Was ist los im Osten?

Die Regionen Europas sind seit jeher kulturell verschieden und immer wieder kam es zu Zusammenschlüssen und Abspaltungen. Wer könnte das heute besser wissen als die Katalanen, die erbittert um ihre Unabhängigkeit vom spanischen Restland kämpfen? Aus Sicht eines solchen Bewohners mögen die übrigen Konflikte einzelner Regionen mit ihrem Mutterland marginal erscheinen. Aber vielleicht würde er oder sie auch Gemeinsamkeiten und Sympathie im eigentlichen Sinn des Wortes (nämlich „Mitleiden“) empfinden (erkennbar an der kursiven und blauen Schrift).

 

Der Blick in den Osten fällt von Spanien nicht schwer, befindet sich doch die Mehrheit der europäischen Länder von hier aus im Osten. Katalonien selbst liegt bereits im Osten von Spanien und möchte autark sein. Der Vergleich mit den neuen deutschen Bundesländern liegt also nahe:

 

Die derzeitige Situation

„… Rechte Untergrundorganisationen in Thüringen, linke Ausschreitungen in sächsischen Städten (z. B. Leipzig-Connewitz oder Dresden-Neustadt), massive Arbeitslosigkeit in Sachsen-Anhalt, Bevölkerungsschwund in Brandenburg und strukturschwache Regionen in Mecklenburg-Vorpommern ...“

In Katalonien...

...wollen wir frei, unabhängig von Spanien sein. Wir haben uns auch schon mit anderen Regionen Europas vernetzt und in Deutschland z. B. Bayern als Verbündeten im Auge – aber den Osten? Das muss ich mir erst einmal genauer ansehen…


So berichtet die Presse oft. Aber was ist da los?

Das ist fast wie bei uns in und um Barcelona.


Das kann man fragen und sollte man auch, selbst wenn es die eine Antwort nicht gibt, weil jedes einzelne Schicksal jedes einzelnen Menschen anders verlaufen ist. Mittlerweile dauert die Zeit nach der ehemaligen DDR fast länger an als der realsozialistische Staat einst selbst.

Der katalanische Unabhängigkeitskampf währt dagegen schon seit 1978 und im Gegensatz zu den Bundesländern in Deutschland werden die Provinzen Spaniens bereits als „autonom“ bezeichnet.


Und genau wie über den zweiten Weltkrieg oder das gerade einmal zwölf Jahre dauernde 3. Reich suchen die Deutschen Gründe für die Fehlentwicklungen dieser Zeiten. Zwar hat die Demokratie heute gesiegt, doch sie steht nicht stabil, sondern schwankt beständig. Es ist ihr Wesen, gefährdet zu sein, noch mehr als Diktaturen, weil sie eben ihre Gegner gleichberechtigt mit ihren Befürwortern betrachtet.

 

Ist das schon der Grund für die aktuellen Probleme mit Rechten, Linken, Verschwörungsmystikern und anderen missliebigen Personen? Zumindest ist es die Grundlage, aber nicht der einzige Grund.

 

 

 

 

Wer wüsste das besser als ein Katalane, der erlebte, wie trotz Volksabstimmung die Heimat noch immer nicht befreit ist vom Joch des spanischen Königs!


Ein Blick zurück

Denn hinzu kommt die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen im Osten nach der Wende.

 

Auch in Spanien herrscht großflächig Arbeitslosigkeit seit der Wirtschaftskrise nach 2008 unter den jungen Menschen, weswegen viele nach Deutschland auswandern: vgl. z. B. https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Gesellschaft-Wie-junge-spanische-Auswanderer-bei-uns-zurechtkommen-id51883206.html.


Der ostdeutsche Arbeitsmarkt brach zusammen, Stellen gab es kaum noch, wenn man sich nicht selbstständig machte oder aus dem Westen kam. Die Eltern wurden großflächig auch arbeitslos. Es kam neues Geld, ein neues System mit neuen Gesetzen, neuen Prinzipien, neuer Moral, ein neues Denken, neues Handeln – alles war plötzlich anders. Schon gemachte Abschlüsse wurden oft nicht anerkannt, man musste sich rechtfertigen in der FDJ gewesen zu sein. Wer gar bei der Stasi war brauchte bzw. konnte sich nicht mehr dafür rechtfertigen. Ein Fall in der „Zeit“ berichtete so z. B. von einem damals 17-Jährigen Stasi-Jungoffizier, der ein Jahr lang dort dabei gewesen war und deswegen noch heute keine Anstellung bekommt, weil er als Staatsfeind gilt (vgl. Zeit-Magazin Nr. 15). Vielleicht war sein Antrieb tatsächlich ideologisch motiviert, vielleicht wurde er überredet, vielleicht war es einfach jugendlicher Leichtsinn, vielleicht war er auch ein schlechter Mensch.


Bei ihm tut man sich nur deutlich schwerer mit einer zweiten Chance als bei den noch über Jahrzehnte beherbergten ehemaligen und langgedienten SS-Offiziere in den vordersten Reihen der „Demokratie“ in der noch heute bestehenden Bundesrepublik Deutschland.

 

So wurde der alte, nationalistische Geist bis weit nach dem Krieg hinaus erhalten, übrigens in Spanien sogar aktiv durch Francos Regime noch bis in die 70er Jahre!


Trotzdem sprach einst ein sozialwissenschaftlicher Professor den Ostdeutschen eine eigene Meinung über ihre eigene Vergangenheit wegen Befangenheit ab. Ist das also die wahre verlorene Generation? Wie tief kann man noch im Ansehen des eigenen Landes sinken, mögen sich dabei viele Ostdeutsche über sich selbst denken? Und wie kann man sich angesichts dessen noch Gehör verschaffen? Vielleicht mit den Mitteln der Demokratie: mit Protesten, Demonstrationen und radikalen Wahlentscheidungen. Wenn das auch nicht hilft, muss man doch die Demokratie selbst anzweifeln und sich anderer Mittel bedienen, oder nicht?

Schul- und Krippensysteme wurden geändert, Forststrukturen krankgeschrumpft, auch tatsächlich noch gut funktionierende Fabriken geschlossen und später mit dem BRD-Stempel wieder eingeführt. Subotnik und Nachbarschaftshilfe war nun Ehrenamt und christliche Nächstenliebe. Aber obwohl man keinen Krieg verloren hatte, wurde der Osten als besiegtes System betrachtet. Eine riesige Bevölkerungsgruppe fühlt(e) sich wie Menschen 2. Klasse und das fußte oft auf ganz klaren Erfahrungen: so wurden im Baubetrieb Angestellte bis in die 2000er Jahre teils wie Sklaven behandelt, übrigens auch wenn sie aus dem Westen kamen! Unbezahlte Wochenendarbeit, Gehaltsausfälle, Geringschätzung, Kündigungsdrohungen bei alltäglichen, menschlichen Fehlern oder Murren und fehlende Arbeitssicherheit waren normal und wurden manchmal damit begründet: man müsse nur richtig arbeiten, um etwas zu werden und insgeheim lag der Vergleich nahe: es ist doch wie damals, in der DDR, als man zu unbezahlten Arbeitseinsätzen zusammen kam, das Geld nichts wert war, die Gemeinschaftsleistung über alles ging und die Bonzen (= Funktionäre) sich fett fraßen. Nur dass nun nach westlichen Maßstäben in der Marktwirtschaft das Geld über allen stand und der einzelne Mensch genauso wenig zählte.


Wo Menschen wenig hatten, standen sie zusammen. Viele hatten in der DDR wenig, auch wenn es meist zum Leben gut reichte. Man stand eher zusammen. Später hatten immer mehr Menschen immer mehr, aber nicht im direkten Umfeld, sondern vor allem im Westen – und in den Haushalten der westlichen Vorgesetzten. Denn es wurden diejenigen in den Osten geschickt, welche nichts taugten oder neu in der Firma waren und sich beweisen sollten. So sah man es hier. Entweder waren das unleidige Unmenschen als Chefs oder unerfahren Neulinge. Gut qualifizierte Fachkräfte aus der Region hatten keine Chance. Wer konnte, desertierte, flüchtete also zum Feind und ging in den Westen: meist junge, ungebundene Abiturienten, eher Frauen. 

wie in Spanien und so vielen anderen Regionen Europas noch heute


Nur, wer zu versorgende Familie hatte, hier tatsächlich eine Gelegenheit zum Aufbau sah oder sich nicht traute die vertraute Heimat zu verlassen, blieb.

Es ist die gleiche Situation für junge Spanier heute, vgl. Quellenangabe oben.


Die Entwicklung danach

Man versuchte sich also anzupassen. Auch wenn sich nicht wenige die Mauer wieder zurückwünschten, sich damit abgrenzen wollten, von dem überfallartigen Einmarsch des Kapitalismus. Man nahm vom neuen System eher an, was einem im alten System gefehlt hatte oder was einem bekannt vorkam. Der Drang nach Freiheit zum Beispiel.

Viele Menschen wollten sich nicht weiter gängeln lassen, von Vorschriften, vom Staat. Die Linken und die politisch Liberalen hatten dadurch einigen Zuspruch. In Thüringen schafften es die Linken dadurch sogar zum ersten Mal überhaupt bis in eine Landesregierung. Aber es änderte sich nichts Wesentliches. Es wurde genauso regiert, wie die Christdemokraten es zuvor getan hatte. Und wieder wurde der linke Chef dafür verantwortlich gemacht, der ja auch aus dem Westen kam.

 

 

 

 

 

 

Barcelona singt dieses Lied stets aufs Neue!


Damit hatte endgültig die Stunde der letzten „Alternative für Deutschland“ geschlagen. Mittlerweile ist der Ost-West-Konflikt gar nicht mehr so wichtig (ein paar Ausnahmen gibt es immer wieder, z. B. erst kürzlich vom "Satire"-Magazin Titanic, wobei suggeriert wird, Putin könne statt der Ukraine gerne den deutschen Osten haben). Es geht vielmehr um die eigene Welt, das private Glück: Biedermeier 2.0. Das Internet „hilft“ dabei.

Die Freiheit gilt dort als höchstes Gut, nicht erst seit Westernhagens Lied, seit Udo Lindenbergs Auftritten und den Gauck‘schen Reden als Bundespräsident. Die persönliche Freiheit hat den Wert der Gemeinschaft, ja sogar das Geld als Götzen abgelöst. Das Wort selbst wurde zum Kampfbegriff. Das sieht man insbesondere an den Autoverkehrsverhältnissen auf den Straßen, wo die Aggression mit der gefühlten persönlichen Freiheit zunimmt, je weiter man in den Osten Deutschlands vordringt.

 

 

 

 

 

 

 

Das Internet verbindet die Menschen nicht nur über Grenzen hinweg, sondern führt gerade die vergangenen Träume der Nationalisten zusammen, während sich die Progressiven über die Art der Zukunft streiten.


Die ostdeutsche Bevölkerung schwankt immer noch zwischen „eine eigene Identität als Osten aufzubauen“ oder sich „gesamtdeutsch“ zu sehen.

Dem sind die Katalanen schon weit voraus: wir wollen einstimmig die Abspaltung!


Ein anschauliches Beispiel dafür ist der Fußball: Wie im Westen ist dieser Sport für viele das wichtigste gesellschaftliche Ereignis und Ersatzreligion. Allerdings ist in der höchsten deutschen Spielklasse, der Bundesliga, kaum ein ostdeutscher Verein vertreten. Dann kam RB Leipzig, mit einem ausländischen Sponsor und mit eingekauften Top-Spielern und stand plötzlich an zweiter Stelle der größten deutschen Vereine. Viele ostdeutsche Fußballfans identifizieren sich mit diesem Verein, wie viele westdeutsche Fußballfans es im Westen mit dem Rekordmeister Bayern München tun. Und trotzdem spaltet der neue Leipziger Fußballclub: Nicht nur, weil er von einem ausländischen Träger ausgeht, der nur scheinheilig „RB“ für „Rasenballsport“ stehen lässt, obwohl es eigentlich „Red Bull“ hieß; sondern auch durch das Verdrängen der traditionellen Leipziger Vereine (welche freilich bei weitem nicht diesen Erfolg vorweisen können). Vielmehr steht RB Leipzig wie für die Situation nach der Wende selbst: da kam jemand mit Geld aus dem Westen und war erfolgreich.

 

 

 

 

 

in Katalanien: Barça alias FC Barcelona

 

 

 

 

 

in Spanien: Real Madrid

 


Auch im Westen

Damit wären wir bei der Gemeinsamkeit mit dem Westen: Denn Rechtsradikale gibt es nicht nur im Osten, linke Ausschreitungen gab es auch nach der RAF noch genügend im Westen (z. B. bei G7-/G8-/G20-Gipfeln), Struktur-schwäche ist ein Merkmal des gesamten deutschen Nordens, Landflucht und Verstädterung ist ein globales Problem, Arbeitslosigkeit eine fortwährende, wenn auch momentan scheinbar schwindende Herausforderung im Kapitalismus. Die aktuellen Krisen bei Flüchtlingen, Klima, Digitalisierung, Finanzen, Überalterung, Spaltung (nicht nur in arm und reich) betreffen alle Menschen, mehr oder weniger. Das Gefühl „fremd im eigenen Land“ zu sein wird dadurch noch verstärkt, dass es für viele Ostdeutsche gar nicht mehr das eigene Land ist, in welchem sie aufwuchsen.

 

 

 

 

 

 

 

besonders für die spanische Jugend

 

und auf der iberischen Halbinsel durch die Nähe zu Nordafrika als Transitregion für Flüchtlinge insbesondere

 

Spanier kennen das seit jeher, als ihre vandalischen Vorfahren ins Land einwanderten oder bspw. die Araber einst die größten Teile des Landes bis zur Reconquista beherrschten.


Aber auch im Westen kommen nicht alle mit Ausländern klar, mit Flüchtlingsscharen, mit dem Kulturwandel.

Im Osten kommt eben die Geschichte der Wende noch dazu. Man fühlt sich allein mit seiner Meinung, man fühlt sich in der Minderheit, man fühlt sich manchmal auch bemerkelt, ähm bemuttert vom Staat und muss doch (in der Demokratie) gegen alles kämpfen und sich gegen jeden behaupten (Ausländer erscheinen wie Westdeutsche als fremd und unerwünscht). Das treibt einige zu Parolen, denn man bekommt endlich einmal Zustimmung und Bestätigung. Ach und: hatte ich schon den Gehaltsunterschied zwischen Ost und West* erwähnt?

Das Gefühl nicht gehört zu werden, weil man aus dem Osten kommt, nicht beachtet zu werden, weil man anderer Meinung ist als die Gesellschaft vermischt sich offensichtlich immer mehr und kann selbst von den Betroffenen selten noch getrennt werden. Abgehängt zu sein (aus welchen Gründen auch immer) ist ein einsames Gefühl. Manchmal wird aber auch eine offene Diskriminierung Ostdeutscher deutlich, wenn beispielsweise Westdeutsche auffällig oft Führungspositionen im Osten besetzen, wie man auch immer noch an einigen Nachwende-Ministerpräsidenten sehen kann, und wenn auch dadurch das kolonial anmutende  Herrschaftsverhalten des Westens deutlich wird.

 

Mal ehrlich

Was wurde im Westen Deutschlands eigentlich über den Osten erzählt? Und warum so viel Negatives, wie es gäbe keine befestigten Straßen, keine Kühlschränke, nur Höhlen statt Häusern, es würde nur Sächsisch geredet, Ostdeutsche wären ein bisschen blöd, denn die Bildung wäre nichts wert, usw.? Noch immer halten sich diese Mythen über den Osten wie nicht nur Vici und ich unter den westdeutschen Studenten (allerdings nur an unseren westdeutschen Studienorten!) immer wieder hörten. Je weiter aus dem Westen diese kamen umso krasser waren die Vorstellungen. Die Westdeutschen benehmen sich, als ob sie den Kalten Krieg gewonnen hätten. Im Prinzip haben sie das auch, denn sie haben den Osten eingenommen, übernommen und ausgenommen. Die westdeutsche Propaganda hat daher die Wende überlebt und bestimmt nun die öffentliche Sichtweise des Ostens.

 

 

Zustimmung und Bestätigung, die einem so durch den Westen verwehrt wird und nun durch Extremisten geboten wird, ist nur scheinbar ein Gegensatz zum Kompromiss, der angeblich eine gute Politik ausmacht. Christen würden sagen „die Menschen brauchen Liebe“. Mit Abstandsregeln in Corona-Zeiten würde man sagen die Menschen brauchen einen Glauben an das Richtige. Ich würde sagen: Die Wahrheit ist nie endgültig und deshalb zählt nur das beste Argument.

 

* Signifikanter Gehaltsunterschied zweier völlig willkürlich gewählter Berufe in ehemals  ostdeutschen und westdeutschen Bundesländern von Deutschland:

(Stand: 02.02.2022)

Geologe

Bundesland

PTA

3.894 €

Baden-Würtemberg

3.209 €

3.780 €

Bayern

3.115 €

3.410 €

 

Berlin

(hier: weder zu Ost noch West)

2.810 €

 

2.879 €

Brandenburg

2.373 €

3.473 €

Bremen

2.862 €

3.818 €

Hamburg

3.147 €

3.893 €

Hessen

3.209 €

2.773 €

Mecklenburg-Vorpommern

2.286 €

3.319 €

Niedersachsen

2.736 €

3.650 €

Nordrhein-Westfalen

3.008 €

3.541 €

Rheinland-Pfalz

2.919 €

3.443 €

Saarland

2.838 €

2.912 €

Sachsen

2.400 €

2.865 €

Sachsen-Anhalt

2.362 €

3.188 €

Schleswig-Holstein

2.627 €

2.942 €

Thüringen

2.425 €

 ---------------  -----------------------------------  ---------------

2.874 €

Mittelwert Ost

2.369 €

3.600 €

Mittelwert West

2.967 €

 ---------------  -----------------------------------  ---------------

726 €

Unterschied Ost-West

598 €

p = 2.585e-06

Signifikanz (errechnet mit R)

p = 2.608e-06


(ein anderer Vergleich von Einkommen verschiedener Bevölkerungsgruppen ist auch hier gut dargestellt:

https://www.finanzfluss.de/blog/einkommen-im-vergleich/)

 

So viel zum Angleich von Ostlöhnen an Westlöhne (vgl. auch https://de.statista.com/infografik/19156/gehaltsvergleich-westdeutschland-und-ostdeutschland).

Übrigens: die Lebenhaltungskosten (Lebensmittel und oft auch die Miete) in West und und Ost sind annähernd gleich. Das heißt: Niedrige Löhne, hohe Kosten: das ist der Osten.

Wenn dann selbst in der gleichen Firma nicht mal die gleichen Arbeitszeiten gelten, sondern der Osten erst im Jahr 2023 bspw. bei Siemens an die Arbeitszeit im Westen angeglichen wird, hat das nicht mal mehr etwas mit unterschiedlichen Lebenshaltungskosten zu tun, sondern ist bloß noch eine äußerst dreiste Ausbeutung der Ostdeutschen.

 

 

Das Katalonische bildet einen eigenen Dialekt, ja eine eigene Sprache und legt großen Wert darauf, diese auch zu erhalten und gegenüber dem Spanischen abzugrenzen.

Zwar gibt es nicht den "einen" ostdeutschen Dialekt oder gar eine eigene Sprache, aber durchaus deutliche Veränderungen in der sprachlichen Entwicklung (und hier sind nicht regional verschiedene Begriffe wie „viertel vor“ / „dreiviertel“ oder „Sonnabend“ / „Samstag“ gemeint), die genauso auch im Westen existieren. Heute fallen mir enorme sprachliche Veränderungen auf, die durch die zunehmenden Anglizismen und den fehlenden Willen die deutsche Entsprechung zu verwenden, hervorgerufen werden. Nicht nur Bezeichnungen wie „After-Work(-Party)“ für „Feierabend“, oder durch die Corona-Pandemie: „Heimarbeit“ für „Home-office“ (auch wenn es verschiedene Definitionen von „Heimarbeit“, „Telearbeit“, „mobilem Arbeiten“, usw. gibt), „Home-Schooling für Heimunterricht, Lockdown für "Abschottung" oder ganz banale Dinge wie „short“ für „kurz“ werden mit der Begründung übernommen, im Deutschen gäbe es keine adäquate Übersetzung (!). Doch auch Begriffe unterliegen einem Bedeutungswandel durch die Benutzung und selten haben zwei Muttersprachler genau die gleiche Definition eines Begriffs im Kopf. Sogar die Grammatik leidet seit einigen Jahren, was z. B. an der Wendung „…, weil es ist ja eine Sprachentwicklung…“ (eigentlich für einen erklärenden Nebensatz) statt „…, denn es ist…“ (bei Verbindung zweier Hauptsätze) zu erkennen ist und im Englischen ganz einfach mit „because“ dargestellt wird.

Und wieso stelle ich das dar? Weil, es sind… ach … Denn es sind ziemlich unnötige Änderungen, die zu den wirklich wichtigen Änderungen der Welt noch hinzu kommen und das Gefühl dem Fortschritt nicht gewachsen zu sein nur noch einmal bestärken. Einfache Erklärungen und der Wunsch nach etwas Vertrautem (gerade im Alltag, also z. B. der Sprache) führt dadurch eher zu konservativem Denken. Und Menschen, die sich nicht vollends der Gesellschaft hingeben und ein Stück Eigenkontrolle, ja ich möchte sogar von Reflexion an dieser Stelle sprechen, behalten wollen, stemmen sich eher gegen den plötzlichen Wandel, der in Form von Corona-Maßnahmen ganz massiv eintrat. Medizinisch und epidemisch bzw. pandemisch sind die Maßnahmen sinnvoll und nachvollziehbar, aber die Wenigsten - selbst viele Mediziner und Gesundheitspersonal! - verstehen das gleich zu Beginn und sehen nur einen weiteren Angriff auf ihre hart erkämpfte Souveränität und das kleine Bisschen Stabilität im Leben. An diesem Punkt hört die Reflexion dann leider auch wieder auf. Hinzu kommt die Gruppendynamik, d. h. wenn andere sich dagegen stemmen, man fühlt sich gezwungen oder es fällt leichter mitzumachen und die Argumente der anderen erst einmal zu übernehmen. Später die Fehler einzugestehen fällt umso schwerer und passt scheinbar nicht zu einem souveränen Geist. Es geht schließlich um die Glaubwürdigkeit! Es ist ein Stück Vertrauen, vor allem in sich selbst, welches abhanden kommt, wenn man durch eine nun doch folgende Impfung eingesteht sich vorher geirrt zu haben. Die typischen Wendehälse der Wende wären hier genau richtig und könnten nun das Richtige tun, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Aber auch sie würden keine Fehler eingestehen, sondern diese nur negieren und wären folglich nicht glaubwürdiger. Die Überzeugung kann nur durch die Vorbilder selbst kommen (bei Mitläufern) oder aber durch eigene Einsicht (bei souveränen Persönlichkeiten). Denn nur, wer selbst etwas erkannt hat, ist davon auch wirklich überzeugt und verteidigt es.

 


Was kann man gegen die Spaltung in den Gesellschaften noch sagen: Menschen aller Länder vereinigt euch! Und: Gilt das in Europa auch für die regionale Gruppen mit dem Ziel der Abspaltung, also Katalanen, Schotten, Basken, Nordiren, Madeirer, sowie in Deutschland die Saarländer, Bayern, oder in Thüringen: Eichsfelder, Altenburger und Sonneberger Separatisten aller Länder: vereinigt euch?

 

Thüringen, 2021




Nachtrag 2023: Politisches Tauziehen zwischen Links und Rechts:

 

Thüringen ist ein politisches Paradebeispiel: Die Landesregierung ist sehr links, die Randbezirke wie jüngst die Kreise Sonneberg und Nordhausen tendieren sehr nach rechts.

Doch nicht nur Thüringen, sondern das gesamte deutsche Land ist politisch und durch die öffentliche Meinung sowie durch die Regierung gespalten. Es darf nicht rechts gewählt werden (durch die deutsche Geschichte der Nazis) und nicht links (durch die Geschichte der DDR). Das heißt es gibt praktisch keine Alternative zur konservativen Mitte, die unvernünftigerweise im Kapitalismus nur dem Großkapital zuarbeitet, statt sich an den sozialen Bedürfnissen der Mehrheit zu orientieren. Wenn die sozialen Bedürfnisse aber dem Großkapital nicht mehr Profite bringen, sind sie zu links oder zu rechts. So werden z. B. Flüchtlinge nicht aus Hilfsbereitschaft ins Land gelassen, sondern um den Fachkräftemangel auszugleichen. Die Flüchtlingsanzahl ist eigentlich auch egal, je höher desto besser, um die Chance zu steigern, dass brauchbare Fachkräfte darunter sind, egal ob der Rest sich überflüssig fühlt und dann aus Perspektivlosigkeit zur Kriminalität neigt. Die soziale Gerechtigkeit wird aber in jedem Fall außer Acht gelassen, es sei denn sie nützt dem Großkapital zufälligerweise. Dadurch wählen die Menschen Protest: entweder extrem links, weil die soziale Gerechtigkeit fehlt oder extrem rechts, weil sie sich von der Menge der Flüchtlinge überrannt fühlen und durch deren steigende Kriminalität bestätigt fühlen. Durch diese Angst vor Veränderung und vor zu viele Toleranz gegenüber den Extremen (links oder rechts) steigt folglich die Gefahr, dass eines dieser extremen Lager durch Protestwahlen erst recht demokratisch die Macht ergreifen kann oder zumindest durch die Wahlstimmen oder durch wachsende Untergrundorganisationen stark an Bedeutung zunimmt. Diese Situation ähnelt dann derjenigen von 1933 zur Machtübernahme der NSDAP (extrem rechts), deren stärkster Gegner - neben den Konservativen - die SPD und KPD (extrem links) waren. Links wird jedoch meist weniger extrem gewählt, weil die Linken oft zerstrittener über die Zukunft als sich die Rechten über die der Vergangenheit einig sind und weil die Linken zu extreme Positionen gegenüber konservativen Ansichten vertreten, so dass sich das eigennützige Großkapital eher mit den Rechten identifiziert. Indem linke Medien und Organisation heute die Ängste der Menschen noch mehr verurteilen und als falsch, rechts, unbegründet und dumm darstellen, verschärfen sie die Situation noch weiter und treiben die Menschen aus Protest gegenüber deren falsch verstandenen Sorgen den Rechten zu. Dadurch wird die Toleranz gegenüber Meinungen noch mehr mit Füßen getreten und alle Menschen in lediglich zwei Lager und damit in Menschen mit Vorurteilen aufgeteilt. Die Überbeanspruchung der Vernunft und die Beanspruchung der einzig wahren Moral durch die Linken treibt die Menschen in die Vernunftlosigkeit der Rechten.

Weil die Linken als Nestbeschmutzer für die meisten also unwählbar geworden sind, ist Rechts wählen dadurch der letzte Protest gegen eine Regierung, der das (ostdeutsche) Volk gleichgültig ist. Wenn man ohnehin als Nazi gilt (aufgrund von Vorurteilen wie im Osten / in Bayern oder auf dem Land zu wohnen), ist es für die Reputation dann auch egal, ob man sich auch rechts und menschenverachtend verhält. Man kann für die Linken ohnehin nichts richtig machen. Die Rechten geben dagegen zumindest vor die Bevölkerungsmehrheit zu verstehen, während die Linken nur schwache Minderheiten zu stärken scheinen.

In den USA sieht man an rechten Anschlägen wie durch den Unabomber oder den Sturm aufs Kapitol nach Trumps Wahlniederlage was durch eine missachtete, konservative Bevölkerung geschehen kann und was auch in Deutschland die Folge sein wird, wenn die Spaltung weiter voran schreitet: Bürgerkrieg.

 

Ursachen für die Unzufriedenheit der Ostdeutschen:

Die Menschen im Osten sind zunächst unzufrieden mit der Gesellschaft. Danach kommt die schlechtere Behandlung und Bezahlung als „Ostdeutsche“ und die Verurteilung als „Nörgelossi“, obwohl es doch „blühende Landschaften“ gäbe. Aber die Menschen haben auch die langen Jahre der Arbeitslosigkeit nach der Wende nicht vergessen, zusammen mit den dadurch schlechteren Renten; oder die Stilllegung der Betriebe in ihrer Heimat; die damit wegziehenden, erwachsenen Kinder, die im Westen ein besseres Leben suchten und die Vereinsamung deswegen, die Entwertung der Heimat; die drohende Konkurrenz durch Ausländer um die wenigen Arbeitsplätze (wenn auch weniger stark ausgefallen als befürchtet); Geringschätzung von Berufserfahrungen und Schulabschlüssen (manche erworbenen Qualifikationen waren plötzlich aus politischen Gründen fast wertlos); oder das fehlende Kapital durch die Entwertung der Ostmark, wodurch ihnen selbst einen Neuanfang verwehrt wurde; die nur langsame Besserung der Infrastruktur; die hohen Kosten, die bei deutlich geringeren Löhnen nicht selten höher als im Westen waren (z. B. für Lebensmittel oder Benzin), der Wegfall funktionierender Strukturen z. B. in Bildung und Kindergärten, auch im sozialen Zusammenhalt; die leeren Versprechen der Regierung in vielen Hinsichten; die Drückerkolonnen mit ihrem überteuerten Ramsch an den Haustüren nach der Wende, die im Osten bloß eine dumme Geldquelle sahen; die westdeutschen Vorgesetzten, die hier alles neu erfinden mussten und als „Sieger“ auftraten, obwohl es nie einen Krieg zwischen eigentlich „Gesamtdeutschen“ aus Ost und West gegeben hatte; die angebliche Moral aus dem Westen (also den ach so toll angepriesenen Kapitalismus und die zerstörerische Wegwerfgesellschaft); und die massenhaften Lügen bis hin zur totalen Bevormundung und zum Absprechen der ostdeutschen Meinung über ihre früheren Lebensumstände – und das nicht bloß von sensationsgeilen Medien, sondern sogar von höchsten Stellen: Professoren, Direktoren, Politikern. Was bitte soll da zusammenwachsen was zusammengehört? Die Ostdeutschen haben sich nie zugehörig gefühlt, weil sie es nicht nur nicht waren, sondern weil der Westen es viel mehr gar nicht wollte! Das merkt man selbst noch in den heutigen Generationen, weil immer noch von allen Seiten im Westen das Märchen vom schlimmen Osten erzählt wird, gerade auch von sogenannten Satirikern. An eben jene: begreift doch verdammt noch mal endlich, dass die meisten Menschen selbst dann Satire nicht verstehen, wenn man es ihnen sogar als Satire verkauft! Unterbewusst wird die Satire bei den allermeisten als wahr angesehen und brennt sich ein. Sie begründet sich auf Tatsachen und darf deswegen eine Lügenerzählung - z. B. wie dumm und faschistisch die Ostdeutschen doch seien - nicht als Satire verkaufen!

Aber nun haben die Ostdeutschen einmal in ihrem Leben die Möglichkeit zurückzuschlagen: Die meisten wollen die AfD nicht, mögen deren faschistischen Ansichten nicht. Aber sie merken die Angst der Regierung vor der AfD und sie können darüber nun die Regierung auf sich aufmerksam machen. Selbst wenn die AfD an die Macht käme – viele ihrer Wähler haben das Gefühl, dass es nicht mehr schlechter werden kann. Lieber ein kompletter Neuanfang für alle oder sogar ein gemeinsamer Untergang mit allen Deutschen, als immer weiter allein die ausgebeuteten Ostdeutschen zu sein.

Mit jedem weiteren Jahr, das seit der Wende vergeht und mit jeder weiteren Diskussion, die darüber geführt wird, kann ich AfD-Wähler besser verstehen. Denn es ist nicht besser geworden. Dafür steigt die Resignation und Verzweiflung im Osten, denn das Stigma ostdeutsch zu sein haftet selbst den Kindern und Enkeln an, solange es jedes Jahr und in jeder Diskussion darüber weiter erzählt wird.

 

Weitere Gründe für Menschen in Ostdeutschland die AfD zu wählen:

Es ist - wie so oft - ein komplexes Phänomen die Extreme (also früher vermehrt Linke Parteien, heute eher rechte Parteien wie die AfD) zu wählen. Den einen Grund gibt es freilich nicht. Daher hier eine Auswahl verschiedener Möglichkeiten:

    - Konkurrenzdenken

Überbevölkerung und Ressourcenknappheit nehmen zu. Die Zuwanderung der letzten Jahre durch allerlei Flüchtlingskrisen verschärfen das Problem. Gleichzeitig gibt es weniger Nachwuchs in allen Branchen. Die eigene Kultur schwindet, während neue Kulturen hinzukommen und ihre verschiedenen Konflikte mitbringen. In den Ballungszentren wie Berlin, dem Ruhrgebiet, Stuttgart, Hamburg, Bremen und sogar München sind die interkulturellen Probleme zu beobachten. Das wollen viele im Osten vermeiden und präventiv Zuwanderung durch Abschreckung eine rechte Einstellung verhindern. Dieser Effekt wirkt und wird sogar noch verstärkt, weil Zuwanderer im Westen mehr Geld und Sozialleistungen bekommen. Dadurch bleiben sie auch in den Auffangstationen nicht lang im Osten, sondern ziehen weiter: in den Sonnenuntergang.

    - Fehlende Identifikation mit Deutschland

Vorurteile bleiben und verfestigen sich auch durch diesen Effekt. Aber es ist überall zu beobachten, vor allem als Deutscher: Man kann nicht einmal menschenfreundlich sein, nicht einmal allen Menschen die gleichen Existenzrechte zugestehen, ohne Nazi zu sein: Man ist automatisch Nazi, wenn man der „falschen“ Volksgruppe Solidarität zusichert oder diese unterstützt. Wenn sich beispielsweise Israelis und Palästinenser in den Haaren liegen, dann ist insbesondere in Deutschland automatisch der Muslim schuld. Sieht man Muslime nun auch als Menschen und will ihre Position verstehen, ist man automatisch Nazi (ähnlich ist es mit Russland, mit China, mit dem Iran, mit arabischen Ländern – im Grunde allen Feinden des Westens, also vor allem Feinden der U.S.A.; Bolsonaro in Brasilien war seltsamerweise kein großer Feind des Westens und wurde auch kaum angegriffen). Verurteilt man als Deutscher dagegen muslimisches Verhalten ist man auch wiederum ein Nazi. Es gibt also eine Hierarchie des kulturellen Ansehens im westlich-demokratischen Sprachgebrauch. Der Nazi-Begriff ist somit aus dem Kontext gerissen und dadurch nicht viel mehr als eine unnütze Beleidigung für Deutsche. Man kann gar nicht anders als Moslems zu verurteilen, wenn man Wert darauf legt nicht mit dem überflüssigen Nazi-Begriff beleidigt zu werden. Aber das ist eigentlich auch schon egal, denn Deutsche können politisch nichts richtig machen – eigentlich steht Nazi bereits synonym für „Deutsche“. Nach außen sagen die Menschen der politischen Mitte (also von CDU, über die SPD und die Grünen bis zur Linken) daher, was gesellschaftlich gewünscht ist, also was der Moral in den angesehenen Medien entspricht. Innerlich sind viele Menschen jedoch moralisch zerrissen, weil sie eben nicht alle die Einheitsmoral teilen, aber ständig vor der Nazi-Beleidigung ausweichen. Die meisten Leute - wie auch AFD-Wähler – haben nicht pauschal etwas gegen andere Menschen, egal welchen Glaubens oder welcher Hautfarbe, sondern gegen die Überpräsenz und Herausstellung einzelner Minderheiten in der Gesellschaft. Es widerspricht auch der Vernunft und Menschenfreundlichkeit eine gewisse Bevölkerungsgruppe zu bevorzugen, was zur inneren Zerrissenheit und dem Zweifel gegenüber der gegenwärtig herrschenden Moral führt. Auch aus Protest gegen diesen äußeren Druck und um die innere Zerrissenheit zu kompensieren, wählen Menschen dann die AfD.

    - Moralische Doppelschuld

Zusätzlich zur „Erbschuld“, welcher sich die Deutschen durch die 18 Jahre währende Nazi-Herrschaft auferlegt sieht, kommt jetzt v. a. in den Augen der Westdeutschen noch die Schuld eines „falschen“ Systems hinzu, die ihnen auch noch auferlegt wird, obwohl ihre Nachfahren für diesen moralische Schuld(en) ebenso wenig verantwortlich gemacht werden können – wo liegt schließlich der Sinn seine Kinder immer weiter mit den Schulden der vorangegangenen Generationen zu beladen? Ostdeutsche sind damit moralisch schuldenbeladenere weniger „wertvolle“ Menschen als alle anderen, die in diesem Land leben. Das will kein Mensch gerne sein und wenn einem aufgrund dieser Minderwertigkeit die Meinung abgesprochen wird und sämtliche Erfahrungen abgesprochen werden, die man im Leben gemacht hat und jedes Argument automatisch als falsch gilt kann dieser Frust nur noch an der Wahlurne ausgedrückt werden – solange die Wahlen demokratisch frei sind und nicht manipuliert werden. Erst die Demokratie ermöglicht dadurch undemokratische Wahlergebnisse. Mich wundert allerdings, dass angesichts der moralischen Schieflage der öffentlichen Meinung über den Osten nicht noch viel mehr Ostdeutsche extrem wählen. Das ist wiederum ein Argument für den Glauben an die Demokratie in Ostdeutschland.

Jetzt werden auch zeitgemäß wieder einige Stimmen sagen, diese Sichtweise wäre lediglich einem frustrierten Ostdeutschen entsprungen, der ein Unrechtsregime verherrlicht. Doch „die Geschichte wird mich freisprechen“ (Fidel Castro).

    - Desinteresse an ostdeutschen Befindlichkeiten

Ein anderer Grund die AfD zu wählen ist die Beobachtung, dass sich die regierenden Parteien anscheinend nicht genügend mit den Belangen der Ostdeutschen befassen (wie oben beschrieben), also zu wenig auf das Lohngefälle eingehen oder die Führungspositionen im Osten zu oft mit Westdeutschen zu besetzen. Viele Ostdeutsche konnten durch geringere Löhne und geringere Erbschaften seit der Wende kein großes Vermögen aufbauen. Hier wäre im Übrigen eine nachhaltige Personalpolitik sinnvoll: also eine Personalbesetzung aus der Region. Aber auch die Ignoranz des direkten Umfeldes, die zunehmende Rücksichtslosigkeit in der Gesellschaft und die damit einhergehende Einsamkeit spielt hier mit in die Gesamtbewertung der Situation mit rein. Dass das durch die AfD vermutlich nicht besser würde, ist eine andere Geschichte. Denn das liegt eher am hemmungslosen Kapitalismus, so dass viele AfD-Wähler eigentlich die radikalen Linken wählen müssten und anscheinend zu großen Teilen auch aus deren Lagern stammen.

     - Zu viele Veränderungen und zu schnelle Gesellschaftsentwicklung

Weiterhin ist die zu schnelle Entwicklung der Moral und Umweltstandards für manche ein Grund AfD zu wählen. Wer nicht mehr „Indianer“, „Mohrenkopf“ oder „Zigeunerschnitzel“ sagen darf, wer zum gendern genötigt wird und gleichzeitig immer mehr englisch/amerikanische Begriffe um die Ohren gehauen bekommt und sich daran innerhalb weniger Jahre oder sogar sofort anpassen soll, ist einfach überfordert und wünscht sich die „gute alte Zeit“ zurück, wie schlecht sie auch war. Da werden selbst die früher noch verpestetere Luft oder einstig noch stärkere unterdrückte Frauen und Minderheiten nicht mehr gesehen. Auf der anderen Seite wird man noch beschimpft, wenn man sich selbst mit der „richtigen“ Kultur aus Versehen mal mehr beschäftigt und ihre kulinarischen Köstlichkeiten verzehrt, sich für den Karneval mittels Kostüm als einen der ihren ausgibt oder sich im Alltag ihrer Haar- und Kleidungsmode anpasst, weil das dann in den Augen mancher Linker eine „kulturelle Aneignung“ wäre. Dass die progressiven, linken Kräfte sich gegenseitig wohl am meisten bekämpfen, weil sie uneins über die zukünftige Ausrichtung der Gesellschaft sind, weiß der normale Mensch im Allgemeinen allerdings nicht. Für ihn ist alles Linke die gleiche Suppe.

Gleichzeitig will man noch Menschen unter sich wissen, also Asylanten, Frauen, Behinderte, usw. Die Randgruppen selbst, also auch einige langjährig in Deutschland lebende Ausländer, aber auch viele Frauen, wählen die AfD deswegen, weil sie sich erhoffen, dass andere Randgruppen mehr zurückgedrängt werden und sie selbst mehr Beachtung finden.

     - Paranoide, inflationäre und missbräuchliche Verwendung des Begriffs Rassismus

Das Problem mit der Problematisierung fängt an, wenn durchschnittliche Bürger als Rassisten bezeichnet und mit Neonazis auf eine Stufe gestellt werden. Rassismus hat in Deutschland zu wenige, legitime Abstufungen, nämlich gar keine: entweder Rassist oder nicht. Doch kaum jemand der Durchschnittsbevölkerung ist gegen andere Menschen als Menschen, sondern die meisten „Rassisten“ sind gegen zu viele fremde Kulturen und zu viele fremde Menschen. Vielmehr sind alle Völker vorsichtig gegenüber Fremden, vor allen wenn viele Fremde kommen, um hier zu leben. Das hat auch nachvollziehbare Gründe, wie man an der meist traurigen Geschichte von überrannten Ureinwohnern und invasiven Kulturen (z. B. das koloniale Europa, US-Amerika, neokoloniale China) überall auf der Welt sieht.

Zu weit geht Rassismus immer bei Gewalt (psychische oder körperlich), Hass und Angriffen und Diskriminierung von Personen – wobei Quotenregelungen auch schon eine Form der Diskriminierung sind, obwohl sie eigentlich gegen Diskriminierung sein sollen. Es geht um die Qualität, nicht um die Quantität. Dementsprechend gilt es Überbevölkerung zu vermeiden (statt platt Überfremdung), aber eine möglichst gut gemischte Bevölkerung zu erhalten, die in der angestrebten Demokratie auch vielfältige Meinungen zulässt. Dann profitieren alle vom gegenseitigen Einfluss, statt diktatorisch eine oder mehrere starke Minderheiten zuzulassen oder „fremde“ Kulturen wie manche Clans oder Mafias durch zu viel Freiheit sogar zu fördern.

 

Es muss also akzeptierte Abstufungen geben, welche auch ein Potential zur Entwicklung ermöglichen, statt nur pauschal jeden als Rassisten zu kennzeichnen, der nicht jedem fremden Menschen bedingungslos dienen will. Aus Protest gegen alles werden die Rechten gewählt – und diese werden besonders rechts, um gewählt zu werden – warum? Weil es die Gesellschaft ärgert. Würde sich die Gesellschaft nicht dermaßen darüber aufregen und nicht pauschal sämtliche Symbole, Lieder, Flaggen usw. verbieten, wäre das Rechtswählen gar nicht so interessant. Dann würde vielleicht eine Punkpartei oder Piratenpartei gewählt, wie schon einige Jahre zuvor. So aber fühlen sich manche im Widerstand gegen ein ungerechtes System - so wie z. B. Reichsbürger es sehen würden - und werden damit von den rechten Rattenfängern erst recht in gefangen.

Selbst wenn es schwer fällt unter der moralischen Last der gutmeinenden Gemeinschaft eine andere, eigene Meinung zu vertreten, die „rassistisch“ anmuten könnte: auch in der Gesellschaft gilt es Maß zu halten und eine gesunde Mitte zwischen Helferwahn und Menschenverachtung zu finden. Denn allen kann man nicht helfen, nicht einmal in der eigenen Familie und nicht einmal vollständig bei sich selbst. Man muss auswählen und seine Ressourcen sinnvoll und gerecht einsetzen: In der militärischen Medizinökonomie wird denen zuerst geholfen, die am lautesten schreien, weil diese schnell wieder kampfbereit sind. In der zivilen Medizinökonomie wird dagegen jenen zuerst geholfen, welche nicht mehr ansprechbar sind, weil sie am hilfsbedürftigsten sind. Beide Entscheidungen sind nachvollziehbar, aber immer werden sie durch die verfügbaren Ressourcen begrenzt. Wir dürfen uns also weder wirtschaftlich noch moralisch mit der Hilfe überfordern, selbst wenn wir die Last unserer Geschichte (als Deutsche) als erdrückend empfinden.

 

Weitere Gründe sind mannigfaltig und auch wenn ich die Wahlentscheidung in vielen Fällen anders beurteile, kann ich die Ursachen nachvollziehen. Sie zu ignorieren und wegdiskutieren zu wollen oder diese Ansichten sogar ständig zu verurteilen ist jedenfalls ein falscher Weg. Eine Protestwahl wird sich damit nur noch verstärken und die Spaltung der Gesellschaft verschärfen. Toleranz ist eben auch gegenüber unerwünschten Meinungen wichtig, sonst ist sie das genaue Gegenteil und nicht besser als ihr „Feindbild“. Das ist genau das Problem: Andersdenkende als Feinde zu sehen, statt als Mitmenschen mit anderer Denkweise und anderen Erfahrungen.