Die himmlischen Höhen über den Regenbögen

Patagoniens, am Ende der Welt

und die teuflischen Feuertiefen darunter…

 

Ein "Southern" über stille Vulkane, schwangere Gletscher, überschwemmte Wüste, süße Erdbeben, Guanacos in Karamellsoße mit Traubenschnaps und spätsommerliches Aprilwetter

 

(für Teil 1 siehe: "Feuriges Land")

Karte der gesamten Patagonienreise, grau: eigene Exkursion (Kapitel II)
Karte der gesamten Patagonienreise, grau: eigene Exkursion (Kapitel II)

Vorweg – Wie schon im ersten Teil angesprochen muss auch hier auf einen Teil der Fotos verzichtet werden aufgrund eines Chilenen mit Geburtsfehlers, dessen Finger etwas zu lang geraten waren und der deshalb einiges meiner Ausrüstung für sich begehrte. Daher wurden alle hier gezeigten Bilder, die von meinem Reisebegleiter Basti angefertigt sind, mit (1) gekennzeichnet.

 

 

II.              Kapitel – Der Treck führt nach Norden

…und dieser beginnt auch sogleich mit der Suche nach unseren Brennstoffvorräten, die irgendjemand in ihre liebevoller Obhut an sich genommen hatte um sie sicher aufzubewahren. Eiligst suchen wir den gesamten Hof danach ab, denn nur wenige Minuten später wird unsere Omnibus-Kutsche (im europäischen Spanisch auch Coche genannt) nach Norden abfahren. Mit allem Gepäck steht nun bevor, was wir zu vermeiden gesucht hatten: ein Dauerlauf mit vollem Gepäck wie zu Armeezeiten – und das mit noch immer zerlederten Stiefeln! Chilenen nehmen es glücklicherweise nicht so genau mit der Pünktlichkeit, weshalb der Anschluss nach Puerto Natales nicht zum Problem wird.

Dort stimmt uns ein Zeltplatz bereits auf die kommenden Tage ein, denn wie so viele andere auch wollen wir unser Glück im nahen Nationalpark Torres del Paine versuchen. Allerdings regnet es schon hier und als wir von einem Belgier, der gerade von dort zurückkehrt, erfahren wie arg sich die Wetterbedingungen in diesem Gebiet ausnehmen, melden sich bei uns Zweifel ob unserer Ausrüstung. Das Zelt hat schon so einiges mitgemacht, doch Sturm und Starkregen verträgt es auf Dauer wohl eher nicht. Also bauen wir aus Müllsäcken und Paketklebeband eine Wasserschutzplane, zwischen Außen- und Innenzelt. Die kommende Nacht mit stärkeren Böen übersteht diese Konstruktion wunderbar, wenngleich dieser Hinterhof noch gut geschützt ist.

 

Chile gewann just gegen Argentinien im Fußball (1) | Regendichte Zwischenzeltplane (1) | Schwarzhalsschwäne (1)
Chile gewann just gegen Argentinien im Fußball (1) | Regendichte Zwischenzeltplane (1) | Schwarzhalsschwäne (1)

Aber auch Proviant muss noch erstanden werden und gerade Brot ist so eine Sache in Südamerika. Meist gibt es nur Semmeln, doch wir haben Glück und finden Vollkorntoastbrot. Besser wäre dunkles Blockbrot gewesen, damit es nicht so schnell zwischen den Scheiben schimmelt. Weiter voran kommen wir heute allerdings nicht. Basti hat seine Ver­si­che­rungs­do­ku­mente in Punta Arenas vergessen und will ohne sie keinen Schritt mehr tun. Glücklicherweise wissen wir von einer anderen Gruppe der Exkursion, dass sie auf unserer Strecke mit einem eigenen Wagen voran wollen. Also schicken wir ihnen eine Nachricht sowie unsere Adresse in Puerto Natales und unerwarteter Weise finden sie uns sogar und bringen auch alles verlorengeglaubte Papierzeugs mit. Diese Aktion hat uns einen Tag gekostet. Wenngleich wir momentan noch nicht sagen können, wie lange wir genau brauchen werden, ist unsere Zeit doch begrenzt um irgendwann die Strecke bis Santiago hinter uns gebracht haben zu werden. Den restlichen Tag bis zur morgendlichen Abfahrt verbringen wir daher mit der Erkundung dieses recht schön gelegenen Kaffs bis vor zum Expeditionshafen, immer vergleichend zur Planung mit Blick auf unsere eigene Expedition gerichtet. Am Vorabend wird daher alles Überflüssige Material aussortiert oder zu einer Abschlusspizza verwurstet. Die zerschlissenen Stiefel hatte ich noch zu einem chilenischen Schuster gebracht, der sie auch klebt und zusätzlich mit Heftklammern fixiert. Sieht ganz gut aus.

Puerto Natales (1)
Puerto Natales (1)

Schließlich brechen wir alle Zelte hier ab, nachdem zwei Alfajores und zwei Äpfel für den Start in den Tag genügen mussten und brechen auf, wohin alle wollen: Torres del Paine, diesen grandiosen Teil Patagoniens, den man gesehen haben muss, wie alle sagen. Da ich grundsätzlich erst einmal niemandem traue, der solche Aussagen macht, müssen wir uns davon nun selbst überzeugen. Bergreiche Pampa begleitet uns auf diesem Weg, doch schon von ferne sind die namensgebenden Torres zu sehen und im vorangehenden See werden wir von Flamingos empfangen. Das Wetter könnte besser nicht sein und nach einer durch und durch touristischen Abfertigungstour mit Registrierung, Einweisung in die Regeln (z.B. bis zu 20 Jahre Gefängnisstrafe, falls aufgrund eines selbstverschuldeten Waldbrandes der Park Schaden tragen sollte) und einer horrenden Eintrittsgebühr begeben wir uns gegen den Uhrzeigersinn auf das „O“ bzw. den Kreisweg, weniger von Touristen besucht und zu Beginn stechend von der Sonne begleitet. Nachdem wir uns schon am ersten Tag vor zwei Wochen in Punta Arenas einen deftigen Sonnenbrand geholt hatten, sind wir an die Hauthitze mittlerweile gewöhnt. Schatten und Wind kommen dennoch recht, wenngleich wir uns sogar mit einer Salbe schützen. Selbst die Bäume scheinen der andauernden Sonne nicht standgehalten zu haben, denn vieles hier ist verdorrt oder verbrannt. Dann beginnen die schroff einschneidenden Felsformationen und darüber können wir einen Kondor kreisen sehen. Bald ziehen aber schon Wolken über die Berge herüber. Das Tagesziel Serron erreichen wir gerade noch rechtzeitig. Doch selbst wenn wir glauben, hier am Waldrand einigermaßen windgeschützt zu sein, zerren schon kurz nach dem Zeltaufbau die Böen an den Textilwänden unserer Tagesbehausung. Vier Deutsche, drei Holländer und ein paar Einheimische treffen wir in dem Lager, wo wir uns eine gerade einmal von einer Seite geschützte Feuerstelle teilen. Teuer müssen wir diese Nacht bezahlen, auch im übertragenen Sinne, weil wir kaum schlafen. Denn stete Böen zwingen uns zum Festhalten der Stäbe und das führt dazu, dass wir letztlich eher im Sitzen dösen und damit gleichzeitig dem Wind als Behelfsgestänge Widerstand leisten.

Parque National Torres del Paine
Parque National Torres del Paine
Anfang und Ende des Nationalparks Torres del Paine
Anfang und Ende des Nationalparks Torres del Paine

Mit Niesel starten wir schon in den Tag, stets hinauf bis zu einer Biegung, wo der Wind bis an unsere Nerven vorzudringen scheint, denn er bläst uns den Atem aus den Lungen und den Regen horizontal entgegen, teils gar von unten in die Kleider. Kaum schaffen wir es einen Fuß vor den anderen zu setzen und erst als es wieder ein wenig abwärts geht, hilft uns die Schwerkraft überhaupt voran zu kommen. Es gleicht einem Kampf gegen die Naturgewalt sowie gegen den bereits nachlassenden Ansporn. Bis zum nächsten Lager Dickson treffen wir auch nur zwei Mädels in gleicher Richtung stapfend. Immerhin liegt der Lagerplatz herrlich eingebettet zwischen den Bergen an einem See und es gibt eine Schutzhütte. Darinnen wärmt es sich sogleich herrlich in den nächsten Stunden, so dass wir beschließen entgegen der Planung nicht weiter zu gehen und erholen uns ob der Strapazen, treffen zwei der Deutschen vom Vortag und später stoßen die Holländer dazu. Meine Stiefelsohlen hat es allerdings erneut gebeutelt und sie hängen bei jedem Schritt herab, schleifen und klappern. Als Zeltplatz dient eine tief hinter Gebüsch versteckte, ideale Fläche. Lange Zeit trocknen unsere Kleider, lauschen wir den Geschichten, erzählen mit den beiden Mädels und erfahren, dass sie von den Zeugen Jehovas sind. Gen Abend spielen sich allerdings die Parkranger immer mehr auf und besonders einer von ihnen fordert die nassen Kleidungsstücke zu entfernen. Immer weiter drängen sie uns erst vom Platz am Fenster, dann von der Heizung und schließlich ganz aus der Schutzhütte und nachdem mir dieses Verhalten sichtlich missfällt und er das auch mitbekommt, spannt sich die Stimmung noch ein Stück an. Zwar verstehen wir unsere Sprachen gegenseitig nicht, wissen aber, dass eine Eskalation nicht besonders förderlich wäre und nachdem ich meine Stiefelsohlen mit chirurgischem Nähgarn und der Hilfe zweier anderer Chilenen geflickt habe, verlassen wir die Hütte lieber in die Nacht und Richtung Zelt.

Refugio Dickson am See (1) | Im Wald nach Los Perros (1)
Refugio Dickson am See (1) | Im Wald nach Los Perros (1)

Erst spät kommen wir anderntags los und steil ist der Aufstieg. Regen begleitet uns erneut und viel gibt es darüber nicht zu sagen bis wir das nächste Lager Los Perros erreichen. Kurz vor der Ankunft holen wir die beiden Mädels wieder ein und verlaufen uns mit ihnen zusammen sogar noch einmal direkt vor dem Eingang zum Rastplatz, gehen den Steinhang eines Gletschersees hinauf, statt wie später über den Fluss zu springen. Hier ist es kalt, selbst in der Schutzhütte mit dem kleinen Ofen. Bald schon beginnt es zu schneien, was uns wiederum dazu zwingt ein Weitergehen zu verschieben. Die Stunden verfliegen nur so bei dem Versuch sich aufzuwärmen und die Sachen zu trocken. Mit den anderen in der Hütte kommen wir rasch ins Gespräch und viele kennen wir bereits, wie die beiden Deutschen, die Holländer und die Jehova-Mädels. Eine schneidige Argentinierin (allerdings leider mit Partner) verführt uns zu dem allseits bekannten Ratespiel mit Zetteln auf der Stirn. Selbst hier kennt man das. Sonst passiert aber nicht viel und wir müssen im Schneematsch das Zelt errichten.

Des nächsten Morgens sind dann auch schon etwa fünf Zentimeter Schnee gefallen und mit jedem Höhenmeter werden es mehr. Anfangs gehen wir noch in einer Gruppe mit den beiden Jehova-Mädels und drei Amerikanern, suchen den Weg durch den weißen Wald. Die Mädels bleiben aber schon bald hinter uns zurück und die Amerikaner laufen schnelleren Schrittes voraus, so dass wir wieder allein stapfen. Der Wald endet auch bald, Schneeverwehungen werden häufiger und nur an einer mystischen Stelle am Hang grüßt uns kurz die Sonne. Die Spuren der Amerikaner sind schon kaum mehr zu erkennen, obwohl sie nur wenige Minuten vor uns hier lang gekommen sein müssen. Immer wieder brechen wir tief in die Schneedecke ein, manchmal in darunter fließendes Wasser. Etwas davon scheint auch in die Stiefel vorzudringen, lässt sich aber vom durch die Körperwärme schmelzenden Schnee nicht unterscheiden. Die Schritte werden mühseliger, denn oft rutschen wir auf den Felsen ab, die unter der mittlerweile hüfthohen Decke verborgen liegen. Die Wegmarkierungen sind kaum noch zu erkennen, obwohl in Abständen von dreißig Metern und hier oben sogar noch kürzer angebracht. Aber zu neblig und zu tief ist der Schnee meistens. Immer häufiger müssen wir pausieren, denn mehr noch als Basti fallen mir die Bewegungen schwer. Die hohen Schritte durch Tiefschnee und auf Felsvorsprünge erweisen sich als enorm kraftraubend. Seltsamerweise verbrauchen wir aber all unsere Wasserreserven. Vermutlich stößt das heftige Atmen viel Wasser mit aus. Mit jedem Meter wird es windiger und auf dem Passhöhepunkt (mit bunten Lumpen und zwei Socken markiert) zieht und zerrt es gewaltig, wenn auch nicht so stark wie am zweiten Tag unserer Wanderung. Eis hängt mir im Bart und wir sind entkräftet, aber der Pass ist bezwungen! Eine kurze Snickers-Brotzeit als Erfolgsbeweis legen wir daher ein, bevor es auf der anderen Seite des Berges wieder durch den Schnee und fast genauso gefährlich wieder bis unter die Baum- und später die Schneegrenze hinunter geht.

Zum Grey-Gletscher (1): Über den Pass | Mystisches Licht | Grey Gletscher
Zum Grey-Gletscher (1): Über den Pass | Mystisches Licht | Grey Gletscher
Gletscherwasser | Calafate-Beeren | Grey-Zunge
Gletscherwasser | Calafate-Beeren | Grey-Zunge

Nun ist auch der Gletscher Grey besser zu erkennen und eröffnet immer mehr seinen vollen Glanz. Schnee und Wolken verschwinden und so entschließen wir uns nicht im Lager Paso zu bleiben (schon des Matsches wegen), sondern weiter voran zu gehen, bis zur Station Grey. Durch Regenwald, mit Calafate-Beeren als unterstützende Wegzehrung, über Hängebrücken tiefer Schluchten und Bergrutsche, stets mit der knarzenden Gletscherzunge auf einer Höhe und genießen wir nunmehr die grandiose Wanderung an diesem reichhaltigen Tag der Extreme. Leider kann der Lagerplatz nicht mit warmen Duschen aufwarten, zumindest enden beide meiner Versuche heißes Wasser zu bekommen in einem kalten Schauer, nachdem jeweils kurz zuvor ein anderer von warmem Wasser geschwärmt hatte. Eng müssen wir uns auch mit den anderen Wanderern in die kleine Kochnische quetschen und der Laden verkauft ein paar Nahrungsmittel für den dreifach üblichen Preis. Erneut treffen wir die Amerikaner hier sowie eines der Jehova-Mädels (eine Schweizerin). Die andere (eine Chilenin) hatte sich den Knöchel verstaucht und musste im letzten Lager bleiben. Nebenan steht ein Hotel mit allen Annehmlichkeiten, die man sich hier draußen nur vorstellen kann, allerdings zu entsprechenden Preisen.

 Schlucht | Grey-Ende | Hängebrücke
Schlucht | Grey-Ende | Hängebrücke

Panoramen: Grey-Gletscher (1) | Gletschersee

Ab hier beginnt das „W“, jene Strecke also, auf denen reiche Pilger zum Gletscher vordringen ohne wirkliche Naturerfahrung zu machen. Das aber ist nichts für uns. Zwar müssen wir auf dieser Strecke zurück zum Parkausgang, doch eher müde belächeln wir die Tagesreisenden mit ihren kleinen Rucksäcken, als es tags darauf weiter zum Lager Italiano geht. Gegen sechs erreichen wir den Zeltplatz und entschließen uns ohne das große Gepäck die Strecke zum Aussichtspunkt am mittlerweile geschlossenen Britannico-Lager schnellen Schrittes zu erreichen. Ein Märchenwald, Blick auf den mannigfaltigen Lago Nordenskjöld bzw. sogar auf den Lago Pehoé und spektakuläre Bilder des Cerro‘nes-Panoramas lohnen diese mühsame Strapaze, nach einem ohnehin schon langen Tag der Wanderung. Das Zelt haben wir da schon im Lager aufgebaut und lassen das Gepäck zurück. Die etwa 600 Meter Auf- und Abstieg über sechs Kilometer legen wir in drei Stunden zurück, angesichts der Kraftanstrengung der letzten Tage eine ganz ordentliche Leistung, wie ich finde. Aber es macht auch einen mordsmäßigen Spaß über die Felsen zu springen, hinter jeder Biegung wieder einen neuen Ausblick auf Gletscher, märchenhafte Wasserfälle, wolkenumrankte Gipfel und weite Ebenen mit Seen und Baumgrenzen zu erblicken, alles untermalt von der untergehenden Abendsonne. Zurück im Camp treffen wir erneut auf die Amerikaner aus den letzten Tagen beim Abendessen. Nun allerdings sind wir ihnen voraus und haben wieder durch diesen Abstecher ohne Gepäck einen Tag im Rennen um unseren eigenen Zeitplan gewonnen.

Das „W“ (1): Richtung „Mordor“ | Abgebrannt | Märchenwald
Das „W“ (1): Richtung „Mordor“ | Abgebrannt | Märchenwald
Lago Nordenskjöld | Doppelter Wasserfall | Zeltlager
Lago Nordenskjöld | Doppelter Wasserfall | Zeltlager
Valle de Francés
Valle de Francés

Über die Station Cuernos, wo uns die bewirtschaftenden Ranger wieder unfreundlich begegnen, und einigen neuen, noch nicht einmal auf unserer gerade mal eine Woche alten Karte eingezeichneten Lagerplätzen läuft es sich nun ganz angenehm, zumindest bis zum Anstieg zum Refugio Chileno. Hier wird nicht umsonst angeboten sich für viele Dineros per Pferd zurücktragen zu lassen. Wir allerdings sind unsere eigenen Esel und so trotten wir voran, um die gleiche Aktion im nächsten Tal, nun wirklich zu den „Torres“, noch einmal zu starten: Nachdem das Zelt errichtet wurde, lassen wir die Ausrüstung zurück und erklimmen rasch die Felsen zum Gletschersee, mit den Torres del Paine im Hintergrund. Viele kommen extra morgens hier her, laufen im Dunkeln herauf, nur um diese Granitfelsnadeln für einige Minuten im roten Morgenlicht zu erblicken. Uns reicht die Stille fast ohne andere Leute hier schon aus, um das wahrlich erhobene Gefühl zu genießen, diesen majestätischen Naturdenkmälern zum Greifen nah zu sein.

Lago Nordenskjöld | Torres del Paine und Valle Ascencio

Torres del Paine (1) - Bildergalerie

Der Abstieg zum Parkausgang und vorbei am sündhaft teuren Hotel Las Torres endet nach nunmehr sieben Tagen dieser Rundkurs für uns und reflektierend trotten wir die staubige Straße zurück zum Beginn unseres erwartungsvollen Naturerlebnisses. Pumas konnten wir (leider?) nicht sehen, Kondore nur von fern, Papageien etwas näher, und zwei, drei wieselartige Tiere mit schwarzweiß-gestreiftem Kopf trotz braunem Körper hatten sich unterwegs nur mir gezeigt, obwohl nicht auszuschließen ist, dass ich mich dabei im Fieberwahn oder im Einfluss einer inversen Fata Morgana befunden hatte, die nur bei intensivem Regenwetter auftritt. Aber zumindest einige Guanacos stehen uns am Ausgang noch einmal Modell, bevor die Rückfahrt nach Puerto Natales ansteht.

Geologischer Einschnitt (1) | Valle Ascencio (1) | Flusslauf (1)
Geologischer Einschnitt (1) | Valle Ascencio (1) | Flusslauf (1)
Papageien (1) | Letzter Spiegelblick (1)
Papageien (1) | Letzter Spiegelblick (1)

In Puerto Natales offeriert uns der alte Zeltplatz von vor dem Aufbruch zu den „Torres“ auch dieses Mal wieder Schutz, bevor der nächste Reiseabschnitt ansteht. Am Abend muss uns allerdings ein heftig deftiges Essen wieder zu Kräften bringen, zusammen mit dem stimmungsaufhellenden Pisco Sour. Dann endlich würden wir weiter vorankommen, nun nach Argentinien, wo sechs Stunden später El Calafate (nach den Beeren benannt) nur einen kurzen Zwischenstopp darstellt. Denn obwohl sich Basti ursprünglich nicht für den Perito-Moreno-Gletscher begeistern konnte, bietet sich direkt bei der Ankunft die Möglichkeit, sofort dorthin weiter zu fahren. Ich kann seine Bedenken verstehen, immerhin sahen wir bereits grandiose Gletscher und allein die Fahrt kostet schon so viel wie der eigentliche, horrende Eintrittspreis in den Südteil des National-Glaciers-Park, wohingegen man im Norden umsonst hinein gelangt. Die Ortsansässigen wissen eben um den kapitalistischen Ertrag ihrer Natur. Mit einem kleinen Verhandlungszuschuss lässt sich Basti allerdings doch dazu überreden mitzukommen. Dann führt man uns durch wüstenartige Hügellandschaft, wie ich sie nur aus den Erzählungen des Monument Valley der Staaten kenne, bis plötzlich Wälder an den Hängen auftauchen und schon von ferne nach jeder der Serpentinenkurven kurz der Gletscher zu sehen ist. Wahrlich gebannt stehen wir später davor, warten darauf, dass ein Stück mit Getöse von der 50 Meter hohen, himmelblauen Wand abbricht und versuchen es graphisch auf Mikrochips festzuhalten. Mit etwas Geschick ahnt man es bereits bevor es passiert und kann seine Aufmerksamkeit dorthin lenken.

Pampa
Pampa (1)
Perito Moreno Gletscher
Perito Moreno Gletscher

Wie in europäischen Mittelgebirgen fühle ich mich hier umgeben von den Berggipfeln und selbst die Gastwirtschaftsarchitektur kommt alpin daher. Der Perito Moreno selbst ergießt sich in einem weiten Panorama über fünf Kilometer in zwei Seen gleichzeitig und trennt diese ab und an voneinander, sobald er das andere Ufer erreicht. Wenngleich wir kaum genug bekommen von der Anziehungskraft und dem gespannten Warten, wann denn das nächste Stück herunterbricht, geht es nach wenigen Stunden wieder zurück nach Calafate. Das Hostal Huemul wird dort empfohlen, aber als wir dort ankommen treffen wir eher auf ein abgehalftertes, stickiges Häuschen, mit verdreckter Küche und verwirrtem Personal im jugendlichen Alter. Der Alkohol und andere berauschende Mittel dürften ihnen über die Jahre stark zugesetzt haben. Wir als Gringos steigen also hier hinter der argentinischen Grenze im Dunkeln in dieser heruntergekommenen Pension ab, wo die Jugend nichts anderes zu tun weiß als schief zur Gitarre zu singen und Bier zu trinken. Wir lassen uns nicht anmerken, dass wir nicht von hier sind. Dagegen schwatzen die Asiaten wild darauf los und lenken so von uns ab. Doch immerhin stimmen alle ein paar lustige Liedchen an und wenn sie auch nicht singen können, trägt ihre gute Laune auch zu unserem Wohlbehagen bei. Ein Calafateeis vollendet für mich diesen durchaus gelungenen Tag (auch wenn es trotz seiner Cremigkeit keinerlei Gemeinsamkeit mit dem brombeerartigen Geschmack der wahren Beeren hat), denn morgen kommen wir frühzeitig weiter voran und haben dennoch den Gletscher gesehen. Wieder einmal konnten wir also einen Tag wettmachen.

Österreicher Unimog (1) | Deutscher Unimog (1) | Schwarzspecht (1)
Österreicher Unimog (1) | Deutscher Unimog (1) | Schwarzspecht (1)
El Chaltén
El Chaltén

Den brauchen wir auch um am gleichen Tag nicht nur nach El Chaltén zu gelangen, sondern um dort auch noch bis zum Fuße des Mt. Fitz Roy vorzudringen. Dieses Mal betreten wir den Nationalpark Los Glaciares im Norden und zahlen nicht einmal etwas dafür. Anscheinend ist dieser Teil noch nicht genügend vermarktet.

Kurz nach dem Aufbruch treffen wir in der Stadt erneut das deutsche Pärchen aus dem Torres-Nationalpark und fragen uns, wie oft das noch so weitergehen soll. Zumindest unser Weg führt zunächst weiter bis zum Ende dieses verschlafenen Örtchens. Dort, am Ende der Siedlung, stehen zwei riesige Unimog, umgebaut zu Wohnplanwägen und fähig sich durch jegliches Gelände zu fräsen und natürlich aus Deutschland bzw. Österreich.

Lago Capri mit Mt. Fitz Roy
Lago Capri mit Mt. Fitz Roy

Auf unserer eigenen, pedalen Wanderung ist das Wetter immer noch sonnig, wir sind gut gelaunt und die Schwarzspechte fliegen uns direkt vor die Füße. Familien sind hier vermehrt unterwegs im Gegensatz zu dem Massenauflauf an Tageswanderern im Torres auf der W-Strecke. Sogar die jüngere Generation müht sich extra hier herauf um am Strand des Lago Capri der Geselligkeit und der Liebe zu frönen. Wir jedoch wollen mehr und brechen nach dem Zeltaufbau auch schon los zum Lago Torre, jedoch auf einem längst vergessenen Pfad. In alten Karten ist er noch eingezeichnet als solcher, aber mittlerweile nur mühsam begehbar und demzufolge treffen wir niemand an. Dadurch können wir allerdings ungestörte Natur genießen, mit verlandenden Seen, beginnenden Mooren und Vögeln, die Menschen scheinbar noch nie zu Gesicht bekommen haben, denn sie scheuen uns überhaupt nicht, sondern umflattern uns eher übermütig und setzen sich auf uns ab. Der Preis für diese urtümliche Idylle überkommt Basti und mich als wir uns im Dickicht verlaufen und nur mühsam und mit modernster Navigationstechnik sowie gutem Kartenmaterial auf den Anschlussweg zurückfinden. Angespornt durch diese Wilderfahrung kann ich gar nicht anders als am Lago Torre angekommen das gespannte Stahlseil zur Überquerung des Seeausflusses zu nutzen um dort zu einer günstig gelegenen Eisscholle zu schwimmen und den Triumph zu genießen mich dort oben ablichten zu lassen. Basti kann ich zumindest überzeugen sich über das Seil ans andere Ufer mitzuhangeln, um den Beweis im Bild festzuhalten und später Ralf zu zeigen, was wir in Neuseeland verpasst hatten. Nicht die Kälte machte mir bei dieser Aktion zu schaffen, sondern eher die glitschigen Steine, über die ich mich halb watend halb schwimmend vorkämpfen musste. Die Eiseskälte des Gletscherschmelzsees selbst spürte ich kaum noch, denn zu sehr lag meine Konzentration darauf nicht auszurutschen. Natürlich treffen wir auch den Belgier aus Puerto Natales abends wieder, der keine zwei Zelte neben uns versuchte eine Flasche Rotwein zu köpfen und mich um einen Korkenzieher bittet, ohne sich zunächst an mich zu erinnern.

Am Fitz Roy (1): Drahtseilakt | Die erste Eiscreme des Jahres! | Schollensurfen | Eis
Am Fitz Roy (1): Drahtseilakt | Die erste Eiscreme des Jahres! | Schollensurfen | Eis
Lago Torre
Lago Torre

Schon der zweite Tag soll unser letzter am Fitz Roy sein und so kann nur ein kurzer Tagesausflug zum Lago de los Tres unternommen werden, jedoch verbunden mit einigen Steilheitsgraden im Wegverlauf. Auch dieser See lässt wiederum einen grandiosen Ausblick auf das Umland, den Mt. Fitz Roy und den weiter unten gelegenen Lago Sucia zu. Aber so langsam fühle ich mich etwas übersättigt mit grandiosen Ausblicken dieser Art, was auch ein Grund für den nur zweitägigen Aufenthalt in diesem ansonsten herrlichen Bergmassiv erklärt. Der Rückweg fällt mir daher emotional nicht sonderlich schwer. Zumal alles vorher bestimmt zu sein scheint auf dieser Reise, denn obwohl oder - gerade weil - wir uns ein wenig mit den Wegabzweigungen vertun, stoßen wir an einem Aussichtspunkt wieder einmal auf die Amerikaner. Da sie im Begriff sind ihren Urlaub zu beenden, bekommen wir von ihnen sogar den Rest ihres chilenischen Geldes: umgerechnet 5 Euro. Der Abstieg, wenn auch mit nunmehr ungewohntem Mehrgewicht auf dem Rücken, wird von Sonne und dem wohligen Gefühl begleitet weiter voran zu kommen und bald wieder zurück nach Chile zu gelangen, das doch schöner ist als das „Italien Südamerikas“, wie Argentinien vom chilenischen Studenten Javier aufgrund der arroganten Macho-Art seiner Einwohner einmal genannt hatte. Doch eines muss ich mir noch gönnen, solange wir in Argentinien weilen: die sagenumwobenen Rumpsteaks zu kosten, nachdem ich damit Basti schon seit Tagen in den Ohren liege! Auf unserem Wege durch El Chaltén gibt es eigentlich nur eine größere Straße und so stoßen wir zwangsläufig auf ein Lokal mit ebensolchem Angebot. Basti selbst in seiner fleischlosen Leidenschaft kann sich zumindest für das Bier begeistern, das mit dem einfach benannten „Cerveza negra“ tatsächlich äußerst gaumenfreundliche Braukunst darbietet. Mit der Helligkeit der Biere sinkt hier aber auch der Geschmack, sei an dieser Stelle gewarnt. Das Rumpsteak derweil ist nichts Besonderes verglichen mit unseren heimischen Varianten. Aber für den stolzen Preis bekommt man dieser Ortes außerdem eine Gourmet-Soßen-Garnierung, die allerdings so gering wie köstlich ausfällt!

Mt. Fitz Roy mit Lago de Los Tres
Mt. Fitz Roy mit Lago de Los Tres
Fitz-Roy-Massiv | Rio de las Vueltas | Chorrillo del Salto
Fitz-Roy-Massiv | Rio de las Vueltas | Chorrillo del Salto

Los Antiguos heißt daher die nächste Station. Dort befindet sich der nächste Grenzübergang zur Nachbarstadt Chile Chico und von dort erst kommen wir weiter. An der Relaisstation müssen wir auf den Anschlusstransfer warten und stoßen währenddessen auf einen jungen Burschen mit dem Namen Jonas. Er ist freiwilliger Missionar oder so etwas in der Art in Valparaíso und nur für ein paar Wochen hier auf Reisen, muss aber auf dem gleichen Weg weiter, wie wir beim gemeinsamen Frühstück auf dem Parkplatz des Busbahnhofs erfahren. Nachdem wir unsere Ziele ein wenig ausgetauscht haben, biete ich ihm an doch mit uns zu kommen und sich die Miete für eine geländegängige Coche zu teilen. Die chilenische Grenze stellt derweil keine sonderliche Hürde dar, wenngleich wieder von vielen Mitreisenden des Großraumgefährtes gefürchtet. Doch die Zöllner lassen sämtliche Utensilien durchgehen, so dass wir in Chile Chico eher vor dem Problem stehen, von dort nicht weiter zu gelangen, denn die Verkehrsanbindung existiert hier praktisch nicht und leider gibt es nur alle zwei Tage ein Schiff in der Früh und das fuhr heute bereits vor einer Stunde ab. Morgen würde es erst nachmittags fahren und dadurch verlören wir wiederum zwei Tage. Bevor wir also warten bis uns eine Mitfahrgelegenheit aufsammelt und wir (wie es ein paar Israelis tun) von anderen durch unser Mitleid erzeugendes Herausstrecken des Daumens mitgenommen werden, gehen wir erstmal das Notwendigste einkaufen, denn wir verbrauchten ja alle offenen Lebensmittel bis zur chilenischen Grenze. Einen größeren Laden gibt es zumindest in diesem Nest, was aber eher bedeutet, dass unser junger Mitreisender kräftig zulangt. Jetzt, da alles geteilt werden soll, scheint er der Meinung zu sein, es fällt für ihn mehr dabei ab.

Ungern berichte ich über so etwas Profanes wie was es zum Mittag gab, aber hier mache ich eine Ausnahme: Denn im Laden liegt eine kleine Essenstheke, wo verschiedene Salate und auch halbe Hühner angeboten wurden. Basti allerdings isst kein Fleisch und Jonas mag kein Huhn, also ist für mich ein ganzes Flattervieh zu viel. Daher beschränken wir uns auf die Salate. Vor Laden bei Tageslicht betrachtet stellt sich jedoch erschreckenderweise heraus, dass es sich bei einem dieser Salate um den kompletten Magen eines Rinds zu handeln scheint, denn neben den halb verdaut aussehenden Erbsen und Möhren wurden hier in Streifen geschnittene Pansen statt des Fleisches verwurstet. Jonas gibt sofort nach dem ersten Bissen auf und nachdem ich mich durch die Hälfte der Schüssel gequält habe, werfe auch ich das Handtuch. Doch weil mich noch immer der Hunger treibt und sich gerade eine Französin mittleren Alters zu uns setzt und mit uns ins Gespräch über eine Sonderfähre morgen Vormittag kommt, steigt in mir die Idee doch noch einmal den Schritt in den Laden zu wagen und dieses ganze Flügeltier auf der Theke mit ihr zu teilen. Gesagt, getan, sitzen wir vor einem goldbraun gebratenem Gockel, überzogen mit einer Prise Oregano, während die Französin von ihren weiten Reisen durch die ganze Welt erzählt, wie die Frauen in arabischen Ländern noch immer wie Vieh behandelt werden und wie sie einst über diese absurden Verhältnisse Reiseführer verfasst hat. Ein interessantes Leben tut sich vor mir auf, was ich allerdings selbst nicht führen möchte, denn es ist ein Einsames und eines mit ständigem Umherreisen ohne großartig noch weitgehend unbekannte Ziele zu sehen. Dafür lohnt es sich meines Erachtens nicht die Familie und Freunde ständig zurückzulassen. Denn gerade mit dem Alter wird es immer schwieriger tiefe Freundschaften aufzubauen und wenn man die alten vernachlässigt, steht man bald alleine da. Noch plagt uns dieses Schicksal aber nicht und für die Nacht wird die gemeinsame Schlafstätte bestehend aus dem Zelt etwas außerhalb der Stadt aufgeschlagen und am Strand feiern wir mit Bier und Pisco-Cola (Piscola) den bevorstehenden, gemeinsamen Reiseabschnitt mit Jonas.

Chile Chico am Lago General Carrera
Chile Chico am Lago General Carrera

Hier ist es staubtrocken und nur Büsche bedecken den Boden. Nicht einmal am Morgen hat sich Tau gebildet, so dass wir das Zelt sogar trocken einpacken können. Bei dem heftigen Wind, der uns auf dem Schiff nach Puerto Ibanez entgegen schlägt, hätte man es allerdings nur ein paar Sekunden an Deck hängen müssen und es wäre vor lauter Trockenheit zu Staub zerfallen – oder bis Argentinien fort geweht.

Auf der Strecke nach Coyhaique halten wir unvorhergesehen mit dem Transferbus. Plötzliche Straßenarbeiten versperren den Weg und zwingen uns zu einer Pause. Das wird doch kein Hinterhalt sein um uns auszurauben? Nun, dieses Mal wohl nicht. Tatsächlich können wir die Fahrt nach etwa zweistündigem Aufenthalt ohne größere oder räuberische Finanzeinbußen fortsetzen und begeben uns nach Ankunft in Coyhaique sogleich auf die Suche nach einer Cochevermietung. Die erstbeste… nehmen wir dieses Mal nicht, denn die Wahl läge höchstens auf einem guten, aber alten Modell oder einem billigen und dafür neuen Wägelchen. Bei einem anderen Anbieter dagegen bekommen wir ein neues, gutes Gefährt mit der Zugkraft von 200 stolzen, amerikanischen Pferdchen. Mit denen traben wir dann auch sofort auf die nächst gelegene Weide ein Stück außerhalb der Stadt, weil mittlerweile im Dunkeln kein offizieller Lagerplatz mehr ausfindig zu machen ist. Nach einiger Sucherei findet sich auf einem Hügel sogar ein ganz gutes Plätzchen mit Blick ins Tal. Im Schutz des Wagens vor Wind, geschützt durch hohes Gras verstecken wir uns die Nacht über, auch wenn wir auf der Ladefläche kurze Flammen aufblitzen lassen um zu kochen. Etwas unglücklich bin ich nur über die finanzielle Situation, denn wie schon auf vielen Reisen zuvor wird meine Scheckkarte bei den Banken wieder einmal nicht mehr akzeptiert und wir sind auf die Bargeldreste und etwaige Tauschmöglichkeiten unserer Heimatwährung in Chilepeso angewiesen. Die kurze Erwägung eines Banküberfalls verwerfe ich sogleich wieder, auch wenn mit dem mächtigen Gefährt gute Fluchtmöglichkeiten bestünden. Aber dieses Mal sind wir im Urlaub und nicht auf der Flucht!

 

Dann endlich beginnt der schönste Teil: die Freiheit mit dem eigenen Gefährt durch die Lande zu ziehen und dort anzuhalten, wo es gefällt. Wenn die Pferdchen unter der Haube auch noch für jegliche Geländeaufgabe gerüstet sind, fühlt man sich doch gleich umso sicherer. Cerro Castillo heißt dann die erste Zwischenstation, wo wir uns mit Jonas auf eine Erkundungswanderung geeinigt haben. Papageien-Schwärme begleiten uns dabei bis in Regionen, wo Nebel und Regen das weitere Vorankommen vermiesen und uns zur Umkehr zwingen. Hier in der Gegend endet auch die befestigte Straße und allein auf Schotter führt der Weg weiter um den Lago General Carrera. Gleich nach Villa Cerro Castillo soll es aber erst noch die Manos de Cerro Castillo zu sehen geben, also die roten und grünen Handabdrücke der Indios, die hier vor 3000 Jahren ihr Jagdrevier kennzeichneten, indem sie entweder die Hände mit dem langlebigen Pigment bestrichen (Positiv bzw. echtes Wandbild) und die Felsen berührten oder das Pigment um die Hände auf den Felsen spuckten (Negativ bzw. inverses Wandbild).

Am Cerro Castillo | Manos de Cerro Castillo | Rio Murta
Am Cerro Castillo | Manos de Cerro Castillo | Rio Murta

Statt auf die handlichen Felsen stoßen wir zunächst aber nur auf ein verlassenes Schulgebäude mitten in der Pampa, sieht aus wie ein Museum. Man kann ziemlich gut nachempfinden, wie die Paukersituation des antiken 1960 dieser Region ausgesehen hat. Wie durch Zufall in dieser gottverlassenen Gegend gabelt uns ein Einheimischer auf und bietet eine Führung zu den berühmten Felsmalereien an. Wie schon einst Johnny und Vincent findet Jonas zusammen mit dem Einheimischen Gefallen daran bis zum Ausgangspunkt dafür auf der Pickup-Ladefläche durch ein Minenfeld aus Schlaglöchern zu brettern. Bevor wir aber zur nächsten Station aufbrechen können, wird uns ein chilenisches Paar - Macarena und Carlos - zur Mitreise empfohlen. Beide schauen eigentlich ganz nett drein und schlagen sogar vor wie könnten sie gut verschnürt auf der Ladefläche verpacken, doch bevor wir uns dazu entschließen sie womöglich die nächsten Tage mitzuschleifen, beraten wir uns eingehend ob der Situation. Denn obwohl hier in der äußersten Einsamkeit wohl kaum jemand her kommt, um ein paar arme Wanderer zu überfallen, wird es dadurch in nächster Zeit ziemlich eng im Wagen. Währenddessen weist uns ein anderer Einsässiger daraufhin unser Motor würde zu wenig Öl beherbergen, sodass er uns dazu überredet ihm seine restliche Flasche abzukaufen, denn er scheint gerade fertig mit der Reparatur seiner Karrette zu sein und hat wohl etwas übrig. Basti und Jonas sind sich derweil uneins darüber, ob wir die anderen beiden nun mitnehmen sollten oder nicht. Schließlich entscheide ich mich als Fahrzeugführer dafür, denn so allein hier draußen will ich niemanden stehen lassen und die beiden könnten einen guten Puffer zwischen Jonas und mir bilden, denn mittlerweile missfällt mir sein draufgängerisches Verhalten und die Spannungen zwischen uns könnten sich weiter verschärfen. Tja, und dann fahren wir zu fünft in diesem Höllengefährt, mit dem Gepäck wieder einmal auf die Ladefläche geschnallt und damit dem Wind, Staub und Regen preisgegeben.

Weit kommen wir heute nicht mehr, und bevor wieder die Nacht hereinbricht, muss noch ein Lagerplatz her. Daher wird kurzerhand direkt an der Straße mit Nähe zu einem Bächlein gerastet. Während erneut auf der Ladefläche nun zu fünft das Essen kocht, erbarme ich mich mit Jonas das Zelt aufzubauen. Nachdem die labile Entscheidungsform der Demokratie allerdings schon an der Wahl des Aufschlagortes scheitert, da Jonas nicht verstehen kann, weshalb man nicht gerne mitten auf dem freien Platz ohne Vertäuungsmöglichkeit und Windschutz, aber dafür reichlich übersäht mit groben Steinen übernachtet, gebe ich schließlich auf, als er auch noch dazu partout darauf besteht die Zeltpforte direkt vor dem Weidezaun zu errichten, so dass es einer ausgefeilten Technik bedarf, um überhaupt hinein und wieder raus zu gelangen. (Die beiden Chilenen bauen ihr Zelt derweil etwas abseits mit mehr Verstand auf.) Alle Versuche ihn davon zu überzeugen, dass ja auch noch eine Außenplane darüber gespannt werden muss und demzufolge keinerlei Möglichkeit mehr besteht noch in das Zelt hineinzugelangen und also den eigentlichen Zweck eines Zeltes zu nutzen, werden mit unbarmherziger Dummheit seinerseits abgewiesen. Man möchte es schon fast Jugendstarrsinn nennen! ‚Na gut‘, denke ich mir schließlich, ,ich schlafe ja ohnehin im Wagen.‘ Am nächsten Morgen weiß ich auch weshalb, denn in der Nacht muss es gewindet und geregnet haben und beide Zeltschläfer quälen sich aus den klammen Schlafsäcken, während ich mich bequem aus dem verstellbaren Beifahrersitz aus der Liegeposition erhebe.

Lago General Carrera I
Lago General Carrera I
Marmor-Kathedralen: Innenhof | Glockenturm (1) | Basilika
Marmor-Kathedralen: Innenhof | Glockenturm (1) | Basilika
Pforte | Sakristei | Kirchenschiff (1)
Pforte | Sakristei | Kirchenschiff (1)

So muss ein Tag beginnen, der zu einem der besten überhaupt werden soll. Und das verspricht er zu werden. Denn über die spektakuläre Anfahrt zum Lago General Carrera führt uns die einzige Straße heute zu den marmornen Kathedralen von Puerto Tranquilo, deren einmalige Ansichten nur vom Boot aus erkennbar werden, ja sich sogar per Kanu hautnah erleben lassen. Dabei lassen wir uns auch nicht durch die Nässe stören, die durch die beinahe verrückte Fahrerei des hiesigen Steuermannes oder die Wendemanöver des Kanus für eher erfrischende Kühle sorgt. Die beiden Chilenen wollten uns etwas zeigen, dass sie selbst nur vom Hörensagen kennen und verwundern sich nun selbst ob der Mächtigkeit dieser Felsstrukturen. Wer lässt sich denn träumen, dass es in dieser verlassenen Gegend solche Naturwunder gibt?

Valle Exploradores I: Gräber | Hängender Gletscher | Steilwand
Valle Exploradores I: Gräber | Hängender Gletscher | Steilwand
Wasserfälle I | II | III | IV (1)
Wasserfälle I | II | III | IV (1)

Das anschließende Valle Exploradores offenbart ein weiteres Naturspektakel und weiht uns in die Geheimnisse des Regenwaldes ein, mit seinen steilstmöglich abfallenden, wie durch Menschen glatt geschliffenen Felsen, über die Wasser in abenteuerlichen Kaskasden talwärts stürzen, bis hin zu einem mächtig in den kleinen Dschungelsee mündenden Gletscher. „Ihr habt uns Stellen unseres Landes gezeigt, von denen wir nie zuvor gehört hatten!“, lautet der Dank von Macarena und Carlos immer wieder. Doch es geht noch weiter. Nun dämmert bereits der Tag, als sich die Küstenstraße nah am und durch Felsen hindurch um uneinsichtige Schotterkurven windet, Schluchten überbrückt, Traumblicke offenbart und uns immer wieder Gelegenheit gibt überwältigt zu sein. Ein perfekter Tag wäre aber zu schön um wahr zu sein, denkt sich wohl zumindest Jonas. Denn als wir schon im Scheinwerferlicht wieder kurz vor Chile Chico sind, beginnt er nun immer wieder darauf zu drängen den vor uns fahrenden Wagen doch endlich zu überholen. Mit fünf Menschen an Bord, auf einer Schotterpiste im Dunkeln, wo hinter jeder Kurve ein Abhang lauern kann und ich selbst mit dickstem Reifenprofil wie auf Wasser schwimme, kann ich ihm nur noch genervt entgegnen, dass ich das bestimmt nicht machen werde. Vielleicht mag man mich verstehen, dass ich meist nur noch ein missbilligendes Brummen als Kommentar darauf von mir gebe, wenn man sich vergegenwärtigt, dass ein blutjunger Fahranfänger einen schon des öfteren damit behelligte wie man zu fahren hätte, obwohl er derjenige war der gerade einmal seit einem Jahr motorisiert unterwegs sein darf, während ich selbst mit der verschiedene Fahrzeuggrößen in unterschiedlichsten Ländern zum Ziel lenkte. Vielleicht kommen wir auch deshalb noch wohl behalten in Chile Chico an.

Valle Exploradores II: Seeufer | Nalca (Riesenrhabarber) | Wasserfallbett (1)
Valle Exploradores II: Seeufer | Nalca (Riesenrhabarber) | Wasserfallbett (1)
Flussspeisung (1) | Regenwald (1)
Flussspeisung (1) | Regenwald (1)

Da Basti und ich allgemein eher schlicht speisen und nächtigen, ist uns der Gedanke an einen überteuerten Zeltplatz als Plan für die Nacht in Chile Chico zuwider, zumal wir diese Stadt bereits erfolgreich wild belagert hatten. Als uns jedoch Macarena und Carlos einladen und Jonas sonst wieder Trotzanfälle bekäme, lenken wir also ein und auf eine windstille, aber kurze und keinesfalls ruhige Nacht zu. Denn morgen würde unsere gemeinsame Reise mit den Chilenen enden und mittlerweile haben wir alle die beiden lieb gewonnen. Bei der nun anfallenden Feier geht es daher mit Piscola und Bier hoch her und so erfahren wir auch, dass die beiden sich zwar seit ihrer Kindheit kennen, aber gar kein Paar sind, weil „Carlos keine Frauen liebt“, wie Macarena erklärt. Anscheinend klären sie das aber selten auf, denn es reist sich wohl besser, wenn alle Welt glaubt, was sie sieht und denkt.

Lago General Carrera II

Einen sensationellen Sonnenaufgang später befinden wir uns wieder auf der Fähre Richtung Puerto Ibanez, was uns die beiden Chilenen ebenfalls bezahlen. Ein weiteres Mal beweist Jonas jedoch seine Erziehung als einer von drei Brüdern, die wohl um alles und so auch ihr Essen kämpfen mussten, denn so selbstverständlich wie er mir das Frühstück von meinem Teller stibitzt kann ich es kaum fassen, um auch nur etwas dagegen zu sagen. Nicht nur, dass er sich stets zwischendurch etwas vom gemeinsamen Proviant gegönnt hätte, zeigt diesen Futterneid, sondern dass er uns auch dazu anhielt nicht so viel von seinen Vorräten zu essen! Einen schönen Kuckuck haben wir uns da ins Nest geholt. Oder es liegt an der Jugend, denn Erinnerungen an Andrej werden mir dabei wach. ‚Immerhin‘, versuche ich mich immer wieder zu beruhigen, ‚beteiligt er sich an den Kosten und spricht Spanisch.‘ Letzteres wohl sogar ganz gut, aber wenn man dann nach längerer Zeit des Gesprächs von ihm mit einem Fremden wissen will, was er nun gesagt habe, antwortet er entweder gar nicht oder fährt zornig herum, was wir denn wollen.

Doch auch diese Zeit wird ein Ende haben. Denn erst liefern wir die beiden Chilenen nach einer wieder einmal herrlichen Landschaftsdurchquerung in Coyhaique ab und anschließend auch Jonas in Chacabuco bei seiner Fähre. Zwischendurch gabeln wir rasch noch sieben Israelis für ein paar Kilometer auf, und stellen nicht nur überrascht fest, dass man in deren Heimatland selbst als Frau zwei Jahre in der Armee dienen muss und wir die zwei Israelis im Fahrerhaus bereits aus Chile Chico kennen, sondern dass sie sich auch noch äußerst genügsam überschwänglich für die holprige Fahrt zum Rio Simpson bedanken und meinen, sie wären nie sanfter auf der Ladefläche mitgefahren, während wir drinnen schon dachten, sie hätten wohl mindestens eine Gehirnerschütterung erlitten haben müssen. Ihre Methode quer durch Südamerika per Anhalter zu fahren scheint äußerst wirkungsvoll zu sein, denn die gleiche Strecke um den Lago General Carrera mit fast allen Sehenswürdigkeiten hatten sie in der gleichen Zeit wie wir geschafft. Und dann sind wir endlich wieder allein im Wagen!

Morgen in Chile Chico | Aussicht | Gelände-Coche mit Jonas
Morgen in Chile Chico | Aussicht | Gelände-Coche mit Jonas
Herbstfärbung | Erntelandschaft | Israelis (1)
Herbstfärbung | Erntelandschaft | Israelis (1)

Aus Chacabuco kommend geht es erneut an den Israelis vorbei (dieses Mal jedoch ohne sie wieder mitzunehmen, denn wir sind der Mitfahrer müde) in Richtung Queuelat-Nationalpark. Bald schon endet wieder einmal die befestigte Straße und durch den dichten Regenwald und über die steile, oft noch im Bau befindliche Straße, kommen wir nur langsam voran. Gerade rechtzeitig vor Regen und Finsternis taucht der Eingang auf, doch niemand ist zu sehen. Zwar sitzt eine Silhouette im Wärterhäuschen, aber das ist kein Offizieller. Er nennt sich Raffael, so erklärt er uns und ist Landschaftsmaler und Philosoph. Immerhin kann er gut Englisch und so kann ich sogar mal wieder nach langer Zeit und mitten im Urwald mit jemandem über den Nutzen von Kunst für die Menschen philosophieren. Basti lauscht unserer Diskussion. Entweder palavert er nicht gerne abstrakt oder er versucht eher schnell eine Lösung oder einen Kompromiss zu finden. Bald jedoch endet der Diskurs mit Raffael schon jäh, denn seine Mitbewohnerin ist eine kompakte, stumme Parkrangerin, die nach Dienstschluss nichts mehr von anderen Menschen wissen will und uns (über Raffael als übersetzendes Medium) zum Gehen auffordert. Unser gemeinsames Abendmahl können wir noch vollenden, denn der Landschaftsgallerist brannte förmlich schon darauf die ungewöhnliche Mischung seiner Spaghetti mit unseren Bohnen zu verkosten.

Morgens nach einer Nacht im Fahrzeug erfahren wir von dem Streik der Parkranger in Chile. Offensichtlich sind wir mitten in eine der häufigen Situationen geraten, in denen die Angestellten von CONAF (Corporación Nacional Forestal) die Arbeit für bessere Bedingungen niederlegen. Unverrichteter Dinge müssen wir also abziehen und wollen wenigstens noch Puyuhuapi besuchen, das in dem Ruf steht die einstigen germanischen Siedlerhäuser originalgetreu zu zeigen. Tatsächlich lesen wir Schilder wie „Café Rossbach“, „Cerveza Hopperdietzel“ oder „Hosteria Uebel“. Weiter gen Norden schaffen wir es unter diesen Wegebedingungen allerdings in unserer knappen, verbleibenden Zeit nicht mehr, so dass uns der Genuss in der Tradition des Erdbebenfremdenverkehrs im zerstörten Chaiten verwehrt bleibt.

Dagegen müssen wir eine Zwangspause einlegen, als beim Wendeversuch ein Graben tiefer ausfällt als ich vorher gedacht hatte und die Hinterräder nun frei drehend darin schweben. Während Basti von einer nahen Baustelle Bretter zum Aufbocken holt, halte ich verschiedene Reisende an, von denen nur ein kleinerer Lastenwagen tatsächlich ein genügend stabiles Seil mit sich führt und uns schneller als man schauen kann heraus zieht. Sichtlich erleichtert können wir also dieses vor Kraft strotzende Vehikel, das sich jedoch nicht von selbst befreien konnte, in Coyhaique zurückgeben, denn beschädigt wurde dank der verstärkten Bodenkarosserie nichts weiter.

Puyuhuapi | Regenwald | Grabenlage
Puyuhuapi | Regenwald | Grabenlage

An diesem Tag bleiben wir aber auch nach den Rückschlägen des geschlossenen Parkes am Morgen und dem festgesetzten Gefährts am späten Mittag nicht verschont. Man höre denn: des Abends im Nieselregen erreichen wir Puerto Cisnes, um per Schiff durch die Fjordlande zur Insel Chiloe zu gelangen. Auf der erneut verdunkelten Suche nach einem Lagerplatz finden wir natürlich nichts Brauchbares, denn außer dem Hafen gibt es in dieser Kreuzung aus einem Kaff und einem Nest nur noch Steilhänge. Bastis folgenreicher Idee daher mitten auf der Mole zwischen zwei Geländern zu zelten gebe ich mangels erblickbarer Alternativen schließlich nach, obwohl mir mein Gefühl sagt, dass diese Entscheidung nicht gut sein kann. Die Erdnägel lassen sich schon schwer in den versiegelten Untergrund rammen, sodass wir auf gute Vertäuung an den Geländern angewiesen sind und der Regen zwingt uns erstmals vorsichtig im Vorzelt zu kochen. Doch die leichten Probleme täuschen nur über die wahre Unachtsamkeit hinweg, denn wir befinden uns direkt am Wasser! Und wenn es auch am Ende eines langgewundenen Sundes ist, der einige hundert Kilometer vom offenen Meer entfernt liegt, neigt er doch dazu das salzige Wasser gegen 4 Uhr in der Früh mit immer stärker werdender Wucht in das Zelt zu treiben. Unsere Zwischenplane war schon während einer der letzten Fahrten von der Ladefläche geflogen und so erwache ich, als mir Wasser durch zwei Planen hindurch ins Gesicht spritzt. Noch glauben wir, es handele sich lediglich um vereinzelte Böen, aber schon bevor sich das wahre Ausmaß erkennen lässt und ich mich rechtzeitig notdürftig ankleiden kann, fegt ein orkanartiger Sturm über uns hinweg und durchnässt binnen Minuten sämtliche unserer Sachen. Mühevoll schäle ich mich aus den tief unter der Kraft des Windes geneigten Zeltresten heraus und halte von außen, was noch zu halten ist. Die Umrisse von Basti wären wohl deutlich plastisch von der Plane abgezeichnet, wenn man in der tiefschwarzen und wolkenverhangenen Nacht noch etwas sehen würde. Als er sich schließlich auch irgendwie aus dem Zeltstoff befreien kann müssen wir uns anschreien um durch das peitschende Gemisch aus Wind und Regen überhaupt noch etwas zu vernehmen und einigen uns darauf, das gesamte Konglomerat aus Rucksäcken, Kleidung und Schlafsäcken erst einmal von der Mole weg zur Straße zu schleifen. Völlig durchnässt und jämmerlich frierend irren wir anschließend herum um jemanden um Hilfe zu bitten. Natürlich lässt sich hier um dieser Uhrzeit niemand blicken, bis wir aber doch das enorme Glück genießen wohl auf einen Hafenarbeiter im Pickup zu stoßen, der uns zwar nicht sprachlich versteht, aber sich wohl denken kann was los ist, wenn zwei halbnackte Deutsche (Basti ist nur in Unterhose, weil er keine Zeit hatte um sich etwas überzustreifen) zitternd mit einem triefenden Bündel neben sich und wild fuchtelnd nachts durch den Sturm stolpern. Zuerst merke ich gar keine Wärme im Wagen, als der Hafenarbeiter uns bei der Polizei abliefern will. Die will uns aber nicht und so bringt er uns eben zu sich zuhause. Erst einige Zeit, nachdem er dort ein Feuer im Keller gemacht hatte, kann ich langsam wieder einen klaren Gedanken fassen und zur Wärme zurückfinden ohne am ganzen Leib vor Kälte zu erbeben. Während wir alles nach Wichtigkeit vor dem Feuer zum Trocknen ausbreiten, können wir nun nicht mehr schlafen und die Kleidung sättigt sich mit Rauch. Einmal mehr haben wir eine Extremsituation überlebt, wenn auch mit erstaunlichem Glück!

Als der Morgen schon nicht mehr ganz jung ist, kommt der Hausherr zurück und nach einer langen Dankeszeremonie verabschieden wir uns erneut in Richtung Hafen. Obwohl uns nur noch wenige Peso bleiben, bieten wir ihm etwas davon für seine Hilfe an, können ihn jedoch nicht davon überzeugen das Geld auch anzunehmen. Vom Sturm ist nun nichts mehr zu sehen, das Wasser der Bucht liegt ganz ruhig da. Nur ein kleines Boot ist gerade am Sinken, während der Besitzer es verzweifelt versucht an Land zu ziehen. Basti greift dann auch tatkräftig ins Seil um ihm zu helfen, während ich die Nahrungsmittel gegen die aus allen Löchern kriechenden Hunde verteidigen muss.

Endlich schleppen wir uns dann auf die Fähre und lassen uns durch die nun wunderschöne Buchtenlandschaft nach Quellón auf der Insel Chiloe fahren. Wenngleich eine herrliche Inselwelt hinter jeder Biegung eine neue Aussicht bereit hält, bleibt uns das seltene Glück einer Walsichtung weiterhin verwehrt. Darüber können auch noch so imposante Sonnenuntergänge nicht hinweg trösten. Und dann sind wir auch schon am Ziel! Eigentlich sollte die Fahrt die ganze Nacht hindurch andauern und wir hatten uns auf eine trockene Schlafgelegenheit in den Sitzen gefreut. Nun müssen wir - wieder einmal - in der Nacht einer fremden Stadt nach Schlafplätzen Ausschau halten. Eine Wartehalle für Reisende wie an den anderen Fuhrwerksstationen gibt es hier nicht und da wir ohnehin schon durch das linkische Hafenviertel her kamen, beschließen wir uns ebenso zu verhalten und einfach im Park das Zelt aufzuschlagen. Hier gibt es eine kleine Mulde, die vor Wind, Sicht und dem Licht der Straßenlaternen schützt und daher optimale Bedingungen liefert.

Inselwelt und Fjordland von Puerto Cisnes nach Quellón (Isla Chiloe)

Die Rechnung geht auf und man lässt uns in Ruhe. Vielleicht hält man uns auch nur für Obdachlose und hat Angst. Jedenfalls bekommen wir sogar noch die nächste Verbindung nach Castro, der inoffiziellen Hauptstadt von Chiloe. Allerdings steigen wir schon in Chonchi aus, um die fantastische Steilküste zu erblicken, die sich jedoch eher als allmählich abfallende Küstenstraße präsentiert. Außer der recht hübschen gelb-blauen Kirche in Holzschindeloptik und ein paar spektakulär verfallenen Häusern bleibt dieser Ort hinter den hoch geschraubten Erwartungen deutlich zurück.

Chonchi (Isla Chiloe): Kirche und Hauptplatz | Schindelverkleidung| Strand mit Küstenwache
Chonchi (Isla Chiloe): Kirche und Hauptplatz | Schindelverkleidung| Strand mit Küstenwache
Castro (Isla Chiloe): Kötersiesta | Wellblechkatherale | Pfahlbaute
Castro (Isla Chiloe): Kötersiesta | Wellblechkatherale | Pfahlbaute

Daher muss Castro die Stimmung wieder erhellen. Das tut es auch, denn zum einen stellt es sich mit seinen eng bebauten Straßen und Fischer-Pfahlbauten am Wasser, dem mediterran anmutenden Marktplatz neben der quietschgelben Holz-Wellblech-Kirche sowie dem wilden Mix von Alpaca-Hemden zwischen Käse und Fisch als entdeckungsfreundlich heraus. Zum anderen finden wir endlich eine Wechselstube, die uns wieder akzeptierte Geldmittel in die Reisekasse spült. Und so kann es nach der Weiterfahrt von Puerto Montt noch am selben Tag weiter nach Puerto Varas gehen, einer der schönsten Ortschaften für den Fremdenverkehr, wie man uns von allen Seiten beteuerte. Dabei mussten wir uns allerdings recht schnell entscheiden, denn die Gefährte standen schon zur Abfahrt parat und so war es uns nicht mehr möglich, bereits eine Fahrkarte Richtung Norden zu lösen. Immerhin hatten wir Chiloe wie geplant an einem Tag durchreist und würden sogar noch in Puerto Varas ankommen. ‚Ganz nett‘, ist dann auch mein erster Eindruck in der von architektonisch interessanten Abwechslung unterschiedlichster Baustile dort, mit dem Vulkan Osorno im Hintergrund und umgeben von sanften Hügeln. Aber mehr als ein paar Tage würde ich hier kaum Beschäftigung finden oder gar drei Wochen, wie uns von einem Paar berichtet wurde. Da es schon dämmert, gilt es schnellst möglich ein Hostal zu finden und noch etwas von der Stadt zu sehen, denn morgen in der Früh müssen wir schon wieder zurück. Erstaunlicherweise bietet die erste Pension sogar für einen günstigen Preis mitten in der Hochburg aller schaulustigen und erholungsbedürftigen Fremden für ein Doppelbettzimmer samt Frühstück! So brauchen wir nicht lange weiter zu suchen und kraxeln rasch auf das Aussichtskreuz des nahen Berges, in der Hoffnung einen Blick auf die Umgebung erhaschen zu können. Diese Hoffnung wird durch dichte Vegetation zerstört und daher finden wir auf der Stadtkarte einen anderen Punkt, müssen jedoch kurz entschlossen über die Barrikaden des im Bau befindlichen Parks klettern, um den durchaus erwähnenswerten Fernblick über die mittlerweile nächtliche Stadt bis hin zum kaum noch erkennbaren Vulkan in Anspruch nehmen zu können. Ein weiteres Mal lasse ich mich auf dem Rückweg dann von einer chilenisch-südamerikanischen Spezialität in ein Restaurant locken, das mir ein „Lomo a la pobre“ verspricht, also ein Rindersteak mit frittierten Kartoffelstäbchen. Basti blickt mich schon gelangweilt an und freut sich eher auf die Kartoffelsuppe später im Hostal. Doch auch wenn er das nicht versteht, ist dieses Gericht nun wirklich ein kulinarisches Fest, vielleicht bedingt durch den Berg von Zwiebeln! Und nachdem man wochenlang (mit einigen Ausnahmen wie dem Rumpsteak in El Chaltén) ausschließlich Käsebrot und abends eintönige Kohlenhydratmahlzeiten ertragen musste, kann man sich doch ab und zu auch mal gehobenere Speisen gönnen, oder? Zumal der Gedanke daran und die Freude darauf mich durch manche Extremsituation retteten.

Puerto Varas: Vulkan Osorno | Wellblech-Kathedrale | Nächtliche Stadt
Puerto Varas: Vulkan Osorno | Wellblech-Kathedrale | Nächtliche Stadt

Recht früh befinden wir uns auch schon wieder auf dem Weg nach Puerto Montt, wo die nächste Gelegenheit nach Norden erst spät in der Nacht stattfinden wird und „nur“ nach Los Ángeles (in Chile, nicht USA!) statt zum Villarrica-Vulkan, den wir besteigen wollten um die brodelnde Lava zu sehen. Denn da dieser Berg vor einigen Wochen erst seine Lava recht weitläufig und unliebsam eruptiv darbot, müssen wir mit dem ruhigeren Gesellen Antuco vorlieb nehmen. Die Zeit bis zum Abend will also herumgebracht werden. Deshalb tun wir, was wir am liebsten tun und entdecken, was es zu entdecken gibt. So stoßen wir auf das teutonische Viertel, gleich neben dem Rathaus, wo ein germanischer Verein und ein Denkmal für alemannische Siedler auf entfernte Verwandte unserer Vorfahren hinweisen. Auch mit einer Partie Straßenschach lässt sich die Zeit erwürgen. Beim näheren Kartenstudium fällt dann auf, dass es hier einen Kunsthändlermarkt gibt und wir sowieso noch ein paar Hemden aus Alpacawolle suchen. Gleich gegenüber lässt sich außerdem auf eine vorgelagerte Insel namens Tenglo übersetzen, deren übergroßes Kreuz uns zunächst als Ausflugsziel und Aussichtspunkt über die Gegend dient, später als Ablage für die Rucksäcke, um das verfallende Dorf durch eine dschungelartige Mini-Schlucht unterhalb zu erkunden, dort einer Karfreitagsprozession beizuwohnen, völlig vernarrt bunte Steine am Strand zu sammeln und sogar eine abgebrannte Villa im europäischen Stil vorzufinden. Als das Wetter jedoch umschlägt, gilt es schnellstmöglich wieder aufs Festland zu gelangen und gerade bevor wir wieder einmal völlig durchnässt werden, erreichen wir die Aufenthaltshalle der Relaisstation. Kaum haben wir uns niedergesetzt und denken an nichts Böses weil es bis zur Abfahrt noch einige Stunden hin ist, verschwindet binnen weniger Minuten mein kleiner Tagesrucksack vom Sitz direkt neben mir. Ich hatte ihn etwas hinter die große Kraxe verbarrikadiert um ihn dem Diebstahl nicht sofort anheim fallen zu lassen, was anscheinend aber eher dazu eingeladen hatte. Erst als ich zur von der Langeweile ablenkenden Reiselektüre greifen wollte, griff ich unweigerlich ins Leere. Langeweile ist dann auch das Letzte, was ich in der nächsten Zeit erfahre, denn nun gilt es schnellstmöglich eine Spur von Dieb und Rucksack zu erlangen, bevor der Suchradius zu groß wird. Dummerweise befindet sich neben den gesamten Reiseaufzeichnungen, Landkarten, Reiseführer, ein paar Dollar, sämtlichen Skizzen und Bildern der letzten Wochen auch meine Augengläser in diesem Tagesrucksack, so dass die Suche mir dadurch außerdem erschwert wird. Nachdem im Umkreis von 500 Metern alles von mir abgesucht wurde, selbst jegliche Müllablagemöglichkeit um die Reste des Diebesgutes zu erspähen, muss ich mich mit der Tatsache abfinden fortan von den genannten Gegenständen getrennt leben zu müssen. Die örtlichen Sheriffs nehmen anschließend zwar noch die Anzeige auf – wobei mir ein freundlicher Übersetzer hilft, der meine verzweifelten Versuche Spanisch zu sprechen zufällig mithört – und selbst die örtliche Überwachung durch das mechanische Auge des Gesetzes wird befragt. Doch ausgerechnet am Ort des Geschehens, wo es wichtig war, ist es mit Blindheit geschlagen. Dokumente und Bargeld habe ich zum Glück noch bei mir und den großen Rucksack kann auch niemand so ohne weiteres von dannen schleppen, so dass mir vor allem ideelle Werte (damit aber das Wichtigere wie ich finde) entwendet wurde. Eine spätere Lehre formt sich daraus für mich aus: Weniger Besitz entlastet einen selbst. Etwas zu verlieren ist nie schön, aber nachher merkt man erst, ob es einem wirklich wichtig war. Das ist dann meist das Ideelle, das Persönliche, bei mir vor allem die Bilder und meine Aufzeichnungen der Reise. Alles andere kann man nachkaufen, wenn man es tatsächlich wieder braucht. Und: Diebstahl ist ein Problem, wenn die Güter einer Gesellschaft ungerecht verteilt sind. Aber der Verlust persönlicher Gegenstände schmerzt mehr als das Geld selbst.

Puerto Montt: Seebrücke | Deutsches Siedlerdenkmal | Bergkreuz auf Isla Tenglo | Kunsthandwerk
Puerto Montt: Seebrücke | Deutsches Siedlerdenkmal | Bergkreuz auf Isla Tenglo | Kunsthandwerk
Puerto Montt (Hafenviertel Angelmo) und Isla Tenglo im Vordergrund | Mini-Schlucht auf Tenglo
Puerto Montt (Hafenviertel Angelmo) und Isla Tenglo im Vordergrund | Mini-Schlucht auf Tenglo
Puerto Montt: Bunte Stadt | Bunter Hafen auf Tenglo | Abgebranntes Gutshaus auf Tenglo
Puerto Montt: Bunte Stadt | Bunter Hafen auf Tenglo | Abgebranntes Gutshaus auf Tenglo

Den Vergleich des chilenischen Los Ángeles mit dem nordamerikanischen Pendant erleben wir eher als entfernt vorhanden. Außer der Tatsache, dass beides irgendwie an einer Westküste liegt und wohl gleichermaßen heruntergekommen ist, scheint auch die Hitze ähnlich anzusteigen. Darum brechen wir schnellstmöglich zum Vulkan auf, wenngleich ein solcher für den Inbegriff von irdischer Hitze steht. Die Anbindung führt nur auf acht Meilen an den momentan erloschenen Feuerberg heran, wohl aus gutem Grund. Die restliche Strecke beginnen wir mitsamt Gepäck zu Fuß zurück zu legen. Das ist ja bereits bekannt. Etwa zehn Minuten später aber erhört ein Paar mit Coche unsere Zeichen am Straßenrand und erbarmt sich uns den Weg ein Stück zu erleichtern und auf diese Weise gelangen wir direkt bis zur Abzweigung zu den Eisfeldern. Zunächst kann man sich noch über diesen seltsamen Namen wundern, wie auch wir es taten, denn unter der brennenden Sonne den Hang hinauf zu gelangen lässt einen jeden solche Verheißungen über eine unmöglich scheinende Abkühlung als blanken Hohn erscheinen. Wo Lava sich kilometerbreit über das ursprüngliche Geröll ergoss, weite Ebenen nur nacktem Stein zeigen, lediglich am Rand bedeckt von etwas Grün, dort wagt man schon gar nicht mehr daran zu denken jemals Wasser, geschweige denn gar Eis zu erblicken. Doch so geschieht es, als wir schon den Gedanken hegen wieder umzukehren, weil uns ein schwefeliger Bach den Weg verstellt, dass wir in der Ferne klein etwas Weißes erspähen und Rufe vernehmen von bereits am Ziel Weilenden, den kühlen Wasserstrom über sich genießend, mitten in einer Oase für die Sinne.

Antuco I: Lavafeld
Antuco I: Lavafeld
Hängender Gletscher | Lavakonstrukt | Vulcan Antuco | Bizarre Felsen
Hängender Gletscher | Lavakonstrukt | Vulcan Antuco | Bizarre Felsen

Lang innehalten können wir allerdings nicht, denn bereits über dem Berg braut sich ein Unwetter zusammen und die Zeit drängt, um rechtzeitig noch heute wieder zurück zur Relaisstation in Los Ángeles zu erscheinen. So wird uns erneut ein Blick in eines dieser letzten Mysterien unserer Welt sowie auf brodelndes Flüssiggestein verwehrt. An der Abzweigung angekommen erweist sich Fortuna aber erneut als gnädig mit den Genügsamen und schickt uns eine weitere Mitfahrgelegenheit, allerdings nun auf der Ladefläche eines Pickups. So erfahren wir auch einmal wie es sich anfühlt durch den Staub geschaukelt zu werden. Die Rucksäcke hatten wir im Gebüsch versteckt, wo wir nun bitten abgeladen zu werden und durch die günstige Gelegenheit auch noch genügend Zeit für eine kleine Mahlzeit am Fluss einlegen können, bevor es uns durch kleiner werdende Berge und durch Schafherden, behirtet von Gauchos, wieder in die Stadt zurück verschlägt.

Antuco II: Cavernas de Hielo | Kaktusfeigen? | Lavaland
Antuco II: Cavernas de Hielo | Kaktusfeigen? | Lavaland
Bombe | Gletscherfälle | Südamerika-Bambus
Bombe | Gletscherfälle | Südamerika-Bambus
Antuconische Landschaft | Basaltsäulen | Lagerplatz
Antuconische Landschaft | Basaltsäulen | Lagerplatz

Valparaíso, lautet das letzte, große Ziel. Dort, in diesem paradiesischen Tal, wollen wir unsere Reise beschließen, abgesehen von Santiago. Als ob uns jedoch etwas davon abhalten wollte, gibt es keine Fahrt diese Stadt – obwohl uns die Fahrkarten dafür ausgestellt wurden. Die Chilenen gelten zwar als europäischstes Volk Südamerikas, aber Pünktlichkeit ist trotzdem in einer anderen Kategorie einzuordnen als in deutschen Landen. Daher verwundert es uns zunächst nicht, dass noch niemand bereit steht. Bald jedoch müssen wir erfahren, dass sich die uns anheim gestellte Fahrt bereits im vollen Gange befindet und nicht mehr auf zuhalten sei. Wo um alles in der Welt soll das denn bitte stattgefunden haben? Die Kutscher aufs Innigste beschwörend dürfen wir zumindest noch am selben Abend nach Santiago mitreisen, von wo aus am folgenden Morgen ein Anschluss nach Valparaíso möglich ist.

So passiert es dann auch und nach ein wenig Mehrkosten stehen wir dann in … einer Müllhalde, so scheint es uns. Die Straße vor der Markthalle sehen wir übersäht von Abfällen und wenn man weiter auf der Hauptstraße am Meer entlang geht, lässt sich an diesem Tage nur durch Unrat waten, garniert mit einer Unmasse an streunenden Hunden. Einige scheinen sogar so dressiert zu sein, dass sie uns als Fremde erkennen und sich nach kurzer Absprache untereinander sofort auf uns stürzen, um den Nahrungsbeutel in unseren Händen ins Visier zu nehmen. Erst nach geschickten Hakenschlagerei durch die Straßen und einigen Fußtritten lassen sie sich abhängen (auch wenn das barbarisch klingt, aber andernfalls wird man von den streunenden Hunden förmlich aufgefressen). Der erste Eindruck dieser legendären Siedlung ist daher ernüchternd. Natürlich halten wir zunächst auf den Hafen zu, dem wichtigsten Ort einer Hafenstadt. Während wir dort also die Möglichkeiten einer näheren Besichtigung auskundschaften, ziehen einige Ausländer vorbei, gefolgt von einer Menge dieser Nerv tötenden Flohschleudern. Erst beim zweiten Hinsehen allerdings fallen zuerst Basti zwei Gesichter auf: nämlich das von Johnny und seiner Geliebten, die wir vor fast vier Wochen das letzte Mal verabschiedet hatten. Sie folgen einer kostenlosen Besichtigungstour durch die Stadt, weshalb wir uns ihnen sogleich anschließen und auf diese Weise einiges zu den überall verstreuten Wandmalereien erfahren, mit den berühmten Straßenaufzügen der Stadt fahren, ein selbst uns neues Alfajore (süßes Gebäckstück) kosten können, einige Hinweise über Wirtshäuser und Museen erfahren, eines der Gebäude in der einst wohlhabendsten Straße Valparaísos besichtigen, Kartenmaterial umsonst abstauben und am Ende sogar einen typischen Drink nach einheimischer Machart spendiert bekommen. Natürlich ist man angehalten nach Gutdünken ein Trinkgeld zu geben, was wir auch gerne tun.

Johnny und Gefährtin schlagen daraufhin eine andere Richtung ein, auch wenn wir jetzt schon ahnen, dass wir sie nach unserem Hafenausflug mit der Sichtung von trägen Seelöwen, Robben und Pelikanen zwischen den Häusern wiedertreffen werden. Chile ist eben ein Ort der Begegnung. Doch selbst ein einheimisches Mütterchen rät uns etwas später ausgerechnet auf der Avenida Alemannia diese Begegnungen nicht zu nah kommen zu lassen. Die Gründe dafür habe ich leider bereits in Puerto Montt erfahren. Das hält uns freilich nicht davon ab uns in ein weiteres dieser Abenteuer zu stürzen. Denn ursprünglich hatten wir mit Jonas ausgemacht, bei ihm übernachten zu können, da er ohnehin hier arbeitet und wohnt. Nun ist seine Wegbeschreibung etwas vage ausgefallen und daher suchen wir besagte Straße auf einem der zahlreichen Hügel im Südosten. Mittlerweile dunkelt es bereits und die Rucksäcke wiegen schwer die steilen Straßen hinauf. Bastis Einfall eine Abkürzung zu nehmen entpuppt sich als gewagter Gedanke. Zunächst verlaufen wir uns nur in den Wirren des Armenviertels. Daher fragt er zwei Mädels nach dem Weg, natürlich in sehr zerbrochenem Spanisch, wodurch weder wir noch die beiden etwas verstehen. Im Moment als wir im Gehen begriffen sind, biegen zwei Kerle um die Ecke und die Scharade beginnt von Neuem. Nun lassen die beiden Jugendlichen sich nicht davon abbringen uns zu ein paar Freunden zu begleiten, die wohl besser Bescheid wissen, ein Gefährt besitzen und uns zum rechten Fleck eskortieren wollen. Etwas konsterniert folgen wir ihnen mit dem Wissen über diverse Verbrechen nach Einbruch der Nacht und überlegen schon einfach zu gehen, was natürlich äußerst unhöflich wäre. Vor einem eisernen Tor stoppen unsere Führer, klopfen an und warten eine Weile. Irgendwann wird ihnen aufgetan und noch zwei andere Leute treten heraus, nun jedoch mit englischer Sprachfähigkeit. Unerwartet freundlich erklären sie uns, dass wir falsch sind und nachdem wir uns dessen gewahr werden, beeilen wir uns diesen Ort zu verlassen. Denn obwohl wir auch Hilfe von diesen Menschen erfuhren, hätte es doch jederzeit eine unschöne Wendung geben können und wir wären - wenn überhaupt - in einer der südamerikanischen Opferstatistiken aufgetaucht. Eine ganze Weile später auf der anderen Seite der Stadt erklärt uns das Jonas später genauso, denn er hat wohl jeden Tag in dieser Gegend zu tun und selbst dort kann er sich nicht länger als bis Sonnenuntergang aufhalten. Dem sicheren Tod entflohen beschließen wir daher auf den Schreck etwas trinken zu gehen, was für Jonas eigentlich ohnehin schon von Vornherein feststand. Ob er nun aus Antipathie für mich nicht mitkommt, oder weil er tatsächlich morgen am Ostermontag arbeiten muss (immerhin ist er in einer christlichen Organisation tätig), ist mir aber eigentlich auch egal. Mit ihm würden wir vermutlich auch nur Geld und Zeit investieren, um am Ende doch nichts mehr von der Nacht zu wissen.

Für einen vielerorts gerühmten Terremoto (spanisch für „Erdbeben“) ist aber noch Zeit. Die einzige Kneipe in Hörweite findet sich allerdings erst nach einigem Suchen und so treten wir in den Irish Pub, der von einem Waliser betrieben wird, mit chilenischen Aushilfen und mit einem Australier, zwei Kanadiern und ein paar Amerikanern sowie uns zwei Deutschen gefüllt ist. Alle sind schon gut angeheitert, so dass wir uns nicht mehr groß erklären müssen und auch bald ein „Erdbeben“ erfahren, also den so genannten Drink. Lange bleiben wir allerdings nicht, denn die Stimmung kippt dann ins Betrunkene und wir müssen am nächsten Tag ja auch nach …

Valparaíso – Ein Künstlerslum

(Bastis Bilder v.l.o.: Nr. 2, 12-17)

Santiago! Ein paar Mal sind wir schon durchgereist, aber jetzt erst am Ende der Reise finden wir die Zeit uns dort etwas näher umzuschauen und schon beginnt die Hetzerei. Denn gegen drei startet die gleiche Führung wie in Valparaíso zuvor und bis dahin müssen wir die Rucksäcke irgendwo sicher verstaut haben. In der Information für den Fremdenverkehr erfahren wir, dass es direkt gegenüber dem vor uns liegenden Plaza de Armada (dem Wappenplatz) eine Pension im obersten Stockwerk gibt. Den Eingang dahin zu finden kostet uns aber so einige Mühe und Zeit, so dass wir am Ende fast zum Museo de Bellas Artes rennen und den herrlichen Blick über den geschäftigen Platz von dort oben gar nicht genießen können. Vielleicht liegt es auch ein bisschen daran, dass ich in letzter Zeit immer auf der Suche nach etwas Essbarem bin, denn anscheinend haben mich die letzten Wochen viel Kraft gekostet und so müssen rasch noch ein paar Completos für unterwegs erstanden werden. Der folgende Rundgang ist ebenso wieder kostenlos, wenngleich ein fester trinkgeldlicher Betrag als Empfehlung von vornherein genannt wird und der Ausflug das auch wert ist. Auf einem begrünten Hügel namens Santa Lucia, gekrönt von einer ehemaligen Festung der Spanier und umrankt von barocken Lustbögen genießen wir danach noch einmal den Blick durch die Blätter auf die Türme der Stadt mit den wolkenverhangenen Anden im Hintergrund. Für mich hat Santiago damit eindeutig den Vorrang vor Valparaíso, wenngleich bei Dunkelheit die Pärchen sich an solchen Orten verständlicherweise auf mehr als nur Küsse einlassen, wie uns der Ausflugsleiter erzählt. Doch der erzählte uns auch inbrünstig, man solle den streunenden Straßenkötern gerne auch Essen zuwerfen und das man mit viel Glück ein ganzes Gefolge von ihnen für einige Zeit sein eigen nennen kann. Der gute Mensch ist wohl noch nie aus Santiago herausgekommen, noch nicht einmal ins wenige Stunden entfernte Valparaíso! Muss er aber auch nicht unbedingt, denn ein Drittel der Chilenen lebt ohnehin in der Hauptstadt. Genauso wie Macarena, der wir uns schon vor dem Abschied von ihr und Carlos ein erneutes Treffen in Santiago angekündigt hatten. Mit ihrer Mitbewohnerin und Carlos geht so auch der letzte Abend in diesem reichhaltigen Land zu Ende…

Santiago de Chile I: Plaza de Armada | Inti-Graffiti | Mosaik | Plaza de Armada von oben
Santiago de Chile I: Plaza de Armada | Inti-Graffiti | Mosaik | Plaza de Armada von oben
Cerro Santa Lucia | Barockes Schlösschen | Spanische Festung | .exe
Cerro Santa Lucia | Barockes Schlösschen | Spanische Festung | .exe
Santiagos Innenstadt | Fantastische Aussicht | Wolkenkratzer mit Anden
Santiagos Innenstadt | Fantastische Aussicht | Wolkenkratzer mit Anden

… jedoch noch nicht unsere bewegte Reise. Denn zuvor zieht es mich noch zur deutschen Botschaft um etwaige Nachricht aus dem fernen Puerto Montt über den Fortschritt der Gendarmerie zu bekommen bzw. ein wenig Druck aufzubauen, indem das Diebesgut als wichtige Beweise für die Wissenschaft deklariert werden (da ja durchaus einige Bilder auch von der Exkursion künden) und mit Konsequenzen für die diplomatischen Beziehungen gedroht, ja ein erneuter Weltkrieg zwischen Südamerika und Europa, also der neuen und der alten Welt nicht ausgeschlossen werden ka… also, eben etwas Verzweiflung gezeigt wird. Zum richtigen Ort zu gelangen ist dagegen gar nicht so einfach, denn anscheinend rechnete man schon vor langer Zeit mit uns (also dem Einmarsch der Deutschen zu ihrer Botschaft) und ist vorsorglich umgezogen, und zwar ans andere Ende der Stadt. Dadurch schaffen wir es leider nicht mehr die berüchtigten „Cafés mit Beinen“ (Café con piernas) zu besichtigen, deren leichtbekleidete Bedienungen sich wohl besonders intensiv um ihre Kundschaft kümmern. Mühsam und langsam arbeiten wir uns dagegen dorthin vor, wo kaum noch öffentlichen Verkehrsmittel hinführen. Natürlich bleibt eine Nachricht der Untersuchungen aus und die Bemühungen erweisen sich als umsonst erbracht, aber was macht man nicht alles aus der Hoffnung heraus!

Santiago de Chile II: Untergrund | Catedral Metropolitana de Santiago1 … | … mit Altar
Santiago de Chile II: Untergrund | Catedral Metropolitana de Santiago1 … | … mit Altar

Genauso wie zu hoffen die Abreisezeit vom Fernhafen aus nicht zu verpassen, denn wir müssen nun einmal durch die gesamte Stadt. Mietkutschen sind zu teuer und die Stadtzüge allein brauchen schon Stunden. Wird Zeit, dass man hier endlich einmal ein vernünftiges Verkehrsnetz aufbaut bzw. nicht noch mehr Menschen zum Wachstum dieser Metropole beitragen. Doch auch dieses Mal ist uns die Glückgöttin hold und geleitet uns rechtzeitig zum Ziel. So können wir die lange Heimreise entspannt bei Unterhaltung und Mahlzeiten antreten, solange wir unterwegs über den Atlantik nicht notwassern müssen oder gar absaufen. Wie es sich für einen zünftigen Southern gehört, entschweben wir schließlich am Ostermontag dem Sonnenuntergang im Westen gen Norden. Denn von hier aus gesehen liegt das „Abendland“ östlich und die Sonne steht hier auf der Südhalbkugel mittags immer noch im Norden.

Die Anden (und Anflug auf São Paulo)

Rückblickend hatte diese Reise etwas vom Entdeckergeist der viktorianischen Zeit, gerade hier in Südamerika, wo die wildesten Fantasien auf außergewöhnliche Exotik treffen. Wer von uns beiden nun eher der Wissenschaftler Humboldt und wer der treue Assistent Bonpland war, lässt sich nicht exakt bestimmen. Denn wir beide wollten entdecken, fotografieren und dort sein, wovon man sonst nur Bilder sieht. Basti eher auf Duldsamkeit und Konsens gestimmt, ich dagegen eher auf Diskussion und Eigensinnigkeit getrimmt. Letzten Endes kamen wir damit auch ganz gut zurecht, denn wir mögen beide die einfache Art und Weise zu reisen: mit niedrigem Budget möglichst viel zu erleben und dabei meistens auch simpel zu speisen und zu übernachten. Gut, manchmal war es auch extrem simpel, um nicht zu sagen einfältig, wie wir dachten und handelten, aber dafür haben wir etwas erlebt und wieder einmal überlebt. Und daher danke ich Basti sehr für die Kameradschaft in diesen erlebnisreichen Wochen!

 

Zusammenfassung:

Wenn auch manche Situationen eher heikel anmuteten wie:

-        die Organisationskrisen auf der Exkursion,

-        die vergessenen Versicherungsunterlagen,

-        die winterliche Passüberquerung am Rande der Erschöpfung,

-        der im Graben versenkte Pickup,

-        die nächtliche Sturmdusche im Zelt,

-        die gestohlene Bilderinnerung der halben Reise,

-        die unfunktionablen Geldkarten,

-        die verpasste Busverbindung nach Valparaíso,

-        die Mühen in Spanisch voran zu kommen,

-        dem Ghettoausflug in Valparaíso,

-        oder manch hart zu ertragenden Reisekameraden und nervenden Hundeschwärmen,

 

so gab es doch auch erhebende Momente, wie:

+     so manche Herausforderung zu meistern, wie die oben beschriebenen und dann …

+     …die stets nach Unwettern wieder Lichtmomente verheißenden Regenbögen zu sehen,

+     großartigen Menschen zu treffen (auf der Exkursion wie später auf der Reise nach Norden),

+     Calafate und unterschiedlichste Alfajores mit Dulce de Leche (Manjar) zu genießen,

+     auch manchmal gutes Bier zu finden und Pisco-Sour probieren zu können,

+     irgendwo doch noch ein paar versteckte Geldreserven im Gepäck zu finden,

+     mit den Pickups durch Flüsse, unwegsamstes Gelände und Matsch zu rauschen,

+     Gletschern beim Kalben zu zusehen und manchmal auch in der Ferne zu hören,

+     auf einer selbst erhangelten, erschwommenen und erkletterten Eisscholle zu stehen,

+     durch marmorne Grotten zu paddeln,

+     auf einem Lavafeld zu wandeln,

+     rechtzeitig mit Reiseplanung und etwas Glück gute Busverbindungen zu erwischen,

+     manchmal auch mit noch mehr Glück mitgenommen oder gar eingeladen zu werden,

+    sich die Natur zu erwandern und abends das einfache Essen als Köstlichkeit zu genießen bzw. noch so fades Essen mit Knoblauch, Zwiebeln und Pfeffer / Aji zu verbessern,

+     den Rucksack nach einem mühevollen Tag einfach nur abzusetzen,

+     immer wieder bereits bekannte Leute zu treffen, meist nicht nur ein zweites Mal

+    die berauschende Landschaft zu genießen zwischen majestätischen Gletschern, dichten Regenwäldern, weiten Pampa-Ödnis, türkisblauen Lagunen, zackigen Bergspitzen, weitläufigen Fjorden, südseehaften Stränden, exotischen Tieren (Guanacos, Nandus, Flamingos, Kondore, Delfine, Stinktiere, Eisvögel, etc.) und Pflanzen (Nalcas, Araukarien, Nothofagen, roten Sphagnum-Torfmoosen, Lepitothamnus, Calafate-Beeren, etc.), Vulkanen, Lavafeldern, wahnsinnigen Wasserfällen und dem Gefühl tatsächlich am Ende der Welt zu sein

 

Schlusswort:

Patagonien ist ein Land der Träume. Nicht nur, weil diese dort in Erfüllung gehen können und es so traumhaft schön dort ist. Sondern das mag auch daran liegen, dass Chile nun einmal fast alle möglichen und auch unvorstellbaren Landschaften bietet, so dass man im Grunde jede nur denkbare Formation vorfindet: weite Ebenen, die sanft aus den Bergen verebben und deren zentraler Fluss ins Meer mündet; urige Wälder (ob flach oder inmitten von Bergen), kaskadenartige Seen, die miteinander verbunden sind und ineinander fließen; weitläufige Seenlandschaften inmitten von schroffen Felsen, an deren Hängen sich einsame Straßen entlang winden… um nur ein paar Beispiele zu aufzuzeigen, die mich in dieser Region wie in einem ständigen Déjà-vu leben ließen - zwischen Traum und Wirklichkeit.

 


 

Kuriose Momente in Patagonien:

Sprüche:

- „Ganz ehrlich, eigentlich sieht das scheiße aus, aber du kannst es tragen!“ (Patricia, zu allen möglichen Anlässen, meistens wenn ein Kleidungsstück unmöglich aussah)

- „Ich hab ein Candyschneggsche.“ (Patricia, als sie stolz ihr süßes Gebäckstück präsentiert.)

- „Mi zerroaßt’s!“ (Johnny mit dem Kopf aus dem offenen Pickup-Fenster hängend zu den Leuten auf der Straße in Ushuaia, als er dringend aufs Klo muss)

- „Das Haus kommt!“ (Johnny, als das fahrende Haus uns wieder einholt)

- „Einfach den Dedo raushalten.“ (Jonas, womit er meint per Anhalter zu fahren)

 

Bilder:

Lang lebe unser Gesundheitssystem! | Wirtschaftskrise in Chile? | Mit Allrad ist alles machbar
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Katzenketschen / Pussyterror | Rückwärtig vor | Palmen-Hydra
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Früher… | …und später Südamerikanismus | Hogwarts in Valparaíso
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