Das Land der zwei Gelegenheiten

- Ursprungssuche der indogermanischen Wurzeln

 

Teil I: Herrschaftliches Radschastan

Vorbemerkung:

Schon das Vorfeld der Reise bereitete uns allerlei Schwierigkeiten: Zunächst verbietet es die Klimakrise ja geradezu Langstreckenflüge zu buchen, obwohl kurzstreckige Inlandsflüge als noch viel schlimmer missbilligt werden und fliegen und reisen sowieso ja auch nicht von allen (mehr) gerne gesehen wird. Aber nicht nur deshalb wollten wir eine letzte, große Reise antreten – zumindest vorerst. Denn das Leben hält ja auch noch andere Ziele und Aufgaben bereit, für die man Geld und Zeit braucht und mittlerweile kann man ohnehin auch entspannt eine Dokumentation im Fernsehen oder einen gut geschriebenen Reisebericht über alles und jeden im Internet lesen.

Schwierigkeit Nr. 2 war die Auswahl: Wenn man eine solche letzte, große Reise antritt (vorerst!), dann muss man sich zwischen so einigen Zielen entscheiden: soll es das exotische Südamerika sein, oder das karibische Kuba, das tempelhafte Mexiko, oder die Weiten Afrikas, vielleicht auch das ferne Südostasien (das hat ja ganz ähnliche, alte Tempel wie Südamerika!)? Oder doch… Indien! Wo sonst ist die Exotik, Vielfalt, Mystik und das Naturerlebnis derart konzentriert wie auf diesem Subkontinent!

Karte von Indien mit den Reisestationen
Karte von Indien mit den Reisestationen

Und die wohl größte der drei obligatorischen Schwierigkeiten lag darin, dass plötzlich alle Reiseveranstalter Insolvenz anmeldeten, bei denen wir buchten oder buchen wollten.

Aber auch die Erzählform, in der das ganze später in ein digitales Dokument gegossen werden sollte, machte mir zu schaffen! Da kam die Einladung zu einer diplomatischen Mission (zur Bewerbung um die Vorrechte einer exklusiven Berichterstattung über den Zustand seines Landes) gerade recht, die uns vom (später) vertrauten Maharadscha herüber flatterte…

 

1. Kapitel -

Herrschaftliches Radschastan

 

1. Tag – Eintritt ins Land der vielen Könige (in Dehlis Vorort „Gurgaon“)

Der Vizekapitän will eigentlich nicht mit, wie man uns verrät, und kommt entsprechend eine Stunde zu spät zur Abreise. Das liegt allerdings daran, dass er nur als Ersatzvizekapitän eingeteilt wurde, da der eigentliche Vizekapitän gerade erkrankt ist.

Taunus und Main aus hoher Höhe
Taunus und Main aus hoher Höhe

Die heutzutage direkte Route durch die Luft verkürzt unsere Reisezeit stark auf etwa 8 Stunden gegenüber den aufwendigen Anreisen nach Indien per Schiff um das Kap der guten Hoffnungen um Afrika bzw. den Landweg über die Seidenstraße. Dadurch fällt unsere Eingewöhnungszeit in das örtliche Klima zu kurz aus, um uns an den massiven Smog anzufassen, der ab ca. 5.000 Meter Fallhöhe eintritt. Selbst innerhalb der Ankunftshalle schimmern die Anzeigenschilder ab 20 Meter Entfernung nur noch verraucht durch die Nebelwand.

Smog (nach der Reisemedizinischen Länderinformation): In Neu-Delhi und im die Hauptstadt umgebenden National Capital Territory of Delhi (NCT) ist derzeit die Luftverschmutzung extrem hoch. Durch Abbrennen von Ernteresten auf den Feldern in der Umgebung steigt in dieser Jahreszeit regelmäßig die Belastung besonders durch Feinstaub an. Gefährdet sind besonders Kleinkinder, ältere Menschen und solche mit chronischen Atemwegserkrankungen. Ihnen wird empfohlen, bei Spitzenbelastungen in geschlossenen Räumen zu bleiben, körperliche Anstrengungen zu vermeiden, evtl. Atemmasken zu tragen. Reisende sollten die lokale Medienberichterstattung aufmerksam verfolgen.“

Aufgrund unserer unverschuldeten Verspätung wartet der Sikh-Diener des Maharadschas nun bis in die Nacht geduldig auf unsere Ankunft. In der vorläufigen Herberge in Gurgaon kann er uns noch ein Nachtlager organisieren, obwohl die Nacht eigentlich schon fast vorrüber ist. Aber aus diesem Grund lässt sich auch ein niedrigerer Preis aushandeln. Anscheinend hat trotz Vorankündigung hier noch niemand mit unserer Ankunft gerechnet. Der Türspion ist entsprechend auch eher nach innen als nach außen ausgerichtet.

Gurgaon, auf der Straße: Goldfischglasverkäufer, Armen-Straßenfeuer, Rauch und Smog
Gurgaon, auf der Straße: Goldfischglasverkäufer, Armen-Straßenfeuer, Rauch und Smog

Die Zeitverschiebung, der massive Smog und Rauch sowie der ungewohnte Verkehr zwingen uns nun den ersten Tag in Indien größtenteils drinnen zu verbringen. Ein kurzer Ausflug auf die Straße führt auch rasch wieder zurück, nachdem wir uns mit den massiven Verkehrsregelverletzungen vermutlich schon nahe Todesverurteilung befunden haben. Allerdings hat davon wohl noch kein Polizist zur standrechtlichen Urteilsvollstreckung etwas mitbekommen. Erst später finden wir heraus, dass das ständige Hupen weniger uns als der allgemeinen Situation gilt und Verkehrsregeln wie z. B. rote Ampeln hier eher Empfehlungen als Naturgesetzen gleich kommen.

Doch wir sind auch nicht die einzigen Kulturbotschafter auf dieser Reise. Drei Frankfurter treffen wir an diesem Abend noch in der Unterkunft und sie geben sich diplomatisch mit den üblichen Fragen nach Herkunft und Dialekt. Erst morgen werden wir gemeinsam dann endlich den Vertreter des Radschas (Fürst), oder vielmehr des Maharadschas (Großfürst) treffen.

 

2. Tag – Empfang des Stellvertreters (in den Havelis genannten Landvillen von Mandawa)

Eine kleine Indieneinführung

Vom Stellvertretenden Assistenten nahezu junggesellig arbeitender Yogis im Dienste des Maharadschas (hier kurz S.a.n.j.a.y. genannt) bekommen wir ein paar Informationen zur Etikette und Hintergründe über das Land erklärt. So sollen wir bspw. nur mit der rechten Hand ins Essen greifen, weil die linke den Hintern abputzt und sich Inder sonst verwundert ekeln. Bettler werden entgegen der Anteilnahme im Hinduismus gepflegt ignoriert, genauso wie aufdringliche Straßenhändler. Eine Gepflogenheit, die ganz meiner Auffassung entspricht. Zumal uns die bettelnden Kinder nach Schokolade und Bonbons fragen, die wir natürlich nicht dabei haben. Das klingt vielleicht arrogant, aber ich sehe nirgends irgendeinen Inder, der Bettlern etwas gibt. Es sind nur Touristen, die das tun.

Sanjay spricht auch davon, wie großartig die Kultur Indiens einst war, bevor die Engländer Indien erreichten und die Portugiesen und die Franzosen und die Niederländer und die Moslems und die …, na jedenfalls, als noch vor den islamischen Mogulen Maharadschas über riesige Reich herrschten. Selbst noch vor dieser Zeit kämen alle großen Lehren von der Induskultur, wie unser Guru propagiert: Medizin in Form von Ayurveda, Philosophie und Religionen in Form des Hinduismus, Buddhismus und später des Jainismus und Sikhismus, die Architektur in Form der Palasthandwerkskunst und Stoffe, der Handel mit aller Art von Gütern und aller Welt; ja sogar die Mathematik, von der wir denken, sie stamme von den Arabern, sei eine indische Erfindung. So soll auch das erste Buch hier geschrieben worden sein und sowieso fast alle Sprachen und Kulturen des Westens auf der 6000 Jahre alten Zivilisation Indiens beruhen, welches eigentlich auch „Bakthar“ heißt. So gesehen kehren wir also in unsere ursprüngliche, geistige Heimat zurück. Leider ist diese Heimat ziemlich dreckig und vermüllt. Die Luft riecht verpestet. Smog liegt über Delhi. Dieser stammt noch von den vielen Feuern des Lichterfestest „Diwali“ zwei Wochen zuvor sowie von den Brandrodungen auf den Feldern vor der Metropole und durch die Abgase von täglich 5 Millionen Fahrzeugen. Krankheiten lauern in den Speisen und selbst das Wasser soll nicht unbehandelt genossen werden. Die europäische Grundimmunisierung reicht deshalb nicht für den Orient. So sehe ich mich selbst eher als einen Fremdkörper, als zurück in einer Heimat. Zumindest für Deutsche über 80 Jahren Lebensalter sollte der Anblick der überall verbreiteten Swastika ein vertrautes Bild abgeben. Obgleich die indische Variante des Hakenkreuzes „rechts“ herumdreht (also im Indischen „Glück“ und „gut“ bedeutet), während das linksdrehende Hakenkreuz Unheil verheißt. Wenn sich die Milchsäurebakterien im Joghurt da mal nicht ärgern, weil sie auf der dunklen Seite drehen! Vielleicht soll man deshalb am Beginn solch einer Reise auf Milchprodukte verzichten.

Indischer Verkehr Teil I: Kamelkarren, Überfüllter Bus, Alleinstehendes Haus
Indischer Verkehr Teil I: Kamelkarren, Überfüllter Bus, Alleinstehendes Haus

Die Fahrt nach Mandawa in Radschastan ist lang und birgt allerhand fremd anmutende Kuriositäten: neben Kamelen, die Pflüge ziehen, waghalsigen Überholmanövern, Mauern mitten auf der Straße und fahrenden Skeletten von Laste(en)wagen, denen jegliche Verkleidung fehlt (wohingegen andere reich geschmückt mit Quasten, Bändern, Schrift und bunten Farben gefahren werden), sind auch fast alle Frauen in ebenso bunte Tücher gehüllt und die Häuser bemalt, selbst wenn sie kaum noch stehen. Man könnte meinen der indische Mann bemalt und schmückt alles, was ihm gehört und was ihm wichtig ist.

Aber Inder investieren in Schmuck, weil das als Wertanlage gilt, die man gleichzeitig zur Zierde tragen kann. Ein kaufmännischer Hintergedanken liegt eben auch der Ästhetik bei. So hat auch die Turbanform und -farbe seine Bedeutung: vorne spitz zulaufend: Sikhs, weiß = Trauer oder Bauer, Khakioder dunkelgrün = Eltern leben nicht mehr, schwarz: Verbannter.

Mandawa: Haveli-Kaufmannsvilla Innenhof, Blick vom Dach, Kontor
Mandawa: Haveli-Kaufmannsvilla Innenhof, Blick vom Dach, Kontor

Die Residenz der heutigen Nacht findet immerhin in einem festungsähnlichen Gästehaus statt. Wo die reichen Kaufleute Mandawas ihre Villen pflanzten, sollen wir - so scheint es - nicht minder bedacht werden. Vielleicht werden wir ja doch noch eine Audienz beim Maharadscha bekommen.

Mandawa: Haveli-Heritage-Hotellobbyeingang, -vorplatz, -Pforte
Mandawa: Haveli-Heritage-Hotellobbyeingang, -vorplatz, -Pforte

 

3. Tag – Residieren auf Maharadschanisch in Bikaner

Eine der größten Prüfungen unseres Willens und unserer Opferbereitschaft legt uns der große Fürst allerdings noch auf, bevor wir ihn treffen dürfen: den Rattentempel von Karni Mata in Deshnok. Unsere kulturelle Feuertaufe beginnt mit der Besichtigung dieses der Götting Karni Mata geweihten Heiligtums. Wie manche Feriengäste vor den Sehenswürdigkeiten warten die langschwänzigen Tierchen vor der großen Schüssel mit Milch gefüllt um einen der begehrten Plätze am Rand zu erlangen und die Schnauze in die weiße Flüssigkeit zu hängen. Wer es hier schafft den Regeln zu folgen (also keiner der tausenden Ratten auf die langen, wuselnden Schwänze zu treten und barfuß bzw. nur in Socken durch den Kot zu stiefeln), hat bessere Aussichten auf eine Audienz, so glauben wir. Dennoch muss jene Logik Westlern wie uns unverständlich bleiben, die das schuhlose Betreten des heiligen Tempels als Reinheitsgebot fordert und dabei gleichzeitig die Exkremente von Tauben und Ratten zulässt. Denn die Begründung „der Dreck an den Schuhen von der Straße soll nicht die Reinheit des Tempels beschmutzen“ scheint hier ins Gegenteil verkehrt zu sein. Doch ist es natürlich im religiösen Sinne gemeint und damit für uns auch eine erste, wahrhaft religiöse Berührung mit Indien. Wem dann noch eine Ratte über die eigenen Füße rennt oder wer gar der weiße Ratte begegnet, der habe besonders viel Glück, heißt es.

Deshnok: Rattentempel von Karni Mata
Deshnok: Rattentempel von Karni Mata

Es ist wohl der Aberglaube und die unzähligen Götter und Geschichten drum herum, der den Hinduismus so anziehend für seine Jünger macht. Damit wird mir wieder eine Parallele zum Christentum gewahr, das ja auch so manchen heidnischen Brauch mit in die abendländische Kultur einflocht, um die ehemals heidnischen Menschen für sich zu gewinnen. Man siehe die Erzählungen von Weihnachten. Die Hindugötter in den besuchten Havelis deuten wiederum auf die Ähnlichkeit zur abendländischen Religionskultur hin: z. B. die Dreiteilung der Hauptgötter in Brahma-Vishnu-Shiva (Hinduismus) bzw. Gott-Sohn-HeiligerGeist (Christentum) mit jeweils etlichen Untergöttern (Hinduismus) bzw. Heiligen (Christentum). Der Hinduismus kommt sogar der Evolution nahe, wie die Entwicklung der Inkarnationen Vishnus offenbart: 1. Fisch – 2. Schildkröte – 3. Eber – 4. Chimäre (Mann-Löwe) – 5. wachsender Zwerg – 6. Mensch – 7. gebildeter Priester „Rama“ – 8. Halbgott Krishna – 9. Buddha (der erleuchtete, also vollendete Mensch) – 10. der einstweilige Erlöser. Außerdem folgt auf die paradiesische Anfangszeit das alltägliche Verderben der Menschen. Und es gibt ein Leben nach dem Tod und das Erreichen des Paradieses / Nirwanas durch ein tugendhaftes Leben. Noch etliche weitere Analogien ließen sich finden und es wäre auch seltsam, wenn es sie nicht gäbe. Denn einerseits herrschte zwischen den Völkern dieser Religionsauffassungen seit über 2000 Jahren kultureller Austausch und zum anderen denken die Menschen nun einmal sehr ähnlich.

Doch bevor wir die Erleuchtung finden und ins Nirwana eingehen oder aber als eine Made wieder geboren werden, wird uns noch die traditionelle Kamelzucht vorgeführt, als ein Hinweis auf die guten Handelsverkehrsmittel und als ein weiteres Indiz für den kulturellen Austausch – wenngleich dieser Austausch früher vor allem ökonomische Ziele verfolgte.

Grabtempelstätte
Grabtempelstätte

Wir können nach diesen Erlebnissen unsere Darbietung als ausländische Gäste allerdings noch nicht ganz einschätzen. Haben wir das Zeug zum Vertrauten eines Maharadschas? Die Übernachtung in Bikaner im Balkonzimmer als erstem Zimmer am Platz mit Blick auf das Schwimmbecken lässt uns jedoch schon etwas mehr auf eine Begegnung mit dem Fürsten aller Fürsten hoffen.

Bikaner: Unterkunft bei Nacht, traditioneller Malereifarben, Unterkunft bei Tage
Bikaner: Unterkunft bei Nacht, traditioneller Malereifarben, Unterkunft bei Tage

 

4. Tag – Jaisalmers Gräber in der Wüste

Der Hausherr weilt allerdings nicht im Gästehaus von Bikaner, sondern vielmehr in einem wahrlich indisch-orientalischen Palast. Zwar werden wir in die Gemächer eingelassen, stehen jedoch vor einem leeren Thron – wie so viele andere auch.

Bikaner-Palast I: Straßenansicht, Elefantenschutz, Innenansicht
Bikaner-Palast I: Straßenansicht, Elefantenschutz, Innenansicht
Bikaner-Palast II: Innentor, Präsentierhof, 1. Innenhof, Fenstergaube
Bikaner-Palast II: Innentor, Präsentierhof, 1. Innenhof, Fenstergaube
Bikaner-Palast III: prachtvolle Innenhoffenstergaube, 2. Innenhof, …mit Wasserpavillon, Königsbett
Bikaner-Palast III: prachtvolle Innenhoffenstergaube, 2. Innenhof, …mit Wasserpavillon, Königsbett
Bikaner-Palast IV: Empfangssaal, 3. Innenhof im OG mit Basilikumpflanze, Innenflugzeug
Bikaner-Palast IV: Empfangssaal, 3. Innenhof im OG mit Basilikumpflanze, Innenflugzeug

Stattdessen erzählt Sanjay von der Geschichte der tapferen Krieger, welche hier in Bikaner das Land in wilden Schlachten vor den aus Westen anrückenden Feinden verteidigten und von der Rolle der Frau in der indischen Gesellschaft. Währenddessen befinden wir uns schon wieder auf der Weiterreise nach Jaisalmer.

Mitten in der Halbwüste rasten wir. Die Sicht ist gut, es wächst ja nicht viel, das uns den Blick versperren könnte und das Gasthaus ist architektonisch interessant gebaut. Ähnlich interessant sind auch die freistehenden Toiletten ohne Dach oder Sichtschutz.

Eindrücke vom indischen Land
Eindrücke vom indischen Land

Als die Sprache auf die Religion kommt, offenbart sich uns die reichhaltige Entwicklung und Offenheit der Hindus, die Friedfertigkeit des Jainismus und der Stolz auf die Gleichheit der Sikhs. Doch seit Pakistan und Bangladesch von Indien abgespalten und Gandhi(ji) das Land zur Unabhängigkeit von Indien geführt hat, kommt die westliche Grenzregion nicht zur Ruhe. Wohl auch deshalb ist der Maharadscha vielbeschäftigt, denn hier in Jaisalmer donnern z. B. die Stahlvögel des indischen Militärs über unsere Köpfe hinweg als würden sie gerade die Dächer streifen. Vielleicht gibt es deshalb insgesamt weniger Mücken als gedacht.

Indien ist aber für mich vor allem eines: das Land der zwei Gelegenheiten – ob es fahrende LKW-Skelette, Frauen mit Körben auf dem Kopf, Straßensperren, Kühe oder Tempel sind: immer kommen mir genau zwei davon hintereinander vor die digitalen Auge, aber selten bin ich schnell genug um die Bilder einzufangen. Vielleicht liegt es daran, dass man nach dem ersten Mal keine zweite Gelegenheit erwartet, denn der Trend in der wissenschaftlichen Mustererkennung beginnt ja erst bei drei Beobachtungen.

Jaisalmer: Festung, Gästehausfoyer, Gästehausvorforyer
Jaisalmer: Festung, Gästehausfoyer, Gästehausvorforyer

 

5. Tag – Arabische Atmosphäre

Hier lebt man das Mittelalter: Wo die Tiere die Straßen blockieren, Abwasser aus dem Fenster auf die Straße gekippt und bei jedem Atemzug um den besten Preis gefeilscht wird. Hier wuselt alles durcheinander und das Leben findet auf der Straße statt: Handel, Leichenprozession, Feste und wohl auch Geburten. In den engen Straßen der Wüstenfestung Jaisalmer passieren jene Dinge so nah, dass man sie gar nicht mehr wirklich mitkriegt.

Jaisalmer: Gadisagar-See
Jaisalmer: Gadisagar-See
Jaisalmer: Gadisagar-See, Kaserne,  Indische Geigenspieler
Jaisalmer: Gadisagar-See, Kaserne, Indische Geigenspieler

Indien wird von Alternativen und Neo-Hippies verehrt, unter anderem weil jeder tun kann, was er will. Es kommt im Gegensatz zu China der Anarchie am nächsten, jedoch mit einem größeren Nimbus der Gewaltlosigkeit, Askese und Zurückgezogenheit. Das Land wird vom Selbstverständnis seiner Religion zusammengehalten: vom friedlichen Jainismus, vom kommunistisch anmutenden Sikhismus, vom toleranten Buddhismus und vom liberalen Hinduismus. Ist es aber deshalb die ideale Gesellschaft oder das Paradies auf Erden?

Viele Menschen wollen auch hier gesellschaftlich aufsteigen (auch bedingt durch die wachsende Ungerechtigkeit des immer noch gegenwärtigen Kastensystems) und sie wollen durch ihr erarbeitetes Vermögen gut leben. Dass Handel ein Grundpfeiler der indischen Gesellschaft ist, zeigt sich an der Abhängigkeit der Kellner vom Trinkgeld, an den als Mönchen verkleideten Bettlern, an den aufdringlichen Straßenhändlern und an den protzigen Gästehäusern. Es schwingt im Lichte der Religion mehr Moral in diesem Kapitalismus mit als z. B. in China oder den USA. Und die Gesellschaft klafft ideell nicht so extrem auseinander wie in Russland. Gefühlt gibt es nur Minderheiten ohne zentrale Mehrheit, denn Hindus sind sehr liberal. Zur europäischen Kultur würde diese Lebensweise dennoch allgemein schlechter passen. Nordeuropäer sind möglicherweise liberaler und offener für den Fortschritt, Südeuropäer eher traditionsbewusst und genügsamer. Doch wir glauben nicht so stark und unbekümmert an die Wiedergeburt – höchstens an ein Leben nach dem Tod, im Paradies oder in der Hölle. Wir Europäer sorgen uns um unser Leben in diesem Leben und sei es auch für unser Leben nach dem Leben. Uns geht es um die Quantität, also die Menge der Seelen, die zu Gott finden, statt der Qualität, also dem Zustand der Seele in ihrem nächsten Leben.

Jaisalmer: Festungsmauer
Jaisalmer: Festungsmauer
Jaisalmer: Festungsinnenstadt
Jaisalmer: Festungsinnenstadt

So gibt es auch in Europa immer mehr Tierliebhaber, die es als Qual empfinden, wenn Kamele als Arbeits- oder Reittiere eingesetzt werden, ganz so, als wären sie selbst einmal eines gewesen und wüssten, wovon sie sprechen. Deshalb bietet man den Fremden auch hier solche Ausflüge in die Wüste auf den dazugehörigen, lebenden Schiffen nicht mehr an. Wir wollen dieser Herausforderung aber nicht entsagen, schon um uns nicht als verweichlichte Westler zu erkennen zu geben und etwaige Vorteile auf die Audienz zu verspielen. Daher schwingen wir uns auf die einhöckrigen Dromedare und reiten wohlgemut dem Sonnenuntergang und dem Sand entgegen. Denn auch die arabische Kultur Westindiens gehört zur Landeskenntnis, die man aufweisen sollte um die Kultur zu verstehen. Entsprechend kritisch äußert sich aber auch unser einheimischer Reiseführer Sanjay zum Islam, der seiner Meinung nach den Hinduismus in naher Zukunft durch die aggressive Missionierung auslöschen wird. Nach einigen, tiefreichenden Worten über die Widergeburt, die Tapferkeit in der Glaubensverteidigung und der Erlösung ins Nirwana - dem man über Mokscha (also letztlich der allumfassenden Erkenntnis) nahe kommt - kann er uns aber nur noch einen guten Abend wünschen, da seine Erklärungskraft aufgebraucht ist. Außerdem müssen auch ein paar positive Gedanken zurück bleiben.

Jaisalmer: Blick in die Stadt
Jaisalmer: Blick in die Stadt

Möglicherweise hat dieses abrupte Gesprächsende auch etwas damit zu tun, dass der älteste Teilnehmer dieser Audienzreise versucht mit Sanjay eine Sondervereinbarung zu treffen und diesem ein paar Rupien herüber schiebt. Wir können trotz nächster Nähe aus unserem Versteck jedoch nichts von der Art des Geschäftes mitbekommen. Genau dieser intrigante Mensch regt sich allerdings schon am nächsten Tag über den Preis für die Tuk-Tuks auf und unterstellt Sanjay mit den Fahrern absichtlich die Preise hochzuhandeln. Sanjay versucht sich noch zu rechtfertigen und den Verdacht zu entkräften, was den Alten nur noch mehr in Rage versetzt und ihn zu der Aussage verleitet, er hätte aufgrund seines Lebensalters das alleinige Recht darauf Recht zu haben. Dabei ist der Preis von 150 Rupien (ca. 1,90 €) pro Person wahrlich nicht zu viel.

Bei Jaisalmer: Bada-Bagh (Scheingräber), Kameltreiber
Bei Jaisalmer: Bada-Bagh (Scheingräber), Kameltreiber
Bei Jaisalmer: Wüste Thar
Bei Jaisalmer: Wüste Thar

 

6. Tag – Pures Iod: Jodhpur

So rot wie Iod strahlt auch die Festung Meherangarh über der blauen Stadt. Sie liegt auf einem Felsen, weithin sichtbar für alle Reisenden und ist allein für sich schon von riesigen Ausmaßen. Mit extrem hohen Mauern scheint sie zusätzlich noch einmal in den Himmel zu ragen, so dass Hundertschaften von Falken in ihrer Jagdhöhe um sie herum kreisen. Die weiße Grabstätte des Maharadschas nebenan mit dem See und der langen Mauer im Hintergrund komplettieren das Ensemble aus Verteidigung, Tod und Handel, das von diesen Bauwerken geschützt und begrenzt werden soll. Die blaue Stadt selbst nimmt jedoch nur noch wenig Raum ein, beeindruckt dafür aber vor dem Hintergrund der wüstenartigen Felsen am Horizont.

Jodhpur: Blick vom Jaswant Thada-Mausoleum über der Stadt
Jodhpur: Blick vom Jaswant Thada-Mausoleum über der Stadt

Die Innenstadt selbst als quirlig zu bezeichnen würde dem Chaos des Basars da draußen im Leben nicht gerecht: ,Wer hupt hat Recht‘ ist hier das Motto und erst als wir beginnen rücksichtlos durch die engen Gassen zu waten, zwischen Händlern und Ständen, allerlei motorisierten Gefährten und Indern, Gerüchen, Farbeindrücken und Müll hin zum wichtigsten Stoffhandel des Landes erleben wir das Land. Hier bekommt man neben Seide die verschiedenen Wollen Paschmina (meist aus Yak- oder Tibet-Antilopen-Haar), Kaschmir, Merino und angeblich auch Vicuña – die meines Wissens nur von einigen, wenigen südamerikanischen Indianerstämmen geschoren werden darf und daher sehr selten und entsprechend teuer ist. Der Hausherr zeigt uns Bilder von sich und Schauspieler Richard Gere, beteuert Brad Pitt hätte schon einen Großeinkauf von 120 Sofadecken aller möglicher Muster bestellt und er selbst zähle zu den bekanntesten und besten Tuchfabrikanten. Deswegen kosten seine Stoffe nur einen Bruchteil der üblichen Luxuspreise und feilschen wäre sinnlos. Wahrscheinlich aber wollte er nur den unverkäuflichen Ramsch an die gutgläubigen Feriengäste verhökern. Unter den Gewürzen eines anderen Händlers finden sich neben den typischen Orientgewürzen auch Safran und Amber – der Magenstein des Pottwals. Jenen Geruch hatte ich noch nicht gesehen oder in der Nase, aber zugegebenermaßen erscheint es angenehm.

Jodhpur: Jaswant Thada-Mausoleum und Festung Meherangarh
Jodhpur: Jaswant Thada-Mausoleum und Festung Meherangarh
Jodhpur: In und auf der Festung, Blaue Stadt
Jodhpur: In und auf der Festung, Blaue Stadt
Jodhpur: Marktleben
Jodhpur: Marktleben
Jodhpur: Laden, Straßenmüll, Tagelöhner auf Arbeitssuche
Jodhpur: Laden, Straßenmüll, Tagelöhner auf Arbeitssuche

 

7. Tag – Asketische Jain-Tempel bei Mowgli im Dschungel

Im Aravalligebirge, am westlichen Rand in einem auf die radschastanische Ebene auslaufenden Tal, dort liegt ein Tempel im Wald, dessen 1440 Säulen alle unterschiedlich und von verschiedenen Steinmetzen gehauen wurden. Es ist ein Tempel der Jain (eine der vier endemisch-indischen Religionen, jedoch nicht der Ja-und-Nein-Sager). Diese Religion zeichnet sich durch ihre strikten Ansichten des Tierschutzes aus. Deshalb tragen sie z. B. keine Schuhe oder Strümpfe, um keine Kleinstlebewesen auch nur unabsichtlich beim Laufen zu verletzen und sofort zu bemerken, wenn sie eines gerade zertreten. Noch strengere Anhänger kehren vor sich sogar bei jedem Schritt die Straße mit einem Besen und tragen Schleier, um keine Fliegen einzuatmen.

Aravalli-Gebirge: Raststättenoase
Aravalli-Gebirge: Raststättenoase

So ergeben sich mir im Laufe des Nachdenkens über die Jain viele Fragen, u. a.:

 

- Was würden sie wohl tun, wenn sie von Bakterien wüssten? Denn mit dem Wissen um das normale Leben, zu dem auch das alltägliche Sterben von Lebewesen gehört, können solch strenge religiöse Vorstellungen wie absolute Friedfertigkeit nicht erreicht werden. Dann sind nur noch Straf- oder Ausgleichsmaßnahmen möglich – oder man beginnt die Regeln aufzuweichen und anders zu interpretieren. Einem Menschen, der sich selbst durch eigenen Antrieb und eigene Erfahrung formen möchte, muss die Unterordnung in eine Religion abstoßen erscheinen. So erkenne ich in allen indischen wie auch in den westlichen und restlichen Religionen viele gute Regeln. Aber ich wüsste nie, ob ich wirklich die richtige Entscheidung getroffen hätte, würde ich mich einer dieser Religionen anschließen. Daher ist es aus Sicht der Religionen wohl auch so wichtig bereits den Kindern eine Religion mitzugeben, um ihnen die Entscheidung später zu erleichtern, auch wenn ich das selbst nicht gewollt hätte.

 

- Stammt von hier der Frutarismus / Fruganismus? (Denn im Jainismus sollen auch keine Pflanzen gegessen werden, die „noch leben“.)

 

- Ist das Karma von der eigenen Sicht abhängig oder wird es objektiv bewertet? (Antwort von Sanjay: Ja, auch wenn man etwas Schlechtes tut, es aber gut gemeint hat, würde das zählen. Aber Politiker hätten immer ein schlechtes Karma, ergänzt er, noch bevor ich fragen kann.)

 

- Können Frauen auch die Erleuchtung erlangen? (Antwort: Ja, es gäbe sogar Frauenklöster z. B. im Hinduismus.)

 

Angeblich ist Mowgli hier im Dschungel um den Tempel herum von den Tieren großgezogen worden. Vielleicht ist das der einzige Ort der Erde, wo sich Tiger, Bären, Panther, Affen und Pythons wirklich treffen können. Der Mensch ist ja sowieso überall zu finden – so wie deutsche Touristen.

Aravalli-Gebirge: Neuer und alter Jain-Tempel
Aravalli-Gebirge: Neuer und alter Jain-Tempel
Aravalli-Gebirge: Jain-Tempel
Aravalli-Gebirge: Jain-Tempel
Aravalli-Gebirge: Säulen, Besucherinnen, Bienenvolk und Heiliger Baum des Jaintempel
Aravalli-Gebirge: Säulen, Besucherinnen, Bienenvolk und Heiliger Baum des Jaintempel
Aravalli-Gebirge: Säulen, Besucherinnen, Bienenvolk und Heiliger Baum des Jaintempel
Aravalli-Gebirge: Säulen, Besucherinnen, Bienenvolk und Heiliger Baum des Jaintempel

Exkurs zum Bewusstsein:

Als Beispiel der frühen, buddhistischen Lehre hier ein Auszug aus Wikipedia zum Bewusstseinsstrom, der meines Erachtens in dieser Form mehr Wissen über das Bewusstsein der antiken, indischen Philosophie beinhaltet als wir heute im Allgemeinen wissen (zwar kenne ich die einschlägige Forschungsliteratur dazu leider nicht näher, aber vgl. Erkenntnisatlas):

 

Auszug aus Wikipedia:

„Frühe buddhistische Schriften beschreiben den "Strom des Bewusstseins" (Pali: viññāna-sota), wo er als Geiststrom bezeichnet wird. Die Praxis der Achtsamkeit, bei der es darum geht, sich von Augenblick zu Augenblick der subjektiven bewussten Erfahrung bewusst zu sein, hilft einem, den "Strom des Bewusstseins" direkt zu erfahren und allmählich Selbsterkenntnis und Weisheit zu kultivieren. Die buddhistischen Lehren beschreiben den kontinuierlichen Fluss des "Stroms geistiger und materieller Ereignisse", die sensorische Erfahrungen einschließen (d. h., Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Berührungsempfindungen oder ein Gedanke, der sich auf die Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft bezieht) sowie verschiedene mentale Ereignisse, die erzeugt werden, nämlich Gefühle, Wahrnehmungen und Absichten / Verhalten Diese mentalen Ereignisse werden auch als von anderen Faktoren wie Bindungen und vergangenen Konditionierungen beeinflusst beschrieben. Ferner wird die momentane Manifestation des "Bewusstseinsstroms" als von physikalischen Gesetzen, biologischen Gesetzen, psychologischen Gesetzen, Willensgesetzen und universellen Gesetzen beeinflusst beschrieben.“

Aravalli-Gebirge: Affen, Flusslauf, Berge
Aravalli-Gebirge: Affen, Flusslauf, Berge
Aravalli-Gebirge: Ochsenbrunnen, Feld, Überschwemmungsfläche
Aravalli-Gebirge: Ochsenbrunnen, Feld, Überschwemmungsfläche

 

8. Tag – Die Hochzeitsfeierstadt Udaipur mit ihren Maharanas und ihren Bettlern

Die Übernachtung in der Hochzeitsstadt der Inder mutet am orientalischsten an und weist auch den schönsten Blick über die Stadt auf (Dazu muss man wissen, dass Hochzeiten in Indien entgegen der Bollywood-Filme in den meisten Fällen arrangiert werden). Liebeshochzeiten sind dagegen als "westlich" verpönt. Leider flitzen auch gerade hier einige Schaben über den ansonsten blanken Boden. Zu nachtschlafender Zeit bemerken wir auch die Feierlaune der indischen Jugend, die direkt gegenüber auf einer Dachterrasse den öffentlichen Alkoholgenuss feiert.

Udaipur: Hotellobbydecke, Zimmer, Blick vom Dach mit Bar
Udaipur: Hotellobbydecke, Zimmer, Blick vom Dach mit Bar

Das beeinflusst jedoch nicht unsere Entscheidung Bettlern nichts zu geben. Selbst Sanjay rät uns dazu, da Almosen das Betteln nur verstärke und die Leute von fremder Hilfe abhängig mache. Wir sehen das für Deutschland genauso. Auf dem Touristen-Markt warten wir vielleicht zehn Minuten auf den Rest der Gruppe und schon werden wir von zwei Kindern von ungefähr fünf Jahren mit Essensgesten und „Money“-Gerede umlagert. So lästig wie Stechmücken stürzen sie sich auf jeden, der fremdländisch aussieht und nicht in Bewegung ist. Sie geben nicht auf, genauso wenig wie wir. Die mutmaßlichen Eltern daneben lachen nur darüber. Hier hat die Abrichtung des Nachwuchses (noch) nicht funktioniert.

Udaipur: Abendlicher Swaroop Sagar, Jagdisch-Tempel und Stufen zur Marktkreuzung
Udaipur: Abendlicher Swaroop Sagar, Jagdisch-Tempel und Stufen zur Marktkreuzung

Die heiligen Kühe (Zebus) hier sind nicht ungefährlich: da sie sich ungehindert bewegen können neigen sie zur selbstsüchtigen Verkehrsregel aller Inder: Ich habe Vorfahrt. So kann es passieren, dass in Bedrängnis gerät, wer sich nicht daran hält oder ausweicht. Vicki erlebt so einen Moment just auf der Brücke über einen See, so dass Ausweichen schwierig ist. Doch mit genügend Selbstvertrauen und ruhigem Schritt auf das Rind zu gelingt es mir sie zu „retten“.

Udaipur: Das indische Venedig
Udaipur: Das indische Venedig

Aber der Grund für unseren Besuch dieser Stadt ist ein anderer: denn hier befindet sich das Fort des Maharana, also des größten Kriegers, der noch über dem Maharadscha steht, heutzutage aber keinen Einfluss mehr besitzt. Entsprechend wurde hier auch das Drama um den britischen Geheimagenten James Bond in Szene gesetzt. Die Inselgärten erinnern aber auch nicht nur an diese, erfundene Geschichte, sondern auch an die Kanalstraßen Venedigs, nur im indischen Stil. Das mag auch an den Hindutempeln liegen, die immer wieder zwischendurch zu finden sind, aber eher nicht an den Streifenhörnchen, die sich an den Hindutempeln tummeln.

Udaipur: Palast mit Tigerkäfig und Bambusgerüst, Elefantenstatue, unechter Elefant, Udaipur
Udaipur: Palast mit Tigerkäfig und Bambusgerüst, Elefantenstatue, unechter Elefant, Udaipur
Udaipur: Blauer Raum mit Schachspiel (vorne), Spiegelsaal, Hochzeitsvorbereitungen
Udaipur: Blauer Raum mit Schachspiel (vorne), Spiegelsaal, Hochzeitsvorbereitungen
Udaipur: Blick vom Stadtpalast mit Seehotel Taj Lake Palace, Pichola-See mit Monsuntempel
Udaipur: Blick vom Stadtpalast mit Seehotel Taj Lake Palace, Pichola-See mit Monsuntempel

 

9. Tag – Der einzige Brahmatempel weltweit am heiligen Puschkar-See

Wie war wohl das Indien vor dem Anthropozän? Also vor Plastikmüll und Metallschrott? Als die Straßen noch wie in den anderen Ländern zwar verdreckt, aber nicht unrecyclebar vermüllt waren und die Paläste noch bewohnt und richtig zur Geltung kamen!

Solch eine Stimmung stelle ich mir vor, als wir am heiligen Seen in Puschkar landen, der im Grunde recht hübsch zwischen Bergen und natürlich im Trubel der Innenstadt liegt, direkt neben unserer heutigen Herberge. Nebenan befindet sich auch noch eine Wettkampfarena. Alles jedoch in einem von Taubenkot verdreckten, komplett verbauten „See“, worin Leute  in einem Fünftel der Asche Gandhis baden. Wie am Seeufer selbst scheint es auch verboten zu sein von unserer Veranda aus den See zu fotografieren, damit eventuell Badende durch den touristischen Voyeurismus nicht gestört werden. Das zumindest glaube ich, als während meiner Ablichtung „jemand“ per Lautsprecher aufgefordert wird die Fotografie einzustellen. Man möchte sich fragen, warum in aller Herrgotts Namen man dort überhaupt fotografieren wollte. Aber zum einen müssen auch solche Szenen festgehalten werden und zum anderen sieht man auf Fotos, die die reizvolle, ferne Landschaft zeigen, den Dreck im Vordergrund nicht mehr.

Doch nicht nur das. Direkt neben dem See liegt auch der einzige Brahmatempel weltweit. Durch einen angeblichen Ehebruch soll der oberste Gott und Weltenerschaffer von seiner eigenen Frau verflucht worden sein. Seitdem wurden keine Tempel mehr für ihn errichtet. Überhaupt glauben Hindus ein Tempel sei der Körper eines Gottes, der Altar die Seele bzw. das Herz und jeder menschliche Körper wäre auch die Hülle der Seele. Bei der Wiedergeburt wechsele die Seele bloß die Hülle.

Indische Landschaft
Indische Landschaft
„Tote“ Tempel auf dem Weg nach Puschkar
„Tote“ Tempel auf dem Weg nach Puschkar

Die eigene Religiosität durchdringt wohl in keinem anderen Land das Alltagsleben der Menschen so sehr wie in Indien: Viele Lastwagen sind voll von abergläubischen Verzierungen, Bommeln, Girlanden; Hakenkreuze („Swastiken“) prangen an allen möglichen Gebäuden, Asketen oder zumindest Bettler in Asketenverkleidung sitzen auf den Straßen und die heiligen Kühe (Zebus) werden vorsichtig um(ge)fahren.

Daher ist es für einige Indienbesucher wohl eines der höchsten Ziele das „Ende“ bewusst dort zu finden: die letzte, endgültige Wahrheit zu erkennen und Erlösung zu erlangen. Manche versuchen es mittels Meditation, andere mit Mantras, Yoga oder Verzicht (Askese). Das universale „Aum“ (sprich: Om) soll helfen, weil es der Urklang sei. Als ich Sanjay frage, wie Erleuchtung erlangt werden könne und wie man richtig meditiere, meint er, man bräuchte Jahre um allein zu erkennen, was Meditation wirklich ist und dass nur derjenige Erleuchtung erlangt, der ein makelloses Karma vorweisen kann und den Weg der Askese beschritten hat. Mit anderen Worten: Man muss Jesus sein. Immerhin scheint es in Indien einige „Jesuiten“ zu geben, denn abgesehen von den 2 % Christen bekennen sich von 1,3 Milliarden Indern ca. 80 % zum Hinduismus, wovon etwa 1 % Mönche / Nonnen sind und von jenen ungefähr wiederum 1 % die Erleuchtung erlangen. Alles in allem treten also ca. 100.000 Nirwanagänger pro Generation - in deutschen Maßstäben also eine ganze Stadt - alle 70 Jahre aus dem Lebenskreislauf aus. Noch kann die anhaltende Überbevölkerung das kompensieren, aber zusammen mit dem massenhaften Artensterben wird es aus hinduistischer Sicht bald sehr einsam auf der Erde, wenn die spirituelle Halbwertszeit weiter so anhält. Ist das also die endgültige Wahrheit? Wenn wir das Nirwana mit unserer westlichen Einstellung nicht mehr erreichen können, können wir zumindest ein angenehmes Leben führen und uns des Daseins erfreuen. Denn das verbessert laut Sanjay auch das Karma, so dass man vielleicht im nächsten Leben als Mensch auf die Welt kommt, der bereit für den Weg zur Erleuchtung ist. Im idealen Falle geschieht dies in Indien, sofern man daran glauben möchte.

Das soll die endgültige Wahrheit sein, für den Moment. Denn wir leben immer nur in der Gegenwart und die ändert sich mit jedem Augenblick und mit jedem Wort, das man denkt, spricht oder liest. Und die objektive Wirklichkeit hinter unserer subjektiven Wahrheit werden wir im Leben nicht erkennen.

Puschkar: Hindu-Mönche und religiöse Symbole, Ghats von Pushkar, Puschkar-See mit Bergen
Puschkar: Hindu-Mönche und religiöse Symbole, Ghats von Pushkar, Puschkar-See mit Bergen
Puschkar: Unterkunft im Kolonialstil
Puschkar: Unterkunft im Kolonialstil

Deshalb geben sich so viele Inder wohl auch mit dem schnöden Mammon ab. Indien ist für ausländische Besucher nicht mehr so günstig wie es aus den Erzählungen früherer Reisenden hervorgeht. Die Preise haben sich den europäischen fast vollständig angeglichen (zumindest für Fremdländer) und die Trinkgelder fressen die Reisekasse von Stunde zu Stunde weiter auf. Wollte man jedem Bettler zusammen mit den zahllosen Kleinstdienstleistungen (wie „ein Fotomachen“, oder vor dem Tempel „auf Schuhe aufpassen“, „Toilettentrockentücher ausgeben“, „ungefragt den Weg zeigen“, „den Segen aussprechen“ oder „sich beim Arbeiten fotografieren lassen“, usw.) einen halben Euro geben, kommen bei einer Rundreise mit täglich wechselnden Unterkünften und Trinkgeldern für die verschiedenen Bediensteten pro Woche locker 300 € zusammen – pro Reisendem!

 

10. Tag – Das ockerne Zentrum Radschastans heißt Jaipur

Jaipur wirbt damit die „pinke Stadt“ zu sein, zeigt sich in Wahrheit jedoch in einem tiefsten Ocker. Entweder sind Inder farbenblind oder es ist handelt sich um eine sehr alte Werbestrategie für Pilger. Vielleicht denkt man hier auch sich das erlauben zu können, da der Herrscher einst der Sawai, also der „1 ¼“ genannt wurde, weil er nicht nur in allen Bereichen vollkommen, sondern sogar noch ein Bisschen mehr als alle anderen zusammen war („1 ½“ wäre eine Beleidigung gewesen!). Neben seinen Aufgaben als Politiker, Kriegsherr, Poet und Wissenschaftler baute er auch die halbe Stadt und unter anderem die größte Sonnenuhr der Welt, welche auf zwei Sekunden genau gehen soll.

Na, immerhin ist unsere Unterkunft modern eingerichtet und sauberer gehalten als die vorhergehenden Häuser. Es wartet sogar mit Marmor im Bad und einem Unendlichkeitsschwimmbecken auf – derzeit der letzte Schrei unter den gehobenen Reisenden. Allerdings werden wir diese Badegelegenheit weniger nutzen als die Tauben auf dem Dach und begnügen uns mit dem Spatz in unserer Hand, also dem Marmorbad.

Jaipur: Die „pinke“ Stadt, die weltgrößte Sonnenuhr, Taubenparadies auf dem Albert Hall Museum
Jaipur: Die „pinke“ Stadt, die weltgrößte Sonnenuhr, Taubenparadies auf dem Albert Hall Museum
Jaipur: Modernes Indien, Der berühmte Palast der Winde, … nur Fassade!
Jaipur: Modernes Indien, Der berühmte Palast der Winde, … nur Fassade!

Indien schien unter der Maharadschaherrschaft sehr viel offener und freier gewesen zu sein als unter anderen Königsherrschaften, auch wenn es vielleicht aus exotischer Träumerei über Indien heraus passierte, wie bei der Darstellung der indisch beeinflussten, utopischen Insel Pala in Aldous Huxleys Romans „The Island“ oder in der Verkörperung des fortschrittsliebenden (und indischen) Kapitän Nemo im Film „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ bzw. Jule Vernes ursprünglichem „20.000 Meilen unter dem Meer“. Wenn dem aber wirklich so war oder wenigstens so ähnlich, warum hat sich dieses Modell nicht international durchgesetzt und warum ist Indien (noch) nicht eines der führenden Industrieländer der Welt? Ich denke die Antwort liegt in der Übermacht regressiven Machthungers ausländischer Staaten  – oder mit anderen Worten: Gier ist mächtiger als Harmonie.

Jaipur: Typisch Indien?: Slum, Straßenbarbier, Schlangenbeschwörer (die Schlangen sind echt!)
Jaipur: Typisch Indien?: Slum, Straßenbarbier, Schlangenbeschwörer (die Schlangen sind echt!)

 

11. Tag – Ins große Amber-Fort

Die meisten Verkäufer tummeln sich dann auch mit einer Rate von ca. 20 Händlern pro Minute auf dem Hauptplatz des Amber Forts wie die Schmeißfliegen um die Besucher. Obwohl die Hindus und auch andere Inder restlicher Religionen nach den Regeln der Religion auf ihre Mitmenschen achten sollten, verhalten sich viele vor allem in den Städten egoistisch und kapitalorientiert. Ein extremes Beispiel dafür sind die sogenannten Mitgiftmorde, bei denen aus Geldgier die eigene Frau wegen zu wenig Aussteuer lebendig verbrannt wird.

Solidarität oder soziales Denken oder gar freundliche Rücksicht erkenne ich nicht in der Form, wie ich es aus Europa bzw. Deutschland kenne (man beachte bitte das m. E. besonders aus fremdländischer Sicht gelungene Oxymoron „freundlich“ und „Deutschland“ in einem Satz), insbesondere was den Straßenverkehr betrifft. Sobald man die Rolle eines Kunden oder Gastes einnimmt ändert sich das natürlich. Möglicherweise wird dieses Phänomen auch von der Dynamik einer jeden Großstadt unterstützt. Großstädte egalisieren die Kulturen ohnehin auf der ganzen Welt. Hier bestehen weniger Vorurteile gegen Fremde und man wird weniger begafft, besonders als hellhäutiger, blonder Westler – den ich nicht wirklich zu verstecken vermag (entgegen der Auffassung vieler Westler über mein nicht besonders westliches oder arisches Erscheinungsbild. Aber das ist ja auch kein Wunder, komme ich doch politisch auch aus dem ehemalig östlichen Westen).

So fortschrittlich wie Inder in der Frage der Religionsfreiheit und Glaubenstoleranz sind, so rückschrittlich sind sie bei der Frage der Rassentrennung. Denn „Weiße“ gelten als ehrenwerter und Inder wollen auch aus Ästhetik heraus weiß werden oder bleiben wie in China. Arisches Rassendenken und Hakenkreuze haben eben auch hier eine bestimmte Bedeutung, nicht umsonst stammen beide Attribute aus den Regionen südlich des Hindukusch und des Himalaya und werden schon viel andauernder verehrt als von den Deutschen zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Vielleicht sind die Vorfahren der Roma / Zigeuner / Gipsys / Gitanos / Sinti deshalb vor so langer Zeit aus Indien fortgegangen, weil sie eine ähnliche Abneigung gegen sich spürten.

Amber Fort: Vorhof, Innenhof, Drinnenhof
Amber Fort: Vorhof, Innenhof, Drinnenhof

Das Interessanteste am Amber-Fort ist letztlich die Umgebung, weil es im Gebirge liegt und einen guten Blick auf die Umgebung bietet. In der Umgebung befinden sich noch weitere, ältere Forts, ein großer Garten am Fuße und ein sehr langer Aufgang zum Eingang. Direkt gegenüber dieser Festung liegt eine Felsfurt, welche die viele Kilometer lange Schutzmauer auf den Höhenzügen durchbricht. Das Fort erinnert ein wenig an europäische Burgen aus dem Mittelalter und die Funktion war ja auch die gleiche. Nur dass das Burginnere des Amber-Forts wesentlich mehr Platz für die Herrscher und das Gefolge bot und prächtiger ausgestattet war. Zumindest muss man es sich den Erzählungen von Sanjay nach so vorstellen, denn heutzutage enthält es im besten Fall noch ein paar Wandbemalungen.

Amber Fort: Vorhof mit Stadt und Bergpforte
Amber Fort: Vorhof mit Stadt und Bergpforte
Amber Fort: Innengarten und betrachtende Inderin
Amber Fort: Innengarten und betrachtende Inderin

Nach vielen Tagen der Einführung in die indische Lebensweise, die Kultur und Geschichte wird sich bald herausstellen, wer von der Gruppe weiter bleiben darf und wer ausreisen muss. Wir beide sehen gute Aussichten auf einen längeren Aufenthalt. Doch wohin es uns dabei verschlagen wird oder welche Prüfungen noch auf uns warten, wissen wir bis jetzt nicht.

Einige andere Besucher dieses Landes (wir glauben sie aufgrund des Akzents italienischer Herkunft zu erkennen) hatten sich anscheinend über das Essen und die Schärfe beschwert. Denn nun steht während des Frühstücks überall besorgtes Personal um uns herum und ein jeder von ihnen fragt ständig ob auch wirklich alles in Ordnung sei und selbst der Küchenchef kommt noch einmal zum Tisch um sein Bedauern über die angeblich schlechte Erfahrung kund zu tun. Bis er merkt, dass gar nicht wir es waren, die Beanstandungen vorgebracht hatten. Das erkennt er an unserem plötzlichen Lachen über die Situation, welches hoffentlich nicht als Schadenfreude zu interpretieren ist.

Dschal Mahal
Dschal Mahal

Indisches Essen ist durchaus scharf. Doch zum einen werden die Speisen für fremdländische Gäste erheblich weniger gewürzt und zum anderen muss man damit einfach rechnen, weil einem das im gesamten süd- und ostasiatischen Raum passieren wird. Angeblich hilft die Schärfe Mikroben im Essen abzutöten, die durch die schwülheiße Luft besonders gut gedeihen. Unter anderem wird wahrscheinlich das Essen auch in anderen Gegenden der Welt mit ähnlichem Klima ähnlich stark geschärft, wie in Mexiko und Texas. Wenngleich mich dann verwundert, dass im südlich gelegenen Italien die Schärfetoleranz geringer sein soll als bei uns. Denn ich würde mich auf der Scoville-Skala bereits maximal auf der Peperoni-Stufe bewegen, was ca. einem 100.000stel bzw. 10 ppm der Schärfe reinen Capsaicins entspricht. Dennoch kann ich nicht behaupten, dass indisches Essen nicht gut schmecken würde. Im Gegenteil: trotz weniger Fleischverwendung werden Gewürze und Zutaten sehr schmackhaft eingesetzt, wenngleich wir aus hygienischen Gründen ungekochtes Obst, Gemüse, Eis, Säfte und mit Eiswürfeln gekühlte Kaltgetränke lieber weglassen und es vermeiden mit undesinfizierten Fingern zu essen. Denn angeblich wird laut Sanjay auch gerne mal Flusswasser oder sogar Wasser aus der Toilette zum Abwaschen und Kochen verwendet.

 

12. Tag – Der größte Liebesbeweis (Agra)

Fatehpur Sikri, eine Geisterstadt ist die Station auf dem Weg nach Agra. Hier entschied einst der Mogul wahrlich von oben herab über das Geschick des Landes. Denn zum einen saß er auf einem hängenden Steinkreuz über den Bittstellern und zum anderen konnte er von dem fünfstöckigen Aussichtsturm weit ins Land blicken. Doch bald schon nach dem Bau des stadtartigen Palastes verließ er diesen Ort, da am Rand seines Reiches, in Afghanistan, wilde Horden einfielen.

Fatehpur Sikri: Morgensmog, Herrschaftliches Steinkreuz, Fünfstöckiger Wachturm
Fatehpur Sikri: Morgensmog, Herrschaftliches Steinkreuz, Fünfstöckiger Wachturm

Das Tadsch Mahal (= „Krone des Palastes“) verspricht schließlich tatsächlich die schönste Bauwerksanlage Indiens zu sein, da es neben den grünen Gärten und weiteren Nebengebäuden mit seiner markanten Architektur zwischen indischem und arabisch-persischem Baustil, dem Auge schmeichelt und nicht zuletzt wegen seiner weißen Farbe in den Blick fällt.

Noch beeindruckender ist allerdings der mittlerweile recht bekannte Grund zur Errichtung: Denn der Mogulkaiser Schah Dschahan (ein ohnehin sehr klangvoller Name) ließ das Gebäude für seine abgöttisch geliebte Lieblingsfrau Mumtadsch Mahal (was „Exzellenz des Palastes“ bedeutet) erbauen, nachdem diese bei der Geburt ihres 14ten Kindes verstorben war, während er sich auf einer Dienstreise befand. Aus Trauer und letztlich auch als Liebesbeweis rief er Architekten aus aller Welt herbei um ein Denkmal aus strahlend weißem Marmor zu errichten, das weithin sichtbar und unfassbar teuer für alle Ewigkeit von dieser Liebe künden sollte. Zwar erwählte er schließlich einen persischen Baumeister und verzierte die Fassade mit Koransprüchen, ließ allerdings auch hinduistische und angeblich auch abendländische Merkmale einbauen, vielleicht um seine Allmacht über die riesigen Gebiete seiner Herrschaft zu demonstrieren. Wie es islamische Gärten an sich haben, umgibt auch das Tadsch Mahal einen Garten aus vier Feldern in alle vier Himmelsrichtungen und prunkvollen Nebengebäuden. Allerdings sind nur drei Felder davon sichtbar. Denn hinter dem nach allen Seiten symmetrischen Hauptgebäude mit der Doppelkuppel - die wie ein Thermobehälter mit Luftpolster zwischen den beiden Kuppeln gebaut wurde, um den Sarkophag im Inneren zu kühlen - fließt der Fluss Jamuna. Gegenüber liegt eine Gartenanlage, die die gleichen Grundzüge und sogar Fundamentmauern in Form des Tadsch Mahal trägt. Es heißt nämlich, dort sollte ein zweites Grabmal entstehen, in schwarz und für den Schah Dschahan selbst. Dazu kam es allerdings nicht mehr, da einer seiner Söhne die Macht an sich riss, seine Brüder ermordete und seinen Vater ins nebenan gelegene Rote Fort einsperren ließ, mit Blick auf das dennoch strahlende Grab seiner Frau. Seither steht neben dem Hauptsarkophag von Mumtadsch Mahal auch der Sarkophag von Schah Dschahan, den seine Diener wohl heimlich dort hinein brachten, als dieser an der Trauer über den Tod seiner Frau und den Verrat seines Sohnes schließlich gestorben war, und passt sich gerade noch in die Lücke zwischen dem Grab seiner Frau und dem inneren Säulenring ein. Sein Sohn war dann auch der letzte, große Mogulkaiser und bald darauf endete diese bedeutende Zeit muslimischer Herrscher in Indien. Nachdem sie durch den 15. Nachfahren Dschinghis Khans einst gegründet wurde und erfolgreiche Eroberer wie auch Trunkenbolde (ja, damals genossen Muslime noch den Alkohol) hervorgebracht hatte.

Agra: Verbote im Gelände des Tadsch Mahal, Eingangstor, Tadsch Mahal (Hauptgrab)
Agra: Verbote im Gelände des Tadsch Mahal, Eingangstor, Tadsch Mahal (Hauptgrab)

Die eingearbeiteten Intarsien aus Halbedelsteinen statt einer Bemalung und der teure Marmor verblassen jedoch durch die Umwelteinflüsse ebenfalls allmählich, wenngleich das Gebäude gegen alle möglichen Einflüsse geschützt gebaut wurde. Denn als ob man schon damals die Zukunft geahnt hätte wurde besonders widerstandsfähiger Marmor gegen Säureeinfluss z. B. durch sauren Regen verwendet und die gesamte Fundamentanlage auf Kiefernsäulen gebaut, um Hochwasser und Erdbeben besser abfangen zu können. Dennoch setzen der Feinstaub Agras und die durch Abholzung verstärkten Sandstürme dem Tadsch Mahal arg zu. Deshalb soll das oberste, indische Gericht angeblich vor zwei Jahren den kompletten Abriss angeordnet haben, falls keine Maßnahmen dagegen erfolgen. Damit setzen sie die Tradition der Briten fort, die ebenfalls den Abriss schon geplant hatten, um das wertvolle Material nach England zu verkaufen. Doch bis jetzt konnte sich die Anlage der Vernichtung erwehren und das größte Liebessymbol der Menschheitsgeschichte währt fort.

Nicht weit erstreckt sich wie erwähnt das Rote Fort, im Gegensatz zur Liebe der Kampfschauplatz von Agra. Und wie in der Liebe ist auch bei diesem Rottorort im Krieg alles erlaubt gewesen, was der Verteidigung diente: Schlangen und Krokodile im Wassergraben um die Mauern; gewundene Toreinfahrten gegen rennende Elefantenangriffe und deren Kraftentwicklung gegen die Mauern; schwere Kugeln, die den Feinden auf der Einfahrt entgegen rollen; heißes Pech an den Wänden gegen Kletteraktionen; enge Gänge, um viele Feinde hintereinander zu drängen und versteckte Kammern für die eigenen Krieger; sowie Bogenschützen auf hohen Stellungen darüber und Hohlräume in den Wänden, um eine Arte Morsekommunikation zu ermöglichen. Heutzutage liefern sich dort eher Affen, Streifenhörnchen, Papageien, und neben anderen Beutetieren wie Tauben oder Krähen auch Milane schwerste Kämpfe ums Überleben.

Allerdings wurde auch stark gefeiert, innerhalb dieser Mauern. So konnte sich der Mogul oft nur schwer motivieren morgens aufzustehen um den Regierungsgeschäften nachzugehen. Da jedoch keiner den Mut aufbringen konnte den obersten Machthaber zu unliebsamer Mittagsstunde zu wecken, mussten Konkubinen mit Glöckchen an den Knöcheln hinter dem Schlafgemach des Moguls in einem Lüftungsgang wandeln, um ihn auf diese Art unentdeckt zu wecken.

Agra: Rotes Fort
Agra: Rotes Fort

Der Oberkellner im Hotel ist allerdings ein schleimiger Typ, der die Lehrlinge scheucht und den Kunden mit Grinsen und Schmeicheleien das Geld mit Hilfe einer doppelten Bedienungsgebühr für die zusätzlich extrem überteuerten Getränke aus der Tasche zieht. Selbst von der ohnehin schon teuren Rechnung noch rundet er großzügig den Betrag zum eigenen Vorteil auf.

 

13. Tag – Krankes Delhi

Die größte Stadt Nordindiens besteht eigentlich aus sieben Städten, wovon Neu Delhi die jüngste, gleichzeitig die Hauptstadt ganz Indiens und eigentlich nur das Regierungsviertel ist.

Der Rauch hat sich gegenüber den Anfangstagen weitgehend gelegt, so dass nun auch Teile der Stadt sichtbar werden. Sanjay bringt uns noch einmal die letzten Denkmäler seiner Kultur nahe, bevor die Entscheidung fällt, wer nun doch vor dem Fürsten vorsprechen darf. Darunter zählt auch die sogenannte Freitagsmoschee, die nicht nur mit einer Fotogebühr von 4 Euro (pro fotofähigem Gerät, nicht pro Nutzer!) aufwartet, sondern auch eine komplette Verhüllung für Frauen ab der Taille fordert. Letzteres wird aber meist nur für Ausländer durchgesetzt, obwohl alle ersichtlichen Frauen lange Hosen tragen. Man spürt förmlich die Abneigung zwischen Moslems, Hindus und den restlichen Besuchern an diesem Ort. Vielleicht nennt man das „negative Schwingungen“ auf esoterisch.

Delhi: Akshardham-Hindu-Tempel, Freitagsmoschee, Diebensmarkt
Delhi: Akshardham-Hindu-Tempel, Freitagsmoschee, Diebensmarkt
Delhi: Kabelkunst am Diebesmarkt, Indisches Tor, Papageienfamilie, Quwwat-ul-Islam mit eiserner Säule
Delhi: Kabelkunst am Diebesmarkt, Indisches Tor, Papageienfamilie, Quwwat-ul-Islam mit eiserner Säule

Direkt nebenan liegt sich auch gleich der Diebesmarkt. Hier werden gestohlene Waren angeboten, hauptsächlich Autoteile. Nicht weit davon entfernt befindet sich das Polizeihauptquartier. Man kennt sich, man duldet sich. Insofern ist es das vielleicht beste Beispiel für die tiefgreifende Toleranz gegenüber anderen Überzeugungen in der indischen Gesellschaft.

Die verfallene Moschee Quwwat-ul-Islam mit ihrer Art „Turm zu Babel“ bildet den Abschluss der Indieneinführung und hinterlässt wie so oft mehr Fragen als Antworten. So rätseln wir noch eine Weile darüber, weshalb eine 1600 Jahre alte Eisensäule einfach nicht rosten will, obwohl zwischen 85 bis 98 % aus reinem Eisen besteht. Aber den Willen zum Widerstand hat Indien eben. Mahatma Gandhi hat damit schließlich das moderne Indien begründet!

Am Ende des Tages werden die ersten zurückgeschickt. Manche reisen weiter nach Goa, um dort ihr Glück zu suchen. Offensichtlich hat der Bestechungsversuch von Tag 5 doch nicht ganz so funktioniert wie erhofft. Wir aber bleiben. Offensichtlich haben wir uns außerdem doch noch mit einer Krankheit infiziert, wenn auch nur einer gemeinen Erkältung. Ob das der Grund ist, weshalb wir bleiben dürfen? Doch dann erfahren wir: auch für uns geht die Reise weiter – nach Osten und es folgt…

 

...der II. Teil der Indienreise (bald im Internet Ihrer Nähe!)


Noch kurz zur Herkunft der Nordinder und der Indogermanischen Sprache:

Rajputen stammen anscheinend von den Hunnen ab (Geo-Epoche Nr. 41, 2010). Sie lösten nicht nur in Europa die Völkerwanderung und damit sowohl das Mittelalter aus, als auch die heutigen Kulturen vieler westlicher länder wie Spanien, Italien, Frankreich, Deutschland, England oder Polen, ja vielleicht sogar die slawische Entwicklung überhaupt; sondern zerstörten auch in Indien und Zentralasien das Gupta-Reich und trugen zur noch heute erhaltenen Raja-Herrschaft - also vieler kleiner Fürsten – bei. Wenngleich die Raji / Rani keine Staatsgewalt mehr besitzen, sind sie doch oft einfach nur noch reich. Erst die islamischen Eroberer haben später wieder Großreiche wie das Sultanat von Delhi (bis zum 15. Jhdt.) und das Mogulreich (1526 – 1707 bzw. 1858) mitsamt der typischen orientalischen Architektur die Spitz-Rundbögen hervorgebracht. Mit den Aryas (oder „Ariern“) und damit der ersten Kultur, welche die Veden, das Sanskrit und das Kastensystem erschufen und möglicherweise von den Kaukasiern abstammen, veränderten und erschufen also insgesamt drei Kulturen den heutigen Mythos „Indien“ als exotisches, unverständliches Land. Eroberer wie Alexander der Große, Dschingis Khan und selbst die zwei Jahrhunderte währende Kapital- und spätere Kolonialherrschaft der Briten hatten dagegen kaum Einfluss auf Indiens Kultur. Und auch die erste Hochkultur von Harappa hinterließ anscheinend keine nennenswerten Spuren.