Das katholische Knödeldreieck im Konjunktiv

 

Auch Reiseziele wollen gefunden werden. Wenn man als EU-Bürger schon die Möglichkeit hat verschiedene Länder ohne Visum, ja selbst ohne Reisepass zu besichtigen (was andere Nationen wie Russland, China, USA, Kanada, Brasilien oder Australien innerhalb ihres eigenen Landes können), muss man sich zwischen diesen Ländern aber immer noch entscheiden: In der Sommerhitze kam Südeuropa schon nicht mehr in Frage. Skandinavien im Norden ist zu teuer. Und wenn man nicht viel Zeit hat, weil kurzfristige Terminänderungen eine Reiseplanung unmöglich und Flug- oder Bahntickets sauteuer machen, reicht es gerade noch für die Nachbarländer oder die Umgebung. Die kennt man dann oft selbst nicht genau und kann sie dann endlich einmal erkunden.

 

Survival-Infobox:

 

Bei einer Sache sei allerdings Acht zu geben: Während man in der thüringischen Heimat, in Sachsen und dem Fränkischen von lockeren Klößen (zwei Drittel geriebene Kartoffelmasse, ein Drittel Kartoffelbrei, alles aus mehligen Kartoffeln) spricht, handelt es sich im Knödeldreieck eher um Semmelknödel von festerer Art. Einheimische reagieren mitunter empfindlich auf Verwechslungen dieser Begriffe!

 

Karte des Knödeldreiecks

Rot: das „Knödeldreieck“, orange: unsere Stationen, grüne Schrift: Regionen in Niederösterreich, blaue Schrift: Region in Oberösterreich, braune Schrift: Regionen in Bayern, graue Schrift: Regionen in Tschechien

 

Begönne nun das Konjunktivexperimente:

 

Ich hörte, in einem hypothetischen Land, südlich des Weißwurstäquators und zwischen Frankfurtern und Wienern, jenseits von Hamburgern und Berlinern, da läge das sagenumwobene Knödeldreieck. Knödel verschwänden dort Tag für Tag auf ungeklärte Weise, meist in den Mägen von Touristen. Das könnte für uns ein Grund gewesen sein sich ebenfalls in diese Region aufzumachen. Wäre das nicht ein köstlicher Anfang?

 

Ostbayern

Regensburg müsse schön sein, klingt es mir noch im Ohr. Deshalb sollte dieser Stadt die Ehre der ersten Station im Knödeldreieck zuteilwerden. Ohne permanenten Stau auf der A93 wäre es allerdings auch schneller gegangen, weshalb die selbst sonst so überfüllte A9 die bessere Alternative wäre. Eine Alternative wäre es allerdings auch direkt an Regensburg vorbei zu fahren, um Touristenmassen zu vermeiden und gleich zu hübscheren Städtchen überzugehen.

 

Schlechtes Regensburg, gutes Regensburg: o.: Intersport-Schrott, Ruinen der Effizienz-Holding und ANTIFA-Gebäude u.: aber auch der Rathausplatz

Wenn man allerdings auf die Stimmen im Ohr hörte und schon ein Zimmer des Dream-Hotel mitten im Gewerbegebiet nebst einem Schrottplatz gebucht haben sollte, könnte man auch die positiven Seiten der Stadt suchen. Die Siedlung am Zusammenfluss von Donau und Regen wäre ein quirliges Studentendorf, hätte es denn weniger Touristen und mehr Studenten. Dafür wartete eine Schule mit dem Spruch auf: „Gegen Rassismus, für Courage“, wobei man ohne Rassismus auch keine Courage bräuchte.

Marktplatz, Dom und andere Kirchen wären ganz nett, solange man dies nicht bereits aus anderen mitteleuropäischen Städten kannte. Was sich dagegen lohnte, wäre die Walhalla über dem Donauufer, mit ihrer Sammlung von Steinköpfen bedeutender (deutscher) Leutchen und dem weiten Blick über das Molassebecken gen Alpen nach Süden.

 

Walhalla: Gäbe es Götter, wäre die Erde ihr Kino und die Menschen die Darsteller

Tagsüber lasse man die Walhalla ein Museum sein – käme man jedoch des Abends an diesen Orte, so pflüge man durch Picknick-Körbe, Weinflaschen und Liebespaare im Sonnenuntergang. Auf diese Weise könnte es zu einem Dialog auf den Stufen Walhallas kommen, denen sich ein einzelner, fremder Besucher ausgesetzt fühlen müsste:

„Ist der gerade eben allein hier her?“

„Ich glaube schon.“

Es wären Worte gewesen, die olympische oder asgardische Götter im Himmelreich miteinander austauschten, um verwundert den neuen Helden zu begrüßen – oder um ihr Mitleid über den einsamen Heldenweg zuvor auszudrücken.

Bei Tage betrachtet, zeigte das Monument allerdings nur ein unvollständiges und sehr selektives Abbild deutscher Kulturgrößen. So würde man beispielsweise Karl Marx oder Hermann Hesse vermissen, während Konrad Adenauer und oder Edith Stein auftauchten.

 

Passau dagegen verzauberte die reichhaltigen Besucher mit mondänerer und katholischerer Architektur inmitten des Donautals. Es könnte am Inn liegen, der hier Alpenabrieb in die Donau einbringt, dass die Stadt so viel reizvoller erschien. Auf der Veste Oberhausen droben hätte es auch schön sein können, würden Jugendliche aller möglichen Nationen nicht glauben, dass sämtliche Besucher ihre sogenannte „Musik“ ebenso lautstark hören mochten. Dabei könnte man sich fragen, was Musik eigentlich ausmacht und ob nicht wenigstens so etwas wie Gesang statt Ersprochenem, ein entfernter Anflug von Melodie oder zumindest so etwas wie Rhythmus dazugehört. Aber diese Frage stelle man heute besser nicht mehr, wolle man Musik der heutigen Zeit definieren, deren Markt ohnehin nur noch von diesem Hippie Hoppie dominiert zu sein scheine.

 

Passau: o.: die Donau am Schaibling-Turm, Gisela-Templom, Veste Niederhaus, u.: Altstadt (im Weitwinkel)

Nordösterreich

Im Falle eines Fußball-WM-Finales, wie es heuer so wie alle vier Jahre ausgetragen wird, müsste man sich sputen um rechtzeitig von Passau aus Linz zu erreichen – oder zumindest hindurch zu fahren, um den dahinterliegenden Zeltplatz zu erreichen und dort das Spiel sehen zu können. Denn Linz ähnelte Regensburg: es gäbe ohnehin nicht so viel zu sehen.

Nun wäre auf einem Campingplatz ganz in der Nähe des Linzer Industrieparks, nur von einem Wald und Hügeln getrennt, auch zu beobachten, wie Österreicher im Finale „Frankreich gegen Kroatien“ eher für die Kroaten jubelten - wahrscheinlich, weil sie es noch als Teil ihres K+K-Reiches hielten - und wie so oft in der Geschichte auch an diesem Tage wieder eine Niederlage gegen Frankreich einstecken mussten (z.B. die Köpfung Marie-Antionettes, Niederlage der Schlacht bei Lodi gegen Napoleon, den Verlust Kroatiens im Frieden von Schönbrunn, die Aggressionen im Wiener Kongress, ach und die französische Teilnahme an der Entente im 1. Weltkrieg bzw. an den Alliierten im 2. Weltkrieg die nicht zu vergessen – um nur einige Antipathiegründe Österreichs gegen Frankreich zu nennen).

Zum anschließenden Wandern und Genießen der Natur mit ihren sanften Hügeln und abwechselnden Wald-und-Wiesen-Flicken des Mostviertels würde die Landschaft hier einladen, wenn – ja wenn es wirklich ausgeschilderte Wanderwege gäbe. Denn im Ötscher-Tormäuer-Naturpark konnte man zwar Wanderwege und auch Schilder finden, doch dass diese in die richtige Richtung wiesen oder nicht komplett falsch beschriftet wären, könnte man wohl wirklich nicht verlangen. So erführe man erst auf halbem Wege in die falsche Richtung von einem Bergbauern unter schwierigsten, dialektischen Umständen von der Unmöglichkeit das Ziel auf eben jenem ach so ausgeschilderten Wege zu finden.

 

Niederösterreich: Mostviertel und Ötscher-Tormäuer-Naturpark in den Ybbstaler Alpen

 

Tatsächlich würde aber die Panoramastraße von Puchenstuben nach Reith den Fehltritt mit einigen erhebenden Blicken (und bei Unvorsicht auch mit sehr erniedrigenden Stürzen) darüber hinweg trösten. Dann würde man auch kaum glauben, wie wenige Menschen sich hier her trauen, wohl weil die größeren Berge und die „richtig“ hohen Alpen wenig weiter südlich begännen.

 

Wien

Es könnte ein moderne Wiener Schmäh sein, den sich die Stadtväter haben einfallen lassen, und sie nannten es „Kurzparkzonen“. Wenn uns dann selbst das Wetter ausgerechnet in diesem europäischen Dürresommer exakt an der Stadtgrenze mit einem Wolkenbruch begrüßte und wir parkend am Straßenrand zum Trottoir hätten schwimmen können, müsste man die Straßenschilder noch lesen und würde beinahe ins Lachen ausbrechen. Denn Parken wäre einfach, wenn es nicht auch schwer ginge! Wer nun nicht den Parkplatz vom Hotel für 27 Euro pro Tag nehmen wollte, müsste sich etwas anderes einfallen lassen – oder einen Einheimischen fragen: In unserem Fall hatte es aus Zufall passieren können, dass wir auf der Parkplatzsuche in den Nachbarstraßen einen Fahrlehrer fanden, der gerade Feierabend machte und seinen letzten Schüler verabschiedete. Wer könnte besser geeignet sein um sich über die ominösen Kurzparkzonen zu informieren? Und das täte er dann auch. Hätte dieser Wiener den Schmäh gehabt, so schimpfte er im (wohl) typischen Wiener Ton der Ironie über die Touristen vergraulende Regelung auf die grüne Stadtregierung.

 

Eine Tour durch Wien könnte an einem einzigen Tage machbar sein und wie folgt aussehen:

Man begönne bei der aus verschiedensten Baustilen komponierten Karlskirche und fahre mittels provisorischem Fahrstuhle des Kirchenraum nach oben, um aus schwindelerregender Höhe in den Kirchenraum hinab blicken zu können.

Anschließend lasse man sich auf dem Naschmarkt von Türken und Arabern anquatschen, obwohl man nur schauen wolle. Und weil man dann doch langsam Hunger bekäme, müsste man schließlich auch eine der fettigen Käsekrainer dem Magen zuführen.

Die Hofburg läge dann nicht mehr weit weg und mit etwas organisatorischem Talent ließe sich die Hofbibliothek in wenigen Minuten von innen besichtigen (nicht wie bei uns in anderthalb Stunden). Der Rest um den inneren Altstadtring ist ein Schaulaufen der Architektur, also von innen nicht notwendigerweise zu erkunden, außer man spüre Lust auf unzählige Museen.

Durch ein paar kleine und hoffnungslos mit Touristen überfüllte Gassen wäre man auch schon am „Steffl“ (Stephansdom). Im Stadtpark reichte ein bloßer Rundgang, ins Hundertwasserhaus ist ohnehin kein Einlass und Schloss Belvedere von innen wäre aufgrund des überzogenen Eintrittspreises wohl nicht notwendig, was bedeutet im Vorgehen ein paar Fotos zu schießen sollte ausreichen. Anschließend müsste man auch nicht alle möglichen Attraktionen auf dem Prater ausprobieren, selbst wenn sie verlockend aussähen und könnte direkt weiter über die Donauinsel zum Donauturm pilgern.

Der Abschluss machte abends das Schloss Schönbrunn, falls dort aufgrund des Besucherandranges nicht Wartezeiten von etlichen Stunden anstünden.

So könnte der Tag in Wien für einen, sagen wir mal „asiatischen“ Touristen auf seiner Europa-in-2-Wochen-Tour aussehen.

 

Wien: o.: Hofburg, innerer Stephansdom, Kaffee-Sorten, Hofbibliothek, m: eine Gasse Londoner Art, Hundertwasserhaus, Stadtparkeingang, Blick vom Riesenrad, u.: von der Donauinsel, Spiegelung, die purpurnen Flüsse in Wien

Wir allerdings nähmen uns mehr Zeit für die einzelnen Stationen, was allein der Sommerhitze geschuldet wäre. Man müsste ja nicht gleich im Wiener Riesenrad dinieren, wie es auch ein Pärchen tat. Der Blick aus der Kabine auf die Stadt allein würde ja auch schon reichen. Zu zweit lohnte sich sogar noch die eine oder andere Attraktion des Dauerspaßparks im Prater. Und wolle man einen nächtlichen Blick auf Wien erhaschen, müsse auch bis abends auf dem Donauturm ausgeharrt werden.

 

Waldviertel und Mühlviertel

Der eine oder andere hörte vielleicht schon einmal von der Wachau, dem Burgenparadies an der Donau. Nun, die wahrscheinlich bekannteste, weil beeindruckenste, könnte wohl die Burg Kreuzstein sein. Denn der Erbauer wollte eine Burg aus künstlerischen statt aus strategischen Gründen auf den alten Ruinen errichten.

Burg Kreuzenstein

Burg Kreuzenstein

Nicht minder hübsch könnte man die später auf dem Pfad nach Böhmen die Waldlandschaft des Waldviertels und Mühlviertels nördlich von Linz beschreiben. Hier fände man reich bewaldete Berge, inmitten derer sich Wiesen und Dörfer einschlössen. Gerade die Ysperklamm läge am Ende eines abgeschiedenen Tals dieser Gegen, was die Eingeborenen allerdings nicht davon abhielte Eintritt zu nehmen.

 

Waldviertel, Ysperklamm, Mühlviertel

Waldviertel, Ysperklamm, Mühlviertel

 

Böhmen

Zwar suchte man an der tschechisch-österreichischen Grenze vergebens nach einem Schlagbaum. Doch am massiven Verkehrsaufkommen erkannten wir sofort den Landeswechsel. Die Landschaft könnte man als weniger hügelig beschreiben, aber sonst recht ähnlich zum Wald- und Mühlviertel.

Man würde allerdings eine Touristenhochburg im wahrsten Sinne des Wortes verpassen, führe man bloß an Krumau an der Moldau bzw. Český Krumlov vorüber. Glaubten wir bisher den Ort nicht zu kennen, wüssten doch asiatische Urlauber schon lange davon! Und sie hätten Recht. Denn durchzogen von mehreren Moldauschleifen, umgeben von Bergen mit einer riesigen Burg darauf, einer überdachten, steinernen Freiluftbrücke wie sie in Hogwarts stehen könnte, alten Häusern und Dächern mit einem verlassenen Kloster auf der gegenüberliegenden Anhöhe und den böhmischen Wäldern im Hintergrund böte der Ort tatsächlich einiges Potential für Kinoaufnahmen. Aber auch hier schlügen die Preise für z.B. eine mit Kirschen gefüllte Waffel durch 6 Euro zu Buche!

 

Krumau / Krumlov: Die Innenstadt mit Schlossburg und Umgebung

Ein paar Worte zu tschechischen Straßen:

Ich wollte hier gar nicht den Fahrbahnzustand bemängeln. Wüsste man nun jedoch noch, dass die tschechischen Autobahnen mit einer Maut belegt waren, so würden einen die ausgestorbenen Kraftschnellfernstraßen im Gegensatz zu den verstopften Landstraßen weniger verwundern. Allerdings wartete Tschechien auch nur mit einer einzigen solcher mautbaren Fernstraßen auf. An Auffahrten dorthin suchte man einen Mauthinweis jedoch vergebens. Lediglich an Straßen ohne Maut läse man den Hinweis, dass dort kein Entgelt zu entrichten sei. So bliebe einem Urlauber keine Wahl als angesichts der Straßensituationen noch kleinere Ortsverbindungsstraßen zu wählen – wo mitunter überraschende Dorffeste das Weiterkommen erschweren, da in solch einem Falle rasch die ganze Umgebung abgesperrt vorliegen könnte. Interessant fänden Durchreisende bestimmt auch die ständigen Erinnerungen an das Land, in dem man sich gerade bewegte, als könne man das innerhalb von wenigen hundert Metern vergessen. Für diesen unwahrscheinlichen Falle nun - anders wäre es uns nicht erklärbar - müssen wohl die in regelmäßigen Abständen aufgestellten Werbeplakate mit der tschechischen Flagge darauf zu deuten sein.

 

Letztlich bliebe noch zu sagen, wie leicht man ohne Grenzkontrollen gegen Flüchtlingswellen durch die EU rasen, ähm reisen könnte. Diesen Umstand vergäßen wir allzu leicht, wenn es an den Grenzübergängen nicht doch einmal wieder zu Staus kommen sollte. In Tschechien passierte das dann weniger durch die Wirtschafts- und Krisenflüchtenden als durch Menschen auf der Flucht vor hohen Spritpreisen und der Autobahnmaut.

… und jetzt Schluss mit Konjunktiv!

 

Obwohl – einen hab ich noch: Hätten wir mehr Zeit gehabt, dann hätten wir auch besser planen können und z.B. die Wachau-Gegend intensiver besucht. Aber Konjunktive sind nicht gemacht um sich über die Vergangenheit zu ärgern, sondern um Alternativen aufzuzeigen. Daher ist unsere Reise auch eine Alternative in der unendlichen Vielfalt möglicher Paralleluniversen.