Hin und wieder zurück – Die Geschichte eines Hobb…ysoldaten (W9 / GWDL)!

Reflexion ein Jahr nach der obligatorischen Soldatenzeit

 

Vorweg: Leider habe ich kein Tagebuch geführt, da ich damals einfach keine Zeit dafür hatte. Diese Aufzeichnung beruht lediglich auf meiner einjährig zurückliegenden Erinnerung.

G3  (Baujahr: seit  1950er)
G3 (Baujahr: seit 1950er)

Teil 1: Die Grundausbildung - oder: Am liebsten wär' ich KZH bis DZE

Inhalt

Teil 1: Die Grundausbildung

      I.    Musterung

      II.   Der 1. Tag

      III. Die Grundausbildung…

  • Donnerstag, 13. Oktober
  • …Der Orientierungsmarsch

  • Ein paar Worte zum Lehrplan:

    • Waffenausbildung

    • Sanitätsausbildung

    • ABC-Ausbildung

    • Hindernisbahn

    • Formaldienst, Gelöbnis

    • EAKK-Ausbildung

    • Theoretische Lehrveranstaltungen

    • Sport

    • Wachausbildung

  • Biwak #1

  • Biwak #2

  • „Alltag“ einer AGA

  • Die ham‘ doch den Schuss nicht gehört! – Das Schießen

  • Rekrutensichtung

    • Auskleidung

  • Zugabend

    • AGA-Ende

      Angehängt:

  • Dienstgrade der Bundeswehrstreitkräfte

Teil 2: Die Gefreitenzeit...

     IV. Die Gefreitenzeit...     

     Angehängt

Abkürzungen:

ABC:             atomare, biologische, chemische Kampfmittel

AGA:             Allgemeine Grundausbildung

BW:               Bundeswehr

DZE:              Dienstzeitende

EAKK:           Einsatzvorbereitende Ausbildung zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung

G3:                 Gewehr 3 (der Firma H&K)

G36:               „Gewehr“ 36 (der Firma H&K)

Grpfhr          Gruppenführer

GWDL / W9: Grundwehrdienstleistender / Wehrdienst 9 Monate

HiBa:              Hindernisbahn

KrKw:            Krankenwagen

KZH:              Krank zuhause

MG(S4):         Maschinengewehr

MPG:              Manöverpatronengerät

NATO:           Nordatlantik-Pakt

OFw:              Oberfeldwebel

OLt:                Oberleutnannt

P1:                  Pistole 1 (Firma Walther, Nachfolger Walther P1, ähnlich der berühmten Weltkriegswaffe „Luger“)

PFT:               Physical-Fitness-Test

PiBtl:              Pionierbataillon

PK:                 Personenkennziffer

S-Draht:         NATO-Draht

SGA:              Spezialgrundausbildung

Stuffz:            Stabsunteroffizier

UTM:             Universal-transversaler Mercator (globales Koordinatensystem für Kartengitternetze)

T-Bereich:      Technik-Bereich



I. Musterung

Man hatte ja schon einiges gehört von unserer Armee, der Bundeswehr: Die saufen den ganzen Tag, lassen öfter mal Seife fallen und die Rekruten müssen die Toilette mit der Zahnbürste schrubben. So dachte ich größtenteils auch, um ehrlich zu sein. Zumindest solange, bis ich eingezogen wurde. Deshalb hier nun mein Bericht dieses umweltfreundlichen, sprich „Grünen Vereins“:

 

Bei der Musterung hatte ich noch gedacht: ‚Es sind so viele ausgemustert worden, die körperlich besser gebaut sind als ich, da wird man sich mit mir nicht begnügen wollen.’ Dementsprechend frohen Mutes bin ich nach Gera, zum Kreiswehrersatzamt im Bewusstsein, ohnehin nicht zum Bund müssen. Ein guter Freund beispielsweise wurde wegen seines Gewichtes von 54 kg ausgemustert. Ich wog 56 kg und meinte das würde nicht der einzige Grund werden.

   Aber natürlich kam es anders, andernfalls wäre dieser Bericht ja auch recht kurz. Nach gründlichen Voruntersuchungen, in denen ich reichlich Krankheiten angab (die ich wirklich irgendwann einmal hatte oder haben würde) und mich selbst im unteren Durchschnitt der Leistungsfähigkeit einstufte, sollte ich noch länger bleiben und an einem Test teilnehmen. Derweil war ein Großteil der anderen schon feiern wegen ihrer Ausmusterung (Ergebnis: T4 bzw. T5). Eigentlich hätte ich doch auch schon längst fertig sein müssen, meinte ich bei mir. Kein Zweifel: das musste also der berüchtigte Eignungstest sein! Ich hatte schon gehört: wenn sie dich länger dabehalten und nicht nur deinen Körper, sondern auch deinen Geist testen, dann hast du’s verbockt, dann bist du drin!

   ‚Na gut’, dachte ich, ‚mal sehen, ob das wirklich stimmt’, und gab wie immer meine volle Hirnleistung ab. Das Ende vom Lied war, dass ich nicht einmal Sani werden durfte. Alles wofür ich ausreichte war anscheinend ein Pionier, T3 gemustert. Verdammt, wie konnte es nur soweit kommen? Egal, bis sie einen ziehen, kann es ohnehin dauern! Falls sie mich überhaupt holen würden und nicht vergessen hätten, da ich aufgrund meines weit hinten im Alphabet zu findenden Namens schon früher des Öfteren mal übersehen wurde.

Nachdem meine Schulzeit also vorbei war und ich noch immer nichts von diesem Verein gehört hatte, obwohl sie schon anderthalb Jahr überfällig waren, entschloss ich mich nachzufragen, was nun sein würde. Denn ein Schulfreund, der später bei den Kanonieren landete, hatte ein paar Tage vorher seine Einberufung erhalten. Immerhin wollte ich ja auch nicht nach Beginn einer Ausbildung oder eines Studium plötzlich und ohne Vorwarnung im Dreck herum kriechen. Mein Wunschtermin lag so beim 1. Oktober 2005; Sommer war mir zu heiß und Winter zu kalt. Also dachte ich: ‚Bist du mal clever, gehst‘e halt im Herbst’.

 

   Zwei Tage nach meinem Brief erhielt ich auch schon Antwort, dass es am 4. Oktober losgehen würde. Scheiße, also doch! Bis dahin hatte ich noch gehofft, sie würden mir schreiben, ihre Kapazitäten seien erschöpft, oder zwecks strukturellen Planungen würde man nur noch das nötigste Menschenmaterial nehmen oder so was in der Art. Man hatte ja schon manchmal gehört, die Bundeswehr würde zur Berufsarmee umstrukturiert werden und so die Zahl der neuen Rekruten herunterfahren. Tja, da war unsere Generation wohl zu früh dran. Aber egal, würde ich mir eben noch ein wenig Geld vor dem Studium dazu verdienen und außerdem dachte ich ja immer positiv – bis zum 4. Oktober.

 

II. Der 1. Tag

Geheimes Satelliten-Puzzle-Bild von der Kaserne-Langenberg
Geheimes Satelliten-Puzzle-Bild von der Pionier-Kaserne-Langenberg - Was ist was?

Der erste Oktober war ein Samstag, der dritte Nationalfeiertag und der vierte Dienstag. So machte ich mir klar, dass es schon am ersten Tag nur noch 4 Tage bis zum ersten Wochenende waren, welches ja bekanntlich nicht frei sein würde, weil es das in der ersten Woche halt grundsätzlich nicht ist. Die Neuen sollen ja lernen, sich nicht mal schnell zu Hause verkriechen zu können vor der großen, bösen Welt.

   Es ging also los. Mein Vater lieferte mich und Christian Turn, den ich von der Schulzeit noch her kannte, vor der Pionierkaserne in Gera ab. Soviel wussten wir schon: wir würden Pioniere werden! Laut Hörensagen sollte es die härteste Einheit sein, weil die Pioniere immer unter Beschuss arbeiten müssten und immer die ersten vor Ort waren. Nun ja, wir würden sehen.

   In Gera nun musste erstmal die Kaserne gesucht werden. Die nämlich lag außerhalb der Stadt in Langenberg: ein ziemlich langer Weg zum Berg. Um 9.00 Uhr sollten wir dort sein und es war schon dreiviertel. Man hört ja immer, wie die Armee auf Pünktlichkeit und dieses ganze Disziplinzeugs erpicht ist.

   Vor Ort sollte man sich im Mannschaftsheim einfinden, um dort von einem künftigen Vorgesetzten in die Kaserne geleitet zu werden. Das Besondere an der Kaserne in Gera war, dass sich dieses Mannschaftsheim außerhalb vom umzäunten Gebiet, also im militärischen Bereich, nicht aber im militärischen Sicherheitsbereich befand – Vorsicht: Unterschied!

   Entgegen aller Pünktlichkeitsvorstellungen waren wir jedenfalls so ziemlich die ersten, was uns später zugute kam, da wir nach unserem Eintreffen in unsere Gruppen eingeteilt wurden. So saßen wir, die wir schon auf unser Urteil auf der Schlachtbank warteten, also still auf eben dieser und sahen zu, wie sich langsam immer mehr Schlachtvieh dazu gesellte. Nur Christian und ich unterhielten sich hörbar, die anderen warfen uns ab und zu einen verstörten oder bisweilen auch missbilligenden Blick zu.

   Irgendwann wurde es dann mal um zehn, als die letzten eintrafen und es auch schon losging. Wir wurden in Züge und Gruppen verteilt und sollten uns mit unseren Taschen und Rucksäcken in einer Reihe je nach Gruppe vor dem Gebäude aufstellen, …äh, also antreten. Christian und ich waren dem 3. Zug, 1. Gruppe zugeteilt. Irgendwie kam ich mir ziemlich bescheuert vor, in einer Reihe mit diesen ganzen unbekannten Menschen in ein umzäuntes, bewachtes Gebiet zu marschieren, dessen Tor nur per Knopfdruck vom Wachlokal aus zu öffnen ging, während alle anderen um uns herum in Tarnfleck gekleidet ihr Lachen kaum verkneifen konnten. Ja, alle anderen waren schon Gefreite und es gab keine Rekruten mehr, die man sonst auslachen konnte, außer uns. Und wir Trottel grinsen auch noch zurück, nichts ahnend! Halb Witzfigur, halb frischer Knastbruder wurden wir so zum Lehrgebäude geleitet, um die erste Untersuchung zu erleben. Nachdem noch mal alles gecheckt wurde, kamen die Belehrungen: stoßweise flog das Papier über uns herein und wir unterschrieben einfach alles! Frage mich bis heute, was gewesen wäre, wenn wir was nicht unterschrieben hätten.

   Unterdessen stellte sich unser Feldwebel, sorry, Oberfeldwebel vor und erzählte uns Familiengesülz, was eigentlich niemand wissen wollte, aber wir wohl alle ewig im Gedächtnis behalten werden: z.B. dass er jetzt, kurz vor Weihnachten (Erinnerung: es war der 4. Oktober) noch Geschenke brauchte für seine Kinder und (da selbst „Playmobil“ die Preise anzog) er auch kein Problem damit hätte eine längere Schicht zu schieben, falls wir das nötig hätten und falls also „nachbereitet“ werden müsse. Diese Floskel benutzten sie immer, wenn sich die Herren Ausbilder mal fein ausdrücken wollten und entgegen ihren vulgären Sprüche, die sie sowieso nur aus dem Internet hatten, sich auch mal ehrenhaft zu präsentieren versuchten. Aber zu welchem Zeitpunkt sie diese Sprüche losließen - das muss man ihnen zugestehe - das hatte schon etwas von Timing. Wie z.B. beim allmorgendlichen Antreten: „Und wenn der Himmel voller Fotzen hängt – hier unten rührt sich kein Glied!“ In der Unteroffiziersschule muss ein Fach extra für dumme Sprüche geben.

   Außerdem sollte uns eine besondere Ehre zuteil werden, da eigentlich zu Ausbildungszwecken ein Stabsunteroffizier unsere Gruppe leiten sollte, und der Oberfeldwebel eigentlich nur die Schirmherrschaft über uns alle samt Stabsunteroffizier hatte. Daher sollten wir den Unteroffizier auch „Papa“ und den Feldwebel „Mama“, äh nein: „Opa“ nennen. Doch diesen Versuch hat der Herr Oberfeldwebel dann nach ein paar Wochen schnell wieder aufgeben. Es war wohl doch zu lächerlich.

   In dieser Untersuchungs- und Unterschreibungszeit merkte ich aber bald, dass noch ein Jenenser unter uns in meiner Gruppe war: Winsche, hieß er mit Nachnamen. Überhaupt sprachen wir uns in den ersten ein bis zwei Monaten nur mit Nachnamen an. Die Vorgesetzten taten das so und es waren einfach zu viele Kameraden, als dass man sich alle ihre Namen hätte merken können. Jedenfalls bekam ich schon dort meinen ersten Anschiss, da ich meine Umgebung erstmal vergessen und ein munteres Gespräch mit ihm angefangen hatte. Das musste dem Oberfeldwebel irgendwann doch zu bunt geworden sein und er fuhr das erste Mal aus seiner zugegeben recht dünnen Haut. Da dachte ich noch ‚Na, lass den mal schreien’.

   Nach diesem ganzen formalitären Quatsch bekamen wir die Zimmer zugewiesen. Da fühlte ich mich endgültig wieder in die Klassenfahrt- und Jugendschullandheim-Zeiten zurückversetzt, denn es wurde sich tatsächlich um die Zimmer gestritten. Die Schlüssel wurden an ein paar Leute ausgeben, die halt gerade so herumstanden und es wurde getauscht, gefeilscht und gezetert. Bis endlich ein Vorgesetzter den Plan vorlas, nachdem wir schon von vornherein aufgeteilt worden waren. Ja, wir waren schon Tage vorher in unsere Gruppen verteilt wurden! Man fragt sich möglicherweise nun, warum ich das erst anders berichtete. Nun, komischerweise waren diejenigen, die zuerst in der Kaserne angekommen waren auch in einer Gruppe und wir wurden nach „Raucher“ und „Nichtraucher“ gefragt, worauf ich schloss, spontan zugeteilt worden zu sein. Doch jetzt der Plan mit den Namen? Und so schnell, das wusste ich damals schon, ist die Bundeswehr nicht.

   Jedenfalls kamen wir darauf dann auf die Zimmer …ach, nein. Schon wieder so ein arger Versprecher: es muss „Stuben“ heißen. Stube 116 war unsere - an sich eine leicht zu merkende Zahl, was wir in den darauf folgenden Monaten allerdings nicht mehr fanden.

Ein Spind
Ein Spind

   Dort war der persönliche Kram schnell verstaut, die „Begrüßungsgeschenke“ rasch erfasst und die Stube an sich bot ja keine besonderen Merkmale: Zwei Fenster, eine Tür, ein Tisch, zwei Lamellenneonröhrendeckenlampen, zwei Heizkörper, 8 Stühle (zwischendurch änderte sich deren Anzahl immer mal, am Ende waren’s dann zehn), 8 Betten, 8 Spinte (ja, ausdrücklich mit „T“ laut unseren Ausbildern), und ein paar Rohrleitungen (wie haben wir die gehasst!). Alles in allem eine Acht-Mann-Stube. Die Begrüßung bestand in einem Notizheft („Dienstbuch“), einem Bleistift, einem Radiergummi, einem Metall(!)spitzer und einem Bw-Gesetzbuch. Der Bleistift hat nicht einmal die erste Woche überlebt!

   Und was macht man als erstes in einem neu anmutenden Zimmer, das man für drei Monate beziehen soll? Na klar, erstmal die Betten testen. Bald wurde uns allerdings klar, dass diese den Standard des Bundeswehrniveaus maßen: unter aller Sau!

   Einen Beutel mit unserem Mittagessen vor uns stehen habend setzten wir uns also an diese zwei Tische, auf die acht Stühle und aßen missmutig unsere neun Beutel (Frage bitte niemand woher der neunte Beutel kam). Noch hatten wir uns nichts zu erzählen. Daher war es die ganze Zeit über recht still. Bis jemand die glorreiche Idee hatte, die wohl jedem im Raum das Essen schmecken ließ, nämlich das Schweigen zu brechen und einander nach der Herkunft zu fragen und dieser jemand fing auch an: „Tja, also ich bin Schelle, komme aus Schmölln und mehr gibt’s da auch nicht zu sagen.“ Und so ging es die Reihe um: Weigel, Turn, Winter (ich), Schmitt, Partius, Dabiosch, und Winsche hießen die Kameraden, die doch eine gewisse Treue erfahren sollten.

   Später wurden noch die Klamotten geholt. Und da soll noch mal jemand sagen, ein Soldat besitzt nur die Kleider, die er am Leib trägt! Eine riesige Kampftragetasche (die im Kampf garantiert niemals zum Einsatz getragen wurde) und ein Seesack wurden prall gefüllt. Die Kleidungsliste reichte von der schicken Badehose in blau (die einem mit Sicherheit alles abgeschnürt hätte) bis zu den lackierten Ausgehschuhen.

   Sonderbarerweise sollte das die einzige Nacht sein, in der wir bis 1 Uhr auf waren (abgesehen von der Wache und vom Biwak). Die Schlafenszeit wurde manchmal später aber auch noch anders eingeläutet und fast schon zelebriert.

   Die erste Zeit wurde nur blau getragen, das heißt Sportanzug. Oh, wie wünschten wir uns, endlich einmal die grünen Uniformen tragen zu können, was am dritten oder vierten Tag geschah. Und wie wünschten wir uns am 5. Tag wieder blau anziehen zu können!

 

III. Die Grundausbildung…

…auch „AGA“ genannt - nach „Allgemeiner Grundausbildung“ - sollte uns noch ein Begriff für Dummfick werden. Blöderweise gibt es beim Bund derart viele missdeutige Abkürzungen und direkt in der Nähe von Langenberg gleich zwei Nester namens „Klein Aga“ und „Groß Aga“, so dass man nicht gleich wusste, wovon die nun sprechen. Und wenn man nachfragte „Meinen Sie jetzt die Grundausbildung?“, kam die patzige Antwort:

„Ja ’türlich oder was heißt hier sonst noch ‚AGA’? Und seit wann sprechen Sie überhaupt im Dienst ohne gefragt worden zu sein?“

„Nun, sorry…“

„Ein Soldat entschuldigt sich nicht!“

„Tut mir l…“

„&%=?§ !!!“ (wutschäumendes Grunzen)

   Die nächsten Tage vergingen äußerst schleichend und mit dem Erlernen von Dienstgraden, dem NATO-Alphabet, diversen anderen unnützen Dingen – also wie eigentlich der ganze Rest der AGA oder auch der ganze Rest der Bundeswehrzeit.

   Weigel hatte gut lachen. Was das NATO-Alphabet anging, hatte er es immerhin als Kopie an seinem Spind hängen. Glückerweise wurde aber den anderen von den weltweiten Rundfunkanstalten mittels eines Liedes Starthilfe zum Lernen gegeben. Wer sich noch an den Herbst ’05 erinnert: „Foxtrott, Uniform, Charlie, Kilo …“: F.U.C.K. von der Bloodhound Gang. Immerhin, vier ziemlich passende Buchstaben hatten wir schon mal.

   Was sonst noch lief? Vor allem wir! Es wurde Antreten geübt. Unsere fünf Ausbilder Stuffz Attila Keschkes (oder wir er auch immer geschrieben wurde), Stuffz Praiss („Papa“ oder „Der Praiss ist heiß“), Feldwebel Fänger („Das Arschloch“), Feldwebel Freesen (der Beste, weil fast nie da), Oberfeldwebel Kießler („Opa“) und der seltene Hauptfeldwebel Kolpe („der Spieß“) hatten Gefallen daran gefunden uns rennen zu sehen. Eigentlich waren es sechs ihrer Sorte: ein gewisser Unterbergwebel Oberfeld (oder anders herum?) kam als stellv. Zugführer immer mal reingeschneit, wenn es ihm passte und seine Hauptaufgabe „Anscheißer im 2. Zug“ ihn wieder mal nicht erfüllte, weil die dort grundlegend immer angeschissen waren. Im Grunde kein Wunder, denn ihr Zugführer Oberfeldwebel Schaibe hatte den Namen mit der Tat. Soll heißen, im Nachbarzug gab es nichts zu lachen.

   Aber wir rannten auch: aus den Stuben, zurück, schneller aus den Stuben, schneller zurück, noch schneller zurück, und zu langsam in die Stuben, so dass es am Ende ganz schnell ging. Nur leider war das den Ausbildern immer noch zu langsam und sie bildeten in diesen Tagen ihren Lieblingsspruch aus: „Noch maaal“. Immer, wenn wir in richtiger Position, nach Größe und genau mit den Füßen an der Linie standen (wir atmeten schon gar nicht mehr) und der letzte, kleinste Mann sich die Seele herausgeschrien hatte: „ZUG STEHT“, hörte man ein leises Auftreten von schwarz glänzenden Stiefeln, dessen stinkender Inhalt uns bald darauf mit eben jenem Spruch belehren wollte: „Noch maaal!“. Man konnte es oft schon am Klappern seiner Schuhe hören, wie der diensthabende Unteroffizier gewillt war.

  Und was man sich nicht alles für Zahlen hat merken müssen. Die PK (Geburtsdatum-ErsterBuchstabeDesNachnamesn-IrgendeineFünfstelligeZahl), die Waffennummer (119969…), die Waffenkartennummer (111), die Stubennummer (116), seine Einheit (7./701 PiBtl Gera) und am Ende sogar wie man heißt. Ja, genau, denn im Unterschied zu „draußen“ (wie die verlustig gegangene Freiheit oft und gerne genannt wurde) hatten wir alle die gleichen Vornamen: Pionier. Nun also begann die Waffenausbildung, also das Erlernen des Umgangs des Grundhandwerkszeugs des Soldaten – sollte man meinen. Aber wir waren ja nun Pioniere und da hieß es später dann eher erstmal „Klappspaten frei“.

 

Die Tage vergingen. Langsam, aber sie taten es. Von 0530 bis meist 2200 gab es selten Unterschiede und wenn doch, wünschten wir die Eintönigkeit zurück. Anekdoten wurden erzählt, über die Geschichten Ehemaliger und über diejenigen, die es - so hofften wir noch immer - einmal sein würden. Wir ließen uns immer wieder von Schauermärchen übermannen, wie z.B. man könne auch durch die AGA durchfallen und irgendjemand kennt jemand, der sie in neun Monaten dreimal hinter sich gebracht haben soll. Doch zum Glück kam dann immer ein sinnloser Spruch, wie „Wenn du dich auf zwölf Jahre verpflichtest, wie viele AGAs wären das dann?“ und die Geschichte endete im Spott. Richtig sicher waren wir uns aber nie und so fieberte wohl jeder dem Heiligen Feste entgegen, in diesem Jahr besonders, denn es bedeutete einen kleinen Aufstieg in der Rangordnung und in Sachen Freiheit. Ein wichtiger Schritt dorthin versprachen wir uns von den Erkennungsmarken und dem Truppenausweis. Zumindest standen sie als Symbol dafür ein. Denn die Rekruten hatten nur einen „Muttizettel“ als Ausweis und was die Erkennung angeht, so wäre es im Falle des Kampfes egal gewesen, welcher der Rekruten da im Staub gelegen hätte. Die Marken zählten ebenso wenig wie der Rekrut selbst. Darum kam es für uns als eine Art vorzeitige Beförderung vor, als unsere Gruppe 1 als erste die blanken, ungestanzten Marken bereits ausgehändigt bekam. Selbst unter Dusche nahmen wir sie nicht ab, es wäre ein schlechtes Omen gewesen, behauptete wieder jemand! Die anderen Rekruten schienen sich nur darüber zu belustigen, doch wussten wir das Funkeln in ihren Augen zu lesen und konnten den Neid darin deutlich erkennen.

 

So viel zur ersten AGA-Woche. Nun ging es auf das erste Wochenende zu und wir dachten an lange Tage mit Waffenausbildung und viel Unterricht, denn man hatte uns schon gesagt, dass das erste Wochenende bei der Familie verbracht werden könne – also dem Zug. Und falls den Ausbildern danach ist, würde es die nächsten Wochen so weiter gehen. Wenig später merkte man, dass selbst wir dem Glück noch nicht gänzlich entkommen waren und aus einer spontanen Laune heraus gewährte uns der Spieß für ein paar Stunden die Freiheit. Dumm nur, dass ich nicht mit dem Auto da war, weil mein Vater uns ja gebracht hatte. Mit dem Zug fahren konnten wir auch nicht. Es hätte viel zu lange gedauert und unsere Bahnberechtigungskarten waren noch nicht fertig. So überredeten mich Turn und Winsche, meine Mutter anzurufen und zu bitten, sie solle uns abholen.

   Nun ja, eine Dreiviertelstunde war bereits vergangen, ­als Winsche beschloss mal eben an einer Tomate aus dem Verpflegungsbeutel zu ersticken. Er ist gerade dabei, sich über dessen Inhalt herzumachen, da sehe ich schon mein Elternteil einbiegen und meine nur, er solle sich beeilen mit dem Ding, sie wäre gleich da. Und er tut wie ihm geheißen und stopft noch schnell das ganze Stück Gemüse in sich rein! Bald sah sein Kopf so aus wie die Tomate selbst: hochrot und angeschwollen. Nach einigen Sekunden der wirren Versuche diese tödliche Vitaminschleuder aus ihm heraus zu prügeln konnten wir diese Aktion kaum fassen. Wenn uns nicht die Ausbilder umbringen, dann doch wenigstens das Essen!

 

Das nächste Überlebenstraining ließ nach dem Wochenende nicht lange auf sich warten: Ein Marsch stand an. Der Eingewöhnungsmarsch. Nun, im Grunde nichts Besonderes. Doch zur „Eingewöhnung“ schon recht hart, denn das gesamte Gepäck war dabei, mit Ausnahme des Schlafsacks. Ein Marsch an sich war es nicht, eher eine kontinuierliche Steigerung der Renngeschwindigkeit. Borosow aus der Nachbarstube mit seinen kurzen Beinen vorneweg. Klar dass der nicht so schnell laufen kann, aber Keschkes trieb ihn immer wieder zum äußersten Tempo. Dadurch zog sich die Reihe natürlich nach hinten und die letzten mussten noch schneller rennen als die ersten. Das ist sowieso ein Phänomen, was mir bis heute noch verschlossen blieb. Aber es schlaucht die letzten extrem! Wie freuten wir uns deshalb auf das kühle Waldstück! Es war zwar Herbst, aber dieser gab sich Oktober ungewöhnlich warm.

   Zum Ende hin wurde die Geschwindigkeit dann selbst von Keschkes immer langsamer und wir lösten uns in die Schützenreihe auf. Allerdings war da noch nicht bekannt, dass diese Formation so hieß, sie war einfach angenehmer zu laufen, so befohlen es die Ausbilder netterweise. Doch solche Vergünstigungen hoben sich bald auf. Zwar traten wir dem Vordermann jetzt nicht mehr in die Haxen, aber Kießler nervte uns mit seiner speziellen Durchhaltemethode, fragte z.B. wie viele Sitze der Bundestag derzeit hat, welche Parteien an der Macht waren und lauter überflüssigen Stuss. Doch da merkte ich, dass die totale Erschöpfung und der Drill, mit der er uns auch durch die Flur jagte, das Denken vergessen lassen. Du konzentrierst dich nur noch aufs Durchhalten. Deshalb musste ich mir von ihm auch mal wieder den Sinnlosanschiss anhören, von wegen „Abitur und müsste das wissen“ und „Winter, kommen Sie! Strengen Sie endlich mal ihr Gehörn an! Wenn Sie mir das jetzt nicht sagen, laufen gleich alle noch eine Kasernenrunde!“ Na ja, bei so was sagst du dann einfach irgendwas, dann macht er dich zwar rund wegen der falschen Antwort, aber es trifft wenigstens niemanden der Kameraden, die dann verständlicherweise verflucht sauer wären. Später weiß man dann, dass er das nicht gemacht hätte, aber was hilft’s dann noch!

 

Die Tage verkürzte man sich mit dem Warten auf das Wochenende, dazu wurde jedem einzelnen Wochentag eine besonders liebevolle Bezeichnung gegeben:

 

Montag – Anreisetag

Dienstag – Vizebergfest

Mittwoch – Bergfest (Vizepacktag)

Donnerstag – Packtag (Vizereisetag)

Freitag – Reisetag

 

Donnerstag, 13. Oktober:

Wieder eine Bestätigung dafür, dass nicht nur Freitag der 13. ein Tag ist, an dem man besser im Bett bleiben sollte:

Ich war schon die Tage zuvor ein wenig erkältet und überlegte, ob ich mich nicht beim morgendlichen Antreten lieber „erkältungskrank“ melden sollte, tat es dann aber nicht, da ich diesen Gedanken die Tage zuvor schon verabscheut hatte und die Ausbilder meinten, man solle sich nicht bei jedem Kinkerlitzchen ins Bett verkriechen.

   So stand ich denn mit der Hoffnung auf, das Bisschen Waffenausbildung, was am Dienstplan stand würde den Tag nicht weiter trüben und der Nachmittag war größtenteils ohnehin frei. Ich sollte mich schwer irren…

   Schon die Waffenausteilung hätte mich stutzig machen müssen. Nur die 1. Gruppe bekam die MGs – zum Tragen! Dummerweise gehörten auch wir zur 1. Gruppe und ich wusste, das MG würde 11,5 kg mehr Gewicht zu meinen sowieso strapazierten Schultern beisteuern. Die restlichen 30 - 40 kg der Standardausrüstung wie Gewehr G3, Koppel, Rucksack, ABC-Tasche und Feldanzug (mit Kampfstiefeln) versprachen ihr Übliches. Doch zum MG kam noch das Zubehör, wie Wechselrohr und Magazinbüchse. Nach einem Marsch von nur einem knappen Kilometer konnte ich wirklich keine Minute mehr stehen, so dachte ich. Aber das Absetzen der Ausrüstung war nicht erlaubt bis die vorhergehenden Gruppen nicht fertig waren. Und die räumten Gruppen erst einmal seelenruhig ihr Gepäck vom Rücken und spannten die Zeltplanen als Unterlage für die Übungsstationen aus. In der letzten Gruppe platziert stand ich dann noch an vorletzter Stelle in der Reihe mit den MGs und wartete mit schrecklichen Sekundentoden auf die erlösende Abgabe des MGs im Gelände. Ich: 58 Kilo, Ausrüstung: ca. 45 kg (Waffen: 15 kg, Gepäck: 20 kg Gepäck, Koppel + Feldanzug: ca. 10 kg). Nicht dass mir die Waffenausbildung etwas ausgemacht hätte, zumal es sich „nur“ um Wiederholungen von Vortagen handelte. Aber die anhaltende Erkältung - besonders die laufende Nase - und das regelmäßige Nasenbluten durch den anhaltenden Stress verursacht, lassen selbst die Mittagspause trüb aussehen.

   Ordentlich gegessen (aus der Feldküche mit Krautsuppe versorgt) und einigermaßen fertig vom ständigen Waffen-auseinander-friemeln, ging es anschließend zur Gepäckkontrolle. Ja, im Felde bei der Bundeswehr innerhalb des umzäunten Geländes! Abends zuvor hatten wir eine Liste bekommen, die uns mitteilte, was wir alles in den Rucksack zu packen hatten (später zeigte uns der Oberfeldwebel noch mal, wie alles gut in den Rucksack passt, schaffte es trotz genauen Probierens und einer ¾ Stunde jedoch selbst nicht - zum Vergleich: wir hatten sechs Minuten Zeit). Dabei hatte man uns gesagt, Unterhosen einzupacken läge im eigenen Ermessen und einen Rasierapparat brauchte ich auf Grund spärlichen Haarwuchses im Gesicht selten (schon gar nicht auf drei Tagen Biwak, dessen Grund diese ganze Vorbereitungs-Parade eigentlich war). Jedenfalls mussten wir alles rausräumen, was im Marschrucksack verpackt lag und ein Ausbilder strich ab, was wir hatten bzw. vermerkte sich, was nicht. Als Dank durften wir mit Ausrüstung (allerdings ohne den entpackten Rucksack und MG) im Laufschritt zurück zur Kaserne laufen, um die fehlenden Dinge zu holen. Als ich auf meinem Lauf kurz zurück blickte blieben vom gesamten Zug (Stärke: 36 Mann, ohne 5-10 wegen Krankheit fehlende Kameraden) genau 4 Leute zurück, trotz fehlerfreiem Packen auch Liegestütze probten, als wir wiederkamen.

   Ob wir in der Kaserne auf unseren Stuben nun wirklich die fehlenden Sachen geholt hätten oder nicht war schließlich völlig egal, da es nicht noch einmal kontrolliert wurde. Allerdings wollte es verständlicherweise niemand riskieren nochmal die insgesamt 1,5 Kilometer zu rennen.

   Zurück im Feld mussten wir alles so schnell wie möglich wieder einpacken (wohlgemerkt lag die gesamte Ausrüstung, die vorher im Rucksack durch die Landschaft geschleppt worden war, nun wild verstreut im Dreck). Sechs Minuten waren dafür vorgeben, für jede weitere musste der gesamte Zug eine Extrarunde laufen (etwa 300 Meter). Mit Hilfe von Kameraden, die nichts zum Einpacken hatten – sprich einer der vier übrig gebliebenen – schaffte ich das komplette Verpacken des Rucksacks jetzt ausnahmsweise mal als einer der ersten, in 5 Minuten! Was leider nichts zu bedeuten hatte, da es auf den letzten ankam (sozusagen das schwächste Glied der Kette) und dieser 13 oder 14 Minuten brauchte = gleich 8 Runden rennen. Nun fügten wir uns also unserem Schicksal und traten die „Erziehungsmaßnahme“ an, Strafe darf es laut Dienstvorschrift ja nicht mehr genannt werden. Für jeden Kameraden, der dabei etwas zurückfiel, kam eine Runde drauf, so dass eigentlich die Anzahl der Runden stetig wuchs. Glücklicherweise wurde dieser Wahnsinn nach 3 oder 4 Runden beendet, weil die Kurve der Strafrunden sonst ins unendliche und exponentiell angestiegen wäre.

   Danach: Gasmasken! ...’tschuldigung: „ABC-Schutzmasken“! Entkräftet stellten wir uns denn der weiteren Prüfung und rannten unter diesem scheußlichen Gerät ein paar Runden in der Gegend herum. Schon das Tragen der Maske ohne jegliche Bewegung ist verdammt anstrengend. Aber bei körperlicher Belastung bekommt man als ungeübter Soldat der Grundausbildung fast keine Luft mehr, vor allem wenn man auf Grund des Gedankens an die Atemeinschränkung allein schon Panik kriegt. Tja, Helme sollten dabei auch getragen werden, doch meinem fehlte leider der richtige Verschluss, so dass ich endlich die Maske nicht abnehmen konnte, bis mir jemand von außerhalb dieses Mikrokosmos zu Hilfe eilte. Der erwähnten Erstickungspanik wurde damit nicht gerade abgeholfen.

   Nun dachten wir eigentlich, dass der Tag stressig genug war und der Nachmittag frei. Leider lag der Weg vom Vormittag immer noch vor uns. Und jetzt rate mal einer, wer das MG trug. Das Verlangen nach Gerechtigkeit unsererseits wurde daraufhin vehement abgeschmettert, mit der Begründung, dass die Bundeswehr nie gerecht gewesen sei und das im Krieg ebenfalls am wenigsten der Fall sei. Wo sie Recht haben, haben sie nun mal Recht, leidlicherweise! Also zurück mit dem ganzen Zeug. Ich dachte mir als Ansporn: Was du heute Morgen schon mal geschafft hast, kannst du auch wieder schaffen. Doch schon das Schulterzerren und die verrutschte Koppel erinnerten wieder an die Realität. Zumal der Stuffz den Befehl „Marsch, Marsch“ mit, wie ich im Nachhinein hörte, einem Grinsen auf der Visage von sich gab. Das konnte doch nicht sein Ernst sein: 11,5 kg MG und der noch schwerer gewordene Rucksack und die… zwecklos alles aufzuzählen. Irgendwann konnte ich dann nur noch sehen, wie sich mein Oberkörper weit vor meinen Beinen befand, während sich die daran hängenden Füße mit aller verbliebenen Kraft über den staubigen Boden schleiften. Ein Kamerad ohne MG und mit freien Händen nahm mich stückchenweise an den Armen und schleifte mich fast hinter sich her, später nahm mir auch jemand das MG ab. Allein hätte ich es niemals geschafft und dann kommt da noch einer von hinten rangestürmt (Name zensiert) und meint, ich solle Platz schaffen und gefälligst etwas schneller laufen! Wenn ich die Kraft gehabt hätte, ich hätte ihn das Gewicht dieses verdammten MGs am eigenen Leib und mit Schwung spüren lassen. Doch so blieb es nur bei den selbigen Worten, bösen Blicken und der Ernüchterung, dass er ebenfalls eines dieser vermaledeiten Tötungsgeräte trug.

   Eine andere Sache bei diesem Gewaltlauf war die Tatsache, dass der Oberfeldwebel (Kießler) uns ständig aufforderte schneller zu laufen, während er anderen das MG abnehmen ließ, weil es ihnen sichtlich zu schwer war. Also entweder er ist von mir echt genervt gewesen oder er steckte meine Grenze liebevoll und absichtlich besonders hoch.

   Ach und mit dem freien Nachmittag wurde es auch nichts. Dieser wurde versperrt durch Waffenputzen, erneutes Beispielrucksackpacken und einem schriftlichen Test am Abend. Nichts Besonderes also, ganz normaler Bundeswehralltag…

 

 …Der Orientierungsmarsch:

Die zweite schwerere Prüfung für Leib und Seele kam mit dem Orientierungsmarsch. Es ging mit ca. 7 km um die Kaserne durch den Wald, und unser Gruppenführer Stuffz Praiss vorne weg. Wir hatten eigentlich alles vorher gelernt, was das Kartenlesen, das Kartenzeichnen, die Benutzung eines Kompasses mit und ohne Karte (z.B. auch den Gebrauch des NATO-Alphabets zum Enkodieren des UTM-Gitters), den Marsch in der Reihe und Schützenreihe und anderes anbetrifft. Man hatte uns sogar gesagt, wie wir die Stiefel anzuziehen hatten, um unschöne Blasen zu vermeiden.

   Also brachen wir auf um den Wald rund um die Kaserne näher zu erkunden. Dummerweise war Stuffz Praiss aber nicht von hier oder zumindest noch nie im Wald gewesen, weshalb die Gruppe „Charlie 1“ auch als erste losging und – man ahnt es schon – als letzte wieder zurück fand. Zum Glück hatte die Küche das Abendbrot noch für uns aufgehoben. Doch wie kam es dazu:

   Wir begannen damit, einen Marschbefehl bekommen zu haben. Dieser besagte, dass wir uns von den Punkten, die vorgegeben waren zu den anderen zu bewegen und unterwegs die richtigen Strecken zu finden hatten, ähnlich einer Schnitzeljagd. Doch zuerst musste eine Karte her. Aufgrund der vorgegebenen Daten und einer Geländekarte, die später wieder abgegeben werden musste, sollte nun eine eigene Skizze gezeichnet werden. Verständlicherweise fand sich niemand, der diese Aufgabe übernehmen sollte und da ich dachte, in künstlerischer Hinsicht immer ganz gut gewesen zu sein, mich des Zeichnens zu erbarmen. Hier nun die Worte, welche Oberfeld Kießler sprach, als er kurz nach der Fertigstellung mein Werk betrachtete:

„Das soll verdammt noch mal kein modernes Kunstwerk sein, sondern eine stinknormale Skizze! Sie haben ja noch nicht mal den Nordpfeil eingezeichnet und der Zaun fehlt auch! Gleich noch mal!“

Wir jedoch hatten keine Zeit, noch mal anzufangen und mussten uns damit schließlich zufrieden geben. Ich fand die Sache mit dem Nordpfeil damals eigentlich gar nicht so schlimm. Heute wird mir langsam klar, dass dies eine essentielle Information für die Kartenanwender darstellt. Armer Stuffz Praiss: umgeben von unfähigen Tölpeln. Na ja, hätte mir immerhin auch mal jemand sagen können, dass da was fehlt. Schließlich stand die gesamte Gruppe die ganze Zeit rund herum und glotzte.

   Wir machten uns also auf den Weg, ohne Ahnung, ohne vernünftige Karte, ohne richtigen Gruppenführer. Immerhin: in den Wald fanden wir uns noch. Die nächsten zwei oder drei Marksteine mit nächsten Anweisungen trafen wir auch noch an. Ab da wurde es jedoch eng – wenn auch nicht für uns, die hinterdrein trotteten. Je unsicherer sich die vorne mit meinem Kartenwerk waren, umso mehr Pause hieß das für die Nachhut. Da liegt man gemütlich am Wegesrand in einem Graben, hinter einem Baum, hat schön Stellung bezogen und ist fast schon am Einnicken. Wenn nicht ab und zu ein paar Wanderer vorbeikämen, gelänge das sogar.

   Das war noch der angenehmere Teil unserer Odyssee. Mal gingen wir den Weg zurück, mal kamen uns die anderen Gruppen entgegen. Endlich waren wir dann soweit in den Wald eingedrungen, dass selbst die Rehe, die uns sichteten, nicht fortlaufen wollten. Wir mussten demnach in Gebiete vorgestoßen sein, in denen diese scheuen Tiere noch keine natürlichen Feinde und gleich gar keinen Menschen je zu Gesicht bekommen hatten.

   Hier hinten bekam man von den Problemen des Gruppenführers Stuffz Praiss und stellv. Grpfhr. Kamerad Tenplim vorne ja nichts mit und so verloren wir langsam die Lust am vorsichtigen Vorstoßen und Tarnen. Der letzte Markstein musste ihnen den Rest gegeben haben. Später würde man behaupten, beide Kompasse (zu unserer Zeit waren das noch „Kompanten“) seien defekt gewesen. Bei den hornalten Geräten auch kein Wunder. Also schlugen wir uns durch halsbrecherische Brombeerbüsche und wandten diese seltsame Schrittmethode an, nach der eine bestimmte Schrittzahl eines Soldaten hundert Meter entsprechen sollten. Zu diesem Zweck hatten wir freilich vorher diese Zahl bestimmt. Nur leider schwankt sie häufig und ist am Berg ohnehin kaum zu gebrauchen, so dass wir uns noch mehr verfranzten.

   Irgendwie schaffte es die Führung dann doch noch aus dem Wald herauszufinden und das - oh Wunder - nicht in der Nähe der Autobahn, sondern auf einem Acker gleich neben der Kaserne. Noch die halbe Runde um den Zaun zurücklaufen und auch dieser Abschnitt lag hinter uns.

   Tja, wir hatten an diesem Tag irgendwie die Orientierung verloren. Passenderweise lief abends im Radio noch gerade „Von hier an blind“. Wir waren schon ein paar Helden!

 

Ein paar Worte zum Lehrplan:

In den Wochen vor, zwischen und teils auch noch nach der Wachausbildung, der Biwaks und der Sanitätsausbildung war die Ausbildung mit Waffenausbildung, EAKK („Einsatzvorbereitende Ausbildung zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung“), Gefechtsdienst, selteneren Schießübungen am Simulator in der Agnesruh (einem abgelegenen Teil der Kaserne, noch hinter dem T-Bereich), ABC-Ausbildung, Formaldienst, HiBa-Spurts („Hinternisbahn“), Lehrveranstaltungen im Schulungsgebäude und auch Sport gefüllt. Wobei der Sport allerdings oft so gelegt wurde, dass einem (kurz nach dem Frühstück) fast alles wieder hochkam. Oder sollte das am Ende so sein? Sollten wir uns etwa wie in „Band of Brothers“ die Seele aus dem Leib kotzen?

 

   Die Waffenausbildung war eine der wahrscheinlich verhasstesten Zeitvertreibe. Denn es bedeutete ein vorheriges Lernen von Waffenteilen, technischen Maßen und Regeln, im Dreck herumkriechen, das Zerlegen und Zusammensetzen der Kriegsmaschinen - später auch unter Drill - und das spätere Säubern der Zeltplanen und natürlich der Waffen selbst. Wer Feldwebel Fänger als Kontrolleur hatte wurde dabei nie fertig. Wahrscheinlich hat der selbst ins Rohr gespuckt, damit alles auch ja verdreckt blieb. Wenn die Stelle dreißigmal geputzt war, man selbst mit den Fingern drüber fuhr und sogar unter dem Mikroskop an ihnen kein Rußpartikel mehr hätte erkennen können, fand er eine ganze Lastwagenladung Dreck an eben jener Stelle. Vor allem Kamerad Weigel dürfte das Zerlegen der Waffen, deren Zusammensetzen, die anschließende Sicherheits- wie Funktions(über)prüfung mit gemischten Gefühlen betrachtet haben! Irgendwie fanden alle Ausbilder bei ihm immer wieder Fehler oder er schuf sie sich durch unglückliche Zufälle selbst. Wenn man mal von Stuffz Keschkes absieht, machten es ihm die anderen Ausbilder auch nicht gerade leicht eine Waffe in Ruhe zu benutzen. Aber wir hatten alle unsere Probleme, wenn schon nicht mit dem G3 oder dem MG dann wenigstens mit der P1. Man bedenke, dass diese Waffen - mit Ausnahme des G3 (Baujahr: 50-60er Jahre) - noch  aus dem letzten offiziellen Krieg auf deutschem Boden stammen. Entsprechend schossen sie auch: Hauptsache viel Feuer spucken. Treffer sind Nebensache. Und trotzdem war ich stolz, noch am G3 ausgebildet worden zu sein und nicht an dieser Spielzeugwaffe G36, womit ja jeder trifft. Gut, ich habe zwar mit dem G3 auch nichts getroffen, aber egal.

   Meistens fand dieses Prozedere in der bereits erwähnten Übungsfläche Agnesruh statt. Zwar hatte man von hier einen recht schönen Ausblick über Gera, doch es war immer soweit von unserer Unterkunft entfernt. Wahrscheinlich mochte ich es deshalb auch lieber, bei der alten Halle 56 angepöbelt zu werden. Aber zumindest hatten wir fast die ganze Zeit sonniges Wetter. Ich kann es nun mal auf den Tod nicht leiden mit triefenden Klamotten durch die Kante zu rennen, auch wenn das für einen Soldaten nicht die beste Voraussetzung ist.

 

   Die Sanitätsausbildung dagegen lief so ab, wie man sich das vorgestellt hatte: ganz smooth (oder wie die Jugend sagen würde: „gechillt“). Außer einer recht lustigen Freiluftübung hätte man fast die ganze Zeit durchschlafen können. Und endlich waren die Ausbilder(innen!) mal etwas reizvoller in ihrer Unterrichtsgestaltung. Entweder hatten wir Lehrveranstaltungen bei materialverantwortlichen Oberfeldwebeln („Also noch mal zum Merken und Mitschreiben: Wenn ihr mich im Gefecht seht: bloß nicht ansprechen!“), bei drei einfach nur kranken Hauptgefreiten bzw. einem zum Obergefreiten degradierten Kameraden (er hatte wohl des nachts vorm Fenster des Bataillionsführer im Suff geschrien: „Ich bin der Hauptmann! Ich bin der Hauptmann“), bei der Sanitätsstaffel unseres Standortes, oder bei kurvigen Stuffzinnen (die ersten Frauen dort seit langem!). Alles in allem also eine ganze Woche Sonderurlaub. Na zumindest im Vergleich zum restlichen Wahnsinn. Zwar war auch am Ende auch ein Test zu schreiben und die Abiturienten unter uns lernten sogar in alter Gewohnheit wie wahnsinnig. Immerhin war es auch ganz schön viel Stoff. Aber letztlich hat sowieso jeder bestanden.

   Was die Erste-Hilfe-Freiluftübung anging, so durften manche ihr schauspielerisches Talent erstmals unter Beweis stellen. Kamerad Gottwald machte sich zumindest ganz gut als durchgeknallter Verletzter. Ja gut, er stand oder Schock, aber ging uns das nicht alle 3 Monate in der AGA schon so? Und was Kamerad Turn angeht, so erzählt er heute noch von seinen verrückten Erlebnissen mit der schwarzhaarigen Stuffzin im KrKw.

 

   Gleichbedeutend mit der Waffenausbildung stand uns die ABC-Ausbildung bis zum Scheitel. Regelmäßig lasen wir sie auf dem Programm und je kälter es wurde, umso weniger klagte man darüber. Denn die Ausbildung bedeutete im Grunde nichts anderes als in kürzester Zeit die nötige Schutzkleidung anzulegen. Ob man es glauben mag oder nicht, aber das Ausziehen dieser Sachen war weit umständlicher! Denn unter Beachtung der Windrichtung und der kontaminierten Kleidung durfte alles nur in einer bestimmten, logischen Reihenfolge abgelegt werden, um nichts versehentlich von außen zu berühren. Ansonsten bestand die Gefahr nach (eventuell) erfolgreichem Durchschlagen durch verseuchtes Gebiet, erbittertem Kampf mit Gasmaske und weiteren Horrorszenarien doch noch umzukommen – nur weil man alles falsch ausgezogen hatte! Das wollte natürlich keiner von uns riskieren, auch wenn wir dadurch schon unzählige Male gestorben wären. Eigentlich wäre es im Falle des scharfen Einsatzes dieser Ausrüstung ohnehin zur nahezu hundertprozentigen Ausfallrate der Soldaten gekommen, da erstens bei weitem nicht genug davon vorhanden war und außerdem jene Schutzkleidung, welche vorrätig lag, von den Jahren ihres Daseins durchlöchert und letztlich völlig unbrauchbar geworden war.

   Oftmals wurde diese ABC-Ausbildung mit anderen Bereichen des soldatischen Könnens vereint, z.B. lief parallel für eine andere Gruppe Waffenausbildung. An jenem Tag stand der Gasalarm für uns am Ende des Ausbildungsziels. Schwer genug war es wieder einmal gewesen die maroden Anzüge rechtzeitig anzubekommen. Wir waren mit Gasmaske und dem ganzen Zeug eine gewisse Strecke durch mit Zitronensäure verseuchtes Gebiet marschiert und schließlich auch zum Ende gelangt, hatten zwar die Anzüge nicht ordentlich, vorschriftsmäßig ausgezogen, waren uns aber doch sicher, im Einsatz später schon genau darauf zu achten. Es ist ja auch so entsetzlich warm in diesen Dingern und die ABC-Schutzmasken beschlagen nach einer Weile immer so grässlich. Wir mussten uns jetzt ein wenig ranhalten, es war schon kurz vor 13 Uhr und bis dahin mussten wir uns im Küchengebäude eingefunden haben, um noch was abzubekommen. Gerade waren auch die (oh Wunder!) undurchlässigen Handschuhe entfernt - aus ihnen ergossen sich regelmäßig Sturzbäche des Schweißes - als es hieß:

„Alles wieder an, ‚Obergahmen‘ anlegen (Original: „Overgarment“), der ‚Oberst Dahmen‘ ist im Anmarsch! Er will sehen, ob ihr die Teile auch wieder richtig auszieht.“

Also hasteten wir erneut zu diesen netten, triefenden Sachen, schoben uns rasch hinein und standen so bestimmt zehn Minuten in der Gegend herum, während ich schon einen Schweißtropfen von der Stirn bis zur kleinen Zehe verfolgen konnte, bis sich der wehrte Oberst entschloss, doch nicht noch mal vorbeizuschauen. Danach ging es uns erst recht nichts mehr an, ob wir eventuell kontaminiert werden könnten. Jetzt ging es nur noch darum den letzten Rest vom Essen zu ergattern. Denn ist es reichlich sinnlos weit vor dem noch nicht mal sicheren Gaseinsatz zu verhungern. Beim Einrücken in die Küche kam erstmals selbst der zuständige Ausbilder nicht mehr hinter uns her. Spätestens seit diesem Tag war unser Kommandeur nur noch unter „Overst-Garmen“ bekannt.

 

Die wohl bekannteste Foltermethode einer Armee ist die Hindernisbahn oder manchmal noch Sturmbahn genannt. Aber das war ja zu DDR-und NVA-Zeiten, deswegen heißt nun die Eskaladierwand auch nicht mehr Eskaladierwand, sondern schlicht „Holzwand“, seit 2006 nunmehr „Bretterwand“. Ob nun so oder so, rüber mussten wir doch. Gut, stürmisch konnte es zwar nicht werden, da alles abgelegen irgendwo im Wald vor sich hin moderte. Dafür wurde die Strecke zu unser aller Glück am Schluss der Grundausbildung des öfteren wegen Eisglätte gesperrt.

   Insgesamt waren wir so wohl nur dreimalig auf ihr unterwegs gewesen. Im Grundaufbau sind wohl alle HiBas gleich, deswegen lasse ich mal den Anfangshopser, den bauchhoch zu überwindenden Balken und die Hühnerleiter in der Beschreibung weg. Was interessant ist, fängt tatsächlich erst ab der Mitte an:

Da wären zum einen: Die Holzwand. Es gibt laut Lexikon zwei Methoden diese Wand zu überwinden*:

 

  1. Man nimmt seitlich Anlauf, greift die Wand mit der Hand, die ihr zugewandt ist, stößt sich mit dem Fuß der gleichen Seite an der Wand hoch und hakt sich mit dem anderen Fuß oben ein. Dann kann man sich einfach hinüberrollen. Diese Methode wird bei der Bundeswehr vorgezogen, da man erstens sehr flach über das Hindernis kommt (und somit dem Feind weniger auffällt) und zweitens eine Hand frei hat, in der man sein Gewehr halten kann.
  2. Man läuft grade auf die Mauer zu, stößt mit einem Fuß "in" die Wand und drückt sich nach oben. Gleichzeitig greifen beide Hände die Wand und man zieht sich hoch.

Doch es gibt wohl niemanden, der es das erste Mal sofort schafft. Viele von uns brauchten bis zum letzten Mal die Hilfe der Kameraden. Was Kamerad Weigel auch sehr deutlich unter Beweis stellte, indem er einem Kameraden der 2. Gruppe den Daumen bei der Räuberleiter verrenkte. Ich weiß, wenn er dies lesen würde, nähme er es mir ziemlich übel, aber man sollte in diesem Fall doch gleich die ganze Hand nehmen, statt eines Fingers. Kurz und gut, wer es schließlich doch bis auf den obersten Rand geschafft hatte, lief immer noch Gefahr, sich die Eier zu klemmen und diese Weise der Nussquetschung ist erfahrungsgemäß äußerst schmerzhaft!

   Um die „Schwebebalken“ mussten (!) wir meist einen Bogen machen, da diese viel zu oft zu glitschig gewesen sein sollen. Nun, heute danke ich es, nachdem ich von einem Kanonier gehört habe, dass sein Kamerad bei Eisglätte dennoch hinüber musste und die stolzen 3 Meter in die Tiefe purzelte.

   Kommen wir nun zum Ungemütlichsten Teil von allem: der Drahtkuhle, oder auch dem Gleithindernis. Dabei sind in etwa 30-40 Zentimeter über dem Boden Drähte gespannt, unter denen es durch zu gleiten gilt. Macht sich besonders gut mit Gepäck. Wie man das jedoch sogar mit Poncho oder einem Verletztem als Ballast schaffen soll, wird mir wohl ewig ein Rätsel bleiben. Besonders lustig wird dieses Hindernis aber erst, wenn es vorher richtig schön geregnet hat, da erst dann die gesamte Kleidung richtig eingesaut wird. Daher habe ich stets versucht, nur auf den Stiefelspitzen und Ellbogen durch zu kommen, denn dabei nützt selbst der Nässeschutz nichts, wenn du bis zum Hals in der Scheiße liegst. Vor allem, wenn du der Leidtragende bist, weil vorige Züge ihre Wasserflaschen entleert hatten, um nicht zu viel schleppen zu müssen, der Oberfeldwebel (Schaibe) das bemerkt und sie zurück rennen lässt, um neues Wasser zu holen, die Pioniere dieses dann vor diesem Hindernis ausschütten müssen und es für uns noch nicht die Gnade gehabt hatte zu verdunsten.

   Ein eher vergnügliches Dasein fristen danach die Stolperdrähte, die einfach kreuz und quer gespannt vor einem liegen und man selbst nichts weiter tun muss als nicht auf die Fresse zu fliegen.

   Dann noch schnell in den Schützengraben gesprungen und aus is’… – oder in den meisten, ungünstigen Fällen eben: „Noch maaaal!“

Ach ja, und dann können noch folgende Steigerungsstufen* eingebaut werden:

  • Mit Waffen und Gepäck (hatten wir)
  • ABC-Schutzkleidung (Gott bewahre, NEIN!)

  • Zeitlimits (hatten wir eher weniger)

  • Bei Nacht und Regen (teils-teils à siehe später: der 2. Wachdienst)

  • Transportieren eines verwundeten Kameraden (der musste allerdings nicht mehr über die HiBa geschleppt werden)

    Da wissen wir nun auch, was uns erspart geblieben ist!

    Alles in allem soll die Hindernisbahn den Zusammenhalt der Truppe fördern, und zeigen, dass im Team mehr möglich ist. Allerdings haben sich bei der Bewältigung der Hindernisse die Teamgeister auch so manches Mal gerade gespalten.

Die echte Verzweiflung kam erst mit dem Formaldienst! Die 1. Gruppe (also wir) zeigte dabei wohl noch die wenigsten Probleme. Wir hatten den Strebervorteil (denn Kamerad Meihn machte nach Dienstschluss jeden rund, der es auch nur gewagt hätte, an etwas anderes als den Gleichschritt zu denken). Die anderen beiden Gruppen, nun ja… die hatten die Kameraden Bieber und Hohl. Ersterer ist immer gelaufen als hätte er das platte Hinterteil seines Namensvetters hinterdrein und bei dem anderen musste man sagt der Name im Grunde schon alles. Die haben’s einfach nicht auf die Reihe gekriegt einfach mal im Rhythmus zu laufen! Ich meine, wenn alle anderen das schon können, müsste man sich doch einfach nur mal mit schieben lassen! Ihre Stiefel dürften die AGA jedenfalls nicht überstanden haben, so oft, wie ihnen beim Marschieren in die Haxen getreten wurde.

 

Der ganze Zweck dieser Ausbildung war nur der Vereidigung… äh, dem „Feierlichen Gelöbnis“ gewidmet. Ab da an durften wir endlich mal mit Uniform nach Hause (worauf manch einer wohl gewissen Wert gelegt hat) und sollten eigentlich auch endlich den Truppendienstausweis bekommen. Das aber zog sich dann doch bis zum bitteren Ende der Grundausbildung hin.

   Jedenfalls bescherte uns dieser Dienst so manchen Anlass zum Frieren, Lachen, Heulen, Verzweifeln und Schuheputzen. Denn die Ausbilder waren irgendwann so genervt, dass das kleinste Fremdatom, was nicht zum Stiefel gehörte, sofort Peitschenhiebe nach sich gezogen hätte – falls wir den Wehrdienst 100 Jahre früher geleistet hätten und Atome zu dem Zeitpunkt schon entdeckt gewesen wären. So mussten sie sich leider damit begnügen, uns sinnlos immer wieder auf Stube zu schicken, um den Schuhputz zu verbessern. Irgendwann putzten wir dann gar nicht mehr und siehe da, es scherte auch keinen weiter.

   Das mit dem genauen Zuhören und aufmerksam Nachdenken können die Deutschen seit PISA bekanntlich nicht mehr. Und weil wir waschechte Deutsche sind, versuchten wir gar nicht großartig daran etwas zu ändern. Wenn es hieß „3. Gruppe, Achtung!“ drehte sich halt der ganze Zug mit. Wen scherte das auch schon… außer den Ausbildern. Unglaublich, wie die nach den ganzen Kommandos noch schreien konnten. Da war Energie dahinter und Leidenschaft für den Beruf – oder auch Wut und Verzweiflung. Denn beim Gelöbnis würde es schließlich auf sie herabfallen, wenn gerade der 3. Zug buchstäblich aus der Reihe tanzte.

   Und so kam es, wie es kommen musste. Wir hatten die ganze Woche vorher extra Stunden geübt und waren beinahe ballettreif. Aber: die Generalprobe hatte gut hingehauen, das heißt, die richtige Vorstellung ging natürlich in die Hose. Zum Glück haben es die Zuschauer nicht bemerkt, da sie eh nicht wussten, was wir falsch gemacht hatten und so konnten wir diesen Teil der Bundeswehr für abgehakt erklären, nachdem auch Kamerad Hibge stellvertretend für den ganzen Zug seine glorreiche Rede hinter sich gebracht und das Fahnenkommando sich wieder eingeordnet hatte. Es ist nicht mal einer umgefallen, was manchmal bei längerem Stillstehen vorkommt. Dafür waren wir an diesem Tag im November einfach viel zu steif gefroren.

 

   Den Teil, weswegen wir eigentlich Pioniere sind, habe ich größtenteils verpasst. Die EAKK-Ausbildung, von der ich immer noch nicht genau weiß, was es ausgesprochen heißt, musste ich auf Stube verbringen, weil ich am Morgen der Ausbildung aus irgend einem Grund eine Auszeit brauchte und einfach mal beim morgendlichen Antreten umgefallen war – ganz ohne Alkohol wohlgemerkt. Nun ja, das meiste dieses Ausbildungsteils durfte ich in der späteren SGA (Spezialgrundausbildung) ausführlichst nachholen. Da hatten wir noch die Nachbarstube mit der Schreckensmeldung verängstigt, dass sie nach der Grundausbildung eine SGA mitmachen müssten. Am Ende waren allerdings wir es, die zum größten Teil bereits für eine derartige Sonderbehandlung vorgesehen waren. ‚Sie nehmen eben nur die besten dafür‘, trösteten wir uns.

   Vorbereitung des Soldaten in diesem AGA-Abschnitt soll im Groben das Verhalten rund um das Absperren von Straßen, das Aufhalten von Menschenmassen und das Erkennen und Melden von Minen, Sprengkörpern, Munition und der gleichen darlegen. Was ich letztlich davon noch mitbekommen habe gefiel mir auch recht gut. Es war eben mal was anderes: wir suchten Minen in einem präparierten Feld, bauten Spanische Reiter und hantierten mit S-Draht (teuflisches Zeug!) und lernten eine Menge was den theoretischen Häuserkampf anging (mit schönen Sprengfallen, die schon eine gewisse Kreativität erfordern). Da ich also nicht viel über EAKK erzählen kann, bitte ich in den zahlreichen anderen veröffentlichten Bundeswehrbe(r)ichten nachzulesen.

 

Die wohl schönste Beschäftigung, aber auch gleichzeitig die nervenaufreibenste Form der Ausbildung sind Lehrveranstaltungen in den „Klassenräumen“. Das Gute daran: man braucht nicht im Dreck zu liegen und es ist warm. Das schlechte daran: der Kaffee reichte nicht aus. Will sagen: es war verdammt schwierig, sich nicht zu oft beim Schlafen erwischen zu lassen, geschweige denn wach zu bleiben. Du saßt da in deinem weichen, gepolsterten Sessel und lehntest dich zurück, während alle anderen es dir gleichtaten. Und bald merkte es selbst der Ausbilder nicht mehr, wenn das Atmen der Rekruten in einen sanften Schnarchton überging. In der letzten Schulung war es dann so proppenvoll, dass wir das Glück hatten, in der hintersten Reihe zu sitzen und ca. 7 Reihen anderer Köpfe die Sicht nach vorn und auch nach hinten perfekt zu versperren, so dass auch ich mich letztlich entschloss die Gelegenheit einer Stunde mehr Schlaf des ohnehin sehr kurzen Tages ausschöpfend zu nutzen. Ich glaube, wir hätten sogar im Stehen eine Schlafposition gefunden. Die Vorgesetzten mussten sich immer wieder neue Sprüche einfallen lassen, um uns wach zu halten. Immerhin waren sie so auch mal gefordert. Alles in allem hat diese Form des Unterrichts  wohl recht wenig gebracht, Rekruten müssen nun mal in den Arsch getreten werden, sonst wird das nischt!

 

Sport bei der Bundeswehr soll ja angeblich bis zur Ekstase betrieben werden – zumindest in anderen AGAs. Hatten wir doch eher selten das Vergnügen und wenn doch, dann waren es diese PFT’s (Physical Fitness Test) oder Zirkeltraining, was nichts anderes heißt, als in einem Kreis aufgestellte Geräte chargenweise abzuarbeiten. Im Grunde konnte man Sport auch gleichbedeutend mit Waffenausbildung unter Drill, HiBa, Biwak und sonstartiger, soldatischer Betätigung sehen. Manchmal ging es auch zum Dauerlauf (meist Bestandteil des PFT) auf die Freiluftbahn oder wir durften uns mal als Leichtathleten beweisen und 15-kg-Steine werfen. Bei mir beschränkte sich dies jedoch eher auf hochheben und fallenlassen. Mit viel Glück kam mal ein Orkan und wehte ihn ein paar Zentimeter vorwärts. Der Schriftführer meinte dann, ich solle es mal mit dem starken Arm probieren und da ich Rechtshänder bin, versuchte ich es halt mal mit links. Na ja, das Ergebnis hat er nicht notiert, denn er wusste wohl nicht mit negativen Zahlen umzugehen. Ganz selten wurde auch mal Fußball oder Volleyball als sportliche Alternative angebracht. Doch eher liefen wir eine Kasernenrunde.

 

Was nun die Wachausbildung anbetrifft, so beschränkte diese sich auf ein paar Lehrveranstaltungen, einen Wachtest, das Wachschießen und zwei Schlagbaum-Probedurchgänge. Es wurde uns in aller erster Linie die Philosophie beigebracht, dass wir im Falle des Wachdienstes grundsätzlich mit einem Bein im Gefängnis stehen, da man ja nie wissen könne, ob und worauf man schießen müsse. Und die zweite bedeutende Regel war, dass man sich den Wachdienst so ruhig wie möglich gestalten sollte. Das hieß nichts tun, was nicht ausdrücklich erlaubt ist und wenn schon jemand einen Panzer klauen wollte, den Dieb dabei nicht stören zu wollen. Der weiß dann schon, was er tut. Und außerdem sind es die 8 Schuss nicht wert, die man auf einen Panzer (!) abfeuern würde, geschweige denn von dem Papierkram, den man pro Mumpel zu erledigen hatte. Und wenn jemand schon unbedingt aufs Gelände wollte, sollte man ihn erstmal lassen, später konnte man ja immer noch nach seinen Beweggründen fragen. Vielleicht hat er sich ja nur verlaufen oder gerade einen Anschlag auf den Stab geplant.

 

… Biwak #1

„Lonzig“ hieß das Schreckenswort während der Wochen bis zum ersten Biwak. Es war Inbegriff übermenschlicher Anstrengung und nahezu tot(al)er Erschöpfung. Doch hieß bei uns die Abkürzung „BIWAK“ auch „Bundeswehr im Wald außer Kontrolle“, also eine willkommene Abwechslung vom kargen Alltag.

   Das Biwak ist ja nun ein Meilenstein in der Grundausbildung. Man hörte schon von lustigen Lagerfeuerabenden, aber auch von völlig verausgabenden Geländeläufen und Manövern. Als Beispiel sah ich in Gedanken immer ein gespanntes Seil über einer tiefen Schlucht hängen, das man nur durch schmerzerfülltes Hinüberhangeln bewältigen konnte. Wer es nicht schaffte das letzte Bisschen Kraft aus seinem geschundenen Körper herauszuholen, würde unweigerlich in den 1,50 Meter darunter liegende Schlammgrube stürzen.

   Aber es kam doch anders. Auf das erste Biwak wurde sich schon fast gefreut, wenn man das im Sinne der Grundausbildung sagen kann. Der Plan im Flur verriet uns schon eine Woche vorher, was geschehen würde und wir rechneten mit so ziemlich allem. Nur der so ziemliche Rest überraschte uns dann, was ungefähr alles ausmachte.

   Wir wussten, dass man im Feld nicht großartige Toiletten vorfinden würde und die hauseigenen waren daher schon Stunden vor dem Abmarsch ausgebucht. Turn sah jedoch darüber locker hinweg. Er schaffte es stets eine Woche lang seinen Darm nicht entleeren lassen zu müssen. Umso mehr empfand er es freitags dann als wohlige Erleichterung und gelungen Einstieg ins Wochenende die ersten freien Minuten zuhause auf dem Scheißhaus zu verbringen. Auch das kann Freiheit sein. Manch einer verwendete die kurze Zeit vor der langen Einsamkeit im Wald auch noch mal für was anderes, denn ein Spruch aus einer der WC-Kabinen klingt mir noch heute in den Ohren:

„Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich wichse und nicht scheiß“. Ich weiß auch nicht mehr, ob ich das mitgehört hatte, oder nur aufgrund von Schelles Erzählung noch so genau weiß.

   Bald nach dem Frühstück kam der Marschbefehl. Es hieß so ungefähr:

 

Lage: Feind: Krieg!, Grenzen überschritten, verstärkt Gefechtsaufklärung, 100.000

                       südlich [in Metern angegeben]

            eigene: nach Lonzig (III. Zug), Ausbildung und Reserve des Bataillons unter

                        eigener Sicherung

Auftrag: Fußmarsch nach Lonzig bis 151145Anov05 zu erreichen [also bis 15.

                        November 2005 11.45 Uhr Winterzeit mussten wir dort sein]

  • in Schützenreihe, Rundum-Sicherung, 10 km
  • Abmarsch 150905Anov05

  • Abmarsch bereit 150845Anov05

  • Feuerverbot für Fliegerabwehr + Deckung

  • Feinde: 3x Pfeifen / melden [3 Rekruten müssten also Meldung machen], unterliegend bekämpfen, überliegend ausweichen [also: wenn weniger Feind als wir, dann richtig Saures geben, wenn die anderen mehr sind, Beine in die Hand nehmen]

  • Klar zum Gefecht

Unterstützung:

  • Verletzte mitführen nach Lonzig, Verpflegung in Lonzig

  • Verbindung über Funk, Melder, Handzeichen

  • ABC-Warnpatrone [Licht Weiß-rot-weiß + Pfeifton]

  • Parole (bis 2400): „Format-Vorlauf“ [Der Unbekannte wird aufgefordert mit „Parole!“ und muss dann den ersten Teil aufsagen, also „Format…“ der Auffordernde den 2. Teil, „…-Vorlauf“; es hat eigentlich alles seinen Sinn]

   Danach folgte die Waffenausgabe und Vorbereitung zum Abmarsch, die mancher, wie schon gesagt, intensiv auf dem Lokus verbrachte. Schließlich machten wir noch ein Bild von unserer ruhmreichen Gruppe, mitsamt Ausrüstung und grüpplichem MG. Uns war, wenn auch im Spaß, schon zur Zeit dieses Fotos klar, dass das Bild, was wir kurz nach unserer Rückkehr machen würden, um ein Vielfaches aussagekräftiger über die vorangegangenen drei Tage sein würde. Doch noch wussten wir ja nicht einmal, ob es überhaupt bei drei Tagen blieb. Eine Verlängerung war je nach Gusto der Ausbilder immer drin.

   Mit ein wenig Verspätung (wie auch nicht anders gewohnt) ging es los zum 10-km-Marsch nach Lonzig. Recht eintönig schritt ich hinter meinem Vordermann her, musste aufpassen, nicht unter dem Gewicht des Marschgepäcks nach einer Seite wegzustolpern. Zur Erinnerung: Mein Körpergewicht (60 kg) stand gegen das Marschgepäck (40 kg) und dabei hatte ich noch nicht mal das MG zu schleppen. Das trug Kamerad Borosow und er reichte mir in seiner Statur etwa bis zur Schulter.

   Die Leutchen der Dörfer, die wir zwangsweise passierten, schienen oftmals doch überrascht ob unseres Erscheinens. Dabei sollte man doch meinen, so was sei in dieser Gegend beinahe alltäglich. Aber wahrscheinlich waren wir durch die falschen Dörfer gelaufen. Unser Gruppenstuffz Praiss hatte jedenfalls keine Ahnung von den Örtlichkeiten und führte uns freilich, wie schon beim Orientierungsmarsch, in die falsche Richtung. Wir waren als 1. Gruppe losgelaufen und wieder mal als letzte am vorgegebenen Pausenpunkt angekommen, was uns die Pause natürlich arg verkürzte.

   Was nun folgte sollte eigentlich der angenehmere Teil der Wanderung sein, die Hälfte läge ja angeblich schon hinter uns. Und tatsächlich, ein vielleicht einkilometriges, freies Feldstück war zu überwinden und am Horizont konnte man schon den Wald von Lonzig erblicken. Froheren Mutes schritten wir also dem nahenden Ende der Latscherei entgegen, wenn es auch anstrengend war unter dem ganzen Fallobst und Feldsteinen des Ackerpfades mit den steifen Kampfstiefeln voranzukommen. Man wusste ja: da vorn war der Wald und noch ein kleines Stück hinein, und wir konnten unsere Zelte aufschlagen, falls unsere glorreicher Stuffz den Rastplatz finden konnte. Und so fiel mir unweigerlich das Lied ein, was pünktlich zum Feierabend immer erklungen war: „Von hier an blind“ summte ich nur noch vor mich hin. Wodurch ich auch nicht so ganz mitbekam, dass der Weg durch den Wald die eigentliche andere Hälfte des Weges war und sich demnach endlos hinzog.

   Irgendwann, nach etlichen Schützenreihenwechseln war der Wald zu Ende. Einfach weg! Vor uns lag nur eine große, freie Fläche, die auf der anderen Seit von einem weiteren Stück Wald beendet wurde. Fast schon klar, was nun folgen würde: wir wurden auf Posten verteilt.

Vor uns verlief quer zu unserem Weg etwas, das man in zivilisierten Gegenden wohl als Straße bezeichnen würde. Ihr Graben diente uns zum Schutz vor etwaigen MG-Nestern auf der anderen Seite. Im Schützenrudel mussten wir nun diese Fläche von etwa 500 Metern überwinden. Jeder zweite Soldat stand dazu mit allem an sich rumbammelndem Gestrüpp auf und bewegte sich unter Anweisung des stellvertretenden Gruppenführers (Tenplim) schnellstmöglich vorwärts, nur um sich anschließend gleich wieder auf den Boden zu schmeißen, worauf die anderen hinter uns das gleiche taten.

 

Die Schützenreihe:

 

                        Π                     Π                     Π                     Π                     Π                     Î

 

            I                      I                      I                      I                      I                      I

 

Irgendwann war auch das geschafft. Nur noch durch ein paar undurchdringliche Dickichte schlagen (woraus sich das G3 auch als Art Muskete erwies), durch krokodilverseuchte Sümpfe waten und von unseren Vorgängern netterweise hinterlassenen Sprengfallen ausweichen, schon waren wir da: ein leerer Platz mitten im Wald unter ein paar Kiefern. Sah doch ganz nett aus. So ungefähr hatte ich mir das vorgestellt. Eine alte Bunkeranlage, versteckt im Laub unter unseren Füßen, zeugte von der langreichenden Geschichte der Armee in diesem Wald.

   Endlich schritten wir auch zur Tat: das Mittagessen konnte eingenommen werden. Dazu machten wir es uns in einem alten Granatenkrater gemütlich, aufpassend nicht in den tief unter die Erde reichenden Stollen einzubrechen. Das Essen im Biwak, muss man ehrlicherweise sagen, war von gleicher Qualität wie in Gera (also einigermaßen genießbar). So weit zu den positiven Seiten dieses Ferienlagers. Nun zu den schlechten Seiten…

   Ein paar Meter weiter sollten wir unsere Zelte aufschlagen, wie es uns gelehrt wurde, aus zwei Dackelgaragen (1 Zeltplane pro Soldat = ½ Zelt) eine machen, mit schönem Wassergraben drum herum, usw. Wir hatten gerade den Graben fast zur Vollendung gebracht, da kam mal der Oberfeld Kießler und meinte nur nebenbei:

„Was ist denn das für eine Scheiße? Wollt ihr denn alle draufgehen, wenn hier eine Granate einschlägt? Das kann ja wohl nicht sein! Na los, nicht so dumm rumstehen, das muss verbessert werden. Wir haben noch was anderes vor heute, außer die paar Zelte aufzustellen.“

Also auf ein Neues. Wurde halt alles um einen Meter versetzt. Was soll’s. Ist ja auch nicht so anstrengend in den nahezu undurchdringlichen Waldboden mit Wurzeln, deren Durchmesser meine Halsdicke erreichten und nur mit Hilfe eines (fast) unzerbrechlichen Klappspatens nochmals eine Kerbe in den stahlbetonartigen Boden zu ziehen.

   Das Feuer hatte Partius sich zur Aufgabe gemacht, der alte Haudegen war immerhin nach eigener Angabe mal Pfadfinder gewesen und hatte auch Ahnung von seinem Fach, grub also ein metertiefes (!) Loch und fügte an jeder Viertelstunde noch eine Kerbe zur Luftzufuhr ein. War schon anschaulich, keine Frage. Nur hat das Lagerfeuer die unangenehme Eigenschaft, immer Nachschub zu wollen, um nicht auszugehen. Schmiss man jedoch zu viel des Holzes rein, kam ab und zu auch mal ein Oberfeld vorbei und schiss einen wegen der Flammenhöhe zusammen:

„Die nächste Granate ist für euch!“ ließ er uns noch im Gehen als Schmankerl da. Damit konnte man ja noch gut leben. Leider wollten die Herren Ausbilder auch ein warmes Feuerchen, was ganz besonders abends zu ihrem Bierchen passte. Da wollten sie exakt zugeschnittene 20-cm-Scheite schön in einer Reihe vor ihrem Zelt (in das drei Doppelstockbetten und ein Tisch passten!) aufgestapelt sehen.

 

Gasalarmübung mit Schnuffi
Gasalarmübung mit Schnuffi

Mit bangen Erwartungen fragten wir Stuffz Praiss immer wieder, ob denn diese Nacht nun mit einem vorbereiteten Angriff oder sonstigen Überraschungen zu rechnen sei. Doch was wir noch nicht wussten: der arme Kerl wusste in Wirklichkeit selber noch nichts vom Ablauf solcher Dinge. Und so ermutigte er uns immer mal mit Sätzen wie „Es wird bestimmt eine ruhige Nacht…“ oder „Ich weiß von nichts.“ Diese Nacht wurde tatsächlich ganz beschaulich. Alle Züge sollten sich bei Dunkelheit (muss so gegen neun gewesen sein) auf dem freien Feld, das wir auf dem Hinmarsch überquert hatten, einfinden – allerdings ohne Waffen. Denn es erwartete uns eine Vorstellung von nächtlichen Kampfkommandos. Da wurde gezeigt, wie man des nachts mit PKW und LKW zu fahren hatte, also mit kleinem Gang und Tarnlicht, alle reflektierenden Möglichkeiten abgedeckt (außer den Scheiben), wo sich etwaige, versteckte MG-Nester befinden konnten und wie man sie aufspürte. Es kam noch einiges mehr, aber vor allem: welche Bedeutung bestimmtfarbige Leuchtgeschosse hatten! Dabei würden wir später nicht so sehr die Farbe ‚weiß-rot-weiß’ in Erinnerung behalten, da sie im Wald wegen der Bäume ohnehin schwer zu erkennen war, sondern lernten wir schon bald den immer tiefer werdende Pfeifton zu hassen. Bekanntlich verschoss man dieses Signal zur Warnung vor ABC-Angriffen, was den Ausbildern sichtlich viel Spaß bereitete, da in diesem Fall von uns Schnuffi und Poncho innerhalb von 7 Sekunden angelegt werden musste. Meist wurde anschließend noch der Befehl zur ‚In-Stellung’-nahme gegeben. Das bedeutet so viel wie so schnell wie möglich den Posten im vorher gegrabenen Schützenloch zu beziehen. Dazu bewegt man sich gleitenderweise über Stock und Stein mit aufgesetzter ABC-Schutzmaske und G3 in den Händen nach vorn (zumindest dachte man das meistens). Richtig viel Spaß bereitete es jedoch erst bei Nacht. Aber dazu bald mehr.

 

Der nächste Tag verging auch – vor allem mit Ausbildung im Gelände. Wir „lernten“ Streife zu laufen, hoben den Alarmposten aus und bewegten uns leisestmöglich im Wald. Schön war dann auch das Graben der Schützenlöcher. Mit Klappspaten und Händen hatten wir (theoretisch) eine halbe Stunde Zeit, um einen solchen Graben auszuheben, natürlich streng nach vorgeschriebenem Plan, also in der Weise, dass keine Lücke zwischen Schussfeldern offen blieben, aber auch kein Soldat die Möglichkeit hatte, einen anderen Rekruten zu treffen.

   Nachdem der Waldboden uns das Werk schwerstmöglich gestaltet hatte, indem er Wurzeln und Steine darin verpackt hatte, kam die Kalkschicht. Soll heißen: das war’s. Wir lagen nicht wirklich tief, und der Spruch, dass man die Dinger nicht tiefer als 1,8 m graben sollte, da ab 2,5 m mit dem spontanen Auftreten von Pionieren zu rechnen sei, stimmte wohl eher in der Höhe. Jedenfalls lautete der Befehl bald darauf erstmal wieder zurück zum Platz der Gruppe – Holz machen! Die Realität war jedoch etwas anders. Wir sollten abgelenkt werden von der Bescherung, die gleich folgte. Der „Feind“ war angerückt, über das große Feld, welches wir überquert hatten und in welche Richtung auch unsere Schützengräben ausgerichtet waren. Als das Zeichen kam, legten wir also schnellstens die ABC-Schutzmasken an und glitten in tiefster Gangart über Äste, Zapfen (auch unsere eigenen), Backsteine und Glasscherben (im Wald!) zu unseren Posten. Immerhin war es zumindest dieses Mal Tag. So sahen wir wenigstens, wo wir mit den Maskentaschen hängen blieben.

   Dort nun angekommen ging das wilde Gefecht los. Man hatte uns vorher mit Nummern versehen, je nachdem, in welcher Reihenfolge die Schusssalven abgefeuert werden sollten. Abgesehen davon, dass es immer wieder hieß „Störung!“, weil diese hornalten MPG’s (Manöverpatronengerät) den Rückstoß nicht mehr hielten und von den Betroffenen so nach jedem Schuss mit den Übungsmumpeln neu nachgeladen werden musste, lief es ganz gut ab. Bis ein gewisser Soldat, der kurz vorher seine Brille verloren hatte, Kießler über den Haufen geschossen hätte, wäre es echte Munition gewesen. Gab natürlich ein Riesengezeter. Aber da kann ich nur sagen: selbst schuld, wenn der auch vor die Schützenlinie läuft!

   Abends ging es zwar ruhiger zu, dafür war es aber auch umso kälter. Man hatte nun keine Gelegenheit mehr sich durch körperliche Ertüchtigung aufzuwärmen und das Feuer musste ja vor dem Feind klein gehalten werden. Die Zelte waren freilich auch nicht besonders warm und obwohl der Schlafsack siebenschichtig sein sollte, fror man sogar darin – zumal wir alle zwei Stunden wieder in die Kälte raus mussten, entweder zum Alarmposten, zur Streife oder zur Feuerwache, wobei letzteres noch das Angenehmste war. Bei der Streife konnte man wenigstens noch laufen, aber wer Alarmposten schob, war einfach nur gearscht.

   Vielleicht war es die „Vorfreude“ auf eben jeden Alarmpostendiesnst, dass Winsche und ich die Wachablösung verschliefen. Fast eine halbe Stunde brauchten wir dann uns komplett anzuziehen, denn der Schlafsack hält ja nur warm, wenn man so wenig wie möglich anhat. Gab natürlich am nächsten Tag einen ordentlichen Anschiss, keine Frage! Aber was wollte Kießler schon machen, hatte es ja auch nur von dritten erfahren. Der darauf folgende Alarmposten war einfach nur einschläfernd. Die ersten eineinhalb Stunden gingen noch, doch die letzte halbe Stunde nickten wir alle zwei Minuten weg. Schließlich war ich soweit, dass ich schon Rehe und Feinde vor meinem G3 halluzinierte. ‚Jetzt bloß keinen Scheiß machen!’, sagte ich mir, ließ die Rehe Rehe und den Feind Feind sein und nickte wieder weg, in wohliger Vorfreude auf den baldigen Anschiss und den nächsten Biwaktag…

   …Mittwoch. Heute stand „Tarnen und Täuschen“ auf dem Programm. Ich wurde dazu (mit vier anderen Kameraden) angewiesen, in ein Erdloch zu verschwinden, und mich möglichst nicht zu rühren. Nicht einfach, bei dem ganzen Viehzeugs. Wir fünf hatten gezeigt bekommen, wie man Tarnschminke aufträgt: eine Mischung aus grün und schwarz, immer diagonal von der linken Augenbraue zum rechten Kinnwinkel (wenn man sich selber ohne Spiegel bemalt und Rechtshänder ist, sonst spiegelverkehrt) ziehen. Wir fünf waren in unterschiedlichen Stufen getarnt: von „gar nicht“ bis „unsichtbar“. Unsere unkundigen Kameraden sollten nun erkennen, wie wichtig Tarnung für den Soldaten im Feld ist. Und das Erstaunliche war: es klappte auch! Den Einzigen, den sie erkannten, war der ohne alle Tarnung (abgesehen vom Tarnfleck der Feldbluse). Das Kurioseste aber zeigte sich darin, dass selbst ich nicht mehr sah, wo der letzte sich versteckt hatte. Der nämlich wurde unter einem komplett neu gebauten Grashügel verdeckt, so dass alle im Abstand eines Meters an ihm vorüber geschlichen waren, ohne auch nur den Hauch einer Ahnung zu haben, woran sie da vorbei gingen. Kamerad Gottwald hätte nun nur noch ein MG gebraucht und eine ganze Kompanie niedermähen können. Anschließend verging der Tag recht angenehm damit, dass wir unseren Kameraden zeigten, wie sie sich zu schminken hatten, den Helm mit Gras und Laubwerk bestücken konnten, dass sie Handschuhe anziehen mussten um die Hautfarbe zu kaschieren und noch ein paar andere Dinge.

   Damit verlief der zweite Tag. Am dritten mussten wir nach einer anstrengenden Nachtwache ziemlich schnell die Zelte abbauen und alles zusammenräumen, damit wir das Ziel mittags zu Hause (die Kaserne war nun wie ein warmes, wohliges Heim) zu sein erreichten. Dementsprechend hurtig scheuchten uns die Ausbilder auch. Es war ein elendig ewiger Weg. Er kam uns dieses Mal noch länger vor als hinwärts. Und die Sonne brezelte wieder auf uns herab. So ziemlich am Ende der Strecke, das wussten wir allerdings noch nicht, kam noch mal ein Berg. Der zog sich dermaßen lange hin, dass ich dachte:

„…jetzt ist es aus. Du kannst nicht mehr, egal, was irgendwer von dir denkt, im nächsten Moment fliegst du einfach auf den Asphalt.“ Doch es ging weiter. Schritt um Schritt verschob ich diesen Gedanken des Aufgebens nach vorn, lenkte mich mit Gedanken an das Wochenende ab oder an angenehmes Stuben- und Revierreinigen. Den anderen war es genauso ergangen, wie sie ein wenig später berichteten. Aber auch dieser Berg ging zu Ende und es kam der Kreisverkehr, von dem aus es nur noch etwa ein Kilometer bis zur Stube war.

   Unsere Stube glich dem Inbegriff des erlösenden Zuhause-Sein-Gefühls. Die Sache mit dem Foto danach ließen wir dann sein. Es hatte eh keiner mehr die Kraft einen Fotoapparat zu halten. Das Mittagessen hat selten so gut geschmeckt, wie an diesem sonnigen Tag, als man wusste: es ist vorbei!

   Der Freitag dieser Biwak-Woche verstrich mit Waffenreinigen, Stubenreinigen, Ausrüstung reinigen, wie schon der restliche Donnerstag. Dieses Mal war es allerdings eine umso schönere Aufgabe. An das nächste Biwak wollte erstmal keiner denken, doch es sollte schon bald folgen…

 

…Biwak #2

Mit Schrecken erwarteten wir dieses Feldlager. Schon Wochen vorher wurde über dessen Dauer und Intensität im Unterschied zum ersten spekuliert. Doch besser ein Schrecken mit Ende als… nein, andersherum.

   Zunächst begann alles wie das erste Mal. Wir bereiteten uns entsprechend darauf vor. Dieses Mal wollten wir die viele Zeit nachts am Feuer sinnvoll nutzen und ein bisschen was für den Gaumen von den Flammen rösten lassen. Die Feldversorgung war zwar qualitativ wie das letzte Mal, doch an der Quantität mangelte es doch schon erheblich. Dementsprechend gut versorgt gingen wir an den Start. Wo noch Lücken im Gepäck waren wurden kalorienhaltige Speisen eingebettet. Nicht dass wir das nicht gedurft hätten, nur wollte verständlicherweise keiner unnötig Gewicht mit sich herum tragen. Was beim ersten Biwak falsch gemacht wurde, sah man nun erstaunlich gut berichtigt: Ich z.B. hatte beim ersten Biwak zwar ein paar Energieriegel mitgenommen, kam aber unterwegs nicht dran, so dass sie mir recht wenig nutzten. Folge nun: in meiner ohnehin nicht ausgelasteten rechten Brusttasche (Nichtraucher!) wurden nun reichlich Traubenzuckerrollen verstaut. Ja, ja, so ein Marsch ist kräftezehrend. In den Socken waren außerdem noch Schokoriegel (also in den verpackten Socken des Rucksacks), im Schlafsack anderer Kram eingewickelt und im Mehrzweckbeutel mit dem Essbesteck fanden sich außerdem noch Platzreserven – z.B. für Schuhputzzeug (im Wald sicherlich einigermaßen sinnlos aber nun einmal Pflichtgepäck). Für die Marscherleichterung band ich mir zudem zwei Sockenpaare um die Hüften. Denn so ein Koppel scheuert ganz schön nach längerer Zeit. Alles in allem hatten die Ausbilder erreicht, was sie wollten: wir lernten aus unseren Fehlern.

   Doch die größte Überraschung kam erst noch – und das gleich am Anfang: Da freue ich mich auf ein gemütliches Biwak, eben wie das erste und dann kommt kurz bevor es losgeht Oberfeld Kießler in unsere Stube 116 und meint zu mir nur:

„Sie wissen ja, als stellvertretender Gruppenführer hat man so seine Verantwortung. Als erste Aufgabe werden Sie also die Munitionsausgabe überwachen und aufteilen. Jeder soll die gleiche Anzahl Geschosse haben. Los, los, wir wollen heute noch fertig werden!“ und wandte sich schon zum Gehen, als ich noch vollkommen perplex nachfragte:

„Aber… Tenplim ist doch, … dachte ich?!“

„Ist mir egal, was Sie denken, Sie sind jetzt Gruppenführer!“

Ab da war mein ruhiges Biwak gelaufen. Die Hoffnung, dass ich diese verdammte Rolle wenigstens nur für die Munitionsausgabe spielen musste, löste sich auch bald auf.

   Also bereitete ich mich mental auf diese Aufgabe vor, kam allerdings nur ins Grübeln darüber, wie ich mich am besten verhalten musste. Nun bin ich eben nicht die Kampfsau, um jeden gleich anzuscheißen, wenn was nicht schnell genug klappt.

   Vorübergehend brauchte ich mir darüber allerdings keine Sorgen zu machen, der richtige Gruppenführer Praiss führte uns erstmal auf dem Marsch, wenngleich der auch nicht gerade die größte Respektsperson war. Der  Marsch lief dann eigentlich gemäßigt ab. Wir hatten uns an derartige Strapazen körperlich gewöhnt und jedenfalls weniger Probleme als beim ersten Biwak. Klar, das Wetter war etwas unbehaglicher, aber was will man im Dezember auch groß erwarten…

   Wir waren kaum am alten Lagerplatz angekommen, da begann es auch schon zu regnen. Nur wurden wir nun mit Aufträgen geradezu überhäuft, was natürlich auf meine Fähigkeiten des Einteilens der Soldaten in bestimmte Bereiche zurückfiel – und ich habe mir nicht gerade Freunde gemacht in diesen Tagen! Laut OFw Kießler war zu erledigen: 1. Gruppensicherung in alle Richtungen, 2. Alarmposten ausheben, 3. Platz der Gruppe herrichten, 4. Essen holen 5. Holz schlagen und suchen und möglichst noch den anderen Gruppen beim Aufbau helfen. Nun hatten wir aber nur 9 oder 10 Leute! Kamerad Meihn hatte es sowieso wieder geschafft sich erfolgreich zu drücken, wie immer. Turn war auf Vorstellungsgespräch gewesen (Vorstellungsgespräche waren ohnehin die beliebteste Ausrede beim Bund, da man diese schlecht nachprüfen, aber auch schlecht verwehren konnte) und noch jemand fehlte, aber da lässt mich meine Erinnerung im Stich. Während die einen also vorne im Regen ohne Regenschutz arbeiteten (3 Leute) und sich vermutlich den Rest holten, mussten die anderen (4 Leute) den Platz der Gruppe herrichten und der letzte Rest (1 Leut) das Essen holen, der Gruppe Deckung geben, den Kameraden der anderen Gruppen helfen und Holz schlagen. Bei alldem durfte ich offiziell nicht mit helfen, nach Kießler, da der stellv. Grpfhr. sich ja die Hände nicht schmutzig macht, sondern die Soldaten einteilt. Na toll! Da war Anschiss vorprogrammiert, der regelmäßig von Kießler und manchmal auch stellvertretend von jemand anderem vollzogen wurde. Irgendwann schlug ich schließlich sogar vor jemand anderen als stellv. Gruppenführer zu benennen, aber Kießler lachte nur schief:

„Nein, das müssen Sie schon selbst schaffen. Und wenn Ihre Kameraden Sie deswegen lynchen. Lassen Sie sich was einfallen.“

Was sollte mir denn einfallen? Ohne genug Männer und Zeit ging es nun mal nicht besser. Aber das wusste er ja selbst…

   Irgendwann brachte dann jemand denen vorne im Regen (wir anderen hatten die Rucksäcke da und konnten uns den Regenschutz überziehen) diesen Gorotex-Witz-Überzug. Half natürlich nichts mehr, die waren schon total durch und ohnehin fast fertig mit ihrem Dienst. So wurden sie kurzer Hand zum Essenholen eingeteilt. Wir waren eh spät dran und konnten froh sein, wenn es überhaupt noch was gab. Dummerweise braucht man zum Essen holen immer gleich vier Personen: zwei, die die Holzstange mit den Bigpots tragen und zwei, die die beiden waffenmäßig absichern. Wenn alle anderen (tags darauf z.B.) sich auf Übung befanden und keine G3s vorhanden waren zum Absichern, kam es auch schon mal vor, dass einer mit einem MG mitkam und absicherte! Denn der MG-Träger der Gruppe hatte einen grundsätzlichen Nachteil: er musste dieses Ding immer mit sich rumschleppen und das fast dreimal so schwer wie ein normales G3. Zu unserem zusätzlichen Glück (!) hatte man sich in der Kompanieführung entschlossen den Platz der Essenausgabe gleich mal an das andere Ende des Waldes zu verlegen, da nun auch der 1. und 2. Zug mitgekommen war. Das hieß einen guten Kilometer mit dem Gerümpel durch das Gestrüpp kriechen und mit vollen Bigpots den ganzen Weg zurück. Bei Tag eigentlich machbar und eine der angenehmeren Aufgaben, obgleich man die Wahl hatte, entweder durch eine kleine, aber steile Schlucht zu klettern oder den doppelten Weg drum herum zu gehen. Wer allerdings das Pech hatte morgens oder abends eingeteilt zu werden, der musste diesen verdammten, selbstmörderischen Pfad im Dunkeln zurücklegen. Dabei kam es natürlich zu Nahrungs- wie fast auch zu Personalverlusten.

   Am späten Nachmittag waren dann erstmal die notwenigsten Angelegenheiten erledigt, so dass man etwas aufatmen und sich anderen Problemen widmen konnte, z.B. der Tarnung bzw. wie sich ein Helm am besten der Waldumgebung anpassen lässt – Nadeln allein halten ja so schlecht.

   Als es dann gerade dunkel geworden war, meldete sich auch der Regen wieder zurück und es begann zu schiffen. Nun endlich bekamen wir die Erlaubnis aus unseren Ponchos eine Plane für das Feuer zu basteln. Nun war Kreativität gefragt. Zwar hatten die Zelte dadurch  nur noch einen Regenschutz pro Behausung, aber der hatte eh nie viel genutzt und so versuchten wir alle anderen „Elefantenhäute“ gründlich miteinander zu vertäuen. Na ja, beim Versuch blieb es auch weitestgehend, denn irgendwie wurde es keine richtige Plane. Die Ecken versuchten wir zwar an den umstehenden Bäumen festzumachen, doch die Ponchos reichten nicht. Wir waren schon wieder durchnässt und plagten uns bestimmt eine Stunde mit den verfluchten Dingern rum, bis es uns dann reichte und der gröbste Regenschutz für das Feuer reichen musste. Später nachts auf Streife kamen wir an den anderen Gruppenplätzen vorbei und mussten mit Bedauern feststellen, dass Feldwebel Fängers Pioniere und die von Stuffz Keschkes ein wahres Kunstwerk geschaffen hatten. ‚Scheiß stellv. Grpfhr.‘, dachte ich mir da nur…

 

Zunächst probten wir nächstens erstmal das „Ankleiden“ und das richtige, leise Durchladen der Waffe, indem man hierzu das gesamte G3 nach dem Spannen auf den Boden schlug – und zwar alle gleichzeitig, um dem Feind nicht unnötig Grund zum Wundern zu geben. Zwischendurch mussten die Schützenlöcher neu gegraben und der Alarmposten neu (!) ausgehoben werden. Neu war weiterhin die Alarmschnur, die vom Alarmposten zum Platz der Gruppe gelegt wurde und im Falle eines Angriffs im Platz der Gruppe eine Glocke oder irgendwas anderes zum Klingen bringen sollte. Hat meines Erachtens aber nicht ganz funktioniert. War auch relativ egal, da die Ausbilder sich eh keine Mühe machten einen mühevollen Angriff zu inszenieren, wenn auch die Gerüchte uns immer in Alarmbereitschaft hielten. Unsere Vorgesetzten waren eher damit beschäftigt möglichst viel Bier zu vertilgen oder tief und fest zu ratzen oder im Suff anderer Leute (der arme Stuffz Praiss!) Zelt einzurennen.

   Was dagegen bedauerlicherweise mit der 3. Gruppe von Stuffz Keschkes passierte, verlangte uns allen ein weiteres Stück Zeit und Arbeitskraft ab. Der Großteil von ihnen musste nach Hause geschickt werden, wegen einer generellen Blasenentzündung, die sie sich während des Alarmpostens zugezogen hatten. Ich meine, klar hat man den Posten auszuführen und eventuell sogar aufzupassen. Aber dass man sich nun genau in die Pfütze voll sich angesammelten Regenwasser legen muss und sich nicht rühren darf kommt mir etwas seltsam vor. Zumal sich diese aufmüpfigen Leutchen nun wirklich nicht die geborenen Befehlsempfänger nennen konnten. Als sie dann abgeholt waren, machte Keschkes auch so eine ähnliche Andeutung: „Hab ich sie denn wirklich so hart rangenommen? Da muss ich wohl heute Abend noch ein ernstes Wörtchen mit mir reden“, setzte sein Grinsen auf und verschwand. Nun, ab da wurde die dritte Gruppe der ersten zugeteilt und ich war nun neben dem stellv. Grpfhr. der dritten Gruppe mit noch mehr Arbeit beschäftigt. Doch die hatten verständlicherweise noch weniger Vertrauen zu mir. Ach, es war ein Graus!

   Viel Zeit für Selbstmitleid bekam ich dann aber auch nicht zugesprochen, denn die angekündigte Malträtierung mit ABC-Alarmen begann. Den gesamten Nachmittag wurde nun darauf gewartet, erneut zum Alarmposten zu kriechen und wieder zurück. Zwischendurch hackten wir ein wenig Holz, um uns warm und erzählten manche Zukunftsvision eine Zeit nach der Armee, um uns bei Laune zu halten – bis es Abend wurde. Wer nun die Gelegenheit hatte Abendessen holen zu dürfen, grämte sich auch nicht mehr über das ewige Hinfliegen in der Schlucht. Hauptsache er musste nicht wieder den Alarm mitmachen.

   Nun wurde es Nacht und wir hatten schon längere Zeit Pause gehabt, als der Großangriff startete. Die Streife war bereits unterwegs und scherte sich nicht groß drum was hier passierte. Tenplim, der MG-Träger, war für diese Zeit eingeteilt. Da man auf Streife allerdings nicht mit MG zu gehen hatte, war ihm mein G3 zuteil geworden. Irgendwie hatte ich dabei schon ein mulmiges Gefühl gehabt. Jetzt bestätigte es sich. Denn ausgerechnet als Tenplim Streife lief, startete der Hauptangriff. Das hieß für mich: MG mitschleppen. Schnuffi auf, Poncho drüber und los, es musste ja alles schnell gehen. Doch man sah nichts unter dieser verdammten ABC-Schutzmaske, beschlagen mit Schweiß und bei Nacht! Tenplim hatte in einer ganz anderen Stellung gelegen als ich stationiert war. Also irrte ich über den Waldboden kriechend mit total beschlagenem Schnuffi durch die Gegend, trat öfter mal auf den Poncho und verhedderte mich im Gestrüpp. Klar, dass ich relativ spät ankam. Doch mit Hilfe von Kamerad Winsche schnell in Stellung gegangen und das MG aufgebaut und ich war wieder gefechtsbreit. Doch ach! Als die Salven abgefeuert wurden und das MG dran sein sollte, erinnerte es mich schlagartig daran, dass das fehlerhafte MPG von Tenplim vorne am Rohr aufsaß! So schallte es von mir endlos durch den Wald: „Störung“, während Winsche und ich verzweifelt versuchten, dieses vermaledeite MG-Schussgerät wieder von verschossenen Patronenhülsen zu befreien und erneut gefechtsklar zu machen. Bald hörte ich schon gar nicht mehr auf die sich überschlagende Stimme von Kießler:

„Stellung 8! Feuer!… Verdammt, Ihre Kameraden brauchen MG-Unterstützung, Sie lassen sie hier alle verrecken!“

„Ja was soll ich denn machen, es geht halt nicht!“, scholl es zurück. Und was wollte er denn machen? Es ging ja nichts. Ich fürchtete schon der Verschluss würde mir die Finger wegreißen, als ich (nun) schwitzend dort lag und diese scheiß Hülsen aus der Kammer fummelte. Zwischendurch setzte ich das Gerät sicherlich auch mal falsch zusammen, das will ich ja gar nicht bestreiten.

   Zwischen den Feuerpausen wurde dann immer wieder Gasalarm ausgerufen. Wir packten die Maske schon gar nicht mehr weg, sie lag vor uns im Dreck. Als Alarm pfiff, hatten wir dann auch noch den ganzen Staub aus der Maske in der Fresse. Mann, waren wir froh, als nach zwei Stunden der „Angriff“ endlich vorbei war.

   Am Platz der Gruppe wieder angekommen merkte ich schon die grinsenden Gesichter „Störung!“, ging es ihnen wohl durch den Kopf. Nun sie hatten ja Recht, eigentlich konnte man nur drüber lachen. Als wir Praiss dann fragten, wie oft so etwas noch folgen würde, meinte er nur: „Diese Nacht könnt ihr beruhigt schlafen. Es ist nichts Weiteres geplant.“ Na, zumindest bis zur nächsten Schicht war es ruhig.

   Endlich kamen wir mal dazu unsere mitgebrachten Würste zu braten und es uns halbwegs gemütlich zu machen. Der letzte Alarmposten verlief sogar relativ entspannt. Wir hatten uns dort vorn was zu Essen mitgenommen und quatschten über allen möglichen Scheiß, wie es alle anderen schon lange vor uns gemacht hatten. Es war nun auch so hell durch den Mond, dass man sogar mal den Weg erkannte und nicht ständig am falschen Platz ankam, wenn die Schicht wechselte.

 

Ein paar Kleinigkeiten die vielleicht noch erwähnenswert währen, sind zum Beispiel das Waschen im Biwak. Wir konnten uns (früh!) Zähne putzen und waren angewiesen, uns auch zu waschen, zwar mit Wasser aus vorher am Feuer und in Kanistern angewärmten Kanistern, aber dennoch war es früh so schweinekalt, dass allein das Ausziehen schon heftige Überwindung kostete und so taten es viele einfach nicht. Sowieso schon erkältet soll ich mir wohl noch den Tod holen? Scheiß doch auf die Abhärtung! Die nützt mir dann auch nichts mehr.

   Ebenso war der Druck der Blase nicht so ganz einfach abzulassen. Wir hatten um die sieben Schichten Klamotten an (froren dieses sinnlosen Zwiebelprinzips mehr als mit einer ordentlichen Winterjacke) und entsprechend lange dauerte es, bis man soweit war endlich mal anzufangen. Da musste man sich schon einige Zeit vorher überlegen, wann man endlich mal losgehen wollte.

 

Am Morgen des letzten Tages begann schließlich die letzte Phase jenes Wetters, das uns bisher alle Facetten seines Könnens gezeigt hatte – es schneite. Schnell versuchten wir noch den ganzen Kram zusammen zu räumen, bevor alles wieder durchnässt war, mussten wir doch der 3. Gruppe noch dabei helfen, ihr Zeug zu verpacken. Deren Sachen waren nun wirklich durch bis zur absoluten Sättigung. Dagegen konnten wir nicht gerade klagen.

   So robbten wir klaglos noch trockenen Fußes gen Heimatkaserne durch das lange Gras der weiten Ebene, wonach wir nun aber auch die Situation der 3. Gruppe nachfühlen konnten. Durch den Wald ging es ja noch. Schließlich wog man sich in der fast sicheren Gewissheit, nie wieder auf Biwak zu müssen und nach diesem Marsch könne man endlich wieder die ganze restliche Bw-Zeit in einem Bett schlafen. Das trieb voran! Doch nicht lange hatten wir den Wald hinter uns gelassen, da ging es los mit den Kapriolen: der Wind peitschte über die Felder und uns in die Schnauze. Er kam von allen Seiten, manchmal glaubte man gar von unten Wasser ins Gesicht zu bekommen – dann war es allerdings eine Pfütze, durch die der Vordermann stiefelte.

   Die letzten Meter zum Kreisverkehr dachte ich:

‚Das schaffst ’de nu‘ och noch!’, als gesagt wurde:

„So, und die letzten Meter werden gerannt“, und sich der vorherige Gedanke schon in:

‚Das kann doch nich’ wahr sein…’ änderte und als endlich der eingeschlagene Weg zur Hindernisbahn führte in einem entnervten:

‚Ne, oder?’, gipfelte.

Biwak-Nachbereitung
Biwak-Nachbereitung

   Ja, nach dem Gewaltmarsch aus dem Feld zurück noch eine Runde HiBa. Zum Glück waren wir nicht die ersten, die dieses Schicksal ereilt hatte. Denn die 2. Gruppe hatte das Vergnügen mit allen Klamotten, also Waffe, Rucksack und Koppel durch den Matsch zu kriechen. Wir sollten ursprünglich hinterher, aber kurz vor der Holzwand wurde vom Spieß gesagt, die HiBa müsse wegen schlechten Wetters und Schneematsch gesperrt werden. Mann, waren wir jetzt froh über den Schneeregen! Als wir später die Ausrüstung der 2. Gruppe sahen, umso mehr. Bei denen hatte es durch den gesamten Rucksack durchgesuppt! Was für eine elende Sauerei. Die gespannten Seile hingen durch die ganze Stube, man konnte nicht mehr einen Meter laufen, ohne halsbrecherisch in den Seilen zu hängen und stranguliert zu werden. Aber die Reinigung ging wie immer nach einem langen Tag recht lustig zu. Man reinigte zusammen die Ausrüstung und ließ die vergangen Tage dabei gemeinsam Revue passieren. Zumindest dieses Gefühl ist im Nachhinein etwas Positives gewesen.

   Donnerstagabend und Freitag war wieder Nachbereitung angesagt, eine willkommene Ruhepause der weiteren Säuberung und Reparatur aller gelittenen gezogenen Ausrüstung. Als dann gegen 1130 endlich der OLt durch die Stuben gegangen war und uns auf dem Exzerzierplatz entlassen hatte, war es endlich soweit: jetzt war das Schlimmste geschafft! Es standen nur noch das Schießen und die Rekrutenprüfung an und die AGA schien fertig! Für mich war es jedenfalls die entspannteste Heimfahrt seit langem.

 

„Alltag“ einer AGA

Nun war auch dieses Biwak vorüber und falls wir es uns mit unseren Vorgesetzten nicht allzu sehr verscherzten, gab es auch kein weiteres zu befürchten. Jetzt galt es nur noch die Rekrutensichtung einigermaßen zu überstehen. Na, mal sehen... Bis dahin aber hielt der „Alltag“ wieder Einzug - und der sah wie folgt aus:

BW-Rekruten-Alltag
BW-Rekruten-Alltag

   Wir zählten die Tage bis zum AGA-Ende, ertrugen die Eskapaden der Ausbilder und freuten uns aufs Wochenende. Das Gleiche also wie seit AGA-Beginn.

   Dazwischen lag der ganze, miese Rest der Grundausbildung. Wie z.B. das Warten auf der Stube. Nicht dass wir nicht gerne nichts zu tun hätten – obwohl auch das manchmal einfach langweilig war. Aber du wusstest ja nie, wann es wieder hieß „3. Zug, Türen auf!“ …“Stube 116 steht“. Die letzten Wochen häufte sich diese Art Dienst immer mehr – meistens gerade, als man mal ein wenig eingeschlafen war oder die Seite des Buches fast fertig gelesen hatte. Und dann auch noch wegen solch kleinlicher Lappalien, wie „Jetzt ist mal Selbststudium angesagt.“ Oder wenn sich dann Kamerad Seuka sich beschwert, weil er beim Bezahlen des Truppenshirts mit der Aufschrift „Schmerz ist Ansichtssache“ anscheinend zu wenig Wechselgeld wiedergekriegt hat und Kießler zornig so was raushaut: „Sind sie jetzt total vom Fisch bespuckt?“

   Denn eigentlich gab es davon nicht allzu viel. Eher herrschte die Angst vor, man könne die AGA nicht bestehen und die wurde nach allen Kräften geschürt, sei es von den Ausbildern oder grinsenden Gefreiten. Immerhin gab es jetzt öfter und fast regelmäßig nach dem Abendessen schon Dienstunterbrechung. Das war ein Fortschritt den man natürlich nicht ungenutzt lassen konnte und so machten wir das, was uns während der Pausen am Tag nicht gestattet gewesen war: wie schliefen, zumindest die meiste Zeit. Der Feierabend wurde meistens mit dem Anschalten des Radios gefeiert und nun mag man hineininterpretieren, was man will, aber mit verblüffender Häufigkeit lief immer wieder dieses heldenhafte Lied: „Von hier an blind“. Es musste eine schicksalhafte Beschreibung dieser Zeit gewesen sein.

 

III. Zug - Schmerz ist Neben... ähm ,,Ansichtssache´´
III. Zug - Schmerz ist Neben... ähm ,,Ansichtssache´´

Das Duschen war dann mit einer der entspannendsten Beschäftigungen am Tag, denn das ging meistens auch ohne Dienstunterbrechung. Zudem konnte man die unterschiedlichsten Größen und Formen von ... Tätowierungen betrachten – wenn man das Pech hatte gerade mit den Ausbildern zusammenzutreffen staunte man auch über die zahlreichen Kriegsbemalungen vom Stuffz Keschkes.

   Der ganze Verstand nur noch auf den Freitag konzentriert. Einige freuten sich über ein Wochenendbier, andere über das Ausschlafen und manch einer erzählte in großen Worten, wie er über seine „Alte drüber rutschen“ wolle – bei vielen das Gesprächsthema Nummer 1. Doch bevor es nach Hause ging, hatte der OLt das Stubenreinigen gestellt! Ich meine, unsere Feldwebel hatten uns ja schon mit gewissen Aktionen darauf vorbereitet. Da standen wir in den AGA-Anfangstagen mit staunendem Blick wie die Pinguine am Äquator, als Kießler sich Schelles Barett geben ließ und es unter das Bett pfefferte. Nun, zu diesem Zeitpunkt wurde uns bewusst, dass man Baretts ganz schlecht sauber kriegt und die Stube reinigen kann wie man will – es wird immer ein letztes Staubkorn geben. Das wusste freilich auch der OLt, denn Freitagmittag war unsere Zeit gekommen. Wir dachten uns danach meist schon, er müsse nichts Besseres zu tun haben, als jedes Mal, wenn wir im Gelände gewesen waren, säckeweise Staub in den Stuben zu verteilen. Irgendwann wird einem dann auch klar, dass alles reine Drillsache ist. Doch in diesem Moment bringt der Vorgesetzte es so deutlich vor, als ob alle anderen Rekruten vor einem wirklich besser geputzt hatten und angesichts der vorgebrachten, staubigen Beweise „sieht“ man förmlich seine Schuld ein. Mit weit hergeholten Erklärungen zeigte der Ausbilder einem dann, warum dies so ist wie es ist und ebenso weit rangeschafft waren unsere Annahmen, warum man es nicht besser machen konnte, z.B.: „Staub fliegt immer herein und herum. Der setzt sich kontinuierlich ab, so dass der OLt ihn schon unsere Wischen wieder auf den Fingern hat.“ Spätestens hierbei wurde mir bewusst, dass der Drill nur dazu da ist, das eigenständige Nachdenken der Soldaten zu verhindern. Immerhin brauchte man keine Muttis, die überall Gefahren sehen, sondern Soldaten, die für jeden Vorgesetzten bereitwillig und mit Jauchzen in Tod stürzen. Und verdammt: es klappt!

   Na ja, es gab keinen Freitag, den wir wegen zu schlecht geputzter Stuben auf dem Gelände bleiben mussten. Dann war man auch gerade aus der Kaserne raus, schaute sich ungünstigerweise vielleicht noch mal um und hörte sofort eine leise Stimme im Kopf: ‚Du kommst bald wieder!‘ und wusste am Sonntag wieder hier zu sein.

 

Wir waren immerhin nicht die einzigen, die ordentlich gefickt wurden. Auch untereinander sorgte man in den höheren Dienstgraden für reichlich Abwechslung und verteilte Sympathie und Antipathie wie Bonbons und Meerrettich. Manche konnten diesen nicht leiden, andere jenen nicht. Doch in einem waren sich wohl alle einig: Oberfeld Fänger, war ein Arschloch! Er wollte der absolute Checker sein, der knallharte Supersoldat, die Kampfsau. Er hatte sich schon mal einen Ruf mit seiner Vorliebe für das MG geschafft. Nun, kann schon sein, dass er seinen MG-Zerleg-und-Zusammenbau-Rhythmus brav auswendig gelernt hat, vielleicht konnte er sogar damit schießen. Aber es ging das Gerücht um, dass er seine Verlobte aus der Wohnung rausgeschmissen hatte. Komisch nur, dass er in seine Wohnung jetzt nicht mehr zurück kann, weil sie ihn nicht rein lässt. Diesen Frust ließ er allerdings an den Rekruten aus und nicht wie ein professioneller Soldat zuhause. Ging auch nicht, er kam ja nicht rein.

   Wir waren gerade mal wieder damit beschäftigt nach einem langen, erfolglosen Tag uns schön aufgereiht an der Waffenkammer anzustellen und unser G3 aus dem Gepäck zu holen und das Gebet à la „GePeg“ aufzusagen (‚G3 entladen, Patronenkammer frei, entspannt und gesichert’), als ich doch an vorderster Front aufschnappte, wie die Unteroffiziere mit Portepee Kolpe und Kießler dieses müde Treiben beobachten und Kießler wie nebenbei fragt: „Hast du eigentlich Fänger gesehen?“ und Kolpe die Frage erwidert: „Was, das ‚Arschloch’? Ne, keine Ahnung wo der sich wieder rumtreibt...“ Damit war er für uns offiziell ein Arschloch.

 

Die ham‘ doch den Schuss nicht gehört! – Das Schießen

Die eigentlich grundlegendste Fertigkeit eines Soldaten währte während der gesamten Armeezeit gerade mal einen halben Tag (wenn man mal die Nacht wegrechnet). Öfter traute man uns nicht zu die G3-Mündungsgeschwindigkeiten zu messen.

   Der Großteil der Rekruten sah dem ganzen Spektakel freudvoll entgegen. Endlich durfte man mal sein Können am Schießprügel testen und vielleicht sogar eine der begehrten Schützenschnüre ergattern. Für andere war es einfach eine willkommene Schlafgelegenheit, denn der Bus fuhr von Gera bis Bayreuth schon ein paar Minuten. Ja, da fragte ich mich genauso wie du, lieber Leser: Bayreuth? Haben wir denn keine Schießanlage in der Nähe? Tja, wohl nicht. Also auf nach Bayern.

   Der Schießsimulator in der Agnesruh und weitere umfassend theoretische Belehrungen hatten uns bereits auf die Strenge des Schießens vorbereitet und am Ende dieses ganzen Martyriums stellte ich mir die Schießanlage wie ein Biathlongelände vor. Wie sich herausstellte, war meine Annahme gar nicht mal so falsch, denn in Bayreuth angekommen schlug uns erstmal der eisige Dezemberwind entgegen. Von diesem reichlich umspült, warteten wir dann erstmal eine Stunde darauf, dass alles aufgebaut wurde und wir endlich loslegen konnten. Immer wieder begann es zu schneien, der Himmel schien mit dem Horizont eins zu werden, doch für einen Abbruch wegen Nebels reichte es auch nicht und wir, mittendrin, von einem Bein aufs andere tretend, suchten schon fast nach Arbeit um uns aufzuwärmen.

   Im dunklen, nasskalten Wetter stampften die letzten von uns dann durch den restlichen, vom vorigen Tauwetter verschonten Schneematsch zur ersten Station. Die Reihenfolge war leider genauestens festgelegt, so dass wir nicht einfach mal zwischendurch die MG hätten schießen können. Zuerst musste eben die Alpha kommen: G3 auf 200 Meter. Von den anderen Entfernungen kann ich nicht mehr viel erzählen, da ich allein an der Alpha schon dreimal anstehen musste – und uns wurde gesagt „Es kann nicht am Gewehr liegen, wenn ihr daneben schießt, die wurden eingeschossen!“ Ja klar! Deswegen schoss ich auch immer in die gleiche, sinnlose, linke untere Ecke, weil sie eingeschossen wurden!

   Also mal langsam: Zu viert warteten die Gruppen in Staffeln auf das Schießen. Als man endlich dran war, verteilte man sich auf die Bahnen. Angeblich wurde die Reihenfolge eingeteilt, aber beim dritten Schießversuch teilte ich mich dann selbst ein. Zuerst lief es sogar ganz gut und mein „Aufpasser“, Frau Stabsunteroffizier Fromholtz (die jeder zuerst für einen Jugendlichen Praktikanten gehalten hatte und die später in der Gefreitenzeit noch eine deftige Rolle spielen sollte) an der Bahn 1 meinte auch noch aufmunternd: „Gut, weiter so. Dann schießt du vielleicht sogar Gold.“ Na bestimmt! Zur Erklärung: die ersten drei Schuss sind zum Einschießen und Probieren, ob man z.B. Vollkorn oder Feinkorn geschossen hat, zu weit links oder rechts. Problematisch wurde es nur, wenn man durch Zufall die ersten drei Schuss auf die zehn brachte und die sechs richtigen Schüsse als Fahrkarte in die Prärie setzte.

   Ich war so ein Kandidat. Als die Schießergebnisse über Funk reinkamen, wusste der Mann an der Scheibe kaum mehr, was er sagen sollte. Er hatte das Geschoss nicht mal gefunden.

   ‚Gut’, dachte ich mir, ‚die ersten versemmelt man obligatorisch, aber so schlecht kannst du nicht sein, sonst wären die ersten Versuche auch daneben gegangen.’ Also noch mal angestellt. Wieder Bahn eins, war ja im Grunde nicht schlecht. Wieder Fromholtz. Das gleiche Spiel. Die ersten drei perfekt, die restlichen sechs Richtung Vietnam. So schoss ich also noch weiter „nach rechts oben“. Beim nächsten Schuss noch mehr und so weiter. Die Antwort ließ lange auf sich warten: Jeder Schuss ging laut Oberfeld noch tiefer in den Urwald. Lag es da nicht nah, weiter in die genau andere Richtung zu zielen?

   Also wieder angestellt. Langsam kam Frust auf. Was soll ich sagen, das gleiche Schema! Wieder links unten. Die Feldwebel begannen mich schon voll zu schnauzen, warum ich denn nicht endlich nach oben rechts zielte, ob ich sie denn verarschen wollte. Was hätte ich darauf sagen sollen? Immerhin hatte ich ja wirklich in die falsche Ecke gehalten, nur um zu sehen, was ich nun wieder falsch machte. Aber egal was ich auch versuchte, die Kugeln wurden immer wie von einem Magneten in die gleiche Ecke gezogen.

   Jetzt war’s erstmal vorbei. Dreimal durfte man, danach wurde abgebrochen. ‚So eine verdammte scheiße!‘, dachte ich, ,Das kann doch nicht wahr sein... Egal, das Wachschießen musst ich bestehen, alles andere ist eh wurscht! Und selbst ich kannst das Wachschießen nicht versauen!’

   Zwischendurch noch mal schnell zum MG, wenigstens das absolvieren, und was soll ich sagen: hat auch geklappt. Anscheinend bin ich eben der Schnellfeuersoldat als ein Scharfschütze.

   Die Hälfte der Zeit war nun schon um. Endlich hieß es ein bisschen Aufwärmen und etwas essen im Hauptgebäude. Ja, wenn man einen Platz fand! Nicht zum Essen wurde sich hier angestellt, sondern um einen Sitzplatz. Natürlich wurde dann auch reichlich über die Jagderfahrungen gefachsimpelt und sich mit Ruhm bekleckert. Partius muss ja der Preisschütze schlechthin gewesen sein, hieß es. Hatte bis jetzt alles Gold geschossen. Fehlte nur noch die MGS4 – P1 durften wir ja ohnehin nicht.

 

Der bundesdeutsche Soldat
Der bundesdeutsche Soldat

   Nun gut, Mittag war leider vorbei. Machte ich mich halt an die nächsten Aufgaben. Nur, wo sollte ich hin? Es brachte ja nichts, die Bravo oder gar die Charlie zu schießen, wenn man nicht mal die Alpha geschafft hatte. Und hier packte mich dann auch dieses altbekannte Gefühl von „Aus Prinzip jetzt erst recht!“ Also machte ich mich noch mal auf zur Alpha. Irgendwie kam ich dann sogar durch bis zum Schießstand, trotz der drei vorangegangenen Versuche. Jetzt bloß nicht die Bahn 1, alles nur nicht die 1... und so ging es irgendwo in die Mitte. Sobald ich dalag und die Probeschüsse abfeuerte, wurde mir klar, warum Bahn 1 so komfortabel gewesen war. Denn die Bahnen waren nebeneinander angeordnet, folglich lag die Eins ganz links außen, die anderen parallel daneben nach rechts. Der Hülsenauswurf des Gewehrs zeigt nach rechts. Folglich fliegen einem an allen anderen Bahnen als der 1 ständig die Patronen an den Helm. Das macht dich krank! Egal, hier lag ich, hier schoss ich – hier traf ich … Silber! Da soll noch mal einer sagen, „Es kann nicht an der Waffe liegen!“ Wie ich im Nachhinein hörte hatte dieses verkrüppelte G3 an der Bahn 1 auch noch andere in Bedrängnis gebracht. Aber so was musst du vorher wissen

   Nachdem ich dann meine Brille wieder bekommen hatte - ich weiß bis heute nicht, wem sie alles eine Schützenschnur verschafft hat - Kamerad Turn sein Rückstoß-Veilchen verkraftet und alle Stände wieder abgebaut waren, konnten wir uns vom verregneten Bayreuth verabschieden. Die Ausbeute der Stube: Die Hälfte bekam ihre Schützenschnur und der Rest braucht so ein Gehänge an der Ausgehuniform sowieso nicht.

 

 

Rekrutensichtung

Davon kann ich im Grunde nur noch eines sagen: sie ist vorbei! Das größte Pro-forma-Hindernis auf dem Wege Gefreiter zu werden wurde von uns irgendwie geschafft. Aber lassen wir es spaßeshalber einmal Revue passieren:

   Los ging es mit den ABC-Anzügen. Praiss stand schon an diesem Abschnitt bereit. Mit ihm war es kein Problem die ganzen Überzüge hinzubekommen. Glücklicherweise waren wir die ersten hier. Die letzten würden viel Spaß dabei haben, wenn sie in die völlig verschwitzten Overgarmente kriechen durften.

   Danach kam das Wacheschieben. Zuerst wurde Streife gelaufen, jeweils in Zweiergruppen. Nichts Aufregendes, lediglich einen Typen sicherstellen, der offensichtlich unbefugt zwischen ein paar Autos rumfummelte. Für solche Freiwilligenaufgabe stellen sich in der Regel unfreiwillig Gefreite aus der 7. Kompanie zur Verfügung. Ich glaube, was anderes haben die dort auch nicht zu tun. Das lief ganz gelassen ab, einen Warnschuss und der Strauchdieb ging dann meistens schon von selbst runter auf den Boden. Nur eine Gruppe griff etwas stärker zu den Waffen, die hätten den wahrscheinlich gleich beim ersten Sichtkontakt standrechtlich erschossen. Wer das jetzt war, kann ich allerdings nicht mehr sagen, hätte aber zu Partius gepasst.

   Weiter ging es mit der Torpostenprüfung. Hierzu sollte man einfach nur bei einem ein- oder ausfahrenden Soldaten kontrollieren, ob er eine Parkkarte hat, einen gültigen Fahrauftrag, überhaupt Soldat ist, usw. Es ging solange alles gut, bis ich an der Reihe war. Stuffz Keschkes hatte die Obhut über dieses Gehabe. Der Gefreite im Wolf fuhr also hinein in die Kaserne, also nichts besonders Schwieriges. Tatsächlich hätte ich nur seinen Truppendienstausweis verlangen müssen und die Sache wäre gelaufen gewesen. Doch irgendwas war daran komisch. Als ich ihn angehalten hatte und er nach langem Suchen auch endlich den Wisch fand, stellte sich heraus, dass er angetrunken war. Als guter Kamerad ließ ich ihn noch in die Kaserne fahren, dort solle er das Auto schnell abstellen und möglichst unauffällig verschwinden. Tja, Keschkes hätte es vielleicht genauso gemacht, aber hierbei ging das so nun doch nicht. Oh, das folgende Gezeter hätte man nicht hören wollen! Klar, theoretisch hätte er sofort aussteigen und gemeldet werden müssen... Dass Keschkes dennoch ähnlich gehandelt hätte, erkenne ich heute daraus, dass er mich nicht durchfallen ließ.

   Nach der Schlagbaumaktion dachte ich noch, es könne nicht schlimmer kommen, doch es kam. Denn die Sanitätsstation war als nächstes an der Reihe – und da war Fänger der Oberaufseher, was für uns hieß, wir konnten diese Prüfung als abgehakt, also nicht bestanden betrachten. Was dann auch geschah. Unser Szenario: Ein Radfahrer wurde von einem Wolf angefahren und gegen eine Mauer gedrückt. Zwei oder drei Verletzte. Nun sollten wir (12 Mann) in organisierter Arbeit diesen armen Leuten helfen. Winsche übernahm nach langem Streiten das Kommando und teilte uns zur Arbeit ein. Am Anfang lief es noch ein bisschen durcheinander ab, schließlich fanden wir jedoch unsere Aufgaben und dachten eigentlich auch ganz passabel abgeschnitten zu haben. Doch wie könnte es auch anders sein, Fänger schilderte uns den Ablauf eines totalen Desasters. In einem Punkt hatte er sogar recht: Der Radfahrer klagte wohl über Bauchschmerzen, hatte aber nur ein paar lapaliale Wunden am Arm, während der Wolffahrer wohl schwere Kopfverletzungen gehabt haben muss. Deswegen untersuchten wir den Radfahrer nicht näher, wir hatten ja auch nur begrenzt Zeit, alles musste schnell gehen. Später stellte sich heraus, ersterer hätte eine schwere Bauchblutung gehabt. Womit wir eindeutig durchgefallen wären. Zum Glück bestand der Spieß Kolpe später darauf, uns mindestens ein X zu dem O zu geben (X = bestanden, O = durchgefallen) und das war letztendlich das Wichtigste.

   Als nächstes wurden wir zum Gefechtsdienst geschickt. Ob Anschlagsarten (also im Schussposition im Stehen, Knien oder Liegen) noch zwischendurch abgefragt wurden, weiß ich gar nicht mehr. Jedenfalls sollten wir noch Geländekarten skizzieren und mit dem Kompass hantieren. Das war allerdings kein großes Problem für uns gewesen sein, wir hatten ja aus unseren Fehlern beim Orientierungsmarsch gelernt.

   Das mit Abstand Nervenaufreibenste, noch über der Sanitätsausbildung, war wohl die letzte Prüfung. Denn was fehlte noch? Richtig: die Waffen. Hierzu wurden wir nicht einmal alle auf ihr Können begutachtet. Vielmehr sollten sich die Hälfte von uns, nämlich sechs Mann, an die eigens dafür aufgebaute Bahn begeben und durch Stacheldraht, Zelte und Matsch kriechen (es hatte gerade begonnen zu regnen) und zwischendurch P1, MG und G3 fachmännisch zerlegen und wieder zusammensetzen. Das alles sollte in einer gewissen Zeit geschehen sein. Doch wie bestimmt man nun die Leute, die sich diesem nervlichen, vor allem aber körperlichen Druck unterziehen sollen, während die anderen drum herum stehen und sich freuen, nichts machen zu müssen? Ganz einfach, man nimmt die, die es augenscheinlich am besten können, da sonst alle durchgefallen wären (Tenplim, Partius, Dabiosch, Schelle, Hörich, Turn zählten zu den Auserwählten). An dieser Stelle Lob an alle Beteiligten: Denn bei dieser Kälte und mit durchnässter Kleidung die kleinen Teile der Waffen zusammen zu pfriemeln ist wahrlich beachtenswert.

   Somit hatte sich die Rekrutensichtung insgesamt als einfacher erwiesen, als gedacht, und wir konnten nun alle das befreiende Gefühl genießen, bald Gefreite zu sein. Wahrscheinlich deswegen heißt es wohl auch „Gefreiter“, weil du dann frei vom Schuften und von der Plackerei bist... so dachten die meisten mit gutem Grund auch noch bis zum AGA-Ende.

 

Eines allerdings hatte ich bis zum Schluss gefürchtet. Da konnten tausend Biwaks kommen, aber diese eine Sache bereitete mir schlaflose Nächte: die Blutgruppenbestimmung! Wenn ich vieles ab kann, aber nicht das. Im Kampf verwundet zu werden ist eine Sache, aber wie Schlachtvieh vor dem Metzger in einer Reihe zu stehen und auf die Vollstreckung seines Urteils zu warten, ist ein psychologisches Martyrium. Aber wenn ich wissentlich von mir etwas abgeben soll, ohne etwas Vernünftiges dafür zubekommen, dann ist das einfach zu viel. So begründe ich das.

 

   Die letzte(n) Woche(n) hieß es nur noch „Reinigen“. Selten kam man noch mal zu einer Übung raus. Putzen, ja. Aber was? Wir machten schließlich schon zweimal am Tag sauber. Zwischendurch also auch noch? Ja, zwischendurch auch noch. So nahmen wir uns also, nachdem wieder einmal alles gründlichst gereinigt war, jedes Detail unserer Stube und der Kleidung unter die Lupe. Nicht, dass wir noch viel gefunden hätten, aber wir mussten ja wenigstens so tun, als ob noch immer ein Berg an Aufgaben vor uns lag, auf den wir uns voller soldatischen Enthusiasmus zu stürzen bereit waren. Obwohl das Ganze ein wenig unlogisch ist, fiel mir beim Putzen auf: Wenn wir nichts mehr zu tun hatten, hieß das doch eigentlich, dass alles rein ist. Falls wir dann aber trotzdem weiter machten, würden wir uns selbst ein Armutszeugnis ausstellen, weil wir dann ja nicht ordentlich gearbeitet hätten, oder nicht? Während dieser Zeit gingen mir nun auch endlich mal wieder wichtigere Dinge durch den Kopf und nicht nur die überlebenswichtigen Fragen nach dem Essen und Schlafen, auf welche die Gedanken während des Drills beschränkt wurden. Nun aber begann man wieder die Eigenschaften eines menschlichen Lebewesens in sich zu spüren, den Unterschied zu einem eingesperrten Tier an sich zu bemerken und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, wie es so schön heißt. Wir wurden wieder zu Menschen, langsam zwar und auf der untersten Stufe des Seins, aber die Gefreitenzeit war ja nicht mehr weit.

Während dieser sinnlosen Tage ließen wir in diesem Sinne noch einmal die Grundausbildung an uns vorbei laufen und versuchten zu begreifen, was wir da eigentlich erlebt hatten. So kamen Dinge zum Vorschein, die man von sich selbst niemals erwartet hätte – ebenso wenig von anderen, wie zum Beispiel die immer wieder gern zitierte „Fabel von dem NATO-Alphabet und dem Bieber“. Es war also noch ziemlich am Anfang dieser denkwürdigen drei Monate, als wir einen Haufen Zeug auswendig lernen mussten: Dienstgrade, Vorschriften, Regeln, die VVO (Dienstränge) und unter anderem auch das NATO-Alphabet. Unsere Ausbilder nervten dann immer mal zu unbestimmten Zeiten mit der Abfrage des Gelernten, zum Beispiel beim morgendlichen Antreten. Kamerad Turn kam nun an jenem Tag zuerst dran. Er sollte seinen Namen also im NATO-Alphabet buchstabieren. Das tat er auch und gab dem Vorgesetzten (heute war es Keschkes) keinen Anlass zum Meckern. Für alle, die sich das nicht vorstellen können: Tenplim buchstabierte: „Tango-Echo-November-Papa-Lima-India-Mike“ Ob es nun Schicksal war oder ob Keschkes etwas ahnte, ich weiß es nicht. Aber nun war Kamerad Bieber an der Reihe. Hier das Protokoll:

 Textfeld: Alfa Bravo Charlie Delta Echo Foxtrot Golf Hotel India Juliett Kilo Lima Mike November Oscar Papa Quebec Romeo Sierra Tango Uniform Victor Whiskey X-Ray Yankee Zulu

- Bei „Mike“ dachten wir noch, er würde Tenplims letzten Buchstaben wiederholen; Keschkes blickte verwirrt, wollte schon was sagen, aber Bieber machte weiter.

 

- Bei „Alpha“ spekulierten wir, ob er nun aus Verzweiflung das komplette Alphabet runterrattern würde; Keschkes wartete ab, seine Verwirrung schlug in Erkenntnis um.

 

- Bei „November“ konnten sich das einige nur mit Bezug auf die tatsächliche Jahreszeit, die momentan vorherrschte erklären; Keschkes grinste breit, aber Bieber ließ sich nicht beirren.

 

- Bei „Uniform“ wurde nun langsam klar, was ihn trieb; Keschkes musste an sich halten.

 

- Bei „Echo“ brach bereits aus manchen ein leises Schnauben heraus, einem Schnupfen ähnlich; Keschkes wartete gespannt auf den letzten Buchstaben.

 

- Nach „Lima“ war alles still, wir wussten ja noch nicht, wie Keschkes reagieren würde.

 

Sein Grinsen verschwand für einen Augenblick, dann sagte er: „Fein, Manuel. Und jetzt bitte Ihren Nachnamen!“ Wir konnten nicht mehr! Nicht mal die Ausbilder waren in der Lage, diese paar Minuten voll heiteren Krakeelens zu unterbinden. Seit dieser Buchstabierung zu Beginn der AGA hatte Keschkes bei uns einen Stein im Brett. Kamerad Bieber schien es gar nicht weiter zu interessieren, er lachte jedenfalls munter mit, als ob jemand einen guten Witz gerissen hätte – obwohl, er grinste eigentlich immer.

   Irgendwann in der letzten Woche gab es zwischen den ganzen Putzorgien dann auch mal eine der vielen „Antrittspausen“ in der wir endlich den völlig zerflederten Wisch des vorläufigen Truppenausweises gegen ein brandneues Exemplar eintauschten – und es war wieder nur ein Stück Papier! Man hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, es einzuschweißen, wo wir doch mit diesem Teil durch Schlamm und Dreck robben mussten.

 

Auskleidung
Auskleidung

Dann war da noch die Auskleidung. Ich möchte mal behaupten, dass diese Übung uns allen die meiste Freude bereitete. Allein schon das Wort ließ darauf schließen, den Dreck hinter sich zu lassen. Dazu mussten wir nur noch unser gesamtes Zeug einmal komplett über dem Flur verteilen und aufpassen, dass einem nichts geklaut wurde, was jemand anderem abhandengekommen war, um die Erstattungsgebühr zu sparen! Ich möchte an dieser Stelle einem bestimmen Kameraden einfach mal nicht unterstellen, dass er meinen Langbinder (auch „Schlips“ genannt) absichtlich hat mitgehen lassen...

    Es war auch (wirklich) das einzige Mal, dass wir die ABC-Schutzbrillen anprobiert hatten. Das Foto, was ich dazu anfertigte, veranlasste Oberfeld Kießler dann doch noch mal mich ans Ende des Horizontes gleiten, abschlagen und zurückrobben zu lassen. Nur dass der Horizont der Wache gleich kam und das Abschlagen im Auswendiglernen des Türschildes bestand, das sinngemäß enthielt „Auf dem Gelände ist das Fotografieren verboten“. Wollte ich mir die Sache einfacher machen, hätte ich es auch ‚abfotografieren’ können, aber das war mir dann doch zu dreist.

   Allerdings graute mir schon davor den ganzen Scheiß, der hier vor uns auf dem Boden lag, noch zu verpacken und fortzuschleppen – und zwar mit gutem Grund, wie wir gleich noch sehen werden.

 

   Nun hielt erstmal alles auf das letzte große und noch erwähnenswerte Ereignis des angeblich schwierigsten, dreimonatigen Teils der Armeezeit zu (wenn man mal von einem Auslandseinsatz absieht): dem Zugabend. Doch bevor es soweit war, wollte noch ein Austragungsort, das Programm, die Getränke usw. rangeschafft werden. Nur leider fühlte sich nicht wirklich jemand dafür verantwortlich, sodass kurz vor dieser Abschlussfeier noch rein gar nichts feststand. Einen Tipp bekamen wir allerdings, von niemand anderem als Stuffz Keschkes natürlich. Seiner Meinung nach würde er nur mitkommen, wenn wir auch genügend Hasseröder bereitstellten. Warum gerade das? Nun er sagte, da sei so viel „Hass“ drin...

 

Zugabend

Der abschließend schönste Teil der Grundausbildung sollte nun noch folgen. Immerhin bekamen wir dafür schon ein paar Stunden vor Dienstunterbrechung frei! Allein das war die Sache schon wert.

   Wegen dem unglücklichen Vorfall mit der Kamera wurde ich nun offiziell von Kießler zum Hoffotografen befördert (eher degradiert). Leider sind die Bilder ziemlich verwackelt, denn immerhin war Kamerad Turn der einzige, der keine Rauschmittel genommen hatte und gleich nach der Pizza verschwunden war. Was mir an den Fotos allerdings auffällt ist, dass fast niemand wie ein richtiger Soldat aussieht. Eher wie ein paar Jugendliche, die auf Ferienlager waren! Aber wahrscheinlich kommt das, weil man die Leute jetzt etwas genauer kennt.

   Kamerad Turn war, wie schon erwähnt, der Erste, der das Weite suchte. Diese herrlichen Stunden ruhigen Schlafens konnte er sich doch nicht entgehen lassen, zumal er ohnehin keinen Alkohol trank. Damit allerdings verpasste er das Empfangen der schwarzen Pionierslitzen, die nun inoffiziell das Ende der AGA verkündeten und ein paar interessante Bilder. Mit einem abschließenden Wort kann ich nochmals Stuffz Keschkes zitieren: Der Abend war „Weltklasse!“ (Beweisvideos gibt es genug ;)

Zugabend:  "Die Erste ...                                                                   ... die Zweite ...                                                                  ... und Cut!"

 

Ich habe jetzt so oft vom AGA-Ende gesprochen, nun soll es auch folgen. Kurz zuvor hatten wir erst erfahren, wohin wir im nächsten halben Jahr verlegt werden würden. Die meisten kamen in die 1. Kompanie (mit Abstand die Langweiligste). Manche blieben auch in der 7., wie Kamerad Schmitt und Hohl (armer Schmitt!), wechselten allerdings die Stube. Und dann gab es da noch die Deppen der 5. Kompanie, wozu auch ich zählte. Erstmal war ich froh, den LKW-Schein machen zu können, aber bald schon erfuhr ich, dass sich diese Vergünstigung kaum mit dem Rest an einem Leben in der 5. aufwog.

   Dennoch standen wir mit freudiger Erwartung früh das erste Mal wirklich gern auf. Wenn auch tatsächlich ein wenig Reumütigkeit mit eingemischt war, wie es uns die Ausbilder prophezeit hatten. Denn so intensiv wie in den vergangenen drei Monaten würden wir selten wieder mit Menschen in Kontakt kommen. Wir sagten immer, das könne niemals geschehen, aber bis jetzt hatten die Ausbilder wirklich Recht! Daher möchte ich mich hiermit einmal für alle Gehässigkeiten entschuldigen und den Kameraden der ehemaligen Stube 116 in der Zeit vom 04. Oktober bis 23. Dezember für die Kameradschaft danken. Natürlich sind damit auch ein wenig die der Stube 114 (die Raucher), und die anderen Gruppen des 3. Zuges mit eingeschlossen.

   Nun, von wem ich eigentlich gar nicht berichtete, ist Kamerad Hörich. Er gehörte ebenfalls zur Gruppe 1, nur eben Stube 114 und fiel nicht häufig auf. Wahrscheinlich hätte gerade das ihn zu einem perfekten Soldaten gemacht, wenn er denn länger geblieben wäre. Denn dieser Kamerad verstand es, zwar seine Meinung kund zu tun, sich aber dennoch aus dem Gröbsten raus zu halten. Das sind oft die Gefährlichsten, denn man kann sie nicht einschätzen.

 

Auf mich trifft das jedoch nicht zu. Ich war das Gegenteil von Hörich und trug mein Herz auf der Zunge. Das wahre Ende dieser Zeit hatte sich dadurch für mich noch einmal in einem beinahe filmreifen Showdown entladen. Nachdem ich langsam richtig genervt die ewig schweren Taschen auf den Exzerzierplatz geschleppt hatte und mit dem Gedanken anfreunden musste, mit Meihn und Dabiosch auf einer Stube in der 5. Kompanie (!) zu sein, ging es mir auch dementsprechend unprächtig. Doch nun war nichts weiter zu tun, als mich, wie die anderen ja auch, des letzten Antretens zu unterziehen und spätestens jetzt drehten sich meine Gedanken nur noch um das baldige Ablegen der monströsen Gewichte und das nahe Weihnachtsfest. Tja, und kaum war ich aus der Tür heraus und hatte den Krempel erleichtert fallen gelassen, ist der allseits auf dummtreue Ordnung bedachte Kamerad Tenplim so blöd und quatscht mich von der Seite an, wo meine Feldmütze denn wäre – aber in einem Ton, dass ich dachte ‚Okay, du hast es nicht anders gewollt. Jetzt kriegst du aufs Maul.’ Nun, es kam nicht soweit. Zum Glück war der Rest der Kameraden so geistesgegenwärtig und trennte ihn von mir. Sonst hätte ich nicht sagen können, was passiert wäre. Die gesamte Anspannung der AGA war angestaut und hätte sich dort und damals mit einem Schlag entladen. Angeblich soll selbst Kießler nur noch baff mit offenem Mund daneben gestanden haben.

 

Hätte mir das wirklich niemand zugetraut? Wohl eher nicht. Aber wer kennt einen Menschen schon so gut, dass er immer voraussagen könnte, was dieser als nächstes tut. Nicht einmal der man selbst vermag das manchmal zu sagen, da man selbst nicht weiß, wie alles weitergeht.  Schließlich hatte jeder eine andere Vorstellung von der Zukunft und es war schon etwas Geheimnisvolles, die Gefreitenzeit ...

 


Angehängt

Dienstgrade der Bundeswehrstreitkräfte*:

 

 

 

 

Rang-Abzeichen

3

1. Heer /

 -

2. Luftwaffe

3. Marine

 

Sanitätsdienst (Heer und Luftwaffe)

  

 

Mannschaften

 

Soldat1

Matrose

Sansoldat

Gefreiter

(See)gefreiter

Gefreiter

Obergefreiter

Ober(see)gefreiter

Obergefreiter

Hauptgefreiter

Haupt(see)gefreiter

Hauptgefreiter

Stabsgefreiter

Stabs(see)gefreiter

Stabsgefreiter

Oberstabsgefreiter

Oberstabs(see)gefreiter

Oberstabsgefreiter

Unteroffiziere ohne Portepee

Unteroffizier (Fahnenjunker)

Maat (Seekadett)

Unteroffizier (Fahnenjunker)

Stabsunteroffizier

Obermaat

Stabsunteroffizier

 

 

Unteroffiziere mit Portepee

Feldwebel (Fähnrich)

Bootsmann (Fähnrich zur See)

Feldwebel (Fähnrich)

Oberfeldwebel

Oberbootsmann

Oberfeldwebel

Hauptfeldwebel (Oberfähnrich)

Hauptbootsmann (Oberfähnrich zur See)

Hauptfeldwebel (Feldarzt)

Stabsfeldwebel

Stabsbootsmann

Stabsfeldwebel

Oberstabsfeldwebel

Oberstabsbootsmann

Oberstabsfeldwebel

 

Offiziere

Leutnant

Leutnant zur See

-

Oberleutnant

Oberleutnant zur See

-

Hauptmann

Kapitänleutnant

Stabsarzt2

(Stabshauptmann)

(Stabskapitänleutnant)

-

 

Stabsoffiziere

Major

Korvettenkapitän

Oberstabsarzt2

Oberstleutnant

Fregattenkapitän

Oberfeldarzt / Flottillenarzt2

Oberst

Kapitän zur See

Oberstarzt / Flottenarzt2

 

Generäle

Brigadegeneral

Flottenadmiral

Generalarzt / Admiralarzt2

Generalmajor

Konteradmiral

Generalstabsarzt / Admiralstabsarzt2

Generalleutnant (Inspekteur)

Vizeadmiral (Inspekteur)

Generaloberstabsarzt/ Admiraloberstabsarzt2

General / Admiral

(Generalinspekteur der Bundeswehr)

 

1 Soldat (Sdt, S): Flieger (Flg, S); Funker (Fu, S); Grenadier (Gren, S); Jäger (Jg, S); Kanonier (Kan, S); Pionier (Pi, S); Schütze (Schtz, S); Panzerfunker (PzFu, S); Panzergrenadier (PzGren, S); Panzerjäger (PzJg, S); Panzerkanonier (PzKan, S); Panzerpionier (PzPi, S); Panzerschütze (PzSchtz, S); Panzersoldat; Sanitätssoldat (SanS, S)

2 oder …-zahnarzt, -veterinär, -Apotheker,

3 / Offiziersanwärter; Unteroffiziersanwärter; beim Heer entweder „weiß“ für Innendienst (alt) oder „schwarz“ für Feldeinsätze (normal); Luftwaffe mit blauen Schriftzügen; Marine kann abweichen;