Schwedenwanderung nach Norwegen (2009)

 

Eine Wanderung durch Schweden bis Norwegen? Nördlich vom Polarkreis? Nur im Zelt und ohne Dusche? Mitten durch die Einsamkeit der baumlosen Tundra? Da sind wir dabei! Zumindest der harte Kern. Denn von 15 ursprünglichen Mitreisenden traten gerade einmal sechs den Weg in den hohen Norden auch an. Dieser harte Kern bestand aus 3 angehenden Physikern (Elsa, Steffen B., Alfons), zwei Medizinstudenten (Emanuela, Steffen W. (zur Vereinfachung hier auch Steffen der II. genannt)) und einem noch unentschlossenen Prästudenten (Ich).

 

Reiseroute zum Kungsleden
Reiseroute zum Kungsleden

Schon zur Vorbereitung wurde vom Gepäck über die genaue Grammzahl des Essens, natürlich die Reiseroute und die dafür benötigten Zeiten, sowie die Treffpunkte jedes Einzelnen an deren Zustoßpunkten genauestens durchgeplant. Das war auch nötig. Denn Steffen II. vermied es sonnabends zu reisen, um seine Sabbat-Regeln der Adventsgemeinde einhalten zu können und traf uns erst Sonnabendnachmittag in Stockholm; während ebenfalls in Stockholm, allerdings aus St. Petersburg kommend Emanuela auf uns wartete. Eigentlich hätte jetzt noch jemand aus Griechenland zustoßen sollen und Einer aus Spanien wollte uns ab Berlin begleiten, doch aus unerfindlichen Gründen wurde daraus nichts mehr. Für uns Übrige führte der Weg von Jena am Freitagabend, über Berlin noch in der selben Nacht mit der Fähre nach Malmö und am nächsten Morgen Richtung Stockholm.

Zwar kamen wir unterdessen in den Genuss von Schlafwagen, zählten zu diesem Zeitpunkt allerdings erst vier Mitreisende. Nun muss man wissen, dass sechs Personen in einem solchen Schlafabteil Platz finden. So verbrachten auf den restlichen Plätzen also die Nacht mit uns zwei Frauen einer schwedischen Flüchtlingsarbeitsgruppe, die gerade aus Berlin nach Hause unterwegs waren und eine recht ungesunde Schlafatemtechnik besaßen, welche sich in nervenzerreißendem Schnarchen äußerte. Ein ausgiebiges Frühstück mit selbst gemachtem Nussmus nach althergebrachter Art Steffens dem II. sollte uns die schwere Nacht jedoch bekömmlich vergessen lassen.

Stockholm
Stockholm

Kaum hatten wir dort mit unserer Stadtführerin, zu der sich Elsa kurz entschlossen entwickelt hatte, ein wenig Schwedens Hauptstadt erkundet, wurde Steffen schon per Handy abberufen, um sich mit den beiden noch fehlenden Ausreis(s)ern der finale Gruppe am Bahnhof zu treffen. So komplex die ganze Geschichte mit der Anreise auch anmutete, so funktionierte sie doch erstaunlicherweise.

 

Elsa führte uns am Schloss vorbei über die begrünten Hügel und strahlend blauen Wasserarme des Venedigs im Norden Europas. Und gegen Nachmittag waren wir endlich vollständig.

 

Noch wachsen Bäume...
Noch wachsen Bäume...

Noch am gleichen Tag ging es - wiederum per Schlafwaggon - weiter zur eigentlichen Ausgangsstation nach Kiruna. In der Zwischenzeit zog Schweden vorbei: Ein einziger Wald, unterbrochen noch von einigen Seen und vereinzelten Häusern. Hier, immer weiter gen Norden, beginnt man wohl die Zeit in größeren Schritten zu zählen und so vergingen auch die 24 Stunden von Schweden nach Kiruna recht rasch innerhalb eines Tages. Diesen Tag nutzten wir uns miteinander bekannt zu machen, da wir außer Steffen als Bezugsperson und Reiseinitiator kaum jemand anders kannten. So wurde gleich die oft störende Frage nach den religiösen Ansichten klargestellt, indem wir in einer tiefgehenden Diskussion die einzelnen Standpunkte erklärten. Immerhin zählten zu unserer Reisegemeinschaft eine Katholikin, zwei Protestanten, ein Sieben-Tage-Adventist, ein mehr oder weniger christlicher Agnostiger und ein Atheist. Die Frage nach dem Ausgang solcher Unterhaltungen beantworten zu wollen ist allerdings stets müßig und daher beließen wir es bei dem Austausch der Meinungen.

 

Gegen Sonntagmittag hielt der Zug schließlich in Kiruna, 67,5° nördlicher Breite, also 1,5° nördlich des Polarkreises. Viel Zeit zur Bewunderung dieses Erzabbauortes blieb nur nicht. Denn rasch mussten wir noch das GPS-Gerät eichen und Fahrscheine für einen der zwei Busse zu erstehen, der an diesem Tag zum eigentlichen Ausgangspunkt nach Nikkaluokta fuhr, damit möglichst an diesem Tag noch die Wanderung beginnen konnte.

Aus mehr als drei Häusern bestand dieses letzte Bollwerk der Zivilisation nun aber auch nicht. Da fiel die Entscheidung leicht sogleich aufzubrechen statt zu verweilen und den nächsten Morgen abzuwarten.

Die erste Herausfoderung
Die erste Herausfoderung

Anfangs begegneten uns noch einige Wanderer. Schon nach den ersten Kilometern fing es jedoch stoßweise an zu regnen, hielt sich aber bis dahin noch in Grenzen und so machte uns die Gewöhnung an die ungewohnte Masse auf dem Rücken am meisten zu schaffen. Immer wieder wechselten sich lichte Birkenwälder mit Sumpf und Steinfeldern ab, manchmal legte sich uns auch ein Flusszufluss in den Weg. Die eisernen Brücken, die über solche Wasser führten mussten auch erst zu begehen gelernt werden. Der Brückenboden schwang nämlich schneller als der eigene Schritt und so holte einen die Bodenwelle des Vordermanns immer wieder ein, so dass man gar nicht anders konnte als darüber zu wanken. Und gegen den beginnenden Regen hatte jemand vorsorglich eine Rolle blaue Mülltüten mitgebracht – man gönnt seinem Rucksack ja sonst nichts!

Tundrawolken
Tundrawolken

Wenig später, am aufkommenden Abend und am Ende diese noch relativ stark mit Birken und Büschen bewachsenen Tals kamen wir schon an der ersten Hütte vorbei und bewirtschaftet war sie auch. Aber wir waren ja zum Zelten her gekommen und hatten nur für Ausnahmefälle eine Hüttenübernachtung eingeplant. Den guten Vorsatz wahrend und weil man in der Nähe von solchen „Siedlungen“ nicht zelten darf verschlug es uns ein Stück weiter, hinter einen windgeschützten Hang. Mittlerweile dunkelte es bereits. Die Muskeln, Schultern und Füße schmerzten und wir fragten uns, wie wir das nur eine Woche lang durchstehen sollten. Aber schon nach einem ersten Feldessen, warm über dem Camping-Kocher zubereitet, hellten die Gedanken bereits auf. Die Lagebesprechung konnte also folgen. Denn eigentlich war der Kebnekaise als höchster Berg Schwedens in die Wanderung mit eingeplant. Als wir allerdings sahen, wie mühsam sich das Vorankommen auf den Geröll- und Matschwegen gestaltete, entschieden wir uns dagegen. Außerdem hätten wir das Gepäck in den Zelten lassen müssen, wenn die schweren Rucksäcke nicht sinnlos hoch und wieder runter geschleppt werden wollten. Daher wurde die Zeitersparnis lieber verplant, um die ursprüngliche Route Richtung Norwegen fortzusetzen.

Die weite Einöde der Tundra
Die weite Einöde der Tundra

Noch sonnig starteten wir tags darauf und ein frisches Blaubeer-Nussmus-Frühstück später weiter in den Kungsleden hinein als es je ein Mensch zuvor gewagt hätte… na, zumindest die Schulklassen, kleinen Wandergruppen und andere, die wir nach der ersten Hütte nie wieder sehen sollten. Bereits nach zwanzig Minuten bremste uns allerdings schon der erste Zwangsaufenthalt, denn Alfons‘ Isomatte hatte sich unbemerkt verselbstständigt und er als letzter in der Gruppe bemerkte das erst um einiges zeitversetzt. Jemand musste also zurück und sie finden, denn Alfons selbst hatte schon wegen Knieproblemen Gewicht aus seinem Rucksack an andere verteilt. Wie diese Auswahl getroffen wurde kann ich nicht mehr ganz nachvollziehen. Aber als Leichtgewichtigster der Gruppe machte ich mich auf den einsamen Weg zurück.

Plastiksandalen
Plastiksandalen

Nach dem tatsächlich erfolgreichen Fund, etwa vierzig Minuten später und eine Isomatte reicher konnte wieder weitergewandert werden – allerdings ab jetzt im Regen. Je weiter es voran ging, umso horizontaler von vorn fegte er uns entgegen. Die Mittagspause fiel dementsprechend kurz aus. Bäume hatten uns schon lange verlassen. Nur das Heidekraut blieb uns treu, wie immer. Und auch die ersten Rentiere kreuzten unseren Weg, als wir eine „Abkürzung“ über eine Hochebene nahmen. Hier machte sich allerdings Emanuelas Wanderschuh bemerkbar, den sie schon in Russland hatte flicken lassen müssen – allerdings nur die hintere Sohle. Nun aber löste sich der vordere Rest vom Schaft. Mit chirurgischem Faden hatten wir den Abend zuvor versucht eine haltbare Konstruktion zu basteln, doch selbst der so reißfeste  Medizinalzwirn hielt die ständig scharfen Steinkanten der „Wege“ nicht durch und so schnell einen neuen zu binden hätte zu viel Zeit gekostet. Deshalb musste improvisiert werden und sie holte ihr Ersatzschuhwerk hervor: ein Paar Sandalen. Der oben luftig-offene Fuß wurde noch rasch in eine Plastiktüte gegen die Nässe einwickelt – es hatte sich ja bei den Rücksäcken bewährt – und die restlichen Kilometer hofften wir, es würde schon gut gehen.

Schwedische Tundra
Schwedische Tundra

Erneut neigte sich der nunmehr trübe Tag dem Ende und hinab ins Tal steigend suchten wir schon nach einem geeigneten Zeltplatz. Doch nichts wollte sich so recht nutzen lassen. Entweder war alles steinig oder von Heidekraut überwuchert. So verschlug es uns zu einer Hütte, mitten in der Weite des Kungsleden. Rauch quoll aus dem Schornstein beißend in unsere Nasen hervor und erklärte, dass hier offensichtlich jemand wohnte. Direkt unterhalb dieser Hütte, an einem Bach schien es endlich mit dem Zeltplatz zu klappen. Während vier von uns im strömenden Regen die Regenschutzplane hielten um die Innenzelte möglichst trocken zu halten, wurden die Zelte von den restlichen beiden aufgebaut.

Nun schon ziemlich durchgenässt, entschlossen wir uns Emanuela zu der Hütte zu schicken – sie solle doch mal fragen, ob wir dort nicht unsere Sachen trocknen könnten. Vielleicht hatten die Bewohner ja ein Einsehen mit uns. Eine ganze Weile blieb sie weg und wir dachten schon, sie würde dort aus irgendwelchen Gründen festgehalten, ob des frechen Anfragens. Strahlend kam sie dann zurück und erklärte, dass wir sogar da drinnen übernachten könnten, denn es würden schon zwei Deutsche Schutz suchen. Von denen erfuhren wir auch später, dass sie erst kurz vor uns eingetroffen und schon eine Woche länger unterwegs waren, es allerdings ruhig angehen ließen und dies hier eine Schutzhütte für jedermann sei, der rechtzeitig herkomme, solange man nicht länger als einen Tag bleibe. In der Zeit die es dauerte die nassen Sachen aus den Zelten zum Trocknen in die Hütte zu verfrachten, änderte sich auch schon unsere Reiseplanung. Denn im Gespräche mit den zwei Deutschen aus Erlangen fassten wir den Entschluss doch auf Abisko als Ziel auszuweichen und nach Narvik (in Norwegen) nur mit dem Zug zu fahren. Da wir die Zelte allerdings schon einmal mühsam aufgebaut hatten, kehrten wir nach dem Abendessen die Nacht über auch wieder zurück.

Die erste Hütteauf dem Kungsleden
Die erste Hütte auf dem Kungsleden

Der nächste Morgen sollte es uns aber noch strafen. Denn nun im Regen mussten die Zelte auch wieder abgebaut werden.

 

Auf der folgenden Tagesstrecke begannen die ersten aus unserer Gruppe mit der musikalischen Untermalung der Landschaft: es wurden vorrangig Kirchenlieder gesungen, wohl um besseres Wetter zu erbitten und sich die Stimmung aufzuhellen. Und tatsächlich lockerte es wirklich auf, so dass gegen Mittag sogar die Sonne bestaunt werden konnte. Die Tundra im Sonnenschein hatte gleich eine ganz andere Ausstrahlung: warm und wohlig.

 

Kurze Zeit später erschien die nächste Versorgungshütte, wo auch eine Gepäckwaage angebracht war und wir erstaunt feststellten, dass um die 20 kg unsere Rücken belasteten – allerdings mit großen Schwankungsbereichen (von Steffen I. mit seinen bleiernen 25 kg bis zu Alfons mit seinen locker-flockigen 10 kg). Entsprechendes Naht-, Binde-, Klebe-, oder anderweitiges Haftmaterial für Emanuelas weitere Schuhreparation konnte uns der Hüttenwirt jedoch auch nicht verkaufen. Bei solcherlei Problemen etwas musste man sich selbst helfen oder einfach weiter leiden.

 

Ohne Regen allerdings ließ es sich aushalten und wir konnten endlich die Natur genießen. Hinauf zum Pass führte sie uns, 1300 Meter hoch gelegen. Die letzten Kräfte des Tages wurden noch einmal mobilisiert um den Anstieg hinauf zur Hütte zu schaffen und erfolgreich trafen wir noch wenige Sekunden vor den nächsten Wanderern ein, die den Pass von der anderen Seite her erklommen. Auch sie fanden noch Einlass bei uns. Es waren natürlich… Deutsche! Nils, ein kleiner Sachse mit seiner Freundin und deren Freundin erzählten uns von der anderen Seite, also von dort, wo wir noch hin wollten.

Gemeinsam Nudeln zu kochen und zu essen kann nach so einem Tag richtig entspannend sein, und wenn man später am Abend im engen, aber trockenen Raum noch kräftig skatet, fühlt es sich eher wie irgendwo im deutschen Mittelgebirge an als in der Tundra nördlich des Polarkreises. Zu neunt wirkte die Hütte zwar ziemlich klein, aber besser als ein enges Zelt war sie allemal und auch wenn wir auf dem harten Hüttenholzboden schliefen, kam es uns fast wie der Schlafwagen vor, den wir schon einmal genossen hatten und auf den wir uns besonders im Regen auch schon wieder freuten.

Alesjaure
Alesjaure

Im Hütten-Gästebuch hinterließen wir noch eine Skattabelle als Eintrag, schauten Nils beim Kaffeekochen mit seiner mitgebrachten Espressomaschine zu und machten uns dann wieder auf den Weg, der doch um einiges nasser werden sollte als selbst die vorigen Tage. Was uns der Nebel schon ankündigte, lösten die Wolken über ihm dann auch ein und es wurde eine einzige Dusche und verwandelte die Erde auf den Wegen in eine einzige Matschpampe bis Alesjaure (passenderweise von uns auch „Alles-Jauche“ genannt), der bewirtschafteten Hütte am gleichnamigen See, inmitten des Kungsleden. Selbst zwei Regenjacken übereinander halfen nichts, sondern hielten eher noch den Schweiß vom Verdunsten ab - ein Treibhauseffekt, der uns umso schneller voran trieb. Die Mittagspause fiel dabei ganz aus und dafür genehmigten wir uns in der Hütte eineinhalb Stunden Pause, bevor es weiterging. Mit Kamin und guter Gesellschaft (natürlich wieder einmal bestehend aus Deutschen) trockneten die Sachen und hellten sich nicht nur unsere Gedanken langsam wieder auf. Denn rechtzeitig zum geplanten Aufbruch entschädigte uns ein restlicher Sonnentag mit herrlichen Blicken über Land und See.

Durch die Heide(lbeeren)
Durch die Heide(lbeeren)

 Angeblich sollten es nur noch drei Kilometer bis zur nächsten Schutzhütte sein. Etlichen Kilometern später fand sich allerdings noch immer nichts was einer solchen Unterkunft ähnelte. Nur ein Amerikaner mit seinem Ein-Mann-Zelt, der uns entgegen wanderte, erzählte uns, dass er zwar eine Hütte gesehen hätte, jedoch nicht gewusst habe, wie er hinkommen sollte, da offensichtlich kein Weg zu ihr führte. Glücklicherweise hatte Nils uns tags zuvor verraten, dass er mit den beiden Mädels einfach querfeldein durch die Heide hingelaufen sei. Mit der munteren Gewissheit, gleich wieder in einer warmen Hütte übernachten zu können, mobilisierten wir also noch einmal die Kräfte.

Herrlich gelegen inmitten eines breiten Tals und zwischen Heidelbeerbüschen, direkt am See fanden wir die Holzhütte vor. Wir waren die einzigen, die sich dorthin gewagt hatten, und genossen dementsprechend auch die lauschige Gruppengemeinsamkeit, hackten und sägten für die etwaigen Nachfolgenden noch ein wenig Holz und genossen mit Spaghetti einfach einmal den restlichen Tag des eigentlichen Urlaubs – geschützt vor dem fürchterlich heulenden Wind, der heute um die Bretter pfiff und der die Regenwolken vertrieben hatte.

Nationalpark Abisko
Nationalpark Abisko

So konnte es nach der Morgenandacht der beiden Steffens auch schon wieder zeitig aufgebrochen werden, um einen eigentlich nur kurzen Weg bis zur nächsten Schutzhütte zurückzulegen. Schon waren wir wieder eifrig am Planen, womit wir den Rest des Tages wohl verbringen sollten, vielleicht auf einen Berg zu steigen oder die nähere Umgebung zu erkunden. Zwischen Lappensommersiedlungen und einem endlich wieder beginnenden Wald fand sich allerdings nichts als eine teure, bewirtschaftete Hütte – und dem Amerikaner von gestern, nun allerdings ohne Unterkunft. Er war wieder umgedreht, denn mitten in der Nacht hatte ihm der Sturm sein Zelt mitsamt Inhalt vom Hügel herunter geweht.

Für uns hieß es noch weiter wandern, bis zum nächsten Zeltplatz, da im nun beginnenden Naturschutzgebiet nicht wild übernachtet werden darf. Wieder ziemlich geschafft von der Strecke stellten wir mühsam unsere mobilen Stoffhütten auf, dieses Mal sogar im Schutze der Bäume. Das erste Lagerfeuer der Wanderung schürten wir dabei mit alten Europaletten, die zufällig herumlagen.

Moorheide und Moorbirken
Moorheide und Moorbirken

Moorheide und Moorbirken 

Nach dem wärmenden Feuer am Abend kann man es auch mal ruhig angehen lassen. Immerhin sollten nur noch wenige Kilometer bis Abisko folgen und wir hatten den ganzen Tag Zeit. Eine lässige Strecke im Gegensatz zu den 20-25 Kilometern der Vortage. Erst gegen Mittag brachen wir daher auf und sahen wieder eine Menge Schulklassen uns entgegen kommen. Spätestens jetzt war klar, dass es nicht mehr weit sein konnte. Sogar die Blaubeeren wuchsen um einiges üppiger und schmeckten süßer.

Fjord bei Narvik
Fjord bei Narvik

Die ersten Autos in Abisko wieder zu sehen mutete nach den Tagen der Zivilisationslosigkeit schon sehr ungewohnt an. Doch schnell gewöhnt man sich wieder an Annehmlichkeiten der Kultur und auf den Bus wartend, Skat spielend und vor der Abfahrt fix noch etwas auf dem Bahnhof kochend führte der Weg jetzt per Zug weiter nach Norwegen – um wenigstens die Küste und damit den Ursprungsort dieser immer neuen Wolkentirade einmal mit eigenen Augen zu sehen.

Für Stefan I. bedeutete der Abstecher nach Norwegen einen Ausflug in die Kindheitserinnerungen vom damaligen Familienurlaub; Steffen II. kam es insofern gelegen, weil er hoffte wiederum an einem Sonnabend zur Messe der Adventistischen Gemeinde gehen zu können; mir selbst sollte es örtlichen Kriegsmuseum von Narvik Aufschluss darüber geben, ob tatsächlich mein Urgroßvater als Kriegsgefangener auf einem Foto wiederzuentdecken sei, wie mir von Verwandten Ohren gekommen war; und für alle anderen gab es die wunderbare Fjordlandschaft zu bestaunen. Schon die Zugfahrt zeigte sich das Land von einer seiner wohl schönsten Seiten, da die ganze Strecke den Fjord entlang führte.

Fjord nach Narvik
Fjord nach Narvik

Narvik selbst liegt auf einem Hang rund um die Bucht gestreckt und gibt einen herrlichen Kontrast zum Wasser des Fjords, den Berge im Hintergrund in den bizarren Wolkenformationen darüber.

Auf dem Weg zum Zeltplatz, leicht außerhalb der Stadt kam uns jemand entgegen, der uns (was auch sonst?) in Deutsch ansprach, vermutlich weil er uns erzählen hörte und als er mitbekam, dass wir zum Zeltplatz wollten, meinte er schnell, dass man doch nicht die Zeltgebühr zahlen müsse, wenn unterhalb, direkt am Wasser eine grüne Wiese am besten und billigsten dafür geeignet sei. Er würde dort schließlich auch campen. Den Pfad hinunter fanden wir auch recht schnell und so kamen wir auf einer ruhigen Wiese mit Meer direkt vor dem Eingang an – hofften allerdings, dass uns hier niemand unnötig bemerkte. Die ersten von uns erkundeten die ganz neuen Möglichkeiten des angrenzenden bewirtschafteten Zeltplatzes und probierten gleich die Duschen aus, zwar kalt, aber mit regulierbar fließendem Wasser!

Sprungturm Narviks
Sprungturm Narviks

Der Sonnabend stand ganz im Sinn des Sabbat – wenigstens für Steffen, Emanuela und Steffen II. Während die auch schon unterwegs zum Gemeindehaus stapften, machten wir anderen uns in Ruhe Frühstück und warteten einfach mal andächtig die Zeit ab. Als die drei dann etwas verfrüht wieder kamen, erfuhren wir auch, dass die Gemeinde schon seit gut fünf Jahren nicht mehr bestand. Die Information war anscheinend noch nicht bis in mitteleuropäische Gefilde vorgedrungen.

In der zweiten Tageshälfte war der Aufstieg eines  Berges über Narvik geplant. Da es aber schon am Vormittag begonnen hatte zu regnen, schwand die Motivation dazu arg, so dass Alfons und ich beschlossen nicht noch in dieser anhaltenden und nicht regulierbaren Dusche auf einen Berg zu steigen, um dort oben in Regen und Wolken ohnehin nichts sehen zu können. Daher schauten wir uns lieber die Stadt an und da ich sowieso in das Museum wollte (und das auch gleichzeitig einen idealen Wetterschutz darstellte) bildeten wir uns darin über die Kriegsgeschehen und Angriffswellen der Deutschen per Marine und Luftwaffe auf Narvik fort. Dummerweise schloss das Museum schon 16:00 Uhr und das veranlasste uns die Stadt noch ein bisschen weiter zu erkunden. Der Ort machte jedoch einen sehr heruntergekommenen Eindruck auf mich. Zu einem Land, das eines der höchsten Bruttoinlandsprodukte Europas und der Welt hat, waren die Häuser ziemlich verfallen, die Autos selten jünger als zehn Jahre und die Gärten nicht wirklich anmutig. Mag das nun an den hohen Lebenshaltungskosten wie Mehrwertsteuer (auf Neuwagen 100 % des Kaufpreises), Mineralölsteuer (denn das Benzin war trotz hohen Vorkommens vor Norwegens Küste ebenso teuer wie bei uns in Deutschland), Alkoholbesteuerung, Krankenkassenbeiträgen oder gar am Wetter gelegen haben.  

Abend in Narvik
Abend in Narvik

Doch es fiel immer wieder auf. Die einzelnen, gepflegten Häuser mit englisch geschnittenem Rasen gehörten dann vermutlich auch Einwanderern. Dem Hafenviertel konnte man seine Tristheit und den Teergeruch dabei noch am ehesten verzeihen.

So langsam wurde es dann aber wieder ungemütlich und wir schlenderten zurück zu den Zelten. Immerhin waren wir gut acht Kilometer durch die Stadt gelaufen, sahen unser Soll gegenüber den anderen also als erfüllt an und wollten jetzt auf sie warten, um das Abendmahl zu begehen und das Brot miteinander zu brechen.

Doch es kam niemand. Der Regen hatte mittlerweile auch aufgehört und wir warteten weiter, lesend und die einmalige Umgebung bewundernd.

Narvik bei Nacht
Narvik bei Nacht

So gegen zehn schaltete ich dann mein Handy eher zufällig wieder ein. Es konnte ja sein, dass sie eine SMS geschrieben hatten, weil sie unterwegs irgendwo aufgehalten worden waren oder sonst irgendetwas Schlimmes geschehen ist. Tatsächlich hatte ich auch eine SMS bekommen, doch darin stand, dass man bereits zu Abend gegessen hatte und froh im Aufenthaltsraum der Zeltplatzverwaltung den ausklingenden Tag verbringe. Diese Nachricht war drei Stunden zuvor geschrieben worden, worauf ich mich als Konsequenz … schlafen legte. (Später erfuhr ich, dass der Ausflug in Wahrheit ein Desaster gewesen sein musste und man sich gegenseitig fragte, wer denn die Idee dazu gehabt hatte.)

So weit die Füße tragen
So weit die Füße tragen

Der Vormittag beschäftigte Zeltabbau. Danach führte der Plan zur Entschädigung für die Enttäuschung am Vortag uns alle in eine Messe der Missionskirche in der Stadtmitte – nachdem wir schon einmal vorher vor der falschen Kirche um Einlass gebeten hatten und feststellen musste, dass hier heute zum Sonntag kein Gottesdienst stattfinden würde.

Anderthalb Stunden hörten wir uns die Englische Übersetzung der Predigt einer sehr freundlichen Gemeindezugehörigen extra für uns an, bekamen sogar noch das Blut Christi und auch seinen Leib angeboten, sowie die Möglichkeit zur Füllung des Klingelbeutels und machten uns jeder so unsere Gedanken über das Erlebte.

Gut gelaunt erfreuten wir uns auf der Rückfahrt nach Schweden noch einmal der atemberaubenden Fjordnatur, nun im schönsten Sonnenschein. Bei solchen Gruppenreisen dürfen auch Spiele zum Zeitvertreib nicht fehlen, z.B. auch dieses Ratespiel, wobei man mittels Entscheidungsfragen erraten muss, welche Person einem auf einem Zettel auf die Stirn geschrieben steht. Mit den richtigen Leuten vergehen die Stunden im Flug und inspirieren zu unzähligen Anekdoten über die entsprechenden Persönlichkeiten. So verging auch dieser Tag in Heiterkeit und schließlich wie jeder, in Dunkelheit.

Abisko-Seen
Abisko-Seen

Mit Zugverspätung sahen wir uns dagegen am Montag konfrontiert. Zwar nicht annähernd vergleichbar mit der Deutschen Bahn annähernd, aber ausreichend, um den Anschlusszug nach Deutschland zu verpassen. Glücklicherweise war man sich hier im Gegensatz zur DB seiner Schuld genau bewusst und organisierte schnell und unkompliziert eine Ersatzfahrt nach Hamburg. Eine Stunde Aufenthalt in Kopenhagen war dabei nicht unbedingt eine ungewollte Nebenerscheinung, auch wenn wir am Bahnhof kurioserweise auf einen Iraner trafen, der uns vom Zugpersonal anvertraut wurde, keine europäische Sprache verstand und außer „Hamburg“ und „Wedding“ nichts sagen konnte, was wir verstanden hätten. Schlau wie wir waren, schlussfolgerten wir daraus, dass er nach Hamburg zu einer Hochzeit wollte. Also schleiften wir ihn irgendwie mit durch die Stadt. Uns wurde gesagt, dass er uns folgen würde, bis wir in Hamburg angekommen wären und da wir es nicht geschafft hätten ihm zu erklären, dass wir noch mal schnell nach Kopenhagen rein wollten, während wir auf den Anschlusszug warteten, kam er wahrscheinlich sehr verwirrt einfach hinter uns her – aber immerhin kam er uns auch nicht abhanden.

Rückreise im Zug
Rückreise im Zug

Und wer schon mal in Kopenhagen zwischenweilt, der muss doch wenigstens ein typisches Softeis gegessen haben: „Kröllebölle“. Dieser Meinung war ich zumindest und weil ich nach einer Woche höchstgesunden Essens (mit Ausnahme der Schokolade) nun mal wieder etwas schön Fettes und Geschmackvolles zwischen den Zähnen und am Gaumen spüren wollte, tauschte ich schnell 20 Euro in Dänische Kronen um und schmiss eine Runde. Das war dann auch der Anfang vom Ende – der gesunden Ernährung. Denn kaum in Hamburg angekommen lachte mich schon die nächste Ernährungssünde an: ein überbackendes Wurstbrötchen, noch bevor wir die rettende Gemeinde der Adventisten in Hamburg erreicht hatten, wo wir übernachten wollten und ans Herz gelegt bekamen, doch bitte jeder fünf Euro für die Gemeindekasse zu spenden.

Nun ja, für eine Übernachtung kein allzu hoher Preis, auch wenn es nach der längeren Zeit in der freien Natur zunächst wieder ungewöhnlich erscheint für etwas wie so Unmittelbares wie einen Schlafplatz Geld zu bezahlen.

 

Der Kulturschock am nächsten Morgen hatte es allerdings in sich! In der Nacht der Ankunft zuvor hatte ich nicht viel davon mitbekommen. Doch bei Tage betrachtet stellte sich bei mir rasch ein erstes Unwohlsein ein, was die Menschenmassen der Großstadt Hamburg betraf und ich begriff augenblicklich das Glück der Abgeschiedenheit des Kungsleden.

Emanuela hatte uns schon am Abend vorher verlassen um weiter nach Heidelberg zu fahren und so langsam machte sich Abschiedsstimmung breit, denn die gemeinsame Zeit der Reise und des Durchstehens, Erlebens und Erfreuens war nun am Ende angelangt. In Jena trennten sich dann unsere Wege endgültig – zumindest bis zum nächsten Mal, so hofft man in solchen Situationen immer. Denn in der Erinnerung bleibt doch immer nur das Gute. Und das ist auch gut so.

Rentiere
Rentiere