machen, zudem ein zünftiges Gewitter über uns hereinbrach. Prinzipiell ist der Blitztreffer eine sichere Todesursache, jedoch viel zu unpräzise und wenig vorhersagbar für einen Profi. Deshalb suchten wir auch Schutz im Schloss selbst und schlossen uns der Führung durch das Gebäude an. Die technischen Errungenschaften wie Zentralheizung, Telefon, Warmwasser, WCs, einen Tischlein-Deck-dich-Aufzug für den Speisesaal und eine Wellenmaschine in der Venusgrotte zeugen von der Automatisierungsergriffenheit des Ludwigs II. Vor allem aber die umgebenden Landschaften seiner Schlösser sind immer gut ausgesucht, was in den Alpen allerdings auch nichts so schwer ist. Solche Berge strahlen ja oft vom Tal aus eine große Ruhe, Erhabenheit und ein Ankommen aus, im Gegensatz zum Gipfel, zum weiten Land oder zum Meer, welche eher zum Aufbruch locken und zur Umsicht mahnen.

Schloss Linderhof
Schloss Linderhof

 

Bad Tölzer Durchreise

Bad Tölz, Starnberger See
Bad Tölz, Starnberger See

Obwohl in Bad Tölz öfter Leute sterben sollen, wenn man der Vorabendserie glauben mag, konnten wir hier wunderbar aufleben. Sicher, es ist kein Pflaster für arme Leute, aber man muss ja nicht gleich ein Haus hier kaufen (die günstigsten Hütten gibt’s ab einer Million) – ein Eis in der hübschen Fußgängerzone reicht auch. Zum längeren Verweilen sollte man dann aber doch lieber zum Starnberger See. Das ist günstiger, zumindest zum Parken.

 

Bayerns teuerste Perle: München

Ebenso wenig ist die Landeshauptstadt München eine „günstige“ Gelegenheit. München sehen und sterben? Dafür fehlte uns das nötige Kleingeld. Deshalb waren wir froh bei Ralf (berüchtigt in Ibiza, Irland und Neuseeland) übernachten zu können, wenngleich direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite ein Bordell offerierte. Glücklicherweise für unseren nächtlichen Erholungsschlaf hatte es durch Corona jedoch geschlossen, wenn auch einige Damen hinter den roten Vorhängen zu erkennen waren und Partygesellschaften nachts durch die Straße zogen. Doch in München ist man froh überhaupt eine Wohnung zu bekommen, und wenn diese Wohnungsmiete auch noch Geld übrig lässt, um nicht gleich in der ersten Woche zu verhungern, hat man seine Leichen schon fast aus dem Keller geschafft – oder wie das Sprichwort heißt.

München: Fahrradlandeshauptstadt, Neues Rathaus am Marienplatz, Baden in der Isar verboten – oder bloß lebensgefährlich?
München: Fahrradlandeshauptstadt, Neues Rathaus am Marienplatz, Baden in der Isar verboten – oder bloß lebensgefährlich?

Nicht nur Ralf, sondern auch Stephen (gesucht in Schweden, Bulgarien und dem Ural) wohnen nun in München. Allerdings könnte man eher sagen, dass sich beide auf den Tod nicht mehr ausstehen können, oder zumindest sich an die Gurgel gehen würden, wenn sie sich träfen oder vielleicht auch nur aus dem Weg gehen würden. Da braucht es keinen Auftragsmörder mehr! Entsprechend scheiterten meine Vermittlungsversuche daran, dass ich keine beider Sichtweisen wirklich kannte. Daher beschränkten wir uns auf einen Nachmittag mit Stephens Familie in Alpennähe.

 

Weil am Starnberger See Corona ausgebrochen war, mussten wir mit Ralf und seiner Frau zum Baden an den Ammersee fahren. Um dem dortigen Fleischbeschau an der FKK-Insel zu entgehen, ließen wir uns aber lieber am Mücken verseuchten Familienstrand nieder. Lange hält man es zwar dort nicht aus, wenn das blutfrische Steak ruft, aber für eine Abkühlung reicht‘s. Entgegen aller Coronaschutzmaßnahmen waren allerdings alle Grillplätze im Park belegt und für einen Grill würde ich jetzt gerade töten. Aber eine Freundin von Ralf (Rhabarber…, ähm Barbara) besitzt einen großen Balkon mitten in der Stadt und außer zwei Bierbänken, einem Bett, einem Schrank und einem Tisch im Wohnzimmer auch sonst nicht viel in ihrer Wohnung. Als Architektin braucht man wohl auch nicht viel. Dafür war das Bad wie in den 50ern eingerichtet. Na ja, wem’s gefällt und für schlechten Geschmack habe ich auch noch nie jemandem das Licht ausgeblasen! Aus den Gesprächen mit ihr wurde dafür klar, dass sie ein wenig alternativ und westlich-sozialistisch eingestellt sein muss. Keine Ahnung ob sie sich damit einen Hipsterfreund angeln wollte, auch wenn sie nicht mehr die Jüngste ist. Aber wenn man im Leben sonst nichts braucht, dann hat man wenigstens eine Ideologie.

Das dachten sich am nächsten Tag wohl auch die Teilnehmer einer Motorraddemo: potentielle Tote drängten auf ihr Recht auf Ableben – für uns ein Mordsspaß! Aber mal im toten Ernst: aufgedrehte Motoren bei völlig überhöhter Geschwindigkeit ist nicht nur bevorstehender Selbstmord und verdirbt den Kapitalisten das Geschäft, sondern tötet im Umkreis von Kilometern auch noch jeden Nerv aller Umstehenden ab. Doch wie bereits ein Oberfeldwebel bei der Bundeswehr meinte: „Ich fahre mit 320 über die Landstraße – und wenn ein Traktor aus der Nebenstraße kommt, na dann war’s das eben!“ Nur wer denkt an den Traktoristen? Nicht ohne Not und einer gehörigen Portion Menschenfeindlichkeit spannen unliebsame Mitbürger bereits Drähte über die Straßen – wenn auch in letzter Zeit eher für Fahrräder.

 

Augsburger Puppenkiste – was für eine wilde Fuggerei

Weiter ging die wilde Fahrt durch den Süden. Auf der Suche nach einem Parkplatz in der schwäbischen Hauptstadt Bayerns wurden wir von einer älteren Frau angesprochen, die ebenfalls unseren Parkplatz haben wollte. Dummerweise war sie Anwohnerin und hatte laut Schild daher einen Anspruch auf die heißbegehrten Stellplätze. Doch sie verwies uns auf die gegenüberliegende Straßenseite, in welcher eine Lücke frei war und meinte zu unserem Kennzeichen, dass ihr Vater auch in Jena studiert hätte und die Stadt sehr mochte. „Schön“, meinten wir sinngemäß, weil wir eigentlich noch etwas von der Stadt sehen wollten und nicht wussten, was man darauf am besten antwortet und gingen freundlich unserer Wege. Nicht jeder hat den Tod verdient.

Von der Hübschheit der Stadt bemerkten wir allerdings noch nicht viel. Denn das fing erst im Süden der Altstadt beim Puppenkistentheater richtig an. Dort um die Kirche herum liegt dann auch die Freilichtbühne, Stadtpark, Kräutergarten und am Stadtgraben ließ sich die Hitze einigermaßen ertragen. In Museen oder dergleichen wollten wir ohnehin nicht, weil das ständige Maske-auf-Maske-ab-Spiel mit der Zeit anstrengt und wir eng gedrängte Menschenansammlungen meiden wollten. Zu hoch ist der Corona-Wiedererkennungswert.

Augsburg: Mehretagige Wasserstraßen, (Jahr-)marktplatz
Augsburg: Mehretagige Wasserstraßen, (Jahr-)marktplatz

 

(In Ulm und) um Ulm und um Ulm herum (Teil 2, vgl. Bulgarien)

Dazu gibt’s auch nicht mehr zu sagen, denn genau das machten wir: Statt einen Abstecher nach Ulm zu unternehmen verstand ich das Autobahnbaustellenersatzabfahrtsschild nach Ulm anscheinend nicht richtig und konnte nicht mehr rechtzeitig auf die Ausfahrt einschwenken, wie das Navi etwas verspätet meckerte. ‚Wenn die mich weiter so dumm anlabbt, muss ich noch meinen Urlaub unterbrechen. Was wäre denn geeignet? Die Feuerwehraxt aus dem Kofferraum wäre schmerzhaft‘, träumte ich so bei mir, bis mir auffiel, dass die Stimme ja gar keinen tötbaren Körper besaß. ‚Nehmen wir halt die nächste Ausfahrt‘, beruhigte ich mich, während das Kursbestimmungsgerät weiter (t)rödelte und schließlich die nächste Abfahrt in 17 km auswies. Für dadurch 34 Kilometer Umweg schien mir Ulm allerdings nicht wertvoll genug, weshalb ich den Kurs nach Stuttgart weiter folgte.

 

Stuttgart ‘20

Wenn ich Schwäbisch höre, könnte ich explodieren! Aber zum Glück gibt es kaum noch Einheimische in Stuttgart. Die meisten Leute bestehen aus Studenten oder Migranten. Entsprechend schien man uns auch nicht zu verstehen, als wir an einem Straßenverkaufsstand eines Cafés am Schlossplatz eine Eistüte zu erstehen beabsichtigten. Selbst nach mehrmaliger Nachfrage wurden wir ignoriert oder auf später vertröstet. ‚Die hat noch zwei Stunden, dann schlägt der Kollege zu‘, beruhigte ich mich wieder. Als die Bedienung uns dann den Rücken zukehrte, um mit ihrer Kollegin zu schwatzen, rief ich noch im Gehen: „Wir kommen wieder, wenn’s Ihrem Pausenplan besser passt“, und setzte sie in Gedanken auf meine Liste.

Selbst wenn uns der Parkplatz ab 18:00 Uhr in der Innenstadt für eine Stunde mehr kostete als wir für den kompletten Tag bezahlt hätten (weil anscheinend für die ganzen Theatergänger ein extrateurer Abendtarif ausgeheckt wurde), war das Hotel mit 35 € für ein Doppelzimmer mitten in Stuttgart zum Totlachen günstig.

Stuttgart: ä hübsch‘s Nestle, Schlossplatz, Stuttgart 21
Stuttgart: ä hübsch‘s Nestle, Schlossplatz, Stuttgart 21

 

Aus Thüringen nach Tübingen

Der Hügelgrat (von Bergrücken möchte ich nicht sprechen), auf den hier eine Stadt gepflanzt wurde, ist erstaunlich hübsch, mit seinen Fachwerkhäusern und Cafés, wenngleich es dort keine sattmachende Mahlzeit zu geben schien und man hier wohl verhungern muss, wenn man sich nicht von Eis und Bu(e)rge(r)n ernähren will. Zwischen Hipster-Öko-Innenstadt und Touristenhochburg passen sich die Tübingenser der modernen Zeit an und verkaufen was das Zeug hält. Die Läden sind hier noch den Kopf ihrer Besitzer wert. Immerhin ist dadurch auch ein hübscher Teeladen entstanden, in welchem wir nach unserer letzten Indienreise etwas Tee vom indischen Ozean nachbeschaffen konnten.

Ansonsten ist die Stadt aber wirklich hübsch alt.

Tübingen: Um-, Aus-, Ein- und Ansichten – oben: Thüringen in Tübingen, Marktplatz, o. m.: Neckarufer, u. m.: Schlossberg, u.: nördliche Stadt

 

Neu-Freiberger in Alt-Freiburg

Ja, auch Freiburg ist schön, hat es doch mit dem Schauinsland einen hohen Berg, von dem aus man in die Umgebung über die Stadt hinweg sehen kann. Oder klang das jetzt missverständlich? Man kann sich natürlich auch vom Schlossbergturm stürzen, was nicht sonderlich schwer ist und zu einem sicheren Abgang führt, falls man nicht in den Kronen der Bäume hängen bleibt und noch ein paar unangenehme Momente weiterröchelt.

Freiburg: hochkant

Viel unangenehmer dagegen war das Röcheln im rauchfreien Hotel. Denn dass leider der Qualm der Montage-Raucher die ganze Nacht von draußen hereinzog, konnte ja niemand der Hotelplaner- oder Betreiber ahnen! Als dann auch noch einer dieser Rachermannl nach zwei Nächten des Miefs auf mich zukam und fragte, ob ich Feuer hätte, verstand er mein „Garantiert nicht!“ irgendwie falsch. Schon wieder ein potentielles Opfer. Wer mir wohl den Auftrag für ihn gegeben hätte? Aber noch bevor ich es ihm erklären oder darüber nachdenken konnte, ob er es wert wäre meinen guten Vorsatz zu brechen, ließ ich ihn an meinem Auspuff schnuppern. Auch das kann eine Todesursache sein, wenn man sich dabei im Hotel befunden hätte.

Freie Burgen für jeden – wenn man sie bezahlen kann
Freie Burgen für jeden – wenn man sie bezahlen kann

 

In Baden-Baden baden

Fürstlich Baden bedeutet in Corona-Zeiten nicht unbedingt viel Geld auszugeben. Durch den eingeschränkten Badebetrieb und die teilweise abgesperrten Bereiche kamen wir vergünstigt in die Therme rein. In der Trinkhalle von Heinrich Hübsch ließe sich anschließend ein Becherlein heben und gegebenenfalls im Wein ertrinken, wenn sie denn nicht wegen Corona geschlossen gehabt hätte. Aber nach wagnerischem Vorbild kann man hier die Weite von Odins Halle in Asgard erahnen, so pompös wie es einst in der Walhalla von Regensburg nachempfunden war. Im himmlischen Walhalla ist dann hoffentlich auch nicht mehr mit Corona zu rechnen.

Baden-Baden: Bäder-Architektur, Trinkhalle
Baden-Baden: Bäder-Architektur, Trinkhalle

Hübsch hügelig gelegen kommt das Städtchen daher, wenngleich es einiges an Fußmarsch erfordert und wohl gleichzeitig als Reha-Sport für den Kult-Kurort gewertet wird. Für mehr als einen Thermenabstecher muss man hier die Zeit allerdings nicht totschlagen.

 

Speien in Speyer und auf der Walz in der P(f)alz

Damit Vicis Freunde Eve und Wilhelm auch mal in den (zweifelhaften) Genuss kommen durften uns Gastfreundschaft zu erweisen legten wir Speyer in unseren Tourneeplan.

Für Eve sollten wir im Gegenzug für freie Kost und Logis einen Wanderweg in der Pfalz auf Tauglichkeit prüfen. Als ehemaliger Qualitätswanderwegsbeauftragter war sie damit bei mir natürlich an der richtigen Adresse. So brachen wir also zur Edenkobener Hütte über die Rietburg auf. Dass wir auf dem Weg fast verdursten und verschwinden würden, ohne je von einer Menschenseele wieder gesichtet zu werden, war uns an diesem Punkt noch nicht klar. Denn zunächst standen noch erstaunlich viele Menschen an der Bergbahn an. Erst oben auf dem Wanderweg verlor sich jede menschliche Spur und wir irrten ohne jegliche Beschilderung stundenlang durch den Wald. Allein die Jagdflieger vom nahegelegenen Ramsteiner Flugplatz störten diese friedliche Nahtoderfahrung. Mehrmals wollten wir schon wieder umdrehen, weil auch GPS- und Handyempfang abgestorben waren. Doch Vicis unverbesserlicher Optimismus gepaart mit ihrem Pflichtbewusstsein diese Aufgabe für ihre Freundin zu erfüllen mit meiner Sturheit und Orientierungssinn (die Nase sagte mir, dass in der Nähe Fleisch gebraten wurde) erreichten wir nach großen Mühen die Weggabelung mit Notfallsammelplatz und Beschilderung zur Gastwirtschaft auf der Edenkobener Hütte. Klar, dass schon die Insekten um uns kreisten, weil sie schon zukünftiges Aas erwarteten. Doch waren es letztlich nur die üblichen Sommerwespen, deren Stich in den Hals durch versehentliches Verschlucken mit anschließendem Erstickungstod wir ebenfalls trotz der schieren Erschöpfung entkamen. Selbst der Zeitlose hätte uns hier nicht gefunden (wegen der fehlenden Schilder) und wohl allein deshalb wandeln wir noch im Diesseits. Rückwärts über die andere Seite des Berges erwies sich die Beschilderung plötzlich als ausgezeichnet und beinahe übertrieben. Unser Hinscheiden wäre also lediglich der Totsache geschuldet, dass die Arbeiten am Weg noch nicht abgeschlossen waren. Als Qualitätswander… usw. würde ich hier allerdings einen Hinweis zur fehlenden Beschilderung erwarten – am besten auf einem gut lesbaren Schild. Immerhin waren wir nicht auch noch vom Ludwigsturm gefallen, deren weitläufige Aussicht einen schon einmal das Gleichgewicht verlieren lassen konnte.

Das Rheinland und die Pfalz – Gott erhalt‘s
Das Rheinland und die Pfalz – Gott erhalt‘s

Speyer freilich bietet andere Vergnügungen, die eher kultureller Natur sind und die wir allerdings bereits kannten. Daher vergnügten wir uns eher mit kulinarischen Genüssen beim gemeinsamen Kochen und Kinoabend mit Netflix und Beamer – sofern das W-LAN-Kabel es hergab und der Oscar-gekrönte Film „Parasite“ es nervlich zuließ. Denn nach diesem Film könnte man meinen der Schnitter käme aus Südkorea! Gut, dass wir lange vorher aßen.

Grillen am Rheinufer durfte in Speyer nicht fehlen, wenngleich die Strömung so manchen Grillenden / manche Grillende hinfort gerissen haben soll (wieso klappt das bei „Grillen“ nicht mit dem geschlechterneutralen Singular?!).

Speyer: Domstadt am Rhein
Speyer: Domstadt am Rhein

 

Hier liegt Karl‘s Ruhe …

… und der Hund begraben – Karl hieß er wohl und ruht hier. Gut, es ist das Zentrum des Nordschwarzwaldes, schön. Aber außer dem ausufernd großen Stadtschloss und dem Tierpark ist es durch die komplizierte Verkehrsführung nur Wert ein Navi zu besitzen, um hier wieder rauszukommen – also eigentlich wie in jeder europäischen Stadt.

Karlsruhe: das neue Bielefeld?
Karlsruhe: das neue Bielefeld?

 

Rothenburg ob der Tauber

Da ostasiatische Touristen sich häufig ins hessische Rotenburg verfahren - wahrscheinlich, weil niemand mit einem „h“ hinter einem „t“ rechnet - außer vielleicht noch den Briten und ihren Stammesverwandten über den großen Teichen - waren wir zum Freitagabend recht allein auf den rothenburgischen Straßen ob der Tauber unterwegs. Wo einst Touristenmassen durch die Stadt flossen, ließen sich nun gute Fotos erlegen. Wenn einem dann noch ein Parkticket geschenkt wird, das gerade für den geplanten Aufenthalt reicht, kann man fast schon wieder an die Menschheit glauben.

Rothenburg ob der Tauber: ganz so, wie es einst war

Man mag anhand der Fotomenge bereits mitbekommen haben, wie fasziniert ich von dieser Stadt war, in der es allein dreimal ein Hotel „Eisenhut“ gibt. Als ich hörte, dass es unter dem Rathausplatz Katakomben gäbe, horchte ich bereits auf. Doch erst das Kriminalmuseum kam der Stadt der Krönung gegenüber anderen Ortschaften gleich, wurde hier doch das dunkle Gewerbe in all seiner Pracht dargestellt: Räuber, Banditen, Piraten und Meuchelmörder aus allen Zeiten fanden Einzug in dieses Register menschlicher Abgründe. Dabei durfte die Erwähnung der mittelalterlichen Gendarmerie natürlich nicht fehlen, wie sie uns bei der Nachtwanderung ausgiebig präsentiert wurde. Wer hätte zuvor auch geahnt, dass die Gerechtigkeitsbringer wie Henker und Nachtwächter zu den schändlichsten aller Berufe zählten? Dagegen konnte das Diebesgesindel noch ehrenwerter angeschaut werden, aber das ist heute ja auch nicht anders – Hauptsache ist nur, man stiehlt auch genug und von den richtigen Leuten! Dafür rollen heute in westlichen Ländern keine Köpfe mehr (mit Ausnahme durch islamistische Terroristen) und gehäutet oder gevierteilt wird auch niemand mehr. Nur Hexenjagden gibt es noch immer, wenn auch digital und medial. Gleich blieb außerdem das Herumdrücken in dunklen Ecken: wo man früher das Licht mied, treibt man sich heute im Darknet herum.

Rothenburg über der Tauber: Dunkles Mittelalter
Rothenburg über der Tauber: Dunkles Mittelalter

 

Würzburg fehlt eine Prise Architektur

Ich dachte immer Würzburg sei eine Reise wert: Immerhin am Mainufer gelegen und weithin sichtbar von der Autobahn thront das mächtige Schloss über der Stadt. Zudem hatten wir ein günstiges Hotel mitten in der „Altstadt“ bekommen. Dorthin zu gelangen war allerdings durch die Verkehrsführung wieder einmal fast unmöglich, was durch die zahlreichen Baustellen noch erschwert wurde, so dass die Straße - wie bereits in Karlsruhe - in einem Parkhaus endete und das kann teuer werden, wie wir in Stuttgart gesehen haben. Hier konnten wir der Parkhausfalle gerade noch einmal entkommen, da wir schnell genug den Ausgang fanden, bevor uns Gebühren ereilen konnten. Doch das Hotel der Kategorie „Garni“ machte seinem Namen alle Ehre: Gar nie sollte man dorthin, denn ein winziges Zimmer mit Gemeinschaftsklo auf dem Flur erwartete uns – und das in Corona-Zeiten! Die Frau an der Rezeption hatte Fingernägel wie Vampirholzpflöcke, die einen aufspießen konnten und vor der Tür tummelte sich das Verbrechen – eine typische Hipsterhochburg eben.

Würzburg: kann schön sein (Festung), muss aber nicht (restliche Stadt)

Noch freuten wir uns auf die Festung und einen Wein in der Altstadt. Die Festung trog uns auch nicht; auf alte Bauten ist eben doch Verlass. Weniger verlässlich erwies sich dagegen der moderne Parkautomat, an dem sich bereits eine Schlange verzweifelter Menschen sammelte, weil dieser einfach keine Münzen nehmen wollte! Als ich dann einen Schein versuchte, klappte es und so erlöste ich großherzig die Würzburger (bzw. die Touristen) von ihrer ansonsten jahrhunderteerwährenden Schmach.

Menschenmassen hatten sich jedoch nicht nur auf der Festung und am Mainufer versammelt, sondern auch die Alte Mainbrücke (Fußgängerbrücke) über dem Main war dicht bepackt mit hunderten, feiernden und trinkenden Menschen – von den höchstens 10 % eine Maske trugen. Diese Coronaparty war ein Schlag ins Gesicht aller Pandemieopfer und vielleicht die effektivste Erntemethode für Gevatter Sensenmann. Aber dafür werden Köpfe rollen bzw. Beatmungsgeräte an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit getrieben werden. Eine zweite Welle ist angesichts dieser Weinorgie keine Überraschung.

(Nachtrag zum Jahresende 2020: genauso kam es dann auch in vielen Regionen Deutschlands, allerdings vermehrt in den Gebirgsregionen - und ganz besonders schlimm im Erzgebirge - wo anscheinend ein einmal eingeschleppter und ansteckender Krankheitserreger  gerade durch den Zusammenhalt bei Feiern, Gottesdiensten und Besuchen am besten verbreitet wurde, ganz so wie eine einfache und leicht zu verbreitende Idee.)

Am Abend mussten wir außerdem feststellen, dass auch noch Vicis güldenes Armband verschwunden war, was uns durch die Unsicherheit, ob es durch Diebstahl oder einfaches Verlieren passiert war, am nächsten Morgen eine extra Stadtrundsuche durch diesen Schicksalsort bescherte.

Alles in allem wurde uns in Würzburg die Suppe gehörig versalzen. Die Stadt kam also beinahe einem Giftmordmassaker gleich.

 

Auf diese Weise konnten wir uns allerdings auch auf zuhause freuen. Und immerhin kann ich sagen, dass wir während dieser Urlaubszeit weder jemanden um die Ecke gebracht, noch jemanden gezwungen haben den Löffel abzugeben, ins Gras zu beißen und auch niemanden ins Jenseits, über den Jordan, den Styx oder diverse Klippen beförderten – zumindest nicht absichtlich.

 

Am Schluss bleibt mir nur zu sagen: Was lebt, kann sterben und ohne Tod lebt nichts. Und:

Man kann nur genießen, was ein Ende findet - was wohl so viel heißt wie: je schmerzvoller ein Abschied ist, umso schöner muss die Zeit zuvor gewesen sein.